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Titel: Bei Maischberger: Pistorius beendet mal eben die „Friedenszeit“
Datum: 26. April 2024 um 9:47 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Tobias Riegel
So stellt man sich Staatsfernsehen vor: Der Verteidigungsminister darf auf großer, von den Bürgern bezahlter TV-Bühne unwidersprochen seine militaristischen Visionen ausbreiten. Wenn die Regierung im Rundfunk verkündet, dass der Frieden nun vorbei sei, dann kann die kriegerische „Zeitenwende“ als vollzogen bezeichnet werden, zumindest sprachlich. Diese Bundesregierung wird – wenn sie uns nicht vorher in einen großen Krieg hineinzieht – einen diplomatischen Trümmerhaufen hinterlassen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Verteidigungsminister Boris Pistorius hat am Dienstag ein Interview in der Talkshow von Sandra Maischberger gegeben (ab Minute 14:55). Dabei sagte er Dinge, die man von einem Minister erwarten würde: „Wenn ich über Nationale Sicherheit rede, dann rede ich darüber, dass ich nicht darüber rede, Geheimes öffentlich zu machen.“ Er ging aber auch weit darüber hinaus:
„Wir tun immer noch so, als würden wir in Friedenszeiten leben!“
Wenn der Verteidigungsminister in einer wichtigen TV-Sendung indirekt und unwidersprochen sagt, dass wir nun in „Kriegszeiten“ leben würden, dann kann die militaristische „Zeitenwende“ eigentlich als vollzogen bezeichnet werden – zumindest sprachlich, wie auch Marcus Klöckner gestern bezüglich der Beispiele „Heimatschutz“, „Zivilverteidigung“ oder „Ostflanke“ beschrieben hat. Wichtige sprachliche Tabus sind jetzt gebrochen, nun kann durch sture Wiederholung der betreffenden kriegerischen Phrasen ein Gewöhnungseffekt hergestellt werden. Das ist ein zentraler Schritt für die Militarisierung einer Gesellschaft.
Eine Verantwortung für die von Pistorius angesprochene nationale Sicherheit würde aber das Gegenteil der momentan praktizierten Zuspitzungen bedeuten: Nationale Sicherheit bedeutet für Deutschland, dass es sich aus dem sinnlosen und unbezahlbaren Stellungskrieg in der Ukraine zurückzieht und auf einen schnellen Waffenstillstand hinarbeitet. Der Wirtschaftskrieg und die Waffenlieferungen durch die Bundesregierung bedrohen die nationale Sicherheit Deutschlands und die Interessen der Bürger hierzulande erheblich. Doch diese Bedrohung wird von der Regierung billigend in Kauf genommen, mutmaßlich vor allem, um geopolitische US-Interessen zu bedienen.
Immer wieder diese Behauptung: „Wenn Putin nicht verliert, dann macht er einfach weiter“
Maischberger fragt an einer Stelle: „Gerade haben Sie Putin mit Adolf Hitler verglichen. (…) Wenn das so ist, wie Sie sagen: ‚Das ist jemand, der den Krieg immer weiter trägt‘ – dann muss man ihn ja um jeden Preis stoppen, oder nicht?“ Später sagt Pistorius: „Ein Einfrieren würde nur Putin nutzen. Das ist die Erfahrung aller diplomatischen Lösungsansätze, die es mit ihm gegeben hat. Das wissen alle.“
Viele solche Behauptungen gehen in dieser Sendung in einer Einigkeit zwischen Politiker und Journalistin durch, dass es zum Fremdschämen ist. Nicht nur das: Es ist verantwortungslos. Diese auf allen großen Kanälen wiederholte Behauptung („Wenn Putin nicht verliert, dann macht er einfach weiter“) ist als letzte „Begründung“ für ein Eintreten gegen einen Waffenstillstand verblieben – und sie ist nicht überzeugend. Sie muss endlich von Medien streng hinterfragt und dadurch entschärft werden, im Sinne der Sicherheit der Bürger hierzulande.
Statt dessen wird der Regionalkonflikt um Krim und Donbas vorsätzlich zum globalen Stellvertreterkonflikt ausgeweitet und verlängert und in absurde historische Parallelen gestellt, die auch Maischberger angesprochen hat: Bei der Präsentation einer neuen Biografie über Winston Churchill warnte Pistorius laut Medienberichten kürzlich davor, dass Putins Aggressionen nicht stoppen würden, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei sei. „Das hat er auch klar gesagt. Genauso deutlich wie Hitler, der auch immer gesagt hat, dass er nicht aufhören würde“, so Pistorius.
Was die Bundespressekonferenz zu solchen Vergleichen und Behauptungen sagt, hat Florian Warweg in diesem Artikel beschrieben. Die Worte von Pistorius erinnern auch an einen infamen Offenen Brief zahlreicher Nobelpreisträger, die sich indirekt für eine Verlängerung des Ukrainekrieges ins Zeug legen und behaupten:
„Wir sind entschlossen, dass sich München 1938 nicht wiederholt!“
Wer bietet mehr Angstmache, die nicht hinterfragt wird?
Maischberger zitiert an einer Stelle Pistorius, wonach es in acht Jahren einen russischen Angriff auf die NATO geben könnte. Die Balten würden aber sagen, das käme schon in drei Jahren – wer bietet mehr Angstmache, die nicht hinterfragt wird? Das sei ein „Blick in die Glaskugel“, so Pistorius zutreffend, aber: Fakt sei, dass Russland aufrüste – wieviel bzw. wie wenig das im Vergleich zur NATO-Rüstung oder zur Ukraine-Rüstung ist, fällt beim Gespräch weitgehend unter den Tisch. Statista sagt dazu:
„Die USA sind seit Jahrzehnten unangefochtene Spitze der Länder mit dem größten Verteidigungsbudget. Im vergangenen Jahr (2022) gaben sie rund 812 Milliarden US-Dollar aus – mehr als doppelt so viel wie China und Russland zusammen.“
Verständigung bedeutet übrigens keine Unterwerfung. Russland darf nicht naiv unterschätzt werden, auch nicht militärisch. Aber gerade, wenn man Respekt vor der potenziellen militärischen Kraft des Landes hat, sollte sich Deutschland aus ureigenen Sicherheitsinteressen heraus darum bemühen, dass die Sicherheitsinteressen aller Beteiligten gewahrt bleiben, damit Russland keine „Begründung“ sieht, solche Interessen präventiv mit Gewalt durchzusetzen. Vor der aktuellen Situation haben seit 2014 zahlreiche Stimmen gewarnt, der Ukrainekrieg hätte leicht verhindert werden können.
Zur Wehrpflicht sagt Pistorius: „Wenn wir kriegstüchtig werden wollen“, brauchen wir eine Armee auch mit Wehrpflichtigen – als „positive“ Beispiele nennt er ausgerechnet Israel und Ukraine. Zwischenschritte zur allgemeinen Wehrpflicht will er bald ankündigen: Neben der sprachlichen „Zeitenwende“ wird auch eine praktische Wende vollzogen.
Zur Sendung selber ist angesichts dieser Ausgabe von Maischberger zu sagen: So stellt man sich Staatsfernsehen vor.
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Titelbild: Screenshot/ARD
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