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Titel: Sommerkino im BR: „Der Mauretanier“ – ein Film, der die Unerbittlichkeit und größenwahnsinnige Anmaßung des US-Imperiums offenbart

Datum: 10. Juli 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Erosion der Demokratie, Kultur und Kulturpolitik
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Sommerzeit ist Sommerkinozeit. Im Fernsehen laufen interessante Streifen vielerlei Genres, in den Mediatheken lässt sich gut stöbern. Ich wurde fündig, aber anders als gedacht. Der Film „Der Mauretanier“, den der Bayerische Rundfunk (BR) angeboten hatte, beeindruckte auf eine überaus tiefgreifende wie bedrückende Art. Das Drama erzählt die leidvolle Geschichte eines der (allesamt nicht angeklagten) Häftlinge von Guantánamo, dem schlimmes Unrecht zuteilwird. Dieser Ort Guantánamo ist ein unsäglicher rechtsfreier Raum, den die Weltmacht USA auf dem von ihr gepachteten Teil der Insel Kuba installiert hat, um dort ihre anmaßende und menschenverachtende „Welt-Macht“ ungestört sowie mit aller Konsequenz und Unnachgiebigkeit fern von US-amerikanischer Rechtsstaatlichkeit auszuüben. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Ein wichtiger Film für Recht und Menschlichkeit

Die Weltöffentlichkeit sah in den vergangenen Jahren und bis zuletzt in den vergangenen Wochen im Fall von Julian Assange, der (nach einem unwürdigen Deal) endlich frei ist, wie sich das US-Imperium wie selbstverständlich und vollkommen unwidersprochen von seinen Verbündeten und (auch deutschen) Freunden permanent über Recht und Menschlichkeit hinwegsetzt und meint, sich genau für diese einzusetzen. Welch Irrsinn. Umso wichtiger erscheinen zum Beispiel filmische und literarische Zeitzeugnisse, die dieses Treiben immer mal wieder ins Licht der Öffentlichkeit bringen – wohl in der Hoffnung, dass die Welt etwas besser werde und die „Welt-Macht“ ihre Macht wenigstens ein wenig verliert. Ein guter Beitrag dazu gelang meiner Ansicht nach mit dem Streifen „Der Mauretanier“ und mit dem Roman, der dem Film zugrunde liegt. Dass der Film im öffentlich-rechtlichen TV läuft, fühlt sich beinah gesellschaftskritisch an – und das für unsere staatlichen Medien, die eher geneigt sind, dem Establishment zu folgen.

In heutigen, dramatischen, sinnlosen Zeitenwende-Zeiten, vor dem Hintergrund der ständigen wortreichen, innigen wie heuchlerischen Beschwörungen der Werte der freien westlichen Welt tönen all diese Bekenntnisse wichtiger Politiker und Medienmacher schäbig und verlogen, zumal wenn ein Film diesem Denken und Handeln den Spiegel vorhält und entlarvt, was ungeheuerlich und doch gang und gäbe ist.

Zum Film „Der Mauretanier“ sei hier inhaltlich informiert (ein Auszug):

Auf Befehl der US-Regierung wurde der Mauretanier Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) bereits vor Jahren auf den Militärstützpunkt Guantánamo verschleppt und wird dort immer noch ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten. Durch unzählige Verhöre und brutale Folter längst aller Hoffnung beraubt, ist deshalb nicht nur Slahi überrascht, als sich die US-Anwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) und ihre Kollegin Teri Duncan (Shailene Woodley) plötzlich für seinen Fall interessieren. Ohne selbst von seiner Unschuld überzeugt zu sein, bieten sie ihm sogar an, seine Verteidigung zu übernehmen. Dabei stellen ihnen die US-Behörden immer wieder zahlreiche Hindernisse in den Weg, allen voran Militärstaatsanwalt Oberstleutnant Stuart Couch (Benedict Cumberbatch), der fest davon überzeugt ist, mit Slahi einen der Drahtzieher hinter den Terroranschlägen vom 11. September 2001 festgesetzt zu haben. Nach und nach bringt Nancy Hollanders kontroverser und aufopferungsvoller Einsatz Beweise und Fakten ans Tageslicht, die eine schockierende Verschwörung offenbaren und die klar gegen die freiheitlichen Grundrechte der US-Verfassung verstoßen. Für Slahi selbst zählt aber vor allem eins: Gerechtigkeit.

Nach dem Bestseller „Das Guantanamo Tagebuch“ von Mohamedou Ould Slahi drehte Oscar-Preisträger Kevin Macdonald (THE LAST KING OF SCOTLAND, STATE OF PLAY) einen explosiven Polit-Thriller. Doch DER MAURETANIER ist mehr als nur ein ästhetisch und erzählerisch starkes Werk über die wahre Geschichte eines Überlebenskampfes. Der Film ist auch ein wichtiger und hochaktueller Beitrag zu einem der dunkelsten Kapitel der USA, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Guantánamo ist ein realer Ort mit realen Häftlingen, in dem immer noch 40 Menschen auf einen fairen Prozess und ihre Freilassung warten.

(Quelle: Tobis)

14 Jahre ohne Anklage eingesperrt

Wie bei Julian Assange hat mich auch bei dieser unfassbaren Geschichte des Mauretaniers Mohamedou Ould Slahi besonders die Anzahl der vielen Jahre fassungslos gemacht, die der Mensch Slahi als Häftling Mohamedou Ould Slahi ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren, ohne einen Beweis einer ihm vorgeworfenen Schuld unter schlimmsten Gefängnisbedingungen verbringen musste: 14 Jahre! Zu erwähnen ist auch, dass selbst bei einem Beweis und bei einer Anklage eine Haft in dieser Ausprägung vollkommen inhuman ist – ebenso wie bei einer Verurteilung.

Doch siehe da, selbst in der Schlussszene des Films, in welcher der dann ehemalige Gefangene entlassen wird, zeigt sich die systematische Verachtung des Rechts und der Menschenwürde unseres Wertewestens gegenüber seinen (potenziellen) Feinden: Ein an sich ja freier Mann wird ein letztes Mal dem unwürdigen wie perfekt einstudierten und durchexerzierten Gefängnis-Prozedere unterworfen, rechtlos und widerstandsunfähig angekettet aus seiner Zelle geholt zu werden. Er bekommt außerdem eine Augenmaske und sogar Kopfhörer aufgesetzt. Zwei Soldaten begleiten ihn nach draußen. Er wird zu einem Militärflugzeug gebracht, das ihn in die Freiheit fliegt. Und auch dort ist seine Pein zunächst nicht zu Ende. Lange Jahre kämpft er darum, mit seiner kleinen Familie schließlich gemeinsam leben zu können.

Nochmal: ein freier Mann in Ketten, Augenbinde, Kopfhörer – sich nicht richtig bewegen können, nichts sehen können, nichts hören können. Warum geschieht diese Folter, diese Erniedrigung auch noch gegenüber einem freien Menschen? Ohne Konsequenz für die Ausführenden, für die Auftraggeber? Es ist eine schäbige Machtdemonstration.

Guantánamo – ein von mächtigen Menschen gemachter Ort der Hölle

Der Zuschauer erfährt, dass Mohamedou angeblich mit den Attentätern des 11. September 2001 zusammenarbeitete. Er gesteht das schließlich sogar, doch der Zuschauer erfährt anschaulich und erschütternd, dass sein Geständnis durch tückische, intensive, lange Folter erpresst wurde und tatsächlich dem „Angeklagten“ ganz ohne Anklage nichts an derlei Taten nachgewiesen werden konnte. Der Zuschauer sieht im Film ein einziges Martyrium, welches mitten im 21. Jahrhundert in unserer Welt geschieht, vollzogen von einer Vorzeigenation. Der Mauretanier Mohamedou wird in seiner Heimat verraten und festgenommen und ohne Anklage ins Internierungslager nach Guantanamo verschleppt. Wie schon fassungslos geschrieben, muss er dort 14 Jahre bleiben. Davon verbringt Mohamedou allein die zweiten sieben Jahre in Haft, obwohl er in einem Prozess, den seine Anwälte endlich erkämpften, recht bekam. Sein Aufenthalt war Unrecht. Doch ein ehemaliger US-Präsident kommt unrühmlich ins Spiel (Berufung).

Die „Gastgeber“ USA rühmen sich für all die Dinge, die für die Menschen unserer Welt wichtig sind: Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und so weiter und so fort. Wie sah und sieht das in Guantánamo aus? Ich denke an den ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Barack Obama, der in seiner Amtszeit dieses Gefängnis, nein, diese Folterhölle, schließen wollte – und es nicht tat, wie auch sein Nachfolger nicht.

Mehr noch, Obama ließ nicht los, als seine Regierung gegen einen Insassen – hier Slahi – „verlor“. Im finalen Textabspann des Films laufen Sätze wie diese über den Bildschirm:

Der Prozess wurde zwar gewonnen, doch die Obama-Regierung legte Berufung ein, und Mohamedou blieb weitere 7 Jahre in Haft.

Er sah seine Mutter nie wieder. Sie starb 2013.

Nauce und Teri (die Anwälte Mohamedous) besuchten Mohamedou abwechselnd jeden zweiten Monat und kämpften mit der ACLU weiter für seine Freilassung.

Nach langem Rechtsstreit veröffentlichte Mohamedou 2015 seine Briefe unter dem Titel „Das Guantánamo-Tagebuch“.

Trotz Zensur der US-Regierung (*) wurde das Buch ein Bestseller und brachte den Fall an die Öffentlichkeit.

Mohamedou Ould Slahi lebt wieder in Mauretanien.

2018 heiratete er Kitty, eine amerikanische Anwältin. Die beiden haben einen Sohn, Ahmed.

Weder CIA noch Verteidigungsministerium oder US-Regierungsbehörden erklären sich verantwortlich für die Misshandlungen, die in Guantánamo verübt wurden, Entschuldigungen wurden niemals ausgesprochen.

Von den 779 Guantánamo-Häftlingen wurden acht strafrechtlich verfolgt. Drei dieser Urteile wurden in Berufungsverfahren aufgehoben.

(*): eine große Zahl an geschwärzten Stellen im Buch.

(Quelle: BR)

Das Buch „Das Guantánamo-Tagebuch“ und ein wichtiger Dokumentarfilm

Das Buch „Das Guantánamo-Tagebuch“ sowie der Film „Der Mauretanier“ erfuhren große Aufmerksamkeit und berechtigtes Interesse der internationalen Öffentlichkeit. Neben dem Streifen wurden auch mehrere Dokumentarfilme produziert, einer heißt „Slahi und seine Folterer“. Beim NDR ist dieser Film in der Mediathek abrufbar und offenbart weitere Sichtweisen und Informationen zum Schicksal des „Mauretaniers“ und zu seinen Peinigern. Erschütternd ist für mich diesmal das Sittengemälde der ehemaligen Folterer und, was aus ihnen geworden ist. Zwei der Ex-Peiniger leiden unter schweren gesundheitlichen Einschränkungen, benötigen regelmäßig Medikamente. Eine Analystin, die die ausgeklügelten Verhöre leitete, ist bis heute von einer Schuld Slahis überzeugt und wünscht ihm weiter den Tod.

Eine gute Nachricht

Eine gute Nachricht vermittelt die Doku betreff Slahis familiärer Lebenssituation. Er und seine Familie leben endlich zusammen – in den Niederlanden. Dort arbeitet Slahi als Schriftsteller.

Guantánamo bleibt, wie auch die vielen anderen US-Militärbasen weltweit

Bis heute sind in Guantánamo immer noch Menschen unter schlimmen, systematisch peinigenden Bedingungen eingesperrt. Das geschieht alles unter Verantwortung des US-Präsidenten, der sich aktuell wieder mal als Führer der Welt betitelt und seine Nation, die USA, als die wichtigste auf dem Globus bezeichnet – und der ebenfalls für die jahrelange Haft von Julian Assange mit Verantwortung trug. Sein Selbstbewusstsein, seine Selbstgefälligkeit haben Gründe. Beispiel? NachDenkSeiten-Autor Tobias Riegel schrieb gerade:

Bezüglich den USA kann man etwa angesichts der Hunderten über den Globus verteilten US-Militärbasen wenn nicht von einer totalen Herrschaft, so doch von einer massiven Dominanz in vielen Teilen der Welt sprechen – es ist ein bizarrer Aspekt in der aktuellen Debatte, dass ausgerechnet Transatlantiker vor dem Hintergrund dieser zahlreichen US-Basen Russland Imperialismus vorwerfen. Zu diesen US-Militärbasen kommen wirtschaftliche Druckmittel, die von den USA gegen unterlegene Länder eingesetzt werden. Diese US-Dominanz ist aber momentan im Wandel: In einer zunehmend multipolaren Welt und angesichts z.B. eines selbstbewussten China klingt die Aussage von Biden auch ein bisschen nach verzweifeltem Selbstzuspruch. Trotzdem ist der US-Einfluss in manchen Erdteilen noch immer massiv – etwa hierzulande.

In der Tat sind hierzulande zahlreiche US-Soldaten stationiert, befinden sich in Deutschland wichtige US-Militärstützpunkte, die ausgebaut und modernisiert werden. Gerade wurde veröffentlicht, dass das neue NATO-Hauptquartier nach Wiesbaden kommen soll, der Stadt, in der eine große amerikanische Militärgemeinde zu Hause ist … die Werte des Westens verteidigend …

Titelbild: © TOBIS Film GmbH


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