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Titel: Militärische Vergiftung der Gesellschaft

Datum: 23. Mai 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Militärische, politische und gesellschaftliche Führungskräfte stellen die Entstehung des Ukraine-Krieges mit Halbwahrheiten falsch dar – mithilfe derartiger Falschinformationen wird ein Umbau der Gesellschaft vorangetrieben und zahlreiche gesellschaftliche Bereiche werden mit der Militarisierung durchdrungen und vergiftet. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Schriftstellerin und Kulturkritikerin Dorothee Sölle beschrieb die Vergiftung der Gesellschaft durch die Militarisierung auf einer der großen Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre:

Wenn ein Fluss umkippt, so bedeutet das: die Giftmenge, die ein Lebenszusammenhang noch erträgt, wird zuviel, die Zerstörung nimmt überhand, die Fische sterben, die Pflanzen folgen ihnen, das Wasser stinkt. Wenn ein Fluss umkippt, ist es eigentlich kein Fluss mehr, sondern eine Müllkippe. Und wenn ein Land umkippt? Wenn die Schad- und Giftstoffe so überhandnehmen, dass das Leben erstickt wird, dass die Menschen an der Möglichkeit, hier zu leben, verzweifeln, wenn sie sich nach Auswanderung umsehen oder sich selbst kaputt machen, wenn sie wie Fische in der stinkenden Brühe herumtreiben? Wenn ein Fluss ökologisch verschmutzt ist, kippt er um. Wenn ein Land militärisch verschmutzt ist und sich zu Tode rüstet, dann kippt das Land um. Genau das erleben wir.

Vier Jahrzehnte später erleben wir, wie der sozialdemokratische Militärminister Boris Pistorius mit seiner Werbung für einen Mentalitätswechsel hin zu einer Kriegstüchtigkeit zum beliebtesten Politiker Deutschlands geworden ist, obwohl er damit einen Kontrapunkt gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes setzt. Viele meinungsführende Medien und führende Politiker verstärken diesen ‚Mentalitätswechsel‘. Der Sozialpsychologe Harald Welzer warnt: „Wir erleben einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft – Krieg wird sagbarer, denkbarer“. Und das, obwohl Artikel 26 Grundgesetz besagt:

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören …, sind unter Strafe zu stellen.

Militärische, politische und gesellschaftliche Führungskräfte stellen die Genesis des Ukraine-Krieges mit Halbwahrheiten falsch dar, etwa indem sie das Memo von CIA-Chef Burns gegen die NATO-Ostexpansion ausblenden; auf derartigen Falschinformationen bauen sie ein Rollback der Gesellschaft auf, indem sie viele gesellschaftliche Bereiche mit der Militarisierung durchdringen.

Im April dieses Jahres befasste sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages mit „der Ertüchtigung des Gesundheitssystems im Kriegsfall“. Es ging dabei konkret um den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Generalstabsarzt Norbert Weller erklärte in diesem Zusammenhang:

„Um sich für das Szenario des Bündnisfalls zu wappnen, brauche es … starke Partner und etablierte Kooperationen. Es brauche ein belastbares Netzwerk sowie neue rechtliche Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zwischen den Bundeswehrkliniken, den berufsgenossenschaftlichen Kliniken, den Unikliniken und den über 660 Kliniken des Traumanetzwerkes Deutschland. Und nicht zuletzt brauche es auch: ‚Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung – da sind wir noch nicht, wo wir sein sollten‘ …“.

Der Ausschuss befasste sich mit „Herausforderungen einer Patientenversorgung im Kriegsfall, die nicht mit der zivilen Versorgung von Patienten zu vergleichen sei. Im Kriegsfall müsse mit mehreren hundert Verletzten pro Tag gerechnet werden. In den europäischen Gesundheitssystemen werde den Anforderungen an den möglichen Verteidigungsfall bisher aber wenig Bedeutung beigemessen.

Und der Städtetag fordert zur Vorkehrung für den „Ernstfall“ genannten Krieg den Ausbau des Zivilschutzes und eine Infrastruktur von Bunkern, wie es sie im Zweiten Weltkrieg gab. Bundesinnenministerin Faeser greift derartige Initiativen auf und „hält sogar einen deutlichen Ausbau des Zivilschutzes für nötig und kündigt im Handelsblatt ‚erhebliche Investitionen in gute Warnsysteme, in moderne Hubschrauber und weitere Ausstattung‘…“ an.

Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger sieht Schulen „in der Verantwortung, junge Menschen auf den Kriegsfall vorzubereiten. Sie ist für Zivilschutzübungen.“ Der Bayrische Rundfunk kam in einem Bericht zum letzten CDU-Parteitag zu dieser Darstellung:

Deutschland diskutiert über sein Militär: Die CDU will schrittweise zurück zur Wehrpflicht, der Bundeswehrverband will alle Wehrfähigen erfassen.“

Schon in der Spätphase des westdeutschen Staates BRD beschloss der Bund Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV) (10. Januar 1989): Hilfskrankenhäuser sind „für Zivilschutzzwecke bereitzustellen, insbesondere die entsprechenden Gebäude zu erfassen und herzurichten. Diese Maßnahmen haben zum Ziel, den bei einem Massenanfall von Verletzten erforderlichen Zusatzbedarf an stationären Betten- und Behandlungskapazitäten decken zu helfen.“ Die RRGV regeln in Absatz 19.2.3 sogar auch eine ‚Wehrgerichtsbarkeit‘, zu der auch juristische Regelungen für Verfahren gegen Kriegsgefangene zählen, das alles natürlich für den von ihnen so genannten „Verteidigungsfall“. Auch die Nutzung der Medien ist eindeutig geregelt:

Zur Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen in einer Krise und im Verteidigungsfall sind die Bundesregierung und die Landesregierungen auf die Mitwirkung der Medien, insbesondere des Rundfunks (Hörfunk und Fernsehen), angewiesen.
(2) Notwendige Bekanntgaben und Verkündungen sowie sonstige Verlautbarungen und Informationen müssen übermittelt werden …
(3) Dazu ist es erforderlich, dass
1. die Sendeeinrichtungen von Rundfunkanstalten … verfügbar … gehalten werden;
2. die Mitwirkung der Rundfunkanstalten gewährleistet ist.
(4) Die Rundfunkanstalten des Bundesrechts, Deutsche Welle und Deutschlandfunk, haben der Bundesregierung … Sendezeit zur Bekanntgabe von Gesetzen, Verordnungen und Verlautbarungen einzuräumen.
(5) Nach den Landes-Rundfunkgesetzen bzw. den …Staatsverträgen steht ein Verlautbarungsrecht …sowohl der Bundesregierung als auch der … Landesregierung … zu.
(6) Es ist sicherzustellen, dass amtliche Verlautbarungen der Bundesregierung bundesweit gesendet werden.
(7) Auch für die privatwirtschaftlich organisierten Rundfunkveranstalter ist eine Verlautbarungspflicht einzuführen.

Auch der Zivilschutz ist hier entsprechend in das Kriegsgeschehen einbezogen:

„Die Erfüllung …humanitäre(r) Aufgabe ist notwendig, da eine Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und Gefährdungssituationen denkbar sind, bei denen ein Zivilschutz sinnvoll ist.“

Ihre Sprache verrät die Manipulation: Im Krieg lässt sich nicht ausschließen, dass Menschen zu Schaden kommen. Deshalb schreibt Absatz 20.2.2 vor: „Nur in Gebieten, in denen im Verlauf der Kampfhandlungen erkennbar unmittelbare Gefahren drohen, ist die Zivilbevölkerung besonders zu warnen.“

Nun finden all diese Planungen für einen Krieg ihre Weiterentwicklung im sogenannten „Operationsplan Deutschland“:

In der sicherheitspolitischen Neuausrichtung ist klar: Deutschland und seine Bevölkerung müssen wehrhafter … werden, um gegen Bedrohungen und Aggressoren gewappnet zu sein. Diese Herausforderungen … müssen gesamtstaatlich und gesamtgesellschaftlich gemeistert werden … . Mit diesem Ziel entwickeln Expertinnen und Experten aus allen Bereichen der Bundeswehr in einer gemeinsamen Planungsgruppe aus Bund, Ländern und Kommunen, den sogenannten Blaulichtorganisationen und der Wirtschaft den militärischen Anteil einer gesamtstaatlichen Verteidigungsplanung, den „Operationsplan Deutschland“ (OPLAN DEU).

Die Bundeswehr erklärt dazu:

Auf der Bundesebene sind das Bundesministerium des Innern und für Heimat und das Bundesministerium der Verteidigung die Schlüsselressorts für die Umsetzung einer wirksamen Gesamtverteidigung. Seit Anfang März 2023 wird im TerrFüKdoBw der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEUEuropäische Union) entwickelt. Expertinnen und Experten sowie militärische Planerinnen und Planer aus allen Teilen und Bereichen der Bundeswehr arbeiten hier in einer gemeinsamen Planungsgruppe zusammen.“

Es geht hierbei um das koordinierte Vorgehen der NATO, eines sogenannten „Territorialen Führungskommandos“, des Bundes, der Länder und ziviler Akteure.

In Europa stehen circa 50 Atomkraftwerke und viele weitere Atomanlagen. Alleine schon diese Anlagen zwingen zu einer Daseinsvorsorge, die sich mit Krieg nicht vereinbaren lässt.

Dies macht deutlich, dass es nur dann eine Zukunft für das menschliche Leben in diesem Erdteil gibt, wenn sie eine friedliche wird.

Titelbild: Kong Vector / Shutterstock


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