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Titel: Interview mit David Vine: „Die USA sind das mächtigste Imperium der Weltgeschichte“
Datum: 12. Juli 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Friedenspolitik, Interviews, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
David Vine ist Professor für politische Anthropologie an der American University in Washington/DC und Experte für US-Militärbasen und die Geschichte des US-Imperiums. Sein faktenreiches Buch „The United States of War“ ist ein absolutes Muss für jeden, der sich für den US-Imperialismus und moderne Geschichte interessiert. Es belegt die herausragende globale Bedeutung des US-Imperiums, seit es das britische Empire ablöste. Es ist ein schockierendes, verstörendes Buch. Sein zweites Buch „Base Nation“ analysiert das riesige Netz von US-Militärstützpunkten auf der ganzen Welt, die für die örtliche Bevölkerung oft eine Katastrophe darstellen. In diesem Interview spricht er über sein Meisterstück „The United States of War“, die Entwicklung des US-Imperialismus vom Unabhängigkeitskrieg bis zum Kalten Krieg und dem Völkermord in Gaza, die neuen Großmacht-Spannungen mit China und Russland, die Gefahren eines Atomkriegs und die Notwendigkeit einer globalen Friedensbewegung. Das Gespräch führte Michael Holmes.
Michael Holmes: In Ihrem Buch „The United States of War“ schreiben Sie viel über die Bedeutung des Stützpunktsystems, das mit dem Unabhängigkeitskrieg gegen Großbritannien begann, sich dann über das gesamte US-Territorium und im Laufe der Zeit über den gesamten Globus ausdehnte und im Zweiten Weltkrieg sowie im Kalten Krieg und bis heute seinen Höhepunkt fand, was die Vereinigten Staaten – ich denke, man kann es mit Fug und Recht sagen – zum größten Imperium der Geschichte machte. Das Buch enthält 28 erstaunliche Karten, die hauptsächlich US-Militärstützpunkte und Kriege auf der ganzen Welt zeigen. Sie zeigen, dass die Vereinigten Staaten in den letzten zwei Jahrhunderten überall auf der Welt präsent waren. Die USA haben in jeder Weltregion und in den meisten Ländern immensen Schaden angerichtet – wahrscheinlich in allen Ländern, in manchen mehr, in manchen weniger. David, würden Sie uns bitte ein paar grundlegende Zahlen über die Größe und Struktur des heutigen US-Imperiums nennen?
David Vine: Ich denke, wir können es als das mächtigste Imperium der Geschichte bezeichnen. Die Auswirkungen des US-Imperiums – wie auch die anderer Imperien vor ihm – waren für Millionen von Menschen katastrophal, verhängnisvoll und entsetzlich. Das ist nicht die Sichtweise, mit der ich aufgewachsen bin. Wie die meisten Amerikaner habe ich an die Mythologie der Vereinigten Staaten als eine Kraft des Guten geglaubt, die Demokratie und Freiheit in der ganzen Welt verbreiten, eine nationalistische Geschichte, die die Vereinigten Staaten feierte und die lange Geschichte von Angriffskriegen völlig übersah und auslöschte, die kleinen Gruppen von Eliten zugutekamen, aber nicht der großen Mehrheit der Menschen in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt. Das US-Imperium wuchs aus der Macht und erbte die Macht der europäischen Imperien Großbritannien, Spanien und Frankreich. Die USA beginnen als eine kleine Ansammlung britischer Kolonien, die zu einer Weltmacht heranwachsen, die Ländereien in ganz Nordamerika kolonisiert und erobert und dabei Millionen von amerikanischen Ureinwohnern verdrängt und ermordet und dann beginnt, Inseln in der Karibik und im Pazifik zu erobern.
Im 20. und 21. Jahrhundert sind die USA zu einer etwas anderen Art von Imperium geworden, das sich natürlich in hohem Maße auf seine militärische Macht stützt – wie wir im völkermörderischen Krieg in Gaza sehen –, aber auch auf seine wirtschaftliche und politische Macht. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das US-Imperium durch zwei wichtige Merkmale definiert. Das eine ist die beispiellose Ansammlung von Militärstützpunkten außerhalb des US-Territoriums auf dem Boden anderer Völker. Gegenwärtig gibt es zwischen 750 und 800 US-Militärstützpunkte in rund 80 fremden Ländern und Kolonien.
Das sind mehr Militärbasen im Ausland als in jedem anderen Reich der Weltgeschichte. Verschiedene Stützpunkte in verschiedenen Ländern hatten unterschiedliche Auswirkungen. Das andere Merkmal im Herzen des US-Imperiums ist der militärisch-industrielle Komplex, der dazu dient, die USA seit dem Zweiten Weltkrieg in einem ewigen Kreislauf endloser Kriege gefangen zu halten, in denen Millionen und Abermillionen von Menschen getötet wurden. Allein in den letzten 22 Jahren – seit die Bush-Regierung ihren sogenannten Krieg gegen den Terror begonnen hat – haben die brutalsten, blutigsten und schrecklichsten Kriege in Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien und Jemen schätzungsweise 4,5 Millionen Menschen getötet. Wir müssen dieses System des Massenmordens ändern.
Viele Menschen sind schockiert über die westliche Unterstützung für das Gemetzel in Gaza. Die USA und Deutschland unterstützen das, was man mittlerweile wohl mit viel Recht einen Völkermord nennen kann. Aber wenn ich Ihr Buch lese, ist das weniger überraschend, denn Ihr Buch ist voll von Gräueltaten wie dieser. Wie viele der 800 Stützpunkte befinden sich in Diktaturen?
Die Rechtfertigung für diese Stützpunkte war lange Zeit, dass sie die Demokratie verbreiten. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Gegenwärtig wird etwa die Hälfte der Länder, die US-Militärstützpunkte beherbergen, von undemokratischen Regimen geführt. Die US-Stützpunkte tragen also dazu bei, undemokratische Regime zu stützen und damit die Ausbreitung der Demokratie zu verhindern.
Wie sieht das im Vergleich zu China oder Russland aus? Sind die ausländischen Militärbasen Chinas überhaupt damit vergleichbar?
Nicht einmal annähernd. China und Russland sind eine Art von Imperien, doch im Vergleich zum US-Imperium verblasst ihre derzeitige Macht. Ihre Militärbudgets machen nur einen Bruchteil des US-Militärbudgets aus. Das chinesische ist deutlich größer als das russische, das etwa ein Zehntel des US-Budgets beträgt. China gibt etwa ein Drittel bis die Hälfte dessen aus, was die US-Steuerzahler für Militär und Krieg ausgeben. Dieser Unterschied ist noch ausgeprägter, wenn es um ausländische Militärstützpunkte geht. China hat nur eine sehr kleine Handvoll ausländischer Militärstützpunkte. Es hat einen Stützpunkt in Dschibuti, wo auch die USA zwei Stützpunkte haben. Es hat eine Handvoll Basen auf künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer. Es gibt Anzeichen dafür, dass sie einen Stützpunkt in Kambodscha haben. Aber es gibt kein Netz chinesischer Stützpunkte, das den gesamten Globus umspannt.
Russland verfügt über eine etwas größere Anzahl von Stützpunkten – fast ausschließlich in ehemaligen Sowjetrepubliken und Syrien. Großbritannien und Frankreich haben noch mehr Stützpunkte, aber auch bei ihnen handelt es sich um Dutzende, nicht um Hunderte. Zeitweise gab es sogar noch mehr US-Militärstützpunkte im Ausland. Auf dem Höhepunkt der US-Kriege im Irak und in Afghanistan waren es über 2.000. Sie waren schon immer die Infrastruktur des Krieges. Mein Buch zeigt, dass US-Militärstützpunkte seit den frühesten Tagen der USA diese Funktion erfüllen. Es waren Armeeforts auf dem Land der amerikanischen Ureinwohner, die die Eroberung und Kolonisierung im 18. und 19. Jahrhundert vorantrieben. Im 20. und 21. Jahrhundert haben die US-Basen eine ähnliche Rolle gespielt.
Das US-Imperium hat seinen Charakter stark verändert. Es ist sogar noch komplizierter als das Britische Empire. Am Anfang war es ein siedlerkolonialistisches Landimperium, was es Russland und China ähnlicher machte als den britischen und französischen Imperien. Sie beschreiben die Grausamkeit dieser Entwicklung sehr gut. Große Teile der USA sind gestohlen, das meiste davon von den amerikanischen Ureinwohnern, aber auch von Mexiko – die Vereinigten Staaten haben die Hälfte des Landes gestohlen. Meine Partnerin ist Mexikanerin, die Mexikaner sind immer noch wütend darüber. Sie fragen sich, ob sich die USA jemals dafür entschuldigen werden. Jeder in Mexiko weiß das, aber niemand in den USA weiß es.
Die USA waren also zunächst ein Landimperium, das mit brutalen ethnischen Säuberungen und in vielen Fällen mit Völkermord expandierte – wie in Kalifornien. Das ist eine schockierende Lektüre. Dann schildern Sie, wie die USA Ende des 19. Jahrhunderts zur Weltmacht wurden. Könnten Sie die globale Expansion der USA zwischen dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg ein wenig beschreiben?
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hören die USA auf, neue Länder formal zu erobern. Stattdessen beginnen sie, andere Länder mit einer Vielzahl von anderen Mitteln zu kontrollieren. Vor allem in Lateinamerika gibt es eine lange Reihe von Invasionen, Kriegen und Besetzungen, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Aber im 20. Jahrhundert haben wir lange Besetzungen von Ländern wie Honduras und Haiti und mehrfache Invasionen von Ländern wie Mexiko erlebt. Ich spreche zu Ihnen aus Kalifornien, das sowohl von Mexiko als auch von den amerikanischen Ureinwohnern gestohlen wurde. Basen, Besetzungen und Interventionen werden in dieser Zeit zum Markenzeichen des amerikanischen Imperiums.
Für Lateinamerika sind die USA besonders wichtig, weil die Region in den 1820er-Jahren von Spanien unabhängig wurde. Aber – wie Sie in Ihrem Buch zeigen – die USA haben Lateinamerika semi-kolonialisiert. Sie haben all diese Zahlen, die schwer zu merken sind: wie oft die USA in Nicaragua, der Dominikanischen Republik und Panama einmarschiert sind. Sie waren in jedem lateinamerikanischen Land, besetzten es, organisierten Putsche und all das. Können Sie mehr über den Schaden sagen, den die USA in den letzten 200 Jahren in Lateinamerika angerichtet haben?
Er war tiefgreifend. In der Tat haben die USA die meisten Länder Lateinamerikas überfallen oder besetzt. Sie haben oft militärische Gewalt eingesetzt, um Unternehmensinteressen durchzusetzen. Der Blutzoll in Lateinamerika war entsetzlich und reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück, in jüngerer Zeit aber auch in Mittelamerika. Die US-Regierungen unterstützten die rechtsgerichteten Diktaturen und ihre Kriege in Guatemala und El Salvador sowie die rechtsgerichteten Contra-Revolutionäre, die in Nicaragua kämpften. Diese Kriege in Mittelamerika kosteten Hunderttausende von Menschen das Leben. In Guatemala gab es einen von den USA unterstützten Völkermord.
Können Sie über den Kalten Krieg sprechen? Ich glaube, niemand ist völlig naiv, was den Kalten Krieg angeht. Die meisten Menschen wissen, dass die USA in Vietnam und in Chile 1973 einige schlimme Dinge getan haben. Aber im Großen und Ganzen waren die USA und ihre NATO-Verbündeten die Guten, und dann gab es noch die böse Sowjetunion. Ich bin froh, dass ich in Westdeutschland und nicht in der DDR aufgewachsen bin, auch wenn ich jetzt in Ostdeutschland lebe und es mir hier gefällt. Aber da geht es um das innere System. Ich glaube, dass die Außenpolitik der USA auch nicht besser war als die der Sowjetunion. Tatsächlich hat der Westen oft die schlimmere der beiden Seiten unterstützt.
Es ist ein sehr kompliziertes Bild. Aber ich würde mit dem Begriff „Kalter Krieg“ beginnen. Er hatte nichts Kaltes an sich. Millionen und Abermillionen starben in den Kriegen, die sowohl von den USA und dem NATO-Bündnis als auch von der Sowjetunion unterstützt wurden. Für die Menschen in Vietnam, Kambodscha, Laos oder Indonesien, wo vielleicht eine Million Menschen starben, was auch als von den USA unterstützter Völkermord bezeichnet wurde, war überhaupt nichts an diesen Kriegen kalt. Die NATO unterstützte sogar Diktaturen im eigenen Bündnis – in Portugal und Spanien. Die von der portugiesischen Diktatur in Afrika geführten Kolonialkriege kosteten ebenfalls Hunderttausende von Menschen das Leben. Der Wettstreit zwischen den USA und der Sowjetunion hat das Leben auf der Erde nicht durch einen Atomkrieg ausgelöscht, aber er hinterließ an Orten wie Vietnam nuklearähnliche Verwüstungen.
Ich bin froh, dass Sie die Unterstützung der NATO für die äußerst brutalen Kriege Portugals in Angola und Mosambik erwähnt haben. Das ist ein unterschätztes Thema. Sie präsentieren in Ihrem Buch eine Karte, auf der alle US-Stützpunkte verzeichnet sind, die China, Russland und den Iran umgeben. Das ist sehr interessant zu sehen, denn diese Länder sind überall von großen Militärbasen umgeben und überall von kleineren. Dann gibt es eine andere Karte, die fiktiv ist, sie zeigt nichts in der Realität. Diese Karte imaginiert, wie es wäre, wenn China, Russland und der Iran die gleiche Anzahl von Militärbasen um die USA herum besäßen – in Kanada, Mexiko, Kuba und ganz Lateinamerika. Sie stellen die Frage: Wie würden sich die Amerikaner fühlen? Das ist eigentlich eine rhetorische Frage, denn es ist ganz klar, dass sie es überhaupt nicht mögen würden.
Der Politikwissenschaftler John Mearsheimer weist oft darauf hin, dass man die USA aus russischer oder chinesischer Sicht als ein sehr aggressives Imperium betrachten würde, das an die eigenen Grenzen herankriecht, ihre Bürger bedroht. Und sie hätten wirklich das Gefühl, etwas tun zu müssen. Das ist keine Rechtfertigung für das Verhalten von Russland, China oder Iran. Sie alle haben sich furchtbarer Verbrechen schuldig gemacht, vor allem Russland in der Ukraine. Ich war in der Ukraine und will das nicht verharmlosen, aber diese Karte ist eine sehr interessante Idee. Glauben Sie, wir könnten dazu beitragen, die Spannungen zwischen den USA und Russland, China, Iran, Venezuela und anderen Ländern zu beenden oder zu deeskalieren, indem wir versuchen, die Menschen dazu zu bringen, sich in die Lage der Menschen auf der anderen Seite zu versetzen? Wenn Sie ein normaler russischer oder chinesischer Bürger wären, hätten Sie dann keine Angst vor der NATO? Wären Sie nicht empört über all die Drohungen gegen Ihr Land? Würden Sie sich nicht durch die Arroganz, mit der über ihr Land gesprochen wird, beleidigt fühlen?
Wir müssen die wachsenden Spannungen zwischen den USA und ihren Verbündeten und sowohl Russland als auch China deeskalieren. Denn dies ist wirklich der gefährlichste Moment meines Lebens für den Globus angesichts der Gefahr eines direkten militärischen Zusammenstoßes zwischen den USA und ihren Verbündeten und Russland oder China, der leicht eskalieren und in einen Atomkrieg ausarten könnte, der zum Tod von Milliarden von Menschen führen, wenn nicht sogar die menschliche Existenz auf der Erde bedrohen könnte. Die Amerikaner können sich im Allgemeinen nicht einmal einen einzigen russischen oder chinesischen Militärstützpunkt in der Nähe unserer Grenzen vorstellen. Die Karte fördert das Einfühlungsvermögen. Sie ermutigt die Amerikaner, die Welt aus der Perspektive der anderen zu sehen. Alle Karten sind auf meiner Website kostenlos erhältlich.
Hat das US-Imperium auch Gutes getan? Es ist schon so alt und so groß, dass es wirklich seltsam wäre, wenn es nichts Gutes getan hätte! Für Deutschland, Japan und Italien hat es sicherlich Gutes getan, aber es ist schwer, andere Beispiele für gerechte Kriege zu finden als den Zweiten Weltkrieg, in dem 80 Prozent der Kämpfe von den Sowjets geführt wurden. Und die US-amerikanischen Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs würden ohne den Vergleich mit dem Holocaust noch deutlicher als schreckliche Verbrechen angesehen werden.
Ich verdanke meine Existenz auf der Erde den USA. Meine Großeltern mütterlicherseits flohen als Juden kurz vor dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland. Sie hätten den Krieg vielleicht nicht überlebt, wenn die USA sie nicht aufgenommen hätten. Es ist ein kompliziertes Bild. Die USA haben als Land sicherlich auf vielfältige Weise einen positiven Beitrag für die Menschen in der Welt geleistet, aber das Imperium hat auch massiven Tod und Zerstörung verursacht. Die USA besitzen ein gewisses Maß an Demokratie, aber sie haben undemokratische Herrschaft rund um die Welt unterstützt. Ich versuche, die Amerikaner zu einer Außenpolitik zu ermutigen, die sich auf die besten amerikanischen Traditionen stützt – Demokratie, Respekt für andere, Zusammenarbeit. Ich ermutige die Amerikaner auch, dem deutschen Modell zu folgen, welches die schrecklichen Verbrechen des Naziregimes unvollkommen, aber ehrlich aufgearbeitet hat, sich zu entschuldigen und ein gewisses Maß an Wiedergutmachung zu leisten. Die USA haben sich der Verantwortung für ihre vergangenen und aktuellen Verbrechen entzogen. Die USA schulden Millionen und Abermillionen von Menschen Wiedergutmachung und Entschuldigungen. Denken wir nur an die Kriege im Nahen und Mittleren Osten in den letzten zwei Jahrzehnten, durch die 38 Millionen Menschen vertrieben wurden.
Wir müssen uns dringend bemühen, einen Weg der Zusammenarbeit mit anderen – einschließlich China und Russland – einzuschlagen, um die drängendsten, existenziellen Probleme der Welt – wie globale Erwärmung, Armut und Krankheit – anzugehen.
Auf meinen Reisen in den globalen Süden habe ich mit jungen Menschen im Iran, Irak, El Salvador und anderen Ländern gesprochen. Sie alle sagten mir in etwa: ‚Schau! Wir lieben die Demokratie, den Säkularismus, amerikanische Filme und Menschen. Wir würden gerne an einer amerikanischen Universität studieren.‘ Sie hatten überwiegend positive Einstellungen zu den USA, aber wenn man sie nach der amerikanischen Außenpolitik und ihrer Geschichte fragt, haben sie die Nase voll davon. Sie sind wirklich wütend, und zwar nicht, weil sie Extremisten sind. Viele hassen ihre eigene Regierung. Das ist ein so tragisches Missverständnis zwischen dem Westen und dem globalen Süden. Die Kommunikation kommt einfach nicht an. Gaza setzt ein Ausrufezeichen hinter dieses Missverständnis! Ich bin wirklich schockiert, dass der Westen überhaupt nicht begreift, wie der Rest der Welt ihn sieht.
Das ist eine sehr schwierige Herausforderung. Es geht nicht nur um Kommunikation, sondern um soziale Bewegungen, die von unseren Regierungen verlangen, einen anderen Weg einzuschlagen – nicht den Weg des Krieges und des Völkermords, sondern den der globalen Zusammenarbeit. Ich glaube, viele Menschen auf der ganzen Welt haben das verstanden. Sie verstehen, dass die Regierungen der USA, Chinas, Russlands, Irans, Großbritanniens und Deutschlands und weit darüber hinaus weitgehend von kleinen Gruppen von Wirtschaftseliten, Politikern und Konzernen gekapert wurden, die die Macht der Regierungen nutzen, um ihre eigenen Interessen auf Kosten der großen Mehrheit der auf der Erde lebenden Menschen durchzusetzen.
Wir brauchen dringend eine globale Bewegung, die eine Investition in menschliches Leben statt in die Mittel der Zerstörung fordert und verlangt, dass wir uns gemeinsam den existenziellen Bedrohungen stellen, denen wir ausgesetzt sind – wie dem Klimawandel und dem Atomkrieg, der nach wie vor über unseren Köpfen schwebt. Der Atomkrieg ist seit dem Ende des Kalten Krieges im Bewusstsein vieler Menschen weitgehend in den Hintergrund getreten. Die Princeton University hat in einem Bericht geschätzt, dass in einem Atomkrieg zwischen den USA und Russland vier bis sechs Milliarden Menschen sterben könnten. Das ist weit mehr als die Hälfte des menschlichen Lebens auf der Erde. China hat ein kleineres Arsenal. Das ist unvorstellbar. Es sollte auch unvorstellbar sein. Aber wir leben täglich mit dieser Bedrohung, also müssen wir sie uns vorstellen.
Ich möchte positiv enden. Gaza hat viele junge Menschen wachgerüttelt – nicht nur in Bezug auf dieses Thema, sondern auch in Bezug darauf, wozu der Westen fähig ist. Ich hoffe, sie machen nicht denselben Fehler wie viele Linke in der Vergangenheit und haben zu viel Sympathie für die Hamas, China oder Russland. Aber ich denke, die meisten von ihnen verstehen, dass es hier um Frieden geht, um nötige Kritik an der eigenen Regierung. Ich glaube, es gibt eine neue Generation, die sich friedliche und normale Beziehungen wünscht. Ich glaube nicht einmal, dass das so schwer ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es der Welt oft besser, und ich denke, solange wir miteinander reden, können wir dorthin zurückkehren.
Ich habe ein sehr düsteres Bild gezeichnet. Es gibt Gründe, deprimiert zu sein, entmutigt, wütend und empört über die lange Geschichte der US-Kriege und jetzt den Völkermord in Gaza. Aber es gibt auch viele Gründe, sehr hoffnungsvoll zu sein. Junge Menschen sind aufgewacht und haben das Kriegssystem in unserer Mitte erkannt. Deshalb fordern sie das Ende von Waffenherstellern und allen Unternehmen, die mit Krieg und menschlichem Leid Gewinne machen. Über alle Generationen hinweg haben die Menschen den Krieg satt, vor allem hier in den USA. Seit den Kriegen im Irak und in Afghanistan haben viele dem Krieg den Rücken gekehrt. Wir sollten uns daran erinnern, wie viel Geld in dieses Kriegssystem in den USA, in Deutschland und anderswo geflossen ist. Dieses Geld kommt den Händlern des Todes zugute, den Kriegsprofiteuren. Jeder Dollar, der für dieses System ausgegeben wird, ist ein Dollar, den wir nicht in eine grüne Infrastruktur investieren, ein Dollar, der nicht für die Prävention von Krankheiten ausgegeben wird, ein Dollar, der nicht für die Bildung unserer Kinder ausgegeben wird.
Vielen Dank, David.
Ich danke Ihnen, Michael. Ich habe das Gespräch sehr genossen.
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