NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: „Deutschland … to the sea“

Datum: 6. Juni 2024 um 9:01 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

„Deutschland … to the sea“. „From the river … den Deutschen“. Diktaturen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie eine möglichst vollständige Kontrolle über den gesellschaftlichen Diskurs anstreben. Was gesagt, geschrieben oder hergezeigt werden darf, wird penibel festgelegt. Es muss der herrschaftlichen Erzählung entsprechen, ihr mindestens nicht in die Quere kommen, am besten ihr recht geben. Von Hannes Hofbauer.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Bundesrepublik ist – im Verein mit den meisten EU-Staaten – auf dem Weg dorthin. Noch hakt es hier und dort mit der juristischen Abklärung, der – wie wir es in Österreich nennen – Ausjudifizierung. Nach Politik und Medien müssen sich die Gerichte erst an das neue autoritäre Selbstverständnis des Staates bzw. der Europäischen Union gewöhnen. Einen Straftatbestand der Verhetzung konnte man lange Jahrzehnte vor den Richterbänken kaum finden, obwohl er seit 1871 existiert. Es war die Europäische Kommission, die 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hatte, um eine Verschärfung der Gesetzeslage zu erwirken. Der Vorwurf aus Brüssel: Berlin halte sich nicht an den „Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ vom November 2008, der die EU-Mitglieder auch verpflichtete, die Leugnung von Völkermord und Kriegsverbrechen in Gesetzesform zu gießen. Damals war das als juristische Absicherung und Fortsetzung des militärischen NATO-Angriffs auf Serbien gedacht. Es ging – und geht auch heute noch, wie die UN-Resolution vom 25. Mai 2024 belegt – um die Einschätzung der Gräuel von Srebrenica und damit indirekt um die Legitimität des NATO-Krieges. Dieser hatte ja keine UN-Rückendeckung und war damit völkerrechtswidrig.

Den EU-Rahmenbeschluss von 2008 [1] nutzten in der Folge die Mitgliedsstaaten, um den Diskursraum zu verengen, um Sagbares juristisch von Unsagbarem zu trennen. Der Deutsche Bundestag verschärfte den § 130 StGB („Volksverhetzung“) nach der Mahnung aus Brüssel am 21. Oktober 2022. Seitdem ist „Hetze“ aus den Gerichtssälen nicht mehr wegzudenken. Zusammen mit „Hassrede“ bilden die beiden „Tatbestände“ – die ja im herkömmlichen Sinn keine „Tat“ sind – ein immer beliebter werdendes Instrument, um Meinungen, die die Herrschaft nicht hören, sehen oder lesen will, zu kriminalisieren.

„Deutschland den Deutschen“. Klingt widerlich, auch für einen Österreicher. „Ausländer raus“. Pfui. Das will ein Österreicher schon gar nicht hören. Auf der anderen Seite gibt es einen Österreicher, dem offizielle deutsche Stellen die Einreise in die BRD verweigern wollen. Die Rede ist vom rechten Identitären Martin Sellner. Er hat zwar – bislang – nichts strafrechtlich Relevantes verbrochen, aber Deutschland soll ihm verwehrt bleiben, was im ersten Anlauf scheiterte. So ein Einreiseverbot ginge freilich nur, weil er „Ausländer“ ist, einem Deutschen könnte man den Aufenthalt in Deutschland wohl nicht verbieten – zumindest wäre es deutlich schwieriger.

Wir sehen, es geht um den Kontext. In anderen Worten: Die Justiz soll – dem Gesetzgeber nach – politisch agieren. Und genau an diesem Punkt beginnt ein liberales Gesellschaftssystem, in ein autoritäres zu kippen, an dessen Ende die Diktatur steht.

„Ausländer raus“. Wenn dieser Spruch aus Hunderten Kehlen deutsch-türkischer Galatasaray-Fans in Stuttgart tönt und die deutsche Journaille dies unisono als Skandal bezeichnet, dann spürt man diesen unbedingten Drang nach autoritären Maßnahmen. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen, heißt es. Der Vernunftbegabte würden den „Anfangsverdacht“ zwischen Ironisierung und Kaperung eines ausländerfeindlichen Spruches durch eben solche „Ausländer“ vermuten. Man darf schmunzeln. Politik und Medien hingegen fordern Gerichtsurteile. Man muss – und soll – sich ängstigen.

„From the river to the sea, Palestine will be free.“ Für die Verwendung dieses Spruches wurden in Deutschland bereits mehrere Strafbefehle erlassen. Also ist es ratsam, sich davon zu distanzieren. Womit wir wieder beim autoritären Staat wären, der darauf setzt, mittels Kriminalisierung missliebiger Äußerungen nicht nur diese zu verbieten, sondern allgemein Angst zu verbreiten. Auch dabei hilft der § 130 StGB, wobei der Spruch von deutschen Gerichten – fälschlicherweise – der Hamas zugeordnet wird. Diese ist in der EU als Terrororganisation geführt, während sie in der Türkei als Befreiungsbewegung gilt. Die Galatasaray-Fans hatten offensichtlich ein gutes Gespür dafür, welche Parole sie wählten.

Als vorläufige Empfehlung zur Umgehung von Anklagen wegen Verhetzung bzw. zur Ironisierung zunehmender Meinungsdiktatur wäre die oben erwähnte Melange möglich: „Deutschland … to the sea“ und „From the river … den Deutschen“. Heinrich Heine machte es in seinen „Reisebildern“ vor: Dort leitete er ein Kapitel mit den Worten ein: „Die Zensoren“, versah daraufhin die ganze Seite mit Zensurstrichen, um am rechten unteren Rand der Seite mit dem Begriff „Dummköpfe“ zu enden. Dass die Behörden daraufhin in den 1820er-Jahren den Zensurstrich verboten, zeigt, wie verbissen herrschaftliche Institutionen gegen ihren Vertrauensverlust kämpfen.

Von Hannes Hofbauer ist – bereits 2011 – zum Thema erschienen: „Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument.“ (Promedia Verlag)

Titelbild: Shutterstock / dugdax


[«1] Näheres dazu siehe: Hannes Hofbauer, Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument. Wien 2011


Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=116125