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Titel: Sind die NachDenkSeiten jugendgefährdend?

Datum: 7. Mai 2024 um 11:09 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien, Strategien der Meinungsmache
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Staatliche Zensur und private Filtermaßnahmen zur Kontrolle des Informationsflusses im Internet sind große Probleme für die Informations- und Meinungsfreiheit. Besonders problematisch ist es, wenn die Filterung unsichtbar im Hintergrund geschieht, politisch motiviert ist und dem Nutzer nicht einmal klar ist, dass, geschweige denn warum, ihm bestimmte Internetangebote vorenthalten werden. Ein aktueller Fall dieser unsichtbaren politischen Filterung wurde uns von einem unserer Leser mitgeteilt. Im konkreten Fall geht es um einen freien Werbe- und Trackingblocker, dessen Filterlisten von Freiwilligen gepflegt werden. Seit dem letzten Update einer in Deutschland offenbar weitverbreiteten Filterliste finden sich dort die NachDenkSeiten auf der Liste jugendgefährdender Inhalte und können von Nutzern, die den Jugendschutz aktiviert haben, nicht mehr aufgerufen werden. Ein klarer Fall von politischer Filterung durch die Hintertür des Jugendschutzes. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Es ist verständlich, dass viele erfahrenere Internetnutzer sich ungern von Dritten ausspionieren lassen wollen und keine Lust auf unerwünschte, nervige Werbung haben. Wer die dafür nötigen Computer- und Netzwerkkenntnisse hat, kann sich davor mit einem Tracking- und Werbeblocker schützen. Ein solches Programm ist das freie Pi-hole, das auf Kleinstcomputern der Raspberry-Pi-Serie läuft, die man ins heimische Netzwerk integriert, von wo aus sie den Internetverkehr aller im Netzwerk befindlichen Rechner und Smartphones filtern. Die Technik als solche ist sicher sinnvoll. Leider gibt es dabei jedoch das Problem, dass solche Techniken nur dann funktionieren, wenn die dafür nötigen Filterlisten, also die Schwarzen Listen mit unerwünschten Internetadressen, regelmäßig gepflegt werden. Für Pi-hole erledigen verschiedene Communities von Freiwilligen diese Aufgabe. In Deutschland recht verbreitet ist dafür die RPiList. Auch der Leser, der uns auf das Problem aufmerksam gemacht hat, ist ein Nutzer dieser RPiList.

Die Filterlisten von RPiList

Was ist geschehen? Eine der Listen, die von RPiList gepflegt wird, ist die sogenannte „Child-Protection“-Liste – eine sehr lange Liste von Internetadressen, die jugendgefährdende Inhalte anbieten, vor denen die Eltern ihren Nachwuchs lieber fernhalten wollen. So weit, so gut. Doch seit dem letzten Update dieser Liste tauchen dort neben anderen alternativen Medien auch die NachDenkSeiten auf. Sind die NachDenkSeiten etwa jugendgefährdend? Diese Einordnung wäre dann doch überraschend.

Auszug aus der Child-Protection-Liste von RPiList

Wie sind die NachDenkSeiten dann auf dieser Liste gelandet? Die RPiList-Community gibt in einer Art FAQ Auskunft über die Herkunft der Daten. So werden die allermeisten Einträge von anderen – meist internationalen – Filterlisten übernommen. Überflüssig zu erwähnen, dass dort die NachDenkSeiten nicht auftauchen. Am Ende der FAQs steht jedoch noch der Hinweis, dass Einträge auch durch „viele Einsendung per eMail“ kommen. Ob das so stimmt, ist offen.

Wenn man sich Diskussionen der Community so anschaut, sieht es vielmehr so aus, als seien die Verantwortlichen von einer politischen Agenda getrieben. So hat RPiList im Sommer 2023 eine zusätzliche Filterliste mit dem Namen „Supporting Russia“ aufgesetzt, mit der die Internetadressen von Firmen blockiert werden, die Geschäfte mit Russland machen. Dazu kann man stehen, wie man will, da diese Liste zumindest mit offenen Karten spielt und jeder Nutzer selbst entscheiden kann, ob er sie nutzen will oder nicht.

Bei der „Child-Protection“-Liste ist dies jedoch anders. Wer rechnet schon damit, dass sich auf dieser Liste Einträge von Medien befinden, deren Angebot offenbar den RPi-List-Verantwortlichen nicht gefällt? Das ist politische Filterung durch die Hintertür und eine Bevormundung der Nutzer. Man will die politische Debatte im eigenen Sinne steuern und nicht genehme Informationen blockieren. Das widerspricht dem Gedanken der Informationsfreiheit, der eigentlich gerade bei Machern freier Software ja sehr populär ist, diametral.

Natürlich steht es den Machern und den Nutzern von RPi-List frei, nach dem Motto der drei Affen lieber nichts, das nicht in das eigene Weltbild passt, zu sehen, zu hören und zu sagen. Aber dann sollte man mit offenen Karten spielen und politisch unerwünschte Inhalte nicht unter dem falschen Deckmantel des Jugendschutzes, sondern offen als „nicht meiner Meinung entsprechend“ deklarieren. Dann könnte jeder Nutzer selbst entscheiden, ob auch er Inhalte gefiltert haben will, die nicht der Meinung der RPi-List-Verantwortlichen entsprechen.

Wer die NachDenkSeiten schon sehr lange verfolgt, wird hier vielleicht ein Déjà-vu haben. 2009 gab es schon mal einen solchen Fall. Damals tauchten die NachDenkSeiten und andere alternative Medien unerklärlicherweise im Jugendschutzfilter JusProg auf. Ich berichtete damals noch für Telepolis davon und führte ein Interview mit dem JusProg-Chef. JusProg gibt es zwar immer noch, aber mittlerweile hat die staatliche Kommission für Jugendmedienschutz diesem Programm die Zulassung entzogen. Vergleichbar sind die beiden Fälle aber nur indirekt. Waren bei JusProg vor allem wild gewordene Algorithmen für das Overblocking verantwortlich, steht bei RPi-List ganz offensichtlich eine politische Agenda hinter der Filterung politisch nicht genehmer Internetseiten. So haben sich die Zeiten geändert.


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