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Titel: Die Tagesschau gibt es jetzt auch für Menschen, die Probleme haben, komplexe Texte zu verstehen – Klasse: Mainstreamneuigkeiten in leichter Sprache
Datum: 27. Juni 2024 um 11:37 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Das Flaggschiff der deutschen TV-Nachrichtensendungen, die Tagesschau der ARD, ist seit kurzem um ein besonderes Angebot reicher: die Tagesschau in leichter Sprache. Die Texte der Beiträge seien einfach gehalten, weil die klassischen Nachrichten nicht immer für alle Menschen verständlich seien, sagen die Initiatoren des Projekts. Umso wichtiger sei es daher, dass vertrauenswürdige tagesaktuelle Nachrichten für alle Menschen bereitzustellen sind, um am gesellschaftlichen Diskurs teilzuhaben. Gut. Doch die Ernüchterung nach dem Konsum einer ersten Sendung war groß. Leichte Sprache, Ja. Gute Umsetzung, Nein. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Die Tagesschau, ob mit oder ohne leichte Sprache – Sprachrohr politisch genehmer Botschaften
Seit kurzem können interessierte Bürger endlich ein besonderes Angebot nutzen: die Tagesschau in leichter Sprache. Montags bis freitags gibt es jeweils eine Ausgabe, um 19 Uhr auf tagesschau24 oder ständig nachzusehen auf tagesschau.de. Wie klingt eine Nachrichtensendung in leichter Sprache? Das fragte ich mich und schaute eine an.
Die Sendung in leichter Sprache war eine mit vier Beiträgen für Menschen, die „klassisch formulierte Nachrichten“ nicht verstehen, wie es seitens der Tagesschau heißt. Eine der Neuigkeiten davon hatte die Bundeswehr zum Thema, genauer einen „Plan“ des Verteidigungsministers.
Der Beitrag wirkte in Summe grotesk und irritierend. Inhaltlich, sprachlich, in der Präsentation. Die Moderatorin im Studio wie auch die Sprecherin zum eingespielten Film sprachen ihre Texte in einem Stil aus, als wären die Zuhörer nicht ganz bei Trost. Oder eben bildungsfern? Ich empfand die Tonlagen der Sprecherinnen als Beleidigung. Neben meiner Empröung kam die Frage bei mir auf: Ist eine solche Form des Verkaufens von Nachrichten nicht genauso Propaganda und Meinungsmache wie bei der normalen Tagesschau? Antwort: Ja. Im Vergleich der normalen Sendung und der Leichte-Sprache-Sendung kam für mich heraus: in beiden Sendungen gab es den gleichen Lobesgesang auf die Bundeswehr.
Ich schrieb den Text der Moderation mit. Der Inhalt des Beitrages ist hier nachzulesen:
Bundeswehr: Plan für junge Menschen
In Deutschland heißt das Militär Bundeswehr. Bei der Bundeswehr arbeiten Soldaten. Wenn es einen Angriff gibt, dann müssen die Soldaten kämpfen. Das ist Verteidigung. Der Minister für Verteidigung heißt Pistorius. Pistorius sagt: Wenn es einen Angriff gibt, dann haben wir nicht genug Soldaten. Deshalb brauchen wir mehr Soldaten. Pistorius hat jetzt einen Plan gemacht. Mit dem Plan will er mehr junge Menschen mit 18 Jahren zur Bundeswehr bringen.
Dazu kommt jetzt ein Film.
Die Bundeswehr sucht junge Menschen für den Beruf Soldat. Deshalb macht die Bundeswehr Werbung in Deutschland. Die Bundeswehr sagt: Wir suchen junge Männer und wir suchen junge Frauen. Der Minister für Verteidigung ist dieser Mann: Der Minister heißt Pistorius.
Pistorius sagt: „Die jungen Menschen sollen freiwillig zur Bundeswehr kommen. Ich will die jungen Menschen nämlich nicht zwingen.“ Deshalb will Pistorius alle jungen Menschen fragen: „Wie findet ihr die Bundeswehr? Wollt Ihr bei der Bundeswehr arbeiten?“
Alle jungen Männer müssen auf die Fragen antworten. Die jungen Frauen müssen nicht auf die Fragen antworten, die jungen Fragen können aber auf die Fragen antworten.
Dann will die Bundeswehr die Antworten lesen und dann will die Bundeswehr die besten jungen Männer und Frauen nehmen. Die jungen Männer und Frauen sollen dann erstmal für sechs Monate zur Bundeswehr.
Quelle: Tagesschau
Das klingt doch wundervoll, nicht wahr? Verständlich, klar, wichtig, relevant. *Ironie aus.* Wenn es denn einen Angriff gibt, müssen die Soldaten kämpfen, derer wir nicht genug haben. Stand jetzt. Das nennt man also Nachricht. Und die Präsentation? Allein die Betonung von „nämlich“ und „die jungen Männer müssen auf die Fragen antworten“ (soviel Muss muss bei aller Freiwilligkeit in Richtung Kriegstauglichkeit sein) empfand ich arrogant. Klar, Alternativlosigkeit inklusive.
Fazit: Der Beitrag (wie so viele Tagesschau-Beiträge) ist schlicht einseitig und richtungsweisend (Meinungsmache). Beim Lesen fällt einem auf, dass durchweg gelobt wird, dass die vorherrschende Vorgehensweise voll in Ordnung sei und ja auch alternativlos. Der Minister hat einen Plan für junge Menschen? Nein, er hat einen mit den jungen Menschen. Die Rekrutierung und Umsetzung seiner Rüstungspläne wird dokumentiert, ohne dies zu benennen.
Und wo ist konkret die journalistische Gegenprobe, der mediale Einspruch in dem Beitrag, welcher damit womöglich ausgewogen wäre? Fehlanzeige. Warum wird der Text durchgewinkt, dass alles nach Plan läuft? Dieser Beitrag hätte unbedingt, um seriös zu sein, um einige Sätze ergänzt werden müssen, in einfacher Sprache versteht sich. Ein Vorschlag dazu wäre:
Viele Menschen in Deutschland wollen nicht, dass es mehr Soldaten gibt und auch nicht mehr Waffen. Das ist aber dem Minister Pistorius und seinen Freunden, die Waffen herstellen und sehr viel Geld verdienen, egal.
Einfach-Tagesschau so schlecht wie die klassische
Die Projektleiterin für die „leichte Sprache“ bei der Tagesschau begründete die Produktion des neuen Formats damit, dass an die 17 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland laut einer Studie lediglich auf einem „Vierte-Klasse-Niveau oder schlechter“ lesen und schreiben könnten. Und diese Menschen wolle man gewinnen. An und für sich ist gegen das Engagement nichts einzuwenden, doch allein angesichts solcher obiger Beiträge empfinde ich es als Beleidigung gegenüber 17 Millionen Menschen, solch einen Schrott zu senden. So wie die vielen anderen Millionen Menschen, die sozusagen besser lesen und schreiben können, beleidigt und nicht ernst genommen werden, so soll das also auch mit den 17 Millionen geschehen?
Geradezu abgehoben und weltfremd wirkt das Statement des NDR-Indendanten Joachim Knuth zum Format Tagesschau in einfacher Sprache, wenn er vom Auftrag des ÖRR spricht. Es sei ihm widersprochen, mit solchen Produkten wird dieser im Staatsvertrag stehende Auftrag nicht erfüllt. NDR-Intendant Joachim Knuth erklärte:
„Wir haben den Auftrag, mit unseren Sendungen und Programmen allen Menschen in Deutschland ein Informationsangebot zu machen (…). Es ist gut und wichtig, dass sich nun noch mehr Menschen (…) über die Geschehnisse in Deutschland und der Welt informieren und somit auch am öffentlichen Diskurs teilhaben können.“
Quelle: Tagesschau
Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Bundesbürger Tag für Tag 20 Uhr alles stehen und liegen ließen, den Fernseher einschalteten und ihre Tagesschau schauten. Das war ein Ritual, die Tagesschau galt noch als seriöse, zuverlässige TV-Sendung, die teils beliebten Moderatoren sprachen sachlich bis langweilig, auf dass das Publikum eher weniger Propaganda und Meinungsmache dahinter vermutete. Nebenbei, schon damals war die Tagesschau nicht nur Info- sondern auch ein Meinungsmache-Medium.
Heute ist die Lage noch trauriger, wenn ich mich in meinem persönlichen Umfeld umhöre, sagen viele Menschen, dass sie den „Fernseher“ ausschalten, wenn Nachrichtensendungen beginnen, so auch die Tagesschau. Sie schalten nicht weg, weil sie es nicht verstehen, sie schalten weg, weil sie kein Verständnis für die Präsentation der Inhalte, für die arroganten Gewichtungen der Redaktion, für das Weglassen von Informationen, für die Meinungsmache seitens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) haben. Sie fühlen sich nicht (mehr) vertreten, sie fühlen das nicht nur, sie sind es, finde ich. Und nun gibt es noch Nachrichten in leichter Sprache, die es nicht besser machen …
Titelbild: Sharaf Maksumov / Shutterstock
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