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Titel: O-Töne aus Kiew, Moskau, Brüssel und Astana zur Friedensinitiative von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban

Datum: 9. Juli 2024 um 10:18 Uhr
Rubrik: Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Kaum hat Ungarn den EU-Vorsitz für die nächsten sechs Monate übernommen, hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban mit seinen überraschenden Besuchen in Kiew und Moskau für Schlagzeilen gesorgt. Den Präsidenten der Ukraine und Russlands präsentierte er seine Idee, eine sofortige Waffenruhe auszurufen, um auf diese Weise Friedensverhandlungen anzuspornen. Bei Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin fand sein Vorschlag vorerst wenig Verständnis, in Brüssel wurde Orbans Vorstoß verurteilt. Hier folgt nun heute der zweite Teil der neuen Serie „O-Töne“.



Ungarns Regierungschef Viktor Orban am 2. Juli 2024 in Kiew

Ungarn wird in den nächsten sechs Monaten in der EU den Vorsitz führen. Mit meinem ersten Besuch bin ich hierher gereist, weil der Frieden eine wichtige Frage ist. Der Krieg, den Sie jetzt erleben, beeinflusst die Sicherheit Europas sehr stark. Wir schätzen alle Initiativen von Präsident Selenskyj zur Durchsetzung des Friedens sehr hoch. Ich habe dem Präsidenten erklärt, dass diese Initiativen viel Zeit erfordern würden. Die Regeln der internationalen Diplomatie sind sehr kompliziert. Ich habe Präsident Selenskyj gebeten, sich darüber Gedanken zu machen, ob es möglich wäre, ein bisschen anders vorzugehen, nämlich zunächst das Feuer einzustellen und dann Verhandlungen fortzusetzen. Die Feuereinstellung könnte eine Beschleunigung dieser Verhandlungen ermöglichen.

(Quelle: Firstpost.com)


Wolodymyr Selenskyj bei Bloomberg am 4. Juli 2024

Was den Vorschlag über eine Waffenruhe anbelangt, so habe ich sehr klar erklärt: Wir befinden uns in einem Konflikt und wir können nicht einfach so von einer Feuereinstellung reden. Ich brauche einen Plan für unsere Menschen. Wir können nicht Putin einfach so vertrauen. Wir können ihm im Prinzip nicht vertrauen. Für uns ist er Feind und Aggressor. Wichtig ist, dass Ungarn begreift, dass Russland ein Aggressor ist.

Wir hatten hunderte von Begegnungen noch während der Minsker Verhandlungen. Vor einigen Jahren haben wir bereits Waffenruhe vereinbart zwischen der Ukraine und Russland, und Russland hat sie alle verletzt und unsere Menschen getötet. Deshalb muss eine Vereinbarung über Waffenruhe auf internationaler Ebene und in Anwesenheit von Führungspersönlichkeiten erzielt werden, die Vertrauen genießen, selbst wenn sie unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Ansichten über Etappen zur Beendigung dieses Krieges haben sollten.

(Quelle: @Zelenskyy_President)


Wladimir Putin am 5. Juli 2024 in Moskau

Herr Ministerpräsident hat uns über seine jüngsten Begegnungen in Kiew informiert, wo er eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet hat. Unter anderem ging es um den Aufruf zu einer Feuerpause, um Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland zu schaffen.

Was Russland anbelangt, so habe ich mehrmals betont, dass wir stets offen sind für die Erörterung von Möglichkeiten für eine politisch-diplomatische Regelung. Von der anderen Seite hören wir, dass diese nicht gewillt ist, die Fragen auf diese Weise zu lösen. Die Sponsoren der Ukraine sind dabei weiterhin bemüht, dieses Land und dessen Volk als ein Rammbock und ein Opfer der Konfrontation mit Russland zu nutzen.

Wie wir den Stand der Dinge sehen, unter anderem unter Berücksichtigung von dem, was wir heute von Ministerpräsident Orban gehört haben, ist man in Kiew immer noch nicht bereit, die Idee von einem Krieg bis zum siegreichen Ende aufzugeben.

Meines Erachtens lässt das Kiewer Regime die Idee von einer Einstellung von Kampfhandlungen unter anderem auch deshalb nicht zu, weil in diesem Fall der Vorwand für die Verlängerung des Kriegszustands verschwinden würde. Sollte man aber den Kriegszustand aufheben, dann würde man auch Wahlen durchführen müssen, die termingemäß nicht stattgefunden haben. Dabei liegen die Chancen der jetzigen Machthaber in Kiew, die jede Popularität und jede Legitimität verloren haben, diese Wahlen zu gewinnen, dicht beim Nullpunkt.

Unsere Friedensinitiativen wurden vor kurzem bei meinem Treffen mit der Leitung des Außenministeriums der Russischen Föderation dargelegt. Ihre Umsetzung würde unseres Erachtens die Möglichkeit bieten, die Kampfhandlungen zu beenden und Verhandlungen aufzunehmen. Dies sollte aber keine Waffenruhe und kein vorübergehender Waffenstillstand sein und auch keine Pause, die dem Kiewer Regime die Möglichkeit für die Wiederherstellung von Verlusten, für Umgruppieren und Nachrüsten bieten würde. Russland setzt sich für eine vollständige und endgültige Beendigung des Konflikts ein.

Die Bedingungen dafür habe ich, wie gesagt, beim Treffen im Außenministerium dargelegt. Es handelt sich um einen vollständigen Abzug aller Truppen der Ukraine aus den Volksrepubliken Donezk und Luhansk sowie aus den Gebieten Saporischje und Cherson. Es gibt auch andere Bedingungen, sie sind aber Gegenstand für eine ausführliche Behandlung bei einer möglichen gemeinsamen Arbeit.

(Quelle: kremlin.ru)


Viktor Orban am 5. Juli 2024 in Moskau

Eine Besonderheit unseres Treffens heute besteht darin, dass es während eines Krieges stattfindet. Das ist ein Zeitpunkt, in dem Europa Frieden sehr stark braucht. Frieden ist für Europa das Wichtigste. Wir betrachten den Kampf um den Frieden als unsere Hauptaufgabe während unseres EU-Vorsitzes in der bevorstehenden Jahreshälfte.

Ich habe den Präsidenten darauf aufmerksam gemacht, dass die erfolgreichsten Jahre für Europas Entwicklung in der Friedenszeit waren. Seit zweieinhalb Jahren ist unser Leben in Europa vom Krieg überschattet. Und das führt zu riesigen Schwierigkeiten in Europa. Wir können uns nicht in Sicherheit fühlen, wir sehen Bilder von Zerstörung und Leid. Und dieser Krieg beeinflusst bereits unser Wirtschaftswachstum und unsere Konkurrenzfähigkeit.

In den zurückliegenden zweieinhalb Jahren haben wir begriffen, dass wir ohne Diplomatie und ohne Verbindungskanäle keinen Frieden erreichen werden. Dieser Frieden wird nicht von selbst entstehen, für den Frieden muss man arbeiten. Wege zur Herstellung des Friedens habe ich heute mit Präsident Putin erörtert. Ich wollte herausfinden, welcher Weg zu einem Kriegsende der kürzeste ist.

Ich wollte den Standpunkt des Präsidenten zu drei wichtigen Fragen erfahren. Was er von den momentan vorliegenden Friedensinitiativen hält, was er über eine Feuereinstellung und über Friedensverhandlungen denkt und in welcher Reihenfolge diese durchgeführt werden können. Der dritte Punkt, der mich interessiert hat, war seine Vorstellung von einem Europa nach dem Krieg. Ich danke dem Herrn Präsidenten für das offene und aufrichtige Gespräch.

In den zurückliegenden zweieinhalb Jahren sind nahezu alle Staaten abhandengekommen, die Kontakte zu beiden Seiten haben könnten. Ungarn gehört gerade zu diesen sehr wenigen Ländern. Deshalb war ich diese Woche in Kiew und bin jetzt in Moskau. Aus meiner Erfahrung habe ich verstanden, dass die Positionen sehr weit voneinander entfernt sind. Man muss sehr viele Schritte unternehmen, um sich einem Kriegsende zu nähern. Den wichtigsten Schritt haben wir gemacht – wir haben den Kontakt hergestellt, und ich werde in dieser Richtung weiterarbeiten.

(Quelle: kremlin.ru)


Kaja Kallas, designierte EU-Außenbeauftragte, am 5. Juli 2024

In Moskau repräsentiert Viktor Orban keinesfalls die EU und die Position der EU. Er missbraucht den EU-Vorsitz, um Verwirrung zu stiften.

Die EU steht geschlossen hinter der Ukraine und gegen die Aggression Russlands.

(Quelle: @kajakallas)


Wladimir Putin auf dem Gipfel der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) in Astana am 4. Juli 2024

Als unsere Truppen vor Kiew standen, haben wir von unseren westlichen Partnern einen Vorschlag, ja sogar eine nachdrückliche Bitte bekommen, Feuer und Kampfhandlungen einzustellen, damit die ukrainische Seite bestimmte Schritte unternehmen kann. Das haben wir getan. Die ukrainische Seite hat aber ihre Kampfhandlungen nicht eingestellt. Später wurde uns gesagt, dass die offiziellen Behörden der Ukraine nicht in der Lage seien, alle bewaffneten Formationen zu kontrollieren, weil es dort angeblich solche gebe, die auf die zentralen Behörden nicht hören.

Zweitens wurde uns vorgeschlagen, unsere Truppen von Kiew abzuziehen, um Bedingungen für den Abschluss eines Friedensabkommens zu schaffen. Das haben wir getan, wurden aber schon wieder mit einem Betrug konfrontiert. Alle in Istanbul erzielten Vereinbarungen landeten im Mülleimer.

So etwas ist mehrmals passiert. Jetzt einfach einen Waffenstillstand auszurufen in der Hoffnung, dass die andere Seite positive Schritte unternehmen würde – das können wir einfach nicht.

Wir können nicht zulassen, dass der Gegner diese Feuereinstellung ausnutzt, um seine Lage zu verbessern, nachzurüsten und seine Armee durch gewaltsame Mobilmachung zu vervollständigen und sich auf eine Fortsetzung des bewaffneten Konflikts vorzubereiten. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die gegnerische Seite bereit wäre, solche Schritte zu unternehmen, die unumkehrbar und für die russische Seite annehmbar wären.

(Quelle: kremlin.ru)


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