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Titel: Verkündigung: Das Evangelium des Schreckens
Datum: 12. Juli 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, NachDenkSatire
Verantwortlich: Redaktion
Wahre Erzählung einer Religionsstiftung, aus ehrlicher Binnenschau berichtet von ihrem selbst erkrankten Propheten, das tiefste Geheimnis zur Erhebung der Elenden verratend. Zugeeignet den guten Deutschen, diesen treuesten Gläubigen jeglichen Glaubens. Aufgezeichnet in der Hauptstadt der Verkündigung im Jahre 18 der Energiewende, im neunten Jahr der Geschlechter- und Vielfaltsverhauptstromung, im vierten Jahre des normalen Ausnahmezustands. Eine Satire von Michael Andrick.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Mir schwante, als ich mich eines flauen Morgens in der Welt umsah und ihr Leid sah und meines Mitleidens leid war, es wäre für euch alle doch am allerbesten, ihr würdet mich nicht nur hören, sondern mir auch einfach gehorchen. Und so beschloss ich also, eine Religion zu begründen – eine neue Frohe Botschaft, um nicht nur euch, sondern auch mich selbst endgültig froh zu machen.
Der Gehorsam, nach dem ich aus Mitleid an diesem Morgen verlangte, war nicht ein „Na gut…“- Gehorsam, kein kleiner Gehorsam, wie meine Kinder ihn mir erweisen, bis meine Frau dann doch „Ja“ sagt; kein höflicher Scheingehorsam wie der meiner Freunde, wenn sie sich meine Ratschläge zwar anhören und „Jaja, danke“ murmeln, aber dann doch weiter teilerleuchtet, zwar nun informiert, aber doch nicht reformiert durch ihr Leben stolpern.
Nein, ich meine, es wäre für euch alle am allerbesten, ihr würdet mir so richtig gehorchen – also in der Form, dass ihr, sobald ihr etwas aus meinem Munde vernehmt, in eine Art schüchterne Habachtstellung verfallt, nervös um euch blickt, den Kopf etwas einzieht, um schuldbewusste Furcht vor Nackenschlägen anzudeuten, und entschlossen das ausführt, was ich euch zu Gehör bringe.
Überhaupt, Hören, das Gehör, hier liegt das ganze Problem mit der Umsetzung meines Plans, aus eurem Hören Gehorsam zu machen und endlich zu herrschen, wie es sich für einen Philosophen, nun ja, gehört: Gehorchen kommt ja von Gehör, und das Gehör des Gehorsamen muss ein feines sein. Sonst kann es die eingehenden Befehle missverstehen, oder sein Inhaber könnte sie sogar, weil er vielleicht die Einsicht in die Notwendigkeit nicht hat oder sie einfach nicht leiden mag, die gehörten Anweisungen durch das ersetzen, was er lieber gehört haben möchte…
Was kann ich also sagen, um bei einem möglicherweise widerspenstigen, fahrigen und eigenwilligen Gehör durchzudringen und nicht nur Hören, sondern Gehorsam zu erreichen? Dies ist keine Kleinigkeit, es handelt sich um ein Rätsel ersten Ranges, ja vielleicht um das älteste und das eigentliche Problem der Politik: Sagen kann man viel, wie aber effektiv befehlen?
Ich weiß wie. Und gegen lachhaftes Entgelt plane ich, das demnächst in einer erweiterten Freiberuflichkeit als Prophet auch zahlenden Kunden mitzuteilen – was mich in einem Land, wo man das Gutsein auch ohne Güte liebt und den Gehorsam des Guten der guten Sache jederzeit vorzieht, sehr bald zum, wenn ich so sagen darf, gehorchtesten Guru der ehemaligen Republik machen wird, die damit Hörerkreis um Hörerkreis anwachsend zu einer Gemeinschaft neuen Glaubens, meines neuen Glaubens werden muss.
Das Geheimnis der anstehenden Verkündigung des neuen Glaubens lüfte ich euch gern und gelassen, denn ihr werdet es nicht verstehen können; es ist zu einfach für euch: Wer will, dass ihm alle gehorchen, der braucht etwas Drastisches, etwas Kategorisches, etwas Unheimliches, etwas Überwältigendes, in dessen Namen sich dann dies und jenes, ja eigentlich alles einschüchternd befehlen lässt. Die neue Verkündigung muss immer die eines Schreckens sein.
Waren die alten Propheten noch Propheten durch ihre Autorität von Gott, so bin ich euer Prophet durch die Autorität des Schreckens, dem ich das Wort führe. Wer will, dass alle ihm gehorchen, der muss den Mitmenschen einen Schrecken in die Seele senken und sich dabei sogleich als sein Kenner, sein Bändiger, sein Überwinder ins grelle Rampenlicht stellen – denn ein neuer Schrecken macht einen Lichtkegel und schwärzt alles umher; diese helle Insel im schwarzen Unbehagen ist die Kanzel der Verkündigung eines neuen Glaubens. Hier muss der Prophet auftreten und allein sprechen: „Vertraut mir, dem Einzigen, den ihr jetzt noch seht, dem, der einsam vor euch steht.“
Man entmündigt sich immer zugunsten des Mundes eines anderen, in diesem Falle zugunsten meines Mundes, der so allein noch sprechen wird, wie es der Schrecken, die Katastrophe, verlangt, d.h. der befehlen wird. Wer nämlich allein noch sprechen kann, der wird auch allein noch gehört, und der befiehlt.
Nun könntet ihr fragen, wenn ihr es euch trautet, ganz leise, zwischen euren eingezogenen Schultern schräg aufblickend zu meiner Kanzel im hellen Lichte, wie es denn komme … also warum es denn jetzt sein müsse … also woher ich denn genau wisse, dass da nun eine Katastrophe kommt. Schließlich müsse das ja vielleicht auch jemand anderem auffallen können, und das sei ja nun nicht der Fall, man lebe ja noch gerade so wie bisher und zu essen gäbe es ja auch noch und Wasser … und so.
Würdet ihr so fragen, so würde ich allerdings einschreiten, nein, einsprechen und die ganze stählerne Logik des Schreckens-Evangeliums im hellen Lichte meiner Kanzel offenbaren. Ich spräche zu euch dann also:
„Meine Brüder! Wo das Ende naht, da ist Not, und damit die Not nicht herrsche, braucht es ein Gebot, und da in der Not weder Zeit noch Fähigkeit zu denken ist, kann dieses Gebot nur befohlen und ihm muss dann gehorcht werden. Und fragt ihr mich, meine Brüder, wer berufen sei, das Gebot der Not euch zu verkünden, dass ihr ihm gehorchen und gerettet werden könnt, so sage ich euch: Nur einen kann es geben, der weiß, was in der Not zu tun ist, und das ist der, der die Not, die dräuende Katastrophe erkannt hat und sie euch deshalb aus Liebe laut ausruft, um euch zu warnen und euch vor dem Untergang zu retten.
Denn hättet ihr die Katastrophe erkannt, die euch droht, so hätte es meiner nicht bedurft, euch eure Not zu verkünden. Und da ich eure Not nun aber erkannt habe und sie euch verkünde, so habt ihr mir zu gehorchen, ihr Armen! Amen.“
Und so machte ich aus meinen Hörern Gehorsame, die sich fröhlich und dankbar für mich entmündigten und das auch immer noch jeden Tag, bei jeder neuen Predigt des Schreckens-Evangeliums, aufs Neue tun. Ich liebe alle Menschen, aber besonders meine deutschen Hörer, die Gehorsamen jedes Glaubens, den man ihnen zur Befolgung darbietet, und so auch des meinen.
Autoreninfo: Michael Andrick ist promovierter Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Er lebt in Berlin und publiziert u.a. in Freitag, Cicero und Weltwoche. Sein aktuelles Buch „Im Moralgefängnis“ wurde ein Spiegel-Bestseller.
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