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Titel: „Ich muss meinen Puls herunterfahren“ – Hitler-Vergleich von Pistorius und erfundene Putin-Zitate
Datum: 18. April 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Bundesregierung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
Verantwortlich: Florian Warweg
Am 11. April hatte SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius den russischen Präsidenten mit Adolf Hitler verglichen und erklärt, Putin würde nach dem Krieg gegen die Ukraine nicht stoppen. Europa müsse sich auf einen großangelegten russischen Angriff vorbereiten. Dies hätte der russische Präsident „auch klar gesagt, genauso deutlich wie Hitler, der auch immer gesagt hat, dass er nicht aufhören würde“. Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, was der deutsche Verteidigungsminister mit dieser Art von Vergleichen bezweckt und ob Pistorius seine Behauptung, „das hat er auch klar gesagt“, anhand von konkreten Zitaten belegen könnte. Von Florian Warweg.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Hintergrund
Im Rahmen eines Gastvortrages anlässlich der Präsentation einer neuen Biografie über den britischen Staatsmann Winston Churchill (1874-1965) verkündete der bundesdeutsche Verteidigungsminister zunächst, dass Europa sich auf einen großangelegten russischen Angriff vorbereiten müsste. Darauf aufbauend warnte Pistorius dann, dass Putins Aggressionen nicht stoppen würden, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei sei, das hätte dieser ebenso wie Hitler „klar gesagt“. Im genauen Wortlaut:
„Putin wird nicht aufhören, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei ist, das hat er klar gesagt. Genau so klar wie Hitler, der auch immer sagte, dass er nicht stoppen würde.“
Es spricht von einer ausgesprochenen Geschichtsvergessenheit, wenn ausgerechnet Pistorius als höchster Vorgesetzter aller Bundeswehrsoldaten den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Sohn einer Überlebenden der Leningrader Blockade durch die deutsche Wehrmacht, bei der eine Million Zivilisten den Hungertod starben, mit Adolf Hitler vergleicht, dem Hauptverantwortlichen für die millionenfache industrielle Ermordung von Juden, Sinti und Roma sowie den Tod von 15 Millionen sowjetischen Zivilisten im Zuge des Vernichtungskrieges der Wehrmacht beim sogenannten Russlandfeldzug ab Juni 1941.
Ebenso bezeichnend für den aktuellen Zustand der führenden politischen Klasse in Deutschland ist auch die Antwort auf die Nachfrage, ob Pistorius bzw. sein Sprecher denn bitte konkrete Zitate vorlegen könnten, um die Behauptung zu belegen, dass Putin „klar gesagt“ hätte, dass er nach der Ukraine „nicht aufhören“ würde, folglich also plane, NATO-Mitgliedsländer anzugreifen.
Eine völlig legitime journalistische Frage nach der konkreten Quelle eines angeblichen Zitats – zudem mit den geopolitischen Implikationen, die so eine Aussage, wenn sie denn tatsächlich getätigt wurde, nach sich ziehen könnte – wird dann vom Verteidigungsministerium wie im Video gesehen in dieser Form beantwortet:
„Ich muss meinen Puls gerade herunterfahren. Wenn die Geschichte seit 2007 nicht Beleg genug für die Aussagen des Ministers ist, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.“
Man echauffiert sich also zunächst über eine Frage nach Quellenbeleg für eine Aussage des Ministers und erklärt dann, da es offensichtlich keinen belastbaren Beleg gibt, „die Geschichte seit 2007“ wäre „Beleg genug“. Was ist 2007 geschehen? Wieso verweist der Sprecher des Verteidigungsministeriums ausgerechnet auf dieses Datum?
Am 9. Februar 2007 hielt Putin eine vielbeachtete Rede auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz. Es war das erste Mal, dass ein russischer Staatschef zum jährlichen Rendezvous von Politik, Militär und Rüstungsindustrie der NATO-Staaten eingeladen worden war. Damals 2007 in München kritisierte Putin namentlich die Ost-Erweiterung der NATO und die US-Pläne zur Raketenstationierung unweit der russischen Grenzen. „Wir erleben mehr und mehr Abneigung gegen die Grundprinzipien des Völkerrechts“, erklärte der russische Staatschef und weiter:
„Und Rechtsnormen, die unabhängig sein sollten, nähern sich in Wirklichkeit zunehmend dem Rechtssystem eines einzelnen Staates an. Ein Staat – und dabei spreche ich natürlich zunächst und vor allem von den Vereinigten Staaten – hat seine nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten. Das zeigen die wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und Bildungs-Standards, die sie anderen Nationen aufnötigen. Wem gefällt das? Wer ist glücklich darüber?“
Putin schloss mit einem Appell, man müsse „sehr ernst über die Architektur der globalen Sicherheit nachdenken und nach einer vernünftigen Balance zwischen den Interessen aller Teilnehmer des internationalen Dialogs suchen“.
Und der Verweis auf 2007 und diese Rede soll jetzt ernsthaft als Beleg für Pistorius’ Behauptung „Putin wird nicht aufhören …“ herhalten? Wir leben in wilden Zeiten …
Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 17. April 2024
Frage Warweg
Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius hat am 11. April den russischen Präsidenten explizit mit Adolf Hitler verglichen. Jetzt war Adolf Hitler – das wird der Minister auch wissen – einer der Hauptverantwortlichen für die millionenfache industrielle Tötung von Juden und Sinti und Roma, ebenso für den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit mehr als 15 Millionen sowjetischen Zivilisten, die dem zum Opfer fielen. Da würde mich interessieren: Könnten Sie kurz darlegen, was der Minister mit dieser Art von Vergleich am Rande einer Shoah-Relativierung bezweckt hat?
Collatz (BMVg)
Diesen Vorwurf und diese Unterstellung weise ich auf das Schärfste zurück. Sicherlich gibt es viele Aspekte, die man in historischen Vergleichen wählen kann. Der Minister hat sich hier geäußert, um deutlich zu machen, dass eine Position der Schwäche Putin nicht zur Umkehr bewegen wird, und da gibt es Parallelen.
Zusatzfrage Warweg
Pistorius hat in diesem Zusammenhang erklärt, Putin werde nicht aufhören, wenn der Krieg gegen die Ukraine vorbei ist – das hat er klar gesagt. Jetzt habe ich recht intensiv recherchiert, bin aber auf keinerlei Beleg für die Aussage des Ministers gestoßen. Könnten Sie mir da vielleicht aushelfen und die konkreten Zitate, auf die er sich da bezog, nennen?
Collatz (BMVg)
Ich muss meinen Puls gerade herunterfahren. – Wenn die Geschichte seit 2007 nicht Beleg genug für die Aussagen des Ministers ist, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 17.04.2024
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