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Titel: Wirtschaft und Finanzen neu gedacht – Revolution der Menschlichkeit
Datum: 4. Juni 2024 um 13:49 Uhr
Rubrik: Finanzen und Währung, Rezensionen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Albrecht Müller
Das ist der Titel eines Buches von Ulrich Gausmann. Dieter Urban aus Speyer hat es für die NachDenkSeiten besprochen. Wir veröffentlichen diese Buchbesprechung unter anderem auch deshalb, weil es in einigen NachDenkSeiten-Gesprächskreisen Leser und Freunde dieses Buches gibt. So jedenfalls die Information von Anette Sorg, die die Gesprächskreise betreut. Ich selbst kann meine Skepsis gegenüber den Thesen des Autors nicht verbergen. Meine Bedenken habe ich dem Autor dieser Buchbesprechung geschickt. Er hat freundlicherweise darauf geantwortet. Diese Antwort fügen wir am Ende der Buchbesprechung an. Albrecht Müller.
Wirtschaft und Finanzen neu gedacht – Revolution der Menschlichkeit
Massel Verlag München 2023, 344 Seiten, ISBN 978-3-948576-07-3
Kleine und mittelständige Unternehmen (KMU) waren nach dem Zweiten Weltkrieg eine tragende Säule des Wirtschaftswunders in Deutschland und stellten 2019 in Europa zwei Drittel aller Unternehmensarbeitsplätze außerhalb des Finanzsektors.
Die Coronapolitik erzeugte einen starken Aufschwung des Online-Handels und große Unternehmen wie Amazon profitierten davon durch zweistellige Umsatzsteigerungen, während viele KMUs um ihr Fortbestehen kämpften. Mit politischer Hilfe wurden große Handelsunternehmen noch größer und bei vielen Verbrauchern entstand der Wunsch, diesen Trend nicht zu unterstützen, weil sie durch Monopolpreise i.A. übervorteilt werden.
Doch, welche Alternative gibt es?
Ulrich Gausmann hat sich der Aufgabe gewidmet, in Deutschland und darüber hinaus Alternativen in Produktion, Handel und in anderen Finanzsystemen zu finden. In seinem Buch berichtet er über viele Gespräche mit Menschen, die unabhängig von Monopolen leben wollen. Die sich wohler fühlen in einer Gemeinwohlökonomie.
So hat er viele konkrete Beispiele beschrieben, wie Formen der Gemeinwohlökonomie neue Ansatzpunkte für nachhaltiges Wirtschaften darstellen. Dazu gehören Initiativen von Unternehmern, von Gewerkschaften und von Genossenschaften ebenso wie Energiewendedörfer und Zukunftskommunen. Im Finanzbereich werden Zinskritik, Formen der Geldschöpfung, Tauschringe und Komplementärwährungen besprochen.
Für alle, die sich eine menschlichere Gesellschaft wünschen, in der Wirtschaft und Finanzen für den Menschen da sind und nicht umgekehrt, bietet das Buch eine reiche Fülle von Ideen und Orientierungsmöglichkeiten, selber etwas zu tun. Hier sind einige Beispiele.
Beispiele Wirtschaft:
Inzwischen besteht die Society 4.0 aus zehn verschiedenen Sektoren – von der regionalen Lebensmittelversorgung bis hin zu eigenen Währungen -, die sich über die Niederlande erstrecken und inzwischen in europäischen Nachbarländern Nachahmer gefunden haben.
society4th.org/de
Unternehmer stehen auf ist ähnlich ausgerichtet. Hier schlossen sich viele kleine und mittelständige Unternehmen zusammen, um für Freiheit, Demokratie und Volkssouveränität zu kämpfen.
Die Initiative Miteinander aus Bad Dürkheim wurde von Eleonore Büschges initiiert und veröffentlicht eine Zeitung gleichen Namens. Dort ist zu lesen:
„Unsere Welt ist nicht eindimensional. Erst, wenn wir sie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, ergibt sich ein komplettes Bild. Wir finden, dass die Berichterstattung in den alteingesessenen Medien zunehmend einseitig geworden ist. Dazu kommt, dass auf den großen Plattformen wie YouTube und Facebook kritisches zensiert wird.
Mit dieser Zeitung wollen wir ein Angebot zum demokratischen Diskurs machen: Lassen Sie uns wieder miteinander reden und diskutieren!“
Peter Schmuck peterschmuck.de ist der Initiator vieler Projekte, die „Nachhaltige Entwicklung, Bioenergie und Energiewende“ zum Inhalt haben. Sein verstärktes Interesse an diesen Themen begann 1997, und 2005 entstand das erste Bioenergiedorf in Jühnde bei Göttingen.
Seitdem sind über nahezu 200 Energiewendedörfer dazugekommen. Dort werden mit Biogas aus Gülle und Pflanzenresten Gasturbinen betrieben, die Elektrizität und Wärme erzeugen. Die Verteilung erfolgt über regionale Strom- bzw. Fernwärmenetze. Zusätzlich wird elektrische Energie durch Windkraft- oder Photovoltaik-Anlagen erzeugt, sie kostet den Endverbraucher ca. 12ct/kWh, also ca. ein Drittel des 2024 üblichen Strompreises. energiewendedörfer.de
Es werden auch Verfahren der Bürgerbeteiligung bei Nachhaltigkeitsentwicklungen erprobt. Modellkommunen, die mindestens drei kommunal bedeutsame Projekte in den Bereichen Soziales, Ökonomisches, Ökologisches und Bildung erfolgreich abgeschlossen haben, werden auf der Transferplattform zukunftskommunen.de vorgestellt.
Pflegebauernhöfe sind landwirtschaftliche Betriebe, die mit einer sozialen Dienstleistung – nämlich der Unterbringung und Betreuung älterer Menschen – mehr Einkommen erwirtschaften als mit der Produktion von Lebensmitteln. Das ist einerseits für Senioren attraktiv, die in einer Gemeinschaft leben und sich an den Aufgaben auf einem Bauernhof beteiligen wollen. Andererseits werden auch pflegebedürftige Personen aufgenommen. Dazu arbeiten Pflege-Profis mit der Landwirtsfamilie zusammen. Der erste Pflegebauerhof entstand 2011 unter der Leitung von Guido Pusch im Westerwald. Inzwischen gibt es bundesweit 21 Projekte, die Nachfrage ist groß. Das Konzept wird zur Nachahmung unter zukunft-pflegebauernhof.de vorgestellt.
Beispiele Finanzen:
Nach einleitenden Gedanken, wie das heutige Geld entsteht und welche Eigenschaften es hat, werden abweichende Geldarten besprochen. Zum Beispiel das Freigeld, das keine Zinsen kennt.
Oder Geld in Form von Arbeitswertbestätigungen, die pro Monat 1 Prozent Wert verlieren und deshalb schnell ausgegeben werden und die Umlaufgeschwindigkeit erhöhen, was sogar in unsicheren Zeiten zu einer Belebung der Wirtschaft führt.
Auch eine Wirtschaft ganz ohne Geld ist vorstellbar, wenn Menschen Tauschhandel betreiben, wie es in Mesopotamien vor ca. 2.500 Jahren üblich war, bevor der Silberschekel erfunden wurde.
Wichtige Voraussetzung für eine moderne Tauschwirtschaft ist, dass die Gruppengröße begrenzt ist, alle Mitglieder eines Tauschrings sich persönlich kennen und Vertrauen zueinander besitzen. Dafür ist es unerlässlich, dass man sich von Angesicht zu Angesicht trifft, im Allgemeinen einmal im Monat.
Innerhalb von 2 Jahren entstanden in Deutschland ca. 500 Gruppen, jede Gruppe hat 50 bis 70 Mitgliedern.
Die Gemeinschaft schöpft pro Person jeden Monat Geld: 1.000 Gradido als steuerfreies aktives Grundeinkommen für jeden Bürger, 1.000 Gradido für den Gemeinschaftshaushalt einschließlich der Gesundheitsversorgung und 1.000 Gradido für einen zusätzlichen Ausgleichs- und Umweltfond zur Sanierung von Altlasten. Bestände auf dem Gradido-Konto, die nicht verliehen oder für Waren oder Dienstleistungen genutzt werden, verlieren im Jahr 50 Prozent ihres Wertes, pro Monat sind das 5,61 Prozent Wertminderung.
Im Moment ist das Gradido-Projekt im Aufbau als ein Dankpunkte-System für freiwillige Beiträge zum Gemeinwohl. Es wurde 2005 von Bernd Hückstädt und seiner Partnerin Margret Baier gegründet und wird durch Spenden finanziert. Es ist geplant, Gradido als eine international zugängliche Währungsplattform allen Menschen zur Verfügung zu stellen.
gradido.net/de/
Sardex wurde 2010 als GmbH gegründet, 2016 in eine Aktiengesellschaft mit 50 Mitarbeitern überführt und zählte 2017 über 3.800 Unternehmen und 2.300 Einzelpersonen als Kunden mit einem Sardex-Konto.
Guthaben auf einem Sardex-Konto werden nicht verzinst und negative Salden müssen kurzfristig ausgeglichen werden. Die Konsequenz solcher Regeln ist, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Sardex zehnmal höher ist als die des Euro.
monneta.org/sardex/
Die Wirkung der vielen in dem Buch besprochenen Beispiele, wie Wirtschaft und Finanzen heute schon neu gedacht wird, kann enorm verstärkt werden, wenn:
Diese Kombination kann zu revolutionären Veränderungen führen, die nach Meinung des Autors in den Anfängen schon erkennbar sind.
Dieter Urban, Speyer, 30. Mai 2024
Nachtrag Albrecht Müller:
Dem Autor der Buchbesprechung hatte ich kritische Anmerkungen zum Buch hinterlassen. Er hat daraufhin umgehend geantwortet. Aus seinen Antworten geht auch die Stoßrichtung meiner Kritik hervor. Hier die Mail von Dieter Urban:
„viele der Beispiele in Gausmanns Buch haben nur lokale oder regionale Bedeutung, aber sie sind eine Möglichkeit, sich im Kleinen dem Einfluss der großen Konzerne zu entziehen.
Du hast vollkommen recht, dass das Mitmachen z.B. in der Regionalwert AG Freiburg-Südbaden nichts an der Situation ändert, dass der globale Marktzugang für Produkte, Handel und Kapital von einigen großen kontrolliert wird und nicht jedem offensteht. Ebenso ändert es auch nichts daran, dass Kapitalsammelgesellschaften und auch die privaten Besitzer großer Vermögen über ihre geringen Beteiligungen großen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen ausüben, um sich damit noch weiter zu bereichern.
Und auch politische Entscheidungen ebenso wie die öffentliche Meinung werden durch große Vermögen gesteuert, über Spenden von Stiftungen z.B. an die WHO, an Medienhäuser usw.. Da werden Milliarden Dollar bewegt und die 4 Millionen € zur Rettung von Arbeitsplätzen in Charleroi sind dagegen natürlich Kiki.Aber die Beispiele, die Ulrich Gausmann zusammengestellt hat, zeigen eine Alternative auf. Sie regen dazu an, darüber nachzudenken, ob die Welt so sein muss, wie sie ist. Das ist der erste Schritt.
Neu entstehende alternative Medien haben zu Beginn auch eine geringe Reichweite gegenüber z.B. der Tagesschau, die noch immer bei ca. 10 Millionen Zuschauern liegt. Aber sie regen zum Nachdenken an, zum Selberdenken. Und das ist sehr viel Wert.Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, den Buchinhalt “Wirtschaft und Finanzen neu gedacht” zusammenzufassen und einige der Beispiele kurz zu beschreiben, um vorzugsweise diejenigen Menschen anzusprechen, die eine Alternative suchen und nicht nur selber denken, sondern auch selber etwas tun wollen.
Falls Dir die Buchbesprechung gefällt, kannst Du sie gerne verwenden. Vielleicht ergibt sich ja auch die Möglichkeit, Ulrich Gausmann zu einem Pleisweiler Gespräch einzuladen.“
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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