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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Weltweiter Ansehensverlust der deutschen Diplomatie und die Vogel-Strauß-Taktik des Auswärtigen Amts
Datum: 1. Mai 2024 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Florian Warweg
Egal, ob man sich mit Journalisten und Diplomaten aus der Nahost-Region, Lateinamerika oder Afrika unterhält – alle berichten von einem massiven Vertrauens- und Ansehensverlust der deutschen Außenpolitik durch die einseitige politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung für Israels völkerrechtswidriges Vorgehen im Gazastreifen. Selbst die Tagesschau zitiert in einem kürzlich erschienenen Beitrag unter dem Titel „Verspieltes Vertrauen in der arabischen Welt“ deutsche Diplomaten mit der Aussage, „ob man in Berlin eigentlich ahne, wie nachhaltig der Schaden sei, den man mit der scheinbar uneingeschränkten Unterstützung für Israel anrichte“. Doch von den NachDenkSeiten zu diesem aus diversen Quellen bestätigten Ansehensverlust Deutschlands befragt, reagierte der AA-Sprecher mit Durchhalteparolen und erklärte, er würde davon nichts merken, man hätte weiterhin einen „sehr engen Austausch und enges Vertrauensverhältnis“ zu den Partnern in der Region. Von Florian Warweg.
Frage Towfigh Nia (freier Journalist)
(zum Nahostkonflikt) Herr Wagner, eine Frage zu Gaza: Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk hat eine internationale Untersuchung bezüglich der Massengräber und der Zerstörung der zwei Krankenhäuser, wo Hunderte von Leichen gefunden worden sind, unter ihnen auch Frauen und Kinder, angeordnet. Wie steht die Bundesregierung dazu?
Im selben Kontext auch: Amnesty International Deutschland hat die deutsche Regierung kritisiert, weil sie zu den Kriegsverbrechen in Gaza schweigt, und ihr auch Doppelmoral vorgeworfen. Gibt es dazu eine Stellungnahme?
Wagner (AA)
Herr Towfigh Nia, zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Wir kennen die Medienberichte. Die sind erschütternd. Insofern muss das natürlich vollständig aufgeklärt werden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ehrlich gesagt tue ich mich schwer, das jetzt hier zu kommentieren. Sie kennen unsere Haltung zu dem Konflikt in Gaza; die haben wir hier hinlänglich immer wieder ausgeführt. Insofern möchte ich mich jetzt zu diesem spezifischen Vorwurf einer NGO nicht einlassen. Ich glaube, es ist sehr klar, wie die Bundesregierung zu dem Konflikt steht. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass es eine Freilassung der Geiseln durch die Hamas braucht und dass es eine Einstellung des Terrors durch die Hamas gegen Israel braucht, dass gleichzeitig aber eben auch die humanitäre Lage in Gaza höchst dramatisch ist und dringend verbessert werden muss. Da steht natürlich erst einmal vor allen Dingen die israelische Regierung in der Pflicht.
Zusatzfrage Towfigh Nia
Unterstützen Sie eine internationale Untersuchung oder eine Untersuchung, die die israelische Regierung machen sollte?
Wagner (AA)
Na ja, das muss aufgeklärt werden. Natürlich sind da auch israelische Stellen, die ja in Gaza agieren und dort eine Militäroperation durchführen, mit in der Pflicht.
Frage Warweg
Der Kollege hat ja schon die Stellungnahme von Amnesty International angesprochen. Egal, ob man mit Diplomaten oder Journalisten aus Nahost spricht, und egal, welcher politischen Couleur sie sind: Alle berichten von einem wirklich erdrutschartigen Verlust an Glaubwürdigkeit der deutschen Diplomatie in der Region aufgrund der sehr einseitigen Haltung der Bundesregierung in dieser Causa. Es gibt auch Berichte, dass sehr bekannte, eigentlich prowestliche Menschenrechtsaktivisten etwa den Kontakt mit der deutschen Botschaft in Kairo abgebrochen haben. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren: Könnten Sie einmal kurz skizzieren, was Sie dazu an Drahtinformationen aus den Botschaften in Nahost bekommen? Bestätigt sich auch aus Ihrer Sicht dieser dramatische Ansehensverlust der deutschen Diplomatie in Nahost?
Wagner (AA)
Herr Warweg, ich würde mir da Ihre Analyse und Ihre Sichtweise keinesfalls zu eigen machen. Es ist doch vollkommen klar, dass der Konflikt in Gaza hochgradig polarisiert und dass auch sehr emotional aus unterschiedlichen Ecken darauf geschaut wird. Aber wenn ich die Gespräche wahrnehme, die wir mit unseren Partnern, vor allen Dingen auch arabischen Partnern in der Region führen, dann nehme ich da einen sehr engen Austausch und ein enges Vertrauensverhältnis wahr. Wir tun ja wirklich fast Tag und Nacht, hätte ich jetzt beinahe gesagt, aber intensiv im Grunde jeden Tag alles dafür, dass wir zum einen, wie ich eben schon geschildert habe, das Leid in Gaza lindern, zum anderen aber auch die Perspektive auf eine politische Lösung dieses Konfliktes offenhalten und wieder zu der Perspektive einer Zweistaatenlösung hinkommen. Da sind natürlich unsere Kontakte zu essenziellen Partnern in der Region und vor allen Dingen auch den arabischen Nachbarn Israels ganz wichtig. Ich nehme da einen sehr engen und vertrauensvollen Austausch wahr. Ich kann hier jetzt natürlich nur für das Auswärtige Amt und für die Außenministerin sprechen.
Zusatzfrage Warweg
Das habe jetzt nicht nur ich gesagt, sondern es gab ja sogar entsprechende Berichte in der Tagesschau. Aber das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, sind diese Berichte, dass zahlreiche langjährige Partner sowohl deutscher Auslandsstiftungen als auch des Auswärtigen Amtes selbst massiv den Kontakt abgebrochen haben, so nicht richtig?
Wagner (AA)
Herr Warweg, Sie haben mich nach unseren diplomatischen Kontakten in der Region gefragt. Dazu kann ich nur berichten, dass diese gut und vertrauensvoll sind und wir in einem ständigen Gespräch und einer ständigen Reisediplomatie sind, um die Ziele zu erreichen, die wir uns in unserer Außenpolitik setzen. Es ist aber, wie ich gesagt habe, auch so, dass auf diesen Konflikt sehr emotional geschaut wird. Dazu braucht man manchmal nur in diesen Saal zu schauen, aber auch auf die Diskussion in der deutschen Gesellschaft, und das ist ja auch normal. Das ist ja ein Konflikt, den sich in dieser Form niemand gewünscht hat, der von einem brutalen Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober mit über 1.000 Toten in Israel ausging und der mittlerweile in Gaza eine Situation herbeigeführt hat, in der schon viel zu viele Menschen ums Leben gekommen sind und das Leid und der Hunger enorm sind. Dass das Emotionen hervorruft und dass emotional darauf geschaut wird, ist doch vollkommen normal.
Frage Towfigh Nia
Herr Wagner, ich möchte die Frage des Kollegen noch einmal aufgreifen. Unabhängig von den diplomatischen Kontakten, die Sie haben und auch haben müssen: Sehen Sie jetzt als Nachwirkung des Gaza-Krieges, dass die Beziehungen mit der arabischen Welt beschädigt sind?
Wagner (AA)
Wir werben in der Region, aber auch darüber hinaus immer wieder dafür, dass man diesen Konflikt in seiner ganzen Komplexität sieht und sich nicht sozusagen auf einfache Antworten verlässt; denn dieser Konflikt ist einfach komplex. Es war uns über die letzten Monate ein Anliegen, immer wieder deutlich zu machen, dass man Leid nicht nur einseitig sieht, sondern dass man sowohl das Leid in Gaza als eben auch das Leid sieht, das die Geschehnisse des 7. Oktobers über Israel gebracht haben. Für diese differenzierte Sichtweise werben wir. Dass das in einer emotional geführten Debatte um einen Nahostkonflikt, der ja auch schon lange andauert, nicht immer einfach ist, ist vollkommen klar. Dem dienen unsere diplomatischen Bemühungen. Aber noch einmal: Ich kann in unseren Kontakten auf Regierungsebene und auf Ebene der Außenministerin keinen Vertrauensverlust zu unseren arabischen Partnern in der Region feststellen.
Frage Warweg
Um es ein bisschen konkreter zu machen: Beispielsweise war Deutschland über Jahrzehnte bei entsprechenden Verhandlungen ein zentraler Vermittler zwischen Hisbollah und Israel. Man hört zum Beispiel auch aus dem außenpolitischen diplomatischen Kontext, dass das gegessen ist, dass es eigentlich kaum noch Partner in Nahost gibt, die Deutschland in diesem Kontext eine Vermittlerrolle zuschreiben. Können Sie das kurz kommentieren?
Wagner (AA)
Ich weiß nicht, wer Ihre Quellen sind. Ich kann nur darüber berichten, was wir tun. Sie wissen, dass die Außenministerin nunmehr achtmal in der Region war und dass wir ständig mit unseren Partnern in der Region in Kontakt sind. Sie war ja auch im Libanon. Diese Gespräche führen wir fort. Ich werbe noch einmal dafür: Es ist ja nicht so, dass Außenpolitik ein Zauberstab ist. Wir würden uns auch wünschen, dass dieser Konflikt morgen vorbei ist. Aber das ist eben nicht so einfach. Es ist komplex. Das hält uns aber nicht davon ab, uns für unsere außenpolitischen Ziele einzusetzen. Die habe ich ja eben schon hier skizziert.
Zusatzfrage Warweg
Noch einmal: Ich würde es ganz gerne ein bisschen konkreter fassen. Können Sie mir ein Land in Nahost nennen, das Deutschland noch eine Vermittlerrolle in dem Konfliktgeschehen in Nahost zuschreibt?
Wagner (AA)
Ich liefere Ihnen gerne all die Reiseziele der letzten Monate nach und sage, wo wir überall gewesen sind. Wir sind mit allen Regierungen in der Region – mir fällt es jetzt wirklich schwer, da irgendeine zu identifizieren, mit der wir derzeit nicht in Kontakt sind – in einem vertrauensvollen, intensiven, engen Austausch. Alle unsere Bemühungen dienen dem Ziel, die Geiseln aus den Händen der Hamas freizubekommen, das Leid in Gaza zu beenden und in einen politischen Prozess zu kommen, der in einer Zweistaatenlösung endet, denn nur so werden wir diesen Konflikt nachhaltig lösen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 24. April 2024
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
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