NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Herrschaft der Mumien: Anmerkungen zum TV-Duell zwischen Biden und Trump

Datum: 28. Juni 2024 um 14:28 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, USA, Wahlen
Verantwortlich:

Das TV-Duell zwischen dem amtierenden US-Präsidenten Joe Biden und seinem republikanischen Herausforderer Donald Trump weckte bei unserem Gastautor Ramon Schack Erinnerungen an die Zeit des Niedergangs des Sowjetimperiums ab Beginn der 1980er Jahre. Eine Zeit, die von einem damals bekannten sowjetischen Dissidenten als „Herrschaft der Mumien“ bezeichnet wurde. Werden wir gerade Zeugen eines weiteren Imperiums im Niedergang?

Bevor die Sowjetunion 1991 zerbrach, befand sich das rote Imperium schon lange in einem Zustand der Agonie, welche von einer Herrschaft überalterter Generalsekretäre flankiert wurde. Breschnews Tod am 10. November 1982 kam nicht überraschend, denn dessen körperlicher Verfall begann schon Jahre früher und vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

Überraschend war es allerdings, dass Breschnews Nachfolger als Generalsekretär des ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Jurij Wladimirowitsch Andropow, auch rund ein Jahr später das Zeitliche segnete.

Dessen Nachfolger Konstantin Ustinowitsch Tschernenko, zu dessen Amtseinführung in Moskau Erich Honecker geschockt zu seinem Nachfolger in spe Egon Krenz gesagt haben soll „entwürdigend“, als er erfasste, wie gebrechlich der neue Führer der UdSSR auf ihn wirkte, verstarb auch nur wenige Monate nach der Amtseinführung.

Von einem „Zeitalter der Mumien“ schrieb damals ein sowjetischer Dissident in einem illegal veröffentlichten Pamphlet.

Zeitalter der Mumien reloaded

Die Sowjetunion ist lange Geschichte, aber eine ähnliche Formulierung lag vielleicht vielen der TV-Zuschauer auf den Lippen, als der amtierende US-Präsident Joe Biden gestern das CNN-Studio in Atlanta betrat. Von Beginn an wirkte Biden greise und zerbrechlich und mit zahlreichen sprachlichen Aussetzern – womit er unfreiwillig die Vorurteile seiner Gegner bestätigte, dass er zu alt, senil und gebrechlich für das Amt sei.

TV-Duelle, als mediale Höhepunkte eines Wahlkampfes, sind in Deutschland – wie so oft – schlecht umgesetzte Übernahmen von US-Wahlkampfdebatten. Dort allerdings können die Zuschauer den jeweiligen Präsidentschaftskandidaten auch direkt wählen, während die Bundesbürger bekanntlich für Parteien stimmen, die dann den Kanzler wählen.

26. September 1960: Nixon galt als eindeutiger Favorit

In den USA fanden die ersten öffentlichen Debatten zwischen Präsidentschaftskandidaten allerdings lange vor dem TV-Zeitalter statt, nämlich 1858 zwischen Abraham Lincoln und Stephen Douglas zum Thema Sklaverei. Kurze Zeit später kam es zum Ausbruch des Bürgerkrieges, aber auch das gehört nicht hierher. Gut 100 Jahre später, am 26. September 1960, wurde der politische Mythos vom wahlentscheidenden TV-Duell, indem es mehr auf die Verpackung als auf den Inhalt ankommt, geboren. An diesem Tage standen sich die Präsidentschaftskandidaten der Republikaner und Demokraten, Nixon und Kennedy, in der ersten von vier einstündigen Debatten im CBS-Studio Chicago gegenüber.

Nixon galt als eindeutiger Favorit gegenüber dem jungen, unerfahrenen, vor allem aber katholischen Kennedy. An diesem Tag war Nixon aber in keiner guten Verfassung, ein Krankenhausaufenthalt lag hinter ihm, er war unrasiert und nachlässig gekleidet. Weil der sonnengebräunte Kennedy nicht geschminkt werden wollte, verzichtete auch Nixon auf einen Maskenbildner. In der Debatte versagte ihm häufig die Stimme. Während Kennedy in die Kamera blickte und so das Publikum vor dem Fernseher direkt ansprach, wendete sich Nixon an Kennedy, als wolle er ihn überzeugen. Nixon verlor das Duell und später die Wahl.

Herrschaft der Medien?

Viel spannender als die Frage nach den Auswirkungen der Ausstrahlung auf das Wahlverhalten der Zuschauer ist die Frage, ob wir inzwischen unter einer Herrschaft der Medien leben, in einer Mediokratie.

Diese Frage stellte sich schon 1985 der amerikanische Soziologe Neil Postman in seinem berühmten Standardwerk“ Wir amüsieren uns zu Tode“, in dem er die Auflösung der rationalen Auseinandersetzung um politische und gesellschaftliche Ziele zugunsten eines Amüsierbetriebes, in dem der beste Entertainer, nicht der beste Politiker triumphieren würde.

Als würde Paris Hilton durch die Straßen spazieren

Im Schlusswort seines Buches warf Postman allerdings die Frage auf, ob wir die Schreckensvisionen, die George Orwell in 1984 darstellte, schon eingeholt haben, oder ob wir eher in der Brave New World leben, die Aldous Huxley vorherzusehen glaubte.

„Orwells Prophezeiungen haben für Amerika kaum Bedeutung, diejenigen Huxleys freilich sind nahe daran, Wirklichkeit zu werden. George Orwell fürchtete den Staat, der als Großer Bruder Bücher verbrennt, als Wahrheitsministerium die Wahrheit unterdrückt. Aldous Huxley dagegen beschrieb die “Schöne neue Welt”, in der die Menschen mit “Fühlfilmen” und “Zentrifugalbrummball” die Zeit totschlagen, eine Gesellschaft, der das Bücherlesen nicht verboten werden muss, weil sie keine Bücher mehr liest.“

Weiter heißt es: „An Huxley und nicht an Orwell sollten wir uns deshalb halten, wenn wir verstehen wollen, auf welche Weise das Fernsehen und andere Bildformen die Grundlage der freiheitlichen Demokratie, nämlich die Informationsfreiheit, bedrohen.“ Und er fragt: „Wer ist bereit, sich gegen den Ansturm der Zerstreuungen aufzulehnen? Bei wem führen wir Klage – wann? Und in welchem Tonfall, wenn sich der ernsthafte Diskurs in Gekicher auflöst? Welche Gegenmittel soll man einer Kultur verschreiben, die vom Gelächter aufgezehrt wird?“

In einer repräsentativen Umfrage des Senders CNN äußerten 67 Prozent, der Republikaner habe den überzeugenderen Auftritt hingelegt. Nur 33 Prozent gefiel Biden besser. 

Die New York Post titelte: „We just witnessed the end of Joe Biden’s presidency“ („Wir wurden gerade Zeugen vom Ende der Präsidentschaft Bidens“). Eine angesichts des TV-Duells durchaus zutreffende Formulierung.

Was die Zuschauer da genau gesehen haben, ist nicht ganz klar, aber eine Debatte zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten war es nicht, schon gar nicht einer Supermacht, vielleicht aber eines Imperiums im Niedergang? 

Diese Frage wird uns die Geschichte beantworten.

Titelbild: Screenshot vom TV-Duell bei CNN


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=117366