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Titel: Gute Opfer, schlechte Opfer

Datum: 16. April 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
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Im SPIEGEL war gestern Nachmittag die siebenjährige Amina die Top-Nachricht. Amina wurde während des iranischen Raketenangriffs von den herabfallenden Trümmern einer abgefangenen Rakete schwer verletzt. Sie lebt im Süden Israels. Das ist tragisch und traurig. Aber wie viele kleine Aminas sind doch gleich in den letzten Monaten im Gazastreifen zerstückelt oder erschlagen worden, verbrannt oder verhungert? Laut den Vereinten Nationen sind es mehr als 13.800. Kriegt zumindest eine dieser tausenden palästinensischen Aminas auch eine Titelstory im SPIEGEL? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Um nicht falsch verstanden zu werden – jedes Opfer eines kriegerischen Konflikts ist ein Opfer zu viel und selbstverständlich berührt mich auch das Schicksal der kleinen Amina. Und es ist per se auch nicht zu kritisieren, dass der SPIEGEL – unter Berufung auf Recherchen der New York Times – das Mädchen in einer emotionalen Geschichte als „fröhliche […] gute Schülerin“ beschreibt, die es „liebe, zu zeichnen, und gerne lache“.

Auch viele der 625.000 Kinder in Gaza, die nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Oktober nicht mehr in eine Schule gehen können, waren sicher gute Schüler, die es liebten, zu zeichnen, und gerne lachten. Die Schulen in Gaza sind seit sechs Monaten geschlossen und in vielen werden wohl nie wieder Kinder unterrichtet werden können. Laut „Education Cluster“ sind mittlerweile 87,7 Prozent der Schulen in Gaza zerstört oder schwer beschädigt – 212 Schulen wurden demnach übrigens direkt – also gezielt – zerstört.

Alle 15 Minuten wird in Gaza ein Kind durch israelische Bomben getötet. Alle 15 Minuten! Anfang April waren es 13.800. Weitere rund 12.000 Kinder wurden teils schwer verletzt – so wie die kleine Amina. Mehr als 1.000 Kinder haben seit Oktober durch die israelischen Angriffe ein oder beide Beine verloren. Noch keines dieser 26.000 Kinder hat es geschafft, im SPIEGEL betrauert zu werden.

Bereits im November warnte der UN-Generalsektretär Guterres, dass „Gaza zum Friedhof der Kinder werde“. Er sollte recht behalten. Doch in Deutschland scheint dies niemanden so recht zu interessieren. Über Amina Muhammad Salem Al Nabih gab es in den deutschen Medien keine Geschichte. Diese Amina war zwei Jahre alt und gehört zu den mehr als 1.000 getöteten Kindern, die ein Projekt des arabischen Senders Al Jazeera namentlich auf einer öffentlichen Kondolenzliste aufführt. Wäre diese Amina auf der anderen Seite der Grenzzauns gestorben, wäre ihr das Mitleid der deutschen Medien wohl sicher. Aber so?

„Dieser Krieg ist ein Krieg gegen Kinder. Er ist ein Krieg gegen ihre Kindheit und ihre Zukunft“, sagt UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini. In den ersten vier Monaten der israelischen Bombardierungen sind in Gaza mehr Kinder gestorben als in sämtlichen militärischen Konflikten der letzten vier Jahre zusammengenommen. Auf eine Talkshow zu diesem Thema werden wir wohl vergeblich warten können.

Zynisch könnte man sagen: Es gibt gute Opfer und schlechte Opfer. Wer gut und wer schlecht ist, wird dabei durch die Nationalität, die Religion und die Hautfarbe bestimmt. Für die fünf Millionen Toten des Bürgerkriegs im Kongo gab es im Bundestag keine Schweigeminute und sie schafften es auch in kein nennenswertes Talkformat. Aber warum sollte man auch um Kongolesen trauern? Der Kongo ist weit weg und hätte Gott gewollt, dass dort Frieden herrscht, hätte er doch die wertvollen Bodenschätze, die wir für unsere Smartphones und Computer brauchen, woanders verteilt. Drei Millionen Vertriebene im Sudan? Der Krieg im Jemen? Abgeschlachtete Palästinenser und Kurden? Uninteressant. Aber wehe, eine russische Bombe trifft ein ukrainisches Plumpsklo oder ein Israeli wird Opfer des Krieges, den sein eigenes Land auf grausame Art und Weise eskaliert. Das ist – um es Punkt zu bringen – Rassismus in Reinkultur.

Titelbild: Anas-Mohammed/shutterstock.com

P.S.: Dass es auch hierzulande durchaus kritische Geister gibt, die da anders denken, zeigt Dieter Hallervorden, der sich in seinem zusammen mit Diether Dehm geschriebenen Gedicht „GAZA GAZA“ unter musikalischer Begleitung von Jens Fischer Rodrian seine Gedanken macht. Bitte teilen Sie dieses Video, dass es möglichst viele Menschen zu sehen bekommen.


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