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Titel: Die Wahrheit über den Journalismus in einem ehrlichen Satz – ohne Folgen

Datum: 15. Juni 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache
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Diese neue Woche hatte gerade begonnen, als am Montagnachmittag ein einziger Satz in einer Rundfunksendung namens mediasres (Deutschlandfunk/DLF) mein Interesse weckte und mir eine Bestätigung frei nach dem Spruch „Das hab‘ ich doch schon immer gesagt“ war. Der Moderator des DLF räumte wie beiläufig in einer kurzen Ansage vor einem Bericht über weiße Sportreporter mit einem verbreiteten Ideal über den Journalismus auf – mit der „Objektivität“ der mächtigen Disziplin der Information und der Meinungsmache. Ein subjektiver Beitrag von Frank Blenz.

Von wegen Objektivität

Da war dieser eine Satz aus dem Radio, der wie nebenbei und geradezu selbstverständlich ausgesprochen daherkam. Doch war dieser kurze, klare Satz einer, der meinem Empfinden nach kraftvoll und überzeugend klang und all die Kritiken über Journalisten, interessengeleitete, selbstgefällige, arrogante Journalisten – gerade die, die im und für den Mainstream tätig sind – für mich bestätigte. Ausgesprochen wurde der Satz, eine knappe Feststellung, die ich wie eine Offenbarung empfand, im Deutschlandfunk:

Es gibt keinen objektiven Journalismus.“

Der DLF-Moderator von mediasres, Sebastian Wellendorf, erläuterte seine Feststellung in weiteren Sätzen:

Reporter und Korrespondenten sehen die Welt immer durch die Brille der eigenen Sozialisation, der eigenen Erziehung und der eigenen kulturellen Perspektive.“

Angesichts Wellendorfs „Definition“ über Herkunft, Bildung, Interessen der Protagonisten, der journalistisch Tätigen bestätigte in seiner Anmoderation die allgegenwärtige Beobachtung, dass das, was das Publikum von den eben subjektiven Journalisten vorgesetzt bekommt, nicht sachlich, nicht neutral, nicht unabhängig und vorurteilsfrei ist. Zur Beruhigung, viele Mediennutzer wissen das ohnehin, sie lesen, hören, sehen das – jeden Tag. Die Mediennutzer erleben, wie Reporter und Korrespondenten, Journalisten der schreibenden Zunft usw. eher ihrer Herkunft und ihren Auftraggebern dienend agieren.

Deswegen sei auch gesagt: Viele Mediennutzer sind nicht einverstanden, dass die Menge und die Art der Sichtweisen wie scheinbar unsichtbar gelenkt in einem „Mainstream“ vereint sind, einer Hauptrichtung, einem gar sagenumwobenen Strom, in dem alle mitschwimmen sollen. Tatsächlich hatte der DLF-Moderator eine fast schon charmante Forderung parat, um das unsägliche Einerlei und die damit einhergehende Anmaßung an Einflussnahme aufzulösen:

„Deswegen ist es ja auch so wichtig, dass Redaktionen diverser werden, um möglichst viele Perspektiven, also den Blick durch viele verschiedene Brillen zu zeigen.“
(Quelle: Deutschlandfunk)

Diversere Redaktionen, und dann ist alles gut?

Der DLF-Journalist wird, um ihm kein Unrecht zu tun, seine Worte letztlich „nur“ auf den dann folgenden Mediasres-Beitrag über „weiße Männer“ in der Sportberichterstattung bezogen und wohl nicht beabsichtigt haben, einen ikonischen Satz zum Journalismus und zur Bekämpfung der Probleme „Einseitigkeit“, „Weglassen“, „vorherrschende Narrative“ usw. zu formulieren. Doch sprach er dennoch die Wahrheit aus und forderte damit vielleicht gar heraus, die Aufgaben und die Macht des Journalismus zu beleuchten, zu kritisieren, neue Wege einzufordern.

Und nein, es reicht eben nicht, finde ich, dass man Redaktionen „diverser“ macht. Ein wenig bunter, ein paar Brillen mehr, und schon ist alles gut? Ist es nicht vielmehr andersherum? In Deutschland gibt es ja schon viele, diverse, unterschiedliche, vielfältige Medien und Medienmacher, Autoren, Medienschaffende, politisch, kulturell, gesellschaftlich Tätige, die publizistisch tätig sind. Viele verschiedene Brillen sind das – allein akzeptiert der Mainstream, die politische Klasse dies nicht. Daraus folgt, dass immer die gleichen Brillenblicke in der Veröffentlichung vorkommen, dass andere Blicke, andere Meinungen, andere Personen am Rand agieren müssen, um wahrgenommen zu werden. Der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Klasse genehme, passende Inhalte haben stets Vorfahrt. Andere Inhalte werden behindert, bekämpft, diffamiert usw. Von wegen Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Demokratie – ganz subjektiv betrachtet, denn es gibt ja keine Objektivität.

Preisfrage zur Definition Massenmedien

Eine Definition zum Begriff Massenmedien, dem Tätigkeitsbereich der Reporter, Korrespondenten und, und, und mit den verschiedenen Brillen, denen laut DLF eben nur noch mehr andere Brillen hinzugefügt werden müssten, brachte mich auf eine Art Preisfrage: Ist eine Demokratie also nur dann funktionierend und eine solche, wenn ihre Massenmedien ihren Auftrag, ihre zentrale Aufgabe erfüllen, aber dagegen keine, wenn sie dies nicht realisieren? Die Definition lautet:

Massenmedien erfüllen in einer funktionierenden Demokratie eine zentrale Aufgabe: Sie sollen Informationen beschaffen, bewerten, verbreiten und politische Institutionen bzw. politisch Handelnde kontrollieren und kritisieren, damit die Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, mündig zu entscheiden und zu handeln.
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Den ideal klingenden Worten über unsere demokratischen Massenmedien zu folgen und sich demgegenüber die realen Zustände in unserer Gesellschaft, in unseren Medien anzuschauen, bringt einen in die Bredouille, und zwar in Bezug auf Quantität und Qualität der Informationen, in Bezug auf deren „Bewertung“, „Einschätzung“, „Einordnung“. Was wird „würdig“ befunden, Verbreitung zu finden, und was nicht (Gewichtung)? Wie sieht es mit der Kontrolle aus, mit der kritischen Distanz? Reicht es, wenn man in mächtigen Redaktionen künftig noch ein paar weitere Leute einstellt, die anders Informationen einholen, bewerten, einordnen?

Oder wäre es vielleicht doch korrekter, dass die folgerichtigen Forderungen nach mehr Diversität lauten sollten: Echte kritische, unabhängige (!) Journalisten in die Redaktionsstuben! Keine Ausgrenzung, keine Behinderung von Journalismus in unserem Land, eine vielfältige Widerspiegelung und Akzeptanz publizistischer Gegenwart in den Hauptmedien. Längst ist es an der Zeit, dass in TV-Sendungen nicht immer und immer wieder penetrant die gleichen Gäste sitzen, die gleichen Moderatoren ihre Weisheiten verbreiten und auf der anderen Seite missliebige Gäste, Kollegen der Verachtung des Mainstreams ausgesetzt sind. Längst ist es an der Zeit, dass der Radiohörer nicht immer dieselben Worthülsen verkauft bekommt, die Inflation des Einerseits, das Weglassen des Andererseits. Der Definition der demokratischen Massenmedien widerspricht der Begriff Mainstream völlig. Doch sind wir Mediennutzer diesem Mainstream enorm ausgesetzt, dessen „Objektivität“, dessen Behauptung, seriös zu sein, korrekt, wahr und die Mehrheitsgesellschaft widerspiegelnd, ist eine Beleidigung.

Weil der Zustand des Mainstreams, der Missbrauch, der vorherrschende Medien-Journalismus nicht dafür sorgt, dass Bürgerinnen und Bürger in die Lage kommen, mündig zu entscheiden und zu handeln, haben die Bürgerinnen und Bürger nur eine Möglichkeit: sich nicht auf diese Medien zu verlassen, ihnen kritisch gegenüberzustehen und in der Tat frei und mündig selbst ihre Quellen zu suchen und zu wählen. Diese Möglichkeit wird von vielen mündigen Bürgern genutzt! Der Zustand von alternativen Medien, des Nicht-Mainstreams, ist zudem nicht so jämmerlich wie der der herrschenden Massenmedien. Mir kam ein bekanntes historisches Zitat (einer nach Recherchen von Faktenfindern unbekannten Quelle) in den Sinn:

Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.

Das Unbequeme zu tun, wie in dem Satz beschrieben, ist in unseren Zeiten der Zeitenwende gerade schwierig, vor allem für die, die in Diensten des Mainstreams sind. Wess‘ Brot ist ess‘ … Und schnell ist es P.R., Gefälligkeitsjournalismus, braves Nachplappern, Regierungshörigkeit usw.

Medienmacher des Mainstreams werden in der Definition der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) zur „Objektivität“ über Forderungen an Journalisten informiert und später gewarnt, wie Meinungsmache betrieben wird und wo und durch wen Einflussnahme droht:

„[…] im Rahmen ihrer Informationspflicht jeden in der Gesellschaft mit Nachrichten und Mitteilungen versorgen, werden von dem Einzelnen genutzt, um sich ein eigenes Bild von der Welt, von der Realität zu machen. Daraus leiten sich die Forderungen nach objektiver, neutraler, verständlicher und umfassender Berichterstattung ab, was auch gesetzlich verankert ist. Einen solchen Anspruch formuliert auch der Deutsche Presserat, das Selbstkontrollorgan der Medien, wenn er die Achtung vor der Wahrheit und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit als oberste Gebote des journalistischen Handelns beschreibt.

Auch vor der Einflussnahme durch das Militär oder politische Gruppen, die Informationen bewusst vorenthalten oder zensieren, sind Journalisten nirgends auf der Welt gefeit.“
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Groteske Erläuterung der Bundeszentrale über Medien im Krieg

Dem DLF-Moderator gebührt Dank, weckte er bei mir doch die Neugier und den Ehrgeiz, nachzuhaken, wie es um die nun halt mal real existierende Nicht-Objektivität und ihre Folgeerscheinungen bestellt ist. Und weil gerade Krieg herrscht auf unserem Planeten und die Medien mittendrin sind, entdeckte ich erneut bei der Bundeszentrale für politische Bildung folgende Worte, die mir wie die Beschreibung unserer Zeit vorkommen:

„Schon sehr früh entdeckte man die Möglichkeit, Medien im Zusammenhang mit dem Krieg gezielt einzusetzen. So wurden beispielsweise bereits in der Antike schriftbasierte Medien im Krieg genutzt, um über Schlachten zu berichten, die Unterstützung der Bevölkerung für den Krieg zu gewinnen oder Informationen im Krieg zu übermitteln. Medien entwickelten sich im Laufe der Zeit zu einem festen Bestandteil der Kriegsführung: vor, während und nach dem Krieg.“
(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)

Titelbild: Frame Stock Footage/shutterstock.com


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