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Titel: Wagenknechts Wagnis – Eine teilnehmende Beobachtung zur Entstehungsgeschichte des BSW, Teil 2
Datum: 12. Juni 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: BSW, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Einige Wochen später. Die Wilmersdorfer Straße, tief im Herzen der ehemaligen Frontstadt West-Berlin. In der Fußgängerzone herrscht reges Treiben, obwohl die Sonne brennt, denn der EU-Wahlkampf tobt.
Lesen Sie heute den zweiten Teil des Berichts von Ramon Schack. Den am 8. Juni 2024 auf den NachDenkSeiten erschienenen ersten Teil können Sie hier nachlesen.
BSW-Urgesteine in der Wilmersdorfer Straße
Am BSW-Stand befindet sich Evelin Genzel im Gespräch mit einem Mann, der noch nicht sicher ist, ob er die neue Partei wählen wird – Interesse bekundet er auf jeden Fall. „So geht es die ganze Zeit“, berichtet Genzel, die zusammen mit ihrem Ehemann Hans-Joachim aus dem engsten Umfeld von Alexander King stammt. Trotz der Jugend der Partei gilt das Ehepaar Genzel schon als „BSW-Urgestein“. Auf jeden Fall sind sie von Anfang an dabei und investieren viel Zeit und Energie in ihrer Freizeit, um beim Aufbau und dem Wahlkampf des BSW behilflich zu sein.
Eine junge Frau nähert sich: „Ich habe die Grünen gewählt“, ruft sie aus, so als würde sie damit einen Straftatbestand eingestehen. „Das passiert mir nicht wieder. Wie sich diese Partei zum Nachteil verändert hat“, murmelt sie, während sie einen Flyer mit dem Konterfei von Sahra Wagenknecht in der Hand hält. Hans-Joachim Genzel, von Beruf Rentner, berichtet amüsiert, wie einige Stunden zuvor Lisa Paus, die Politikerin der Grünen und amtierende Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, vom Stand ihrer Partei gegenüber zum BSW-Stand hinüberging, um sich bei Wagenknechts Wahlhelfern über das umstrittene Verfahren zur Aufnahme von Mitgliedern zu erkundigen. „Ich habe mich aber bedeckt gehalten“, schmunzelt Genzel, während er sich eine Zigarette ansteckt.
Zuspruch aus allen politischen Lagern
„Ich kenne auch ein paar Leute, die euch wählen werden“, ruft ein Mann von Mitte 50 dazwischen. „Ich gehöre nicht dazu, aber ich finde ein paar Punkte von Wagenknecht nicht schlecht.“ Der Mann gibt sich als Inhaber eines Bettwäsche-Geschäftes zu erkennen, klagt über hohe Kosten, sinkende Kaufkraft, über die stumpfsinnigen Entscheidungen der „Amtsärsche“, die jede unternehmerische Aktivität ausbremsen würden. „Jaja, ich habe FDP gewählt. Aber seit dort die Kriegstreiberin das große Wort führt, ist die Partei für mich unwählbar geworden!“ Der Mann schweigt einen Moment, hört einer jüngeren Frau zu, die auch am Stand politisiert. „Mein Mann ist aus Bosnien. Ich finde es unmöglich, wie Deutschland immer als Lehrmeister weltweit auftritt. Baerbock agiert doch nach dem Motto „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“, das ist früher schon nicht gut gegangen, jetzt geht es auch nicht gut.“ Der Geschäftsführer des Bettwäsche-Hauses nickt. „Vielleicht wähle ich ja doch BSW, mal schauen“, sagt er, bevor er wieder in sein Geschäft zurückkehrt.
Auch an diesem Sommertag in Berlin-Charlottenburg wird wieder einmal deutlich, dass die Anziehungskraft des BSW nicht auf ehemalige Wähler der Linken begrenzt bleibt. Die junge Frau mit dem bosnischen Ehemann hatte zuletzt SPD gewählt, jetzt bekennt sie sich zur Wagenknecht-Partei. Geht es ihr dabei vielleicht wie Thomas Geisel, dem ehemaligen Oberbürgermeister von Düsseldorf, der die SPD verlassen hatte, um für das BSW um einen günstigen Platz im EU-Parlament zu kandidieren? Dieser hatte erwähnt, dass er Sozialdemokrat bleibe, auch ohne SPD.
Sahra Wagenknecht empfängt den Besucher in ihrem Büro im Bundestag. Trotz der Härten des Wahlkampfes wirkt die bekannte Politikerin und Parteigründerin entspannt, aber hochkonzentriert. Unnahbar, wie häufig kolportiert, wirkt die Politikerin nicht, dafür viel eher von einer professionellen Freundlichkeit, flankiert von einer extrem schnellen Auffassungsgabe, sodass Unterhaltungen mit ihr einer Tour d‘Horizon gleichen, wie es die Franzosen auszudrücken pflegen, vielleicht auch ihr Ehemann. Die Vorsitzende des BSW stimmt der These zu, dass man auf Veranstaltungen und den Unterstützertreffen ein Milieu vorfindet, wie es früher häufig in der SPD anzutreffen war. „Es braucht endlich einen politischen Neuanfang“, führt sie aus. Ralph Suikat, der Schatzmeister der Partei und millionenschwerer Unternehmer aus Karlsruhe, hatte es im Interview mit dem Verfasser dieses Beitrages so ausgedrückt:
„Da ich selbst viel mit den Menschen im Lande spreche, spüre und höre ich, dass dies keine Momentaufnahme ist, sondern der Frust, der sich über viele Jahre angesammelt hat. Die Menschen möchten eine ehrliche Politik, die für soziale Gerechtigkeit in unserem Land sorgt, den Wirtschaftsstandort stärkt und die Infrastruktur auf Vordermann bringt. Dafür steht das BSW, nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.“
In den Umfragen pendelt sich das BSW inzwischen auf Bundesebene bei fünf bis sieben Prozent ein, in den ostdeutschen Bundesländern bei bis zu 15 Prozent. Fortsetzung folgt …
Titelbild: Shutterstock / penofoto – Symbolfoto: BSW-Wahlkampf in Kiel
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