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Titel: Ermutigendes Signal aus Brüssel in puncto Menschenrechte in den Philippinen
Datum: 9. Juni 2024 um 14:00 Uhr
Rubrik: Innere Sicherheit, Militäreinsätze/Kriege, Terrorismus
Verantwortlich: Redaktion
Das Internationale Volkstribunal (International People’s Tribunal – kurz: IPT) hat am 18. Mai Präsident Ferdinand Marcos Jr., Ex-Präsident Rodrigo R. Duterte, die Regierung der Republik der Philippinen und die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Joseph R. Biden wegen Kriegsverbrechen gegen das philippinische Volk und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht für schuldig befunden. Für die Hinterbliebenen der Opfer infolge eines unter der Präsidentschaft Dutertes (2016 bis 2022) gnadenlosen „Antidrogen-Krieges“ und allgegenwärtigen „red-tagging“, des staatsterroristischen Vorgehens gegen alle/s vermeintlich Linke/n unter Dutertes Nachfolger Marcos Jr. eine gewisse Genugtuung. Immerhin trägt das IPT-Verdikt dazu bei, den politischen und diplomatischen Druck in internationalen Institutionen und Organisationen auf die Angeklagten zu erhöhen. Für die NachDenkSeiten nahm Rainer Werning als Beobachter an dem vom 17. bis 18. Mai in Brüssel abgehaltenen IPT teil.
Counterinsurgency mit Tradition
Der Schuldspruch wurde von etwa 300 Beobachtern in Brüssel begrüßt, die während der zweitägigen Verhandlung des IPT die Forderungen von Sachverständigen, direkten Opfern und Familienangehörigen verstorbener Opfer der von den USA massiv militärisch gesteuerten und materiell unterstützten Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) gemäß dem entsprechenden U.S. Government Guide 2009 in den Philippinen hörten. Seit der Jahreswende 1968/69 führt in dem südostasiatischen Inselstaat die von der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) befehligte Guerillaorganisation in Gestalt der Neuen Volksarmee (NPA) Krieg gegen die Zentralregierung in Manila. Und jede seitdem amtierende philippinische Regierung hatte erklärt, diesen Krieg für sich zu entscheiden und den Rebellen das Rückgrat zu brechen. Das allerdings ist bis heute nicht geschehen, sodass die Philippinen das einzige Land in der Region sind, in dem noch immer ein „kommunistischer Aufruhr“ herrscht.
Exkurs: Vom Ständigen Tribunal der Völker zum Internationalen Volkstribunal
Das Ständige Tribunal der Völker (Permanent Peoples’ Tribunal, PPT) ist eine internationale Einrichtung, die unabhängig von staatlichen Instanzen besteht. Es untersucht Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Rechte von Völkern. Gegründet wurde das PPT im Juni 1979 im italienischen Bologna, wo es heute sein Sekretariat unterhält. Zu den Gründerpersonen zählten international renommierte Rechtsexperten, Schriftsteller, Kulturschaffende und herausragende politische Aktivisten aus 31 Ländern – darunter fünf Nobelpreisträger. Die Anfänge des PPT reichen in die 1960er-Jahre zurück, als die Bertrand-Russell-Tribunale zu Vietnam (1966-67) und den Militärdiktaturen in Lateinamerika (1974-1976) tagten. Der international renommierte Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell hatte im Jahre 1950 für sein Werk „Formen der Macht“ den Nobelpreis für Literatur erhalten.
Die Bedeutung der (juristisch nicht einklagbaren) Entscheidungen des PPT basiert auf seinem moralischen Gewicht sowie der Anerkennung und Glaubwürdigkeit, die das Tribunal in den Augen von UN-Organisationen genießt. Bereits im zweiten Jahr seines Bestehens fand 1980 die 1. Philippinen-Sitzung des PPT im belgischen Antwerpen statt. Damals ging es um Klagen seitens der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP), einem aus über einem Dutzend revolutionärer Organisationen bestehenden politischen Untergrundbündnis, und der Moro Nationalen Befreiungsfront (MNLF) gegen die herrschende Diktatur von Ferdinand E. Marcos Sr., dem Vater des amtierenden Präsidenten.
Auf Drängen philippinischer Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen fand vom 21. bis 25. März 2007 im niederländischen Den Haag die 2. Philippinen-Sitzung des PPT statt. Die Kläger wiesen vor allem auf die Vielzahl außergerichtlicher Hinrichtungen, Massaker unter Zivilisten und das „Verschwindenlassen“ politisch missliebiger Personen hin, die seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001) stattfanden und ungesühnt blieben. Die siebenköpfige Jury aus Japan, Kolumbien, Malaysia, Norwegen, Italien, den Niederlanden und Belgien kam einstimmig zu folgendem Urteilsspruch, den der Juryvorsitzende, der emeritierte Sozialwissenschaftler und Theologe Francois Houtart, vortrug:
„Die Fülle des eingereichten Beweismaterials und die umfassende schriftliche wie mündliche Dokumentation von Zeugen und Expertenberichten, die der Jury zugänglich gemacht wurden, hat das Tribunal zu dem Urteil veranlasst, Gloria Macapagal-Arroyo und George Walker Bush sowie ihre Regierungen in allen drei Punkten schuldig zu sprechen:
- grobe und systematische Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte, außergerichtliche Hinrichtungen, Entführungen und Verschwindenlassen, Massaker und Folter:
- grobe und systematische Verletzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des philippinischen Volkes sowie
- grobe und systematische Verletzung des Rechts auf Selbstbestimmung und Befreiung.
Die philippinischen Streitkräfte sind ein struktureller Bestandteil und bilden ein entscheidendes Instrument bei der Durchsetzung der Politik des ‚Krieges gegen den Terror‘. Das PPT wendet sich entschieden dagegen und findet es unangemessen, dass die Regierung der Philippinen einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat innehat. Das PPT wird sehr genau verfolgen, ob die Sicherheit jener Personen gewährleistet ist, die so mutig waren, als Zeugen aufzutreten und den Juroren des Tribunals bei ihrer Wahrheitsfindung behilflich zu sein. Sollte auch nur einer dieser Personen etwas zustoßen, wird dafür einzig und allein die Regierung der Philippinen verantwortlich sein.“
„Wir wollen, dass das Muster der Tötungen, Entführungen und vorgetäuschten Kapitulationen aufhört“
In seinem zehnseitigen Verdikt, das am 18. Mai von der internationalen Jury unter Leitung von Prof. Lennox Hinds, u.a. ehemaliger Rechtsberater von Nelson Mandela, unterzeichnet wurde, konstatierte das Tribunal „einen stetigen Anstieg der Fälle von Entführung und gewaltsamem Verschwindenlassen, die von Kräften der Regierung der Republik der Philippinen gegen Aktivisten begangen wurden”.
Unter den zahlreichen Zeugen, die in Brüssel entweder persönlich erschienen waren oder in den Philippinen ihre Aussagen per Videobotschaft übermittelt hatten, befand sich auch Jonila Castro. Die junge Frau ist Umweltaktivistin und Mitglied von AKAP KA Manila Bay Kalikasan People’s Network for the Environment. Für diese Organisation ist sie mitverantwortlich für Kampagnen zur Verteidigung der Umwelt und der Rechte von marginalisierten Gemeinschaften, die von Landraub, Bergbauprojekten sowie Megastaudämmen betroffen sind. Sie berichtete über die Brutalität der staatlichen philippinischen Sicherheitskräfte, und wie sie zusammen mit ihrer Kollegin Jhed Tamano im vergangenen Jahr 17 Tage lang vom Militär entführt und psychologisch gefoltert worden war. Als sie während einer vom Militär anberaumten Pressekonferenz als „übergelaufene Rebellin“ vorgeführt werden sollte, besaß sie den Mut, dies vor laufenden Kameras zu dementieren und erklärte, vielmehr vom Militär entführt worden zu sein! In Brüssel betonte sie:
„Wir wollen, dass das Muster der Tötungen, Entführungen und vorgetäuschten Kapitulationen aufhört – wir wollen, dass die Regierung aufhört, Aktivisten mit Kämpfern gleichzusetzen, und dass alle vermissten Aktivisten auftauchen. Wir fordern, dass die staatlichen Kräfte zur Rechenschaft gezogen werden.”
„Wir haben umfangreiche und zwingende Beweise für weit verbreitete außergerichtliche Tötungen, Massaker an der Zivilbevölkerung, das Verschwindenlassen von Personen, wahllose Bombardierungen und andere schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gefunden. Die Gräueltaten und die volksfeindliche Politik und Handlungen von Herrn Duterte scheinen sich unter der derzeitigen Regierung Marcos Jr. fortzusetzen und zu intensivieren”, erklärte Séverine de Laveleye, Mitglied des belgischen Parlaments und IPT-Jurorin, vor der Verkündung des Verdikts.
Zur weiteren Begründung des Schuldspruchs erklärte Frau Laveleye:
„Unsere Entscheidung beruht auf einer umfassenden Prüfung der vorgelegten Beweise. Die Aussagen der Zeugen, von denen viele ungeheuren Mut bewiesen haben, indem sie an die Öffentlichkeit traten, haben entscheidend dazu beigetragen, unser Verständnis für die systematischen Missbräuche zu schärfen, die unter diesen Regimen mit stillschweigender Unterstützung der USA begangen wurden.”
Vernichtendes Verdikt auf ganzer Linie
„Die Angeklagten in diesem Fall wurden ordnungsgemäß benachrichtigt, haben nicht geantwortet und keine Zeugen benannt, sodass davon ausgegangen wird, dass sie auf ihre Rechte verzichtet haben”, erklärte Prof. Lennox Hinds, bevor er die Geschworenen zur Urteilsberatung zusammenrief: „Die vorgelegten Beweise waren glaubwürdig und stimmig”, sagte Hinds, da die Zeugen berichteten, dass sie in den Philippinen nicht in der Lage waren, Gerechtigkeit zu erlangen, weil die Regierung der Republik der Philippinen Gerichtsverfahren vernachlässigte oder die Regierungsbehörden selbst sie schikanierten und einschüchterten.
In Bezug auf Kombattanten der Guerillaorganisation der Neuen Volksarmee (NPA) und die Hinrichtung von Hors de Combat[*] wurde im abschließenden Urteil festgestellt, dass das Militär der Regierung der Philippinen wiederholt gegen die Kriegsregeln der Genfer Konvention verstößt, wobei der jüngste Fall der NPA-Kämpferin Hannah Cesista angeführt wurde. Cesista hatte sich zusammen mit vier anderen NPA-Kämpfern dem 47. Infanteriebataillon ergeben, um zivile Kinder in der Nähe zu schützen, und wurde anschließend ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. Cesista wurde gezwungen, sich im Schlamm zu wälzen, bevor sie aus nächster Nähe erschossen wurde, während ihre Kollegen entkleidet und vor den Augen der Dorfbewohner der Provinz Bohol hingerichtet wurden.
„Dies sind eklatante Verstöße gegen die grundlegendsten Regeln des Krieges […] abgesehen davon, dass es sich um Kriegsverbrechen handelt, stellen diese Handlungen der AFP (Streitkräfte der Philippinen – RW) eine völlige Missachtung der Grundsätze der Menschlichkeit dar und verdienen die schärfste Verurteilung durch dieses Tribunal”, erklärte das Jurymitglied Julen Arzuaga Gumuzio, Mitglied des baskischen Parlaments und der Europäischen Vereinigung demokratischer Juristen.
„Für die Angeklagten ist dieses Urteil eine feierliche Erinnerung daran, dass die internationale Gemeinschaft sie beobachtet und diejenigen zur Rechenschaft ziehen wird, die Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die internationalen Kriegsgesetze begehen oder dulden”, mahnte seine Kollegin Laveleye in ihrer Erklärung zum Urteil.
„Wir fordern Sie auf, den Stimmen Ihres Volkes Gehör zu schenken, die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Menschenrechte zu wahren und unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um die ans Licht gebrachten Missstände und Verstöße zu beseitigen”, so Laveleye abschließend.
Epilog
Bis heute sind die Philippinen einer der gefährlichsten Orte für Umweltaktivisten, investigative Journalisten und Menschenrechtsverteidiger. Gegen sie und andere von der Regierung in Manila als missliebig eingestufte Kritiker und Gegner geht das Regime unerbittlich vor. Dabei stützt es sich u.a. auf den „Anti Terror Act“ aus dem Jahre 2020 und die berüchtigte Nationale Taskforce zur Beendigung lokaler kommunistischer bewaffneter Konflikte (NTF-ELCAC). Demnach wird zwischen NPA-Kombattanten und Nicht-Kombattanten keinerlei Unterscheidung getroffen!
Was schließlich das philippinische Justizsystem in besonderer Weise auszeichnet, ist seine hohe Elastizität – harsch und schnell landen Menschen aus den Unterschichten und Marginalisierte hinter Gittern, während den Mächtigen und Reichen vielfältige Mittel zur Verfügung stehen, letztlich mit Glacéhandschuhen angepackt zu werden und eine „Kultur der Straffreiheit“ auszukosten.
Man darf gespannt sein, ob der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Ermittlungen gegen Ex-Präsident Duterte forciert, dem von philippinischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen immerhin vorgeworfen wird, für den Tod von bis zu 30.000 Menschen infolge seines drakonischen „Antidrogen-Krieges“ verantwortlich zu sein.
Anmerkung & Links zum Thema
[«*] Hors de combat ist ein international üblicher französischsprachiger Begriff aus dem diplomatischen, militärischen und juristischen Sprachgebrauch, der wörtlich übersetzt „kampfunfähig“ oder „außer Gefecht (gesetzt)“, mithin Kampfunfähigkeit bedeutet.
IPT2024 | International Peoples Tribunal * peoplestribunal.net/
Full Verdict of the International People’s Tribunal 2024 – May 18, 2024 – YouTube * youtube.com/watch?v=3TBuKSOfZb0
ichrp.net/international-peoples-tribunal-us-marcos-duterte-guilty-of-massive-war-crimes/
paxchristiusa.org/2024/05/22/pax-christi-usa-supports-international-peoples-tribunal/
springmag.ca/the-rise-of-peoples-tribunals-and-their-importance-for-national-liberation-movements
U.S. Government Counterinsurgency Guide 2009 (PDF)
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