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Titel: Trennung Netz/Betrieb – Die Grünen an der Leine neoliberal geprägter Privatinteressen
Datum: 21. Dezember 2011 um 16:10 Uhr
Rubrik: Grüne, Markt und Staat, Privatisierung öffentlicher Leistungen, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Albrecht Müller
Ein Nutzer der NDS, M. Dannhorn, hat sich an einer Mail-Protestaktion an MdBs unter dem Motto “Stoppen Sie die Bahnpreiserhöhung!” beteiligt. Er erhielt eine Antwort der verkehrspolitischen Sprecherin der Linksfraktion (Anlage 2) und eine Antwort der Fraktion der Grünen (Anlage 1). Diese ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert. Sie zeigt z.B., dass die Grünen sich bei wichtigen Fragen nicht von der neoliberal geprägten Marktgläubigkeit lösen können – auch in Fällen nicht, die sogar in den Augen traditioneller Ökonomen Marktversagen signalisieren. Albrecht Müller.
Beim Bahnverkehr ist Wettbewerb kaum möglich
Nach traditioneller und m.E. richtiger Vorstellung von Ökonomen sollte man ein Produkt oder eine Dienstleistung dann in öffentlicher Regie erstellen, wenn die Produktion von „Unteilbarkeiten“ geprägt ist. Eine Bahnstrecke von Ort A zu B ist normalerweise nicht auf verschiedene Wettbewerber aufteilbar. Mit der Trennung in Netz und Betrieb Wettbewerb erreichen zu können, ist albern. Das wird schon daran sichtbar, was man sich an bürokratischen Ersatzlösungen ausdenken muss, wie etwa die Netzagentur für die Telekommunikation und andere Regulierungsbehörden.
Die an der Privatisierung interessierten Unternehmen und Finanzgruppen haben sich das System ausgedacht. Sie profitieren auf diese Weise auch vom z.B. bei der Bahn angesammelten Volksvermögen.
Die Grünen huldigen diesen Vorstellungen. Nach meiner Einschätzung ist das das Ergebnis kluger PR-Arbeit der privaten Betreiber des Bahnverkehrs, an erster Stelle von Violia.
M. Dannhorn hat einige Gedanken zu den Vorstellungen der Grünen Bundestagsfraktion ergänzt. Diese finden Sie in Anlage 3.
Die nachgeplapperte Parole von der Eigenständigkeit des Bahnvorstands
In der Antwort der Grünen Bundestagsfraktion wird auch an einer anderen Stelle sichtbar, dass wir es hier nicht mit einer Fraktion von eigenständigen Denkern zu tun haben. Die Grüne Fraktion beruft sich auf die formal richtige Konstellation, dass die Bahn ein selbständiges Unternehmen sei und deshalb sich der Bund, obwohl 100%iger Eigentümer, aus Entscheidungen des Bahnvorstands herauszuhalten habe. Das ist formal betrachtet richtig. Tatsächlich sprechen bei vielen Unternehmen, auch bei Aktiengesellschaften, die Eigentümer auch bei konkreten Entscheidungen mit. Im Falle der Bahn wäre dies schon des Öfteren nötig gewesen:
Im konkreten Fall sorgte die Abstinenz des Eigentümers Bund dafür, dass sich die im Aufsichtsrat vertretenen Interessen der Wirtschaft austoben konnten und das öffentliche Interesse hinten runter fiel.
Von alledem haben die Grünen nichts gehört. Sie plappern die von Ideologen formulierten Parolen nach.
Anlage 1
Sehr geehrter Herr Dannhorn,
vielen Dank für Ihre Mail, die ich nahezu wortgleich derzeit vielfach bekomme.
Ganz sicher sind die hohen Preise der Bahn ein Grund zur Kritik. Die Deutsche Bahn ist jedoch ein selbständiges Unternehmen, über das der Bund als Eigentümer nur in strategischen Grundsatzentscheidungen im Aufsichtsrat Einfluss nehmen kann. Ein Eingriff in die Preisgestaltung ab Dezember gehört hier nicht dazu. Auch wenn einem das nicht gefällt, müssen wir akzeptieren, dass sich die rechtliche Lage so darstellt. Um grundlegend etwas an der Preisgestaltung der Bahn zu ändern, brauchen wir Wettbewerb. Nicht mehr Wettbewerb, sondern überhaupt Wettbewerb. Denn die Deutsche Bahn ist quasi einziger Anbieter im Personenfernverkehr und hat damit auch ein Preismonopol. Das ist letztendlich der Grund für die hohen Preise.Vielleicht erinnern Sie sich an die Öffnung des Telekommunikationsmarktes. Auch da hat erst die Öffnung des Marktes für viele Anbieter zu Preissenkungen für den Verbraucher geführt. Als Politik müssen wir hier ansetzen. Die Bahn hat als Eigentümerin des Schienennetzes entscheidenden Einfluss darauf, wer zu welchen Bedingungen die Schiene nutzt. Das ist zum Nachteil vieler Wettbewerber, die deswegen vor einem alternativen Angebot zurückschrecken. Jetzt wird auch noch angekündigt, die Trassennutzung als Miete zu deklarieren und zu besteuern – natürlich nur für die Wettbewerber der Deutschen Bahn und ausdrücklich weder für die DB selbst oder den Fernbusverkehr. Wettbewerb wird damit konsequent verhindert.
Wenn wir wirklich etwas ändern und für niedrigere Preise sorgen wollen, muss an dieser Stelle angesetzt werden, um das Monopol der Bahn aufzubrechen. Deswegen wollen wir Grüne den Bahnbetrieb vom Schienennetz trennen, damit es von allen Anbieter zu gleichen Bedingungen genutzt werden kann. Damit würde die Politik ihrer Aufgabe gerecht, nicht nur die Interessen eines Unternehmens zu bedienen, sondern das Wohl der gesamten Gesellschaft im Blick zu behalten.
Mit freundlichen Grüßen
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Anlage 2:
Die Antwort von Sabine Leidig:
Sehr geehrter anonymer Schreiber,
vielen Dank für Ihre Protestmail zur Bahnpreiserhöhung. Ich freue mich sehr über Ihr Engagement, denn ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass diese Preiserhöhungen skandalös sind: Sie sind ein falsches Signal, weil wir nur mehr Verkehr auf die Schiene bekommen, wenn das Bahnfahren günstiger und besser wird. Höhere Preise sind zudem überhaupt nicht akzeptabel, wenn gleichzeitig Angebot und Service verschlechtert und Rekordgewinne angekündigt werden.
Hier ist vor allem die Bundesregierung in der Pflicht, da die DB-AG zu 100 Prozent der Bundesrepublik Deutschland gehört.
Deshalb haben wir, als Bundestagsfraktion, einen Antrag ins Parlament eingebracht, in dem wir fordern, dass
- die Bundesregierung als Eigentümerin der Deutschen Bahn AG darauf hinwirkt, dass die Preiserhöhung vom Dezember 2011 zurückgenommen wird, und
- sich für eine grundsätzliche Reform des Bahnpreissystems einsetzt, die sozial ausgewogen und familienfreundlich ist und die insbesondere auf die kontinuierliche Vergrößerung des festen Kundenstamms von Fahrgästen durch die Förderung und den Ausbau der Mobilitätskarten BC50 und BC100 orientiert. Wir sind gespannt, ob die anderen Parteien dem zustimmen.
Wer die derzeitige Geschäftspolitik der Bahn zulässt, handelt undemokratisch und kurzsichtig: Die Börsenfähigkeit der Bahn ist Regierung und Unternehmen wichtiger als das Ziel, durch attraktive Preise allen Menschen ein bequemes, angemessen schnelles, sicheres und ökologisches Reisen zu ermöglichen. Dem Renditeziel folgen Preissteigerungen, Abbau bei Service und Angebot und die Vernachlässigung der Infrastruktur. Die Bahn wird gegen die Wand gefahren.
Als Linke setzen wir uns für eine öffentliche Bahn ein, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Nur durch gute Angebote kann mehr Verkehr auf die klimafreundliche Schiene verlagert werden. Dazu ist auch mehr Geld für den sinnvollen Ausbau in der Fläche nötig. Dagegen müssen Projekte wie Stuttgart 21, die dem Bahnverkehr mehr schaden als nützen und Milliarden verschlingen, gestoppt werden (mehr zu Stuttgart 21)
Lesen Sie auch meine Pressemitteilung zur Bahnpreiserhöhung vom 9.12.
Immer wieder aktuelle Meldungen aus unserer verkehrspolitischen Arbeit finden Sie auf www.nachhaltig-links.de.Mit freundlichen Grüßen
Sabine Leidig, MdB
verkehrspolitische Sprecherin, Fraktion DIE LINKE
Anlage 3:
Antwort MD. An die Fraktion Die Grünen
Sehr geehrte Damen und Herren
Es tut mir leid, dass ich Ihnen mitteilen muss, dass Sie sich mit dieser Antwort in Sachen Wählbarkeit vollkommen disqualifiziert haben. Sie verweisen auf den Wettbewerb. Sie verweisen auf die Öffnung des Telekommunikationsmarktes. Als ehemaliger Servicemitarbeiter der Deutschen Telekom kann ich mich sehr wohl an die Öffnung des Telekommunikationsmarktes erinnern. Und ich muss Ihnen sagen, dass sich die Bedingungen für die Beschäftigten und die “Normalkunden” eindeutig verschlechtert haben.
So befand ich mich plötzlich in der misslichen Lage, den Kundinnen und Kunden nicht mehr den Service bieten zu dürfen, den ich ihnen aus Überzeugung bieten wollte. Ich arbeitete plötzlich nicht mehr zum Wohle der Allgemeinheit, sondern zum Wohle der Aktionäre.
Den Verweis auf den Wettbewerb (verzeihen Sie bitte die Ausdrucksweise) betrachte ich als neoliberales Geschwafel. Wohlgemerkt kann die Telekom die Preise für ihre Dienstleistungen nicht ganz alleine bestimmen. Da hat die Regulierungsbehörde die Finger mit im Spiel.
Eigentümer des Schienennetzes waren bis vor einige Jahre die Bürgerinnen und Bürger der BRD. Die Bahn und die Post hatten einen sozialen Auftrag. Körperliche und nichtkörperliche Nachrichtenübermittlung und die Sicherung der Mobilität der BürgerInnen.
Der Bund kann als einziger Aktionär sicher Einfluss auf die Preisgestaltung ausüben. der Bund macht das aber nicht, weil die Bahn eine AG ist und eine Einflussnahme des Bundes zu Unruhen auf dem Aktienmarkt führen könnte. Als Mitarbeiter der Telekom habe ich das hautnah erlebt, als Blackstone Aktien der Telekom gekauft hat und Unternehmensentscheidungen diktiert hat.Wegen unsinniger Standortverlagerungen sind meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen auf die Bahn angewiesen. Die Kilometerpauschale für ArbeitnehmerInnen wird dem Bahnpreis jedoch nicht angepasst. Leider hat ihre Partei die Kolleginnen und Kollegen bei ihren Protesten gegen unsinnige Standortverlagerungen nie wirklich unterstützt.
Ich habe Ihre Antwort inzwischen mehrfach durchgelesen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich mit jedem Durchlesen zorniger wurde.
Sie erwähnen kontinuierlich den Wettbewerb. Wozu führte der Wettbewerb im Bereich der Telekommunikation? Es entstanden Firmen, die mit ihren Beschäftigten Arbeitsverträge abgeschlossen haben, die entweder hart an der Grenze zur Sittenwidrigkeit liegen. bzw. diese Grenze überschreiten.
Bei der Bahn sind inzwischen auch Menschen über eine Leih- und Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Die Menschen, die persönlichen Kundenkontakt haben, werden dazu verpflichtet, Fehlentscheidungen des Managements zu vertreten. Tagtäglich und das auch noch mehrfach.
Der von Ihnen propagierte Wettbewerb hätte doch letztendlich zur Folge, dass in den Zügen Menschen zu Hungerlöhnen beschäftigt werden. Eine Frau, ein Mann, die oder der während seiner Arbeit immer an seine finanziellen Existenzängste denken muss, kann den erhofften Service nie bieten.
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M. Dannhorn
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