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Titel: Wer kann noch diesen Wahnsinn stoppen?

Datum: 27. Juni 2024 um 13:48 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Vor zehn Jahren ging es nur um die Krim, eine Halbinsel mit einer Fläche von etwa 26.500 Quadratkilometern, die etwa vier Prozent der Gesamtfläche der Ukraine entspricht. Es ist ein Gebiet, dessen Bevölkerung und Geschichte auf das Engste mit Russland verbunden sind und dessen Hafen Sewastopol für Russland eine herausragende militärische Bedeutung hat. Von Lorenzo Salomons.

Es kam zu einer weitestgehend gewaltlosen Eingliederung der Krim in die Russische Föderation, dessen Bevölkerung in großer Mehrheit dafür gestimmt hatte. Nicht zuletzt unter dem Eindruck, zu welcher Gewalt und Entrechtung es in Kiew und anderen Orten in der Ukraine nach dem Umsturz gegen die russische Ethnie gekommen war. Statt diese Zusammenhänge zu berücksichtigen, erlebte die Welt eine beispiellose Diffamierung, Verteufelung und Sanktionierung Putins und Russlands durch den Westen. Jeder, der auf die Landkarte blickte und die Entwicklung verfolgt hatte, konnte sich nur die Augen reiben und über die zunehmend maßlose Reaktion wundern. Diese wurde damit begründet, dass Putins Vorgehen andere Staaten oder ihn weiter ermuntern würde, „die internationale Friedensordnung“ zu zerstören. Dabei außer Acht lassend, dass diese bereits zuvor von der NATO zerstört worden war. 1999 mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Jugoslawien und danach noch durch die Loslösung des Kosovo von Serbien und dessen Anerkennung durch die USA und Verbündete 2008.

Diese heftige Reaktion des Westens wird nur aus Sicht der von Brzezinski 1997 formulierten Zielsetzung der US-Außenpolitik verständlich, Russland die Krim wegzunehmen.[1] Hierzu wollten die USA 2008 auf der NATO-Tagung in Bukarest die Ukraine in die NATO überführen. Und hierzu hatte man seit vielen Jahren auf einen Regierungswechsel in Kiew hingearbeitet und dafür große Summen investiert. Victoria Nuland, damals US-Assistant Secretary of State for European and Eurasian Affairs, sprach später von fünf Milliarden US-Dollar.

Danach schickte Kiew Truppen und Panzer in den Donbas, in dem sich in vielen Orten Widerstand gegen die neue Regierung und ihre antirussischen Maßnahmen geregt hatte. Verhandlungen lehnte Kiew rundum ab. Erst nachdem deren Kräfte in Debalzewo, auch mit russischen Freiwilligen und Waffenhilfe aus Russland, eingekesselt worden waren, willigte Kiew in Waffenstillstandsverhandlungen ein. Diese mündeten im Februar 2015 in die sogenannten Minsker Vereinbarungen zwischen Kiew und den separatistischen Volksrepubliken. Russland hatte immer darauf bestanden, dass Kiew direkt mit diesen verhandelt und war in Minsk neben Deutschland und Frankreich ein Mitglied der Kontaktgruppe, die den weiteren Verlauf (Normandieformat) begleitete.

Trotz rund 800 OSZE-Beobachtern und einer mit dem deutschen Außenminister Steinmeier erarbeiteten Überarbeitung der Verhandlungsergebnisse (Minsk 2) ging der Beschuss im Donbas mit tausenden von Toten, überwiegend Zivilisten auf Seite der Separatisten, weiter. Darüber berichteten deutsche Medien von Jahr zu Jahr weniger bis gar nicht. Dies trifft auch auf den Satz des ukrainischen Präsidenten Poroschenko in einer Ansprache zu, als er sagte: „Unsere Kinder werden in die Schule gehen, ihre Kinder werden in den Kellern sitzen und so werden wir den Krieg gewinnen“.[2] Auch Bundeskanzler Scholz bezeichnete den Hinweis Putins bei der Pressekonferenz im Kreml auf den Genozid im Donbas einige Tage später am 19. Februar 2022 auf der Münchener Sicherheitskonferenz gar als „lächerlich“, eine Wortwahl, die in Russland für Empörung sorgte .[3] Wie zuerst Poroschenko und später Merkel und Holland öffentlich erklärten, ging es der Ukraine und dem Westen nie ernsthaft darum, das völkerrechtlich verbindliche Abkommen umzusetzen. Man hatte die Gegenseite bewusst getäuscht, um Zeit zu gewinnen, die Ukraine militärisch zu stärken.

Dies führte dazu, dass Selenskij im März 2021 in einem Dekret zur Rückholung verlorener Gebiete, einschließlich der Krim, mit „allen Mitteln“ aufrief und im Herbst den Beschuss des Donbas, auch gemäß OSZE-Dokumentation, erheblich verstärkte. Zugleich hatten die USA seit Jahren rundweg und noch im Januar 2022 in brüskem Ton Gespräche über die Sicherheitsbedenken Russlands wegen einer möglichen Eingliederung der Ukraine in die NATO abgelehnt. Russland hatte dabei auf die zunehmende Bedrohungslage durch die Ausbreitung der NATO bis an seine Grenzen – entgegen früheren Zusagen – und die einseitige Aufkündigung des ABM-Vertrages durch die USA hingewiesen. Denn durch die Stationierung von US-Raketenabschussbasen in Polen und Rumänien war sowohl das Gleichgewicht der atomaren Abschreckung verlorengegangen, als auch die Flugzeit von US-Raketen bis Moskau erheblich geschrumpft.

Angesichts dieser Fakten kann ich die Behauptung unserer Politiker, Russland sei doch gar nicht gefährdet und man hätte entsprechende OSZE-Abkommen zur gemeinsamen Sicherheitsarchitektur eingehalten, nur als Hohn empfinden.

Auch der frühere Bundeskanzler Schmidt warnte noch 2015 in einem längeren Interview bei Maischberger vor den Gefahren der Ausgrenzung Russlands und wies in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die seit vielen Jahren verfolgte aggressive Politik der USA hin.[4]

Auch der frühere EU-Vizepräsident und EU-Erweiterungskommissar G. Verheugen, viele Jahre ein Vertrauter Genschers, beklagt in seinem jüngsten Buch, dass unsere Politiker und Medien die Vorgeschichte zum Krieg in der Ukraine unterschlagen.[5] Und er beschrieb in einem Zeitungsartikel im März 2023, wie der Westen die Schwäche Jelzins zum eigenen Vorteil und zu Lasten der russischen Bevölkerung ausgenutzt hatte.[6]

Eine friedliche Beilegung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine lag bereits wenige Wochen nach dem Ausbruch der militärischen Auseinandersetzung nach Verhandlungen unter der Vermittlung der Türkei mit Unterstützung weiterer Persönlichkeiten aus der Politik paraphiert und unterschriftsreif auf dem Tisch. Wegen Erklärungen namhafter westlicher Politiker kurz zuvor, welche die Fortsetzung des Krieges gefordert hatten, und in der Folge der Gespräche des britischen Premiers Johnson in Kiew zog sich Selenskij aus den Vereinbarungen zurück, obwohl Putin eine Vorbedingung mit dem Abzug des russischen Militärs um Kiew bereits erfüllt hatte.

Die Außenpolitik der USA folgt der Monroe-Doktrin und der Blaupause Brzezinskys zur Aufrechterhaltung der Vormachtstellung der USA. Dabei soll die Ukraine gegen Russland in Anschlag gebracht und eine Zusammenarbeit insbesondere Deutschlands mit Russland verhindert werden. Im Unterschied zu dieser knallharten Realpolitik orientiert sich die deutsche Außenpolitik vor allem daran, die russische Sicherheitspolitik wegen ideologischer Vorbehalte und Argwohn gegen dessen Repräsentanten von vornherein abzulehnen. Durch die Zerstörung der grundlegenden deutschen Energiezufuhr und die Reaktionen der Altparteien darauf wird die Tragweite dieser verfehlten Politik sichtbar.

Der Kreml hat jüngst den Ausgang des Krieges zu einer „Frage des Weiterbestands Russlands in seiner tausendjährigen Geschichte gemacht“.[7] Zugleich steht die Bevölkerung weiterhin hinter ihrem Präsidenten, so dass in dieser Situation auch keine andere russische Politik zu erwarten ist. In welcher Konsequenz die Freiheit verteidigt werden kann, ist auch auf einer deutschen Flagge zu lesen, der Nordfrieslands, auf der es heißt „LEVER DÜD AS SLAV“ (zu Deutsch: Lieber tot als Sklave).

Vor zehn Jahren ging es um eine Halbinsel im Schwarzen Meer. Derzeit rutschen wir auf schiefer Bahn immer unaufhaltsamer in einen Weltkrieg, der den gesamten Planeten zerstören kann.

Obwohl sie bis jetzt keine konkreten Belege für ihre ständigen Behauptungen vorlegten, Putin sei ein Imperialist, der sich zunächst die gesamte Ukraine, dann weitere Länder und auch Deutschland einverleiben wolle, versinkt die deutsche Politik immer mehr im Militarismus. Die Unsummen, die jetzt für unsere Kriegstüchtigkeit ausgegeben werden und eingeplant sind, führen zu einer beispiellosen Fehlentwicklung unseres Landes, darunter seiner Klimaziele. Diese könnte sich auch bereits zeigen, falls Trump als nächster Präsident der USA sein Wahlversprechen einlöst und den Krieg in der Ukraine schnell beendet.

Orban hält ihn in seiner jüngsten Rede für den einzigen Mann, der mit Kiew und Moskau reden und damit die atomare Zerstörung unseres Planeten noch verhindern kann.[8] Diese Ansicht ist nicht von der Hand zu weisen. Eine beklemmende Vorstellung, dass der Fortbestand des Planeten maßgeblich vom Wahlsieg Trumps und von einem Präsidenten abhängen soll, der viel Erfahrung damit hat, Andere zu täuschen. Orban ist der dienstälteste Regierungschef Europas, intimer Kenner und Beobachter der auch internationalen Politszene und jemand, der vergleichsweise unabhängig urteilt und handelt. Seine Einschätzung sollte alle wachrütteln, welche klar und eigenständig denken können – oder es wieder versuchen (sapere aude!).

Der Autor ist in Kolumbien geboren, Abitur in Baden-Württemberg, Ausbildung zum Industriekaufmann, Hauptabteilungsleiter Strategische Unternehmensplanung, davor Tätigkeit für deutsche Großunternehmen im In- und Ausland. Alterswohnsitz Slowakei. Autor des Buches „Der Ukraine – Russland Konflikt – Die Ursachen – seine globale Bedeutung, April 2015, 225 S. (Eigenverlag)



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