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Titel: Zündeln mit dem SPIEGEL

Datum: 19. Juli 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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Wenige Tage nach dem Mordversuch an Trump heißt es: „Ein durch und durch schlechter Mensch“, ein „Diktator“. Die Spezialisten im Anprangern von Hetze hetzen immer wieder selbst. Das ist seit langem zu beobachten. Auf Spiegel Online ist folgende Überschrift zu lesen: Trump-Gegner bei den Republikanern: ‚Ein durch und durch furchtbarer Mensch. Wie nennt man solch eine Schlagzeile, nachdem der Mensch, um den es hier geht, gerade ein Attentat überlebt hat? Ist das journalistisch tragbar? Ja, das ist es – wenn man den journalistischen Anstand mit dem Schaumlöffel gefressen hat. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Donald Trump hat gute Chancen, erneut zum Präsidenten der USA gewählt zu werden. Aufgrund der Tragweite, die seine Funktion mit sich bringt, dürfen Journalisten auch über Trump als Mensch berichten. Doch da geht es schon los. Der Begriff „berichten“ im Zusammenhang mit Trump ist im Hinblick auf den Journalismus in Deutschland ohnehin häufig nur noch in einem grotesk pervertierten Sinn zu verstehen. Davon abgesehen, wenn Journalisten über den Menschen hinter einer Funktion berichten, gilt: auf das rechte Maß achten.

Vor wenigen Tagen wurde auf Trump ein Attentat verübt. Im wahrsten Sinne des Wortes ist der 78-Jährige dem Mordversuch um ein Haar entgangen. Die Bilder sind noch präsent. Ein Teil des Ohrs weggeschossen, Blut im Gesicht, ein Secret Service, der mehr schlecht als recht agiert, eine geschockte Öffentlichkeit. Trump meldet sich nach dem Anschlag mit einer Rede zu Wort, die von Beobachtern als versöhnlich beschrieben wird.

Und nun, Auftritt Der Spiegel. Am Donnerstag „berichtete“ das Magazin über den Parteitag der Republikaner. Ein Beitrag trägt die Überschrift: Trump-Gegner bei den Republikanern: Ein durch und durch furchtbarer Mensch. In der Unterzeile heißt es: Kritische Stimmen gegen Donald Trump? Gibt es beim Parteitag der Republikaner nicht, sagt SPIEGEL-Korrespondent René Pfister. Aber auf einer Nebenveranstaltung äußern republikanische Trump-Gegner ihren Frust.

Dass der Parteitag der Republikaner unmittelbar nach dem Attentat stattfindet, dafür kann der Spiegel nichts. Welchen Blickwinkel die Redaktion veranschlagt, dafür kann sie aber sehr wohl etwas.

Trump ist gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen. Hass gegen ihn könnte ein Motiv gewesen sein. In Anbetracht dessen: Ist es gerade einmal einige Tage nach dem Anschlag angebracht, Trump in einer Überschrift als „durch und durch“ fürchterlichen Menschen zu bezeichnen?

Diese Frage führt in den Abgrund einer journalistisch verwahrlosten, längst jeden Anstand verlorenen Medienlandschaft. Warum sachlich, wenn auch Hetze geht?

Die Überschrift greift Trump nicht in seiner politisch agierenden Funktion an. Das Zitat ist eine Attacke auf Trump im Hinblick auf seine Existenz als Mensch. Eine Schlagzeile in deutscher Sprache auf Spiegel Online wird – wahrscheinlich – nicht dazu führen, dass ein Gestörter in den USA ein weiteres Attentat auf Trump verüben wird. Zum Glück versickern Schlagzeilen wie diese letztlich in der Kloake „journalistischer“ Verkommenheit. Das in der Überschrift angelegte Ressentiment tritt dennoch zunächst nach außen. Das Zitat emotionalisiert. Es stimuliert Verärgerung, Wut, Hass.

Hier wäre insbesondere aufgrund der Umstände ein gewisses Maß an Rücksichtnahme und Fingerspitzengefühl vonseiten der Spiegel-Redaktion angebracht. Den erfahrenen Journalisten ist zuzutrauen, dass sie mit der Waage, die Inhalt und Emotion austariert, umgehen können. Es sollte ein Leichtes gewesen sein, unter den gegebenen Umständen dem Inhalt mehr Gewicht als der Emotion zu geben.

Trump mag ein „furchtbarer Mensch“ sein – oder auch nicht. Von Interesse ist, dass der Spiegel es offensichtlich nicht lassen kann. Dass er es nicht lassen kann, ideologisch motiviert dorthin zu leuchten, wo das erscheint, was erscheinen soll.

Erinnert sei an den berüchtigten Beitrag des ehemaligen Spiegel-Kreativreporters Claas Relotius Fans des US-Präsidenten: Wo sie sonntags für Trump beten. Damals hatte die Redaktion einen Artikel ins Blatt gehoben, der Trump-Wähler wohl so zeichnete, wie sie in der redaktionellen Sinnprovinz aussehen mussten: rechte, tumbe Hinterwäldler. Dumm nur: Die „Dummen“ waren gar nicht so dumm und konnten gar auf Deutsch die Fantasiegeschichte Relotius‘ lesen. Der Rest ist bundesdeutsche Mediengeschichte – im negativsten Sinne. Schon damals lag dem Blickwinkel auf Trump eine negative Verzerrung zu Grunde.

Und heute? Selbst nach dem Attentat kann die Redaktion es nicht lassen, irgendetwas Negatives im Zusammenhang mit Trump zu finden. Wenn schon keiner Trump auf dem Parteitag direkt offen kritisiert, dann marschieren die wackeren Spiegel-Reporter eben zu einer „Nebenveranstaltung“ der Republikaner. Irgendwo muss irgendwer irgendwie doch etwas Schlechtes über Trump sagen. Und voilà: Trump sei ein „durch und durch furchtbarer Mensch“. Hat man Derartiges schon einmal vom Spiegel über Spitzenpolitiker aus Deutschland gelesen, mit denen das Blatt sympathisiert? Oder sind diese Politiker alles Engel in Menschengestalt? Wie bestellt sagt der ehemalige Abgeordnete der Republikaner Joe Walsh in die Spiegel-Kamera: „Wir wollen keinen Diktator anbeten (…).“

Trump ein Diktator? Darf man einen Diktator vielleicht einfach… ? In Anbetracht eines Mordanschlags ist publizistische Verantwortung angebracht. Vielleicht findet der Spiegel sie ja neben dem Journalistenmotto von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein: „Sagen, was ist“. Der hehre Spruch ist leider schon vor langer Zeit dem längst alltäglich gewordenen zombiejournalistischen Gemetzel zum Opfer gefallen.

Titelbild: Collage NachDenkSeiten, Cover © SPIEGEL


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