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Titel: Der Ukraine droht der Staatsbankrott

Datum: 4. Juli 2024 um 9:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Finanzpolitik, Militäreinsätze/Kriege, Schulden - Sparen
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Private ausländische Gläubiger verweigern der Ukraine ein weiteres Schuldenmoratorium. Gelingt deren Regierung bis August keine Umschuldung, könnte sie zahlungsunfähig werden. Der kürzlich von den G7-Staaten beschlossene 50-Milliarden-Dollar-Kredit an die Ukraine erscheint so in einem neuen Licht. Die Konsequenzen dieser Entwicklung sind mehrdeutig. Am Ende gehen die westlichen Entscheidungsträger jedoch ein hohes Risiko im Namen der europäischen Steuerzahler ein. Von Karsten Montag.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein Blick auf die Verschuldung des ukrainischen Staatshaushaltes gibt Hinweise darauf, warum die Vergabe eines 50-Milliarden-Dollar-Kredits, den die G7-Staaten Mitte Juni auf ihrem Gipfel in Italien beschlossen haben, an das Land notwendig geworden war.

Abbildung 1: Staatsverschuldung Ukraine; Datenquelle: Finanzministerium der Ukraine

Rund 85 Milliarden Dollar schuldet der ukrainische Staat derzeit ausländischen staatlichen und überstaatlichen Geldgebern. Hauptgläubiger ist die EU mit rund 38 Milliarden Dollar, gefolgt von der Weltbank (15 Milliarden Dollar) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) (zehn Milliarden Dollar). Die bilateralen Schulden mit den Regierungen der USA, Japan und einzelnen Mitgliedern der EU belaufen sich auf rund acht Milliarden Dollar. Weitere knapp 24 Milliarden Dollar schuldet die Ukraine privaten Gläubigern im Ausland.

Rund 20 Milliarden dieser 24 Milliarden Dollar bestehen aus Eurobonds. Eurobonds haben nichts mit den umstrittenen EU-Anleihen zu tun, deren Einführung im Rahmen der Eurokrise diskutiert, jedoch wieder verworfen wurde. Es handelt sich um Staatsanleihen, die von einem Staat in einer Währung ausgegeben werden, die nicht die eigene ist. Die Ausgabe kann in Euro, Dollar, Yen oder anderen Währungen erfolgen.

Private Geldgeber haben kein Vertrauen mehr in die Kreditwürdigkeit der Ukraine

Im April meldete die Financial Times, dass die internationalen privaten Anleihegläubiger der Ukraine einen Gläubigerausschuss gebildet haben, da die Bereitstellung von Finanzmitteln für den Krieg mit Russland ungewiss sei. Die Namen der Mitglieder dieser Gruppe sind nicht öffentlich bekannt. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters handelt es sich unter anderem um Geldverwalter wie Pensions- und Investmentfonds. Mitte 2022 hatten die privaten ausländischen Kreditgeber angesichts des Krieges mit Russland ein Schuldenmoratorium unterzeichnet, das am 1. August dieses Jahres ausläuft. Die Financial Times zitiert einen der privaten Anleihegläubiger mit den Worten:

Als wir uns auf das Moratorium 2022 einigten, war zwar Zahlungsfähigkeit vorhanden, aber es gab offensichtlich ein nationales Bedürfnis, Ressourcen einzubehalten. Jetzt, wo wir wissen, dass die Schulden nicht mehr tragbar sind, macht es keinen Sinn mehr, die Sache auf die lange Bank zu schieben.“

Die privaten Gläubiger haben also kein Vertrauen mehr in die Kreditwürdigkeit der Ukraine. Dies wird auch anhand der Einstufung internationaler Ratingagenturen deutlich. Das Land wird im unteren Feld der Skala gewertet, mit der Einschätzung einer zum Teil hohen Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls. Schafft es die Ukraine nicht, den Streit um die ausstehenden Forderungen mit den privaten Kreditgebern zu lösen, droht im August der Staatsbankrott.

In den Verhandlungen mit der Gläubigergruppe versucht die ukrainische Regierung, einen teilweisen Schuldenerlass zu erwirken. Am 13. Juni zitierte Reuters einen JPMorgan-Analysten zum Stand der Gespräche:

„Wir schätzen, dass die Schuldentragfähigkeit durch einen fiktiven Abschlag von 30 Prozent auf den gesamten Anleihebestand, einschließlich der aufgeschobenen Zinsen, mit einer gewissen Laufzeitverlängerung und Kuponerleichterung erreicht werden könnte.“

Wenn große Anleger ihr Geld aus einem Land abziehen und dabei bereit sind, auf einen Teil ihrer Investitionen zu verzichten, dann steht es sehr schlecht um die Zahlungsfähigkeit. Angesichts der großen wirtschaftlichen Potenziale, die der Ukraine nach Ende des Krieges mit Russland zugeschrieben werden, sowie der breiten internationalen Unterstützung bedeutet dies übersetzt, dass die privaten Kreditgeber nicht mehr an einen Sieg der Ukraine glauben.

Öffentliche Gelder fließen weiterhin aus dem Ausland an die Ukraine

Im Gegensatz zu den privaten Gläubigern sind staatliche und überstaatliche Geldgeber weiterhin bereit, Schuldenmoratorien zu verlängern und neue Kredite zu gewähren. Bereits im März 2023 hat der IWF seine Unterstützung der Ukraine auf weitere vier Jahre verlängert. Die Gruppe der bilateralen staatlichen Gläubiger der Ukraine, darunter auch Deutschland, zog im Dezember 2023 nach und verlängerte eine auslaufende Aussetzung des Schuldendienstes der Ukraine bis zum Ende der IWF-Finanzierung im März 2027.

Unter dem Titel „PEACE Initiative“ unterstützt die Weltbank mithilfe von Partnern und Gebern mit 42 Milliarden Dollar die Ukraine. Davon wurden bisher (Stand: Juni 2024) mehr als 38 Milliarden überwiesen. Zumindest für 2024 stehen noch weitere Auszahlungen aus. Schlussendlich hat die EU im März ein neues Programm, die Ukraine-Fazilität, aufgelegt, um die Ukraine zu unterstützen. Darin wird die EU zwischen 2024 und 2027 bis zu 33 Milliarden Euro in Form von Eurobonds aufnehmen, um Darlehen an die Ukraine zu finanzieren. Ergänzt werden diese Mittel durch Zuschüsse in Höhe von bis zu 17 Milliarden Euro, die aus dem jährlichen EU-Haushalt finanziert werden.

Man beachte das kleine, jedoch wichtige Detail, dass nun die EU für die Ukraine Kredite in Form von Eurobonds aufnimmt. Das bedeutet, dass auch die EU-Länder, sprich deren Steuerzahler, letztendlich für die Rückzahlung der Kredite an die privaten Gläubiger geradestehen müssen. Trotz der erheblichen Geldflüsse aus dem Ausland gelingt es der Ukraine offenbar nicht, eine Umschuldung der ausstehenden Forderungen an private ausländische Gläubiger vorzunehmen. Hier kommt nun der kürzlich beschlossene 50-Milliarden-Dollar-Kredit der G7 ins Spiel.

Die Umschuldung der Ukraine erinnert an die Griechenlandkrise

Die zeitliche Nähe der G7-Entscheidung zu den Verhandlungen der ukrainischen Regierung mit den privaten Geldgebern scheint nicht zufällig. Offenbar wollen die G7-Staaten mit allen Mitteln einen Staatsbankrott der Ukraine vermeiden und gleichzeitig sowohl die Ukraine bei ihren Verhandlungen unterstützen als auch die ausländischen Gläubiger vor einem Ausfall ihrer Einlagen bewahren. Letzte Woche haben die NachDenkSeiten darüber berichtet, dass der G7-Kredit an die Ukraine nicht durch die Zinsen auf das eingefrorene Auslandsvermögen Russlands gegenfinanziert wird, wie einige einflussreiche Medien suggerieren, sondern damit nur „abgesichert“ werden soll. Die Rückzahlung soll in Wirklichkeit durch die Ukraine erfolgen.

Eine entschädigungslose Enteignung des derzeit hauptsächlich in Europa eingefrorenen russischen Auslandsvermögens von 300 Milliarden Dollar ist nach einer Einschätzung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages völkerrechtswidrig. Sie widerspricht dem völkergewohnheitsrechtlichen Enteignungsschutz. Dies gilt im Grundsatz auch für die Zinsgewinne, die aus dem Auslandsvermögen entstehen – auch wenn die EU glaubt, hier eine Gesetzeslücke entdeckt zu haben. Sollte Russland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen eine Enteignung klagen und recht bekommen, wäre dies ein immenser Ansehensverlust für das vom Westen pausenlos propagierte Konzept der „regelbasierten Weltordnung“. Auch hierüber berichteten die NachDenkSeiten.

Wenn die Absicherung des Kredits also rechtlich ungewiss ist, dann bleibt am Ende der Geldgeber bei einem Zahlungsausfall des Kreditnehmers auf seinen Forderungen sitzen. Einer Reuters-Meldung zufolge werden die EU-Länder 50 bis 60 Prozent des 50-Milliarden-Euro-Kredits übernehmen. Es sind also am Ende wieder die europäischen Steuerzahler, die für das risikoreiche Agieren ihrer politischen Führer und die Auszahlung privater Anleger geradestehen müssen.

Dieses Vorgehen erinnert an die Griechenlandkrise, in der das Land aufgrund schlechter Rating-Einstufungen drohte, zahlungsunfähig zu werden, und die EU-Länder, sprich deren Steuerzahler, für die Kredite des Landes bürgten. Auch damals waren es die Forderungen privater ausländischer Geldgeber, die gefährdet waren. Im Falle Griechenlands ist die Absicherung der Kredite von der Wirtschaftsleistung des Landes abhängig. Im Falle der Ukraine hängt sie jedoch zusätzlich vom Ausgang des Krieges ab.

Derzeit sieht es schlecht für die ukrainische Armee aus. Selbst ukrainische Offiziere glauben nicht mehr an einen Sieg. Der US-amerikanische Politologe John Mearsheimer geht davon aus, dass Russland noch mehr Territorium der Ukraine erobert und es zu einem „eingefrorenen“ Konflikt kommen wird.

Die gute und die schlechte Seite der aktuellen Entwicklungen rund um den ukrainischen Staatshaushalt

Dem Rückzug privater Anleger aus der Ukraine kann man durchaus etwas Positives abgewinnen. Offensichtlich sind große westliche Pensions- und Investmentfonts nicht mehr bereit, auf eine Wende des Krieges in der Ukraine, beispielsweise durch die Entsendung von NATO-Truppen, zu wetten. Das würde bedeuten, dass sie die Drohungen des französischen Präsidenten Macron, im Notfall mit einer signifikanten Anzahl eigener Soldaten in das Kriegsgeschehen einzugreifen, als Bluff werten.

Auf der anderen Seite führen die hohen Kosten des Krieges in der Ukraine, einhergehend mit einem Wohlstandverlust in den Geldgeberländern, zu empfindlichen Einbußen der Zustimmung für diese Politik in aktuellen Wahlen und Umfragen. Ein drohender Zahlungsausfall der Ukraine würde noch höhere Kosten für die Kreditgeberländer nach sich ziehen. Ein daraus folgender möglicher weiterer politischer Machtverlust könnte westliche Entscheidungsträger doch noch zu einem direkten militärischen Eingreifen in den Krieg in der Ukraine bewegen.

Titelbild: alexkich/shutterstock.com


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