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Titel: Immer weiter, immer weiter: Deutschlandfunk jubelt über Vorkommando für ersten Kampfverband an unserer Ostflanke
Datum: 10. April 2024 um 9:05 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Aufrüstung, Medienkritik
Verantwortlich: Redaktion
So sieht das in Sachen Gewichtung beim Deutschlandfunk (DLF) im Jahr 2024 aus: Der Abflug eines Bundeswehrvorkommandos gen Litauen ist zur ersten Nachricht für die Zuhörer auserkoren worden. Im Tonfall wird das Publikum geradezu mitgerissen von der mit schmeichlerischer Sachlichkeit verhüllten Begeisterung der Redaktion, die wie auch unser Verteidigungsminister den Aufbau eines Kampfverbandes wohl sehr in Ordnung finden muss – denn sie verzichtet auf jedweden Einspruch. Über die Ostflankenbegeisterung machen sich derweil einfache Leute so ihre Gedanken und Sorgen, während ein weiterer Kriegstreiber vom Familienglück in Litauen schwärmt. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Es ist Nachmittag, das Radio läuft (unser staatsferner, öffentlich-rechtlicher Deutschlandfunk), die Nachrichten werden verlesen. Schon lange bleibt einem die Spucke nicht mehr weg, hat man sich an die Art der Nachrichtenauswahl und deren Präsentation doch schon beinah „gewöhnt“. Sehr wichtige, gewichtige Infos werden vermittelt, so die aktuelle, dass zur Verstärkung der östlichen Außengrenze ein Vorkommando von rund 20 Bundeswehrsoldaten gen Osten verlegt worden ist. Diese Verlegung sei ein Beweis der deutschen Zuverlässigkeit und ein wichtiger Schritt, ist zu hören. Politische Bildung à la DLF. Und ja, das gehört auch dazu: Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik werde ein derartiger Kampfverband außerhalb Deutschlands stationiert. Der DLF hört sich an, als sei der Ernstfall schon eingetreten. Mindestens einen Ernstfall muss man den Zustand des Senders (und nicht nur dieses Senders) nennen, der seiner Aufgabe eines ausgewogenen Rundfunks nicht nachkommt. Die Nachricht zu Litauen hört sich zunächst nicht weiter spektakulär an, sie ist dennoch eine von vielen kleinen Mosaiksteinchen eines Bildes, das in Gänze und kritisch betrachtet eine Bedrohung offenbart, statt Sicherheit zu vermitteln.
Wo bleibt der Einspruch?
Die Nachricht über das Vorkommando, den staatstragend gespielten Jubel der Minister in Deutschland und Litauen folgt seitens des DLF KEINE Ergänzung, dem DLF-Einerseits kein Andererseits. Dieses wichtige und vervollständigende Andererseits müsste so lauten, dass im Parlament wie in der Gesellschaft nicht wenige Menschen gegen Verstärkungen von Ostflanken, ja überhaupt gegen irgendwelche Flanken sind, gegen Truppenbewegungen, Aufrüstung, Konfrontation. Warum macht sich die Nachrichtenredaktion nicht die Mühe, sich kundig zu machen, Fragen zu stellen? Warum winken DLF und Co. den Jubel, die Truppenverlegung durch?
Stattdessen wird von einem großen Tag der Bundeswehr erzählt
Auf der DLF-Internetseite liest sich der aktualisierte und ausführlichere Redaktionsbeitrag ebenfalls wie ein Freudensprung statt wie ein ausgewogener Beitrag, in dem das Andererseits vorkommt:
Bundesverteidigungsminister Pistorius sprach bei der Verabschiedung des 21 Männer und Frauen zählenden Vorkommandos von einem bedeutenden Schritt für die Verteidigungsfähigkeit der NATO und einem wichtigen Tag für die Bundeswehr. Erstmals werde ein solcher Kampfverband außerhalb von Deutschland stationiert.
Das Vorkommando wurde in Vilnius vom litauischen Verteidigungsminister Kasciunas begrüßt. Er sagte, die Stationierung sei ein Beweis der deutschen Zuverlässigkeit. Die Regierung Litauens werde alles unternehmen, um die nötige Infrastruktur innerhalb der vorgegebenen Zeit zu errichten.
Angesichts der Bedrohung durch Russland hatte die Bundesregierung zugesagt, einen gefechtsbereiten Kampfverband nach Litauen zu verlegen. Die Brigade soll bis 2027 einsatzfähig sein. Vorgesehen ist eine dauerhafte Präsenz von bis zu 5.000 Soldaten und zivilen Bundeswehrangehörigen. Dem Vorkommando gehören Spezialisten aus verschiedenen Bereichen wie Logistik, IT oder Infrastruktur an.
(Quelle: Deutschlandfunk)
Ein General kommt beim DLF zu Wort, die Opposition nicht
Es wird in der Natur eines Militärs liegen, dass er selbst in Friedenszeiten auf Bedrohungen eingestellt ist. Klar ist auch, dass ein General gern Nägel mit Köpfen macht und sich über Stationierungen seiner aktiven Soldaten freut. Und weiter und weiter mischt unser Staatsfunk zustimmend mit.
Generalleutnant Mais: „Bedrohungsgefühl der östlichen NATO-Partner ist gewachsen“
Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr, Generalleutnant Mais, hat die dauerhafte Stationierung einer Brigade in Litauen verteidigt. Deutschland und die NATO müssten auf die russische Aggressionsrhetorik reagieren, sagte Mais im Deutschlandfunk. Das Bedrohungsgefühl der östlichen NATO-Partner sei durch den Angriff Russlands auf die Ukraine deutlich gewachsen.
Man dürfe die derzeitige Lage nicht unterschätzen. Die Bundeswehr begann gestern mit der Verlegung von Soldaten für die Brigade in Litauen. Die Einheit soll bis 2027 einsatzfähig sein. Vorgesehen ist eine dauerhafte Präsenz von bis zu 5.000 Soldaten und zivilen Bundeswehrangehörigen. Generalleutnant Mais wies auch auf den zusätzlichen Bedarf an Material und Personal hin.
Bundesverteidigungsminister Pistorius regte angesichts der Debatte über die Finanzierung der Sicherheit eine Ausnahme der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse an. Neben Landesverteidigung sei dies auch der Zivil- und Katastrophenschutz, sagte Pistorius im ZDF. Insbesondere aus der FDP kommen bislang jedoch ablehnende Stimmen.
(Quelle: Deutschlandfunk)
Auch andere Mikrofone und Kameras sind auf den Generalleutnant gerichtet
Der Inspekteur des Heeres Generalleutnant Alfons Mais durfte am Montag neben dem Rundfunk auch im Fernsehen, so im ARD-„Morgenmagazin“, von einem „ganz wichtigen Signal, dass Deutschland seiner Verantwortung gerecht wird“ sprechen. Wer kann da widersprechen, wenn der Militär betont, dass es um die Erfüllung von Bündnisverpflichtungen, den Schutz der Nato-Partner an der Ostflanke und um die Verteidigung von Frieden und Freiheit gehe? Folglich muss der Start für die Brigade auch ein „herausragendes Ereignis“ sein.
Das Publikum, also wir, die Bürger des Landes, beobachten enorme Tüchtigkeit. Da erstellt die Bundeswehr einen neuen Operationsplan für Deutschland. Dort beklagen Innenpolitiker große Lücken im Zivilschutz und sinnieren über Wehrpflicht und Wehrkundeunterricht. Es gehe schlicht um die Vorbereitung für den Ernstfall. Unsere gewichtigen, besorgten Transatlantiker wüten, SPD-Mann Gabriel, FDP-Mann Linke, CDU-Mann Kiesewetter sind sich parteiübergreifend einig. Immer weiter, immer weiter. Gabriel preschte jüngst sogar vor, ich erinnere mich an eine Aussage: Man müsse an der Ostflanke der NATO die Verteidigungsfähigkeit unter Beweis stellen, so Gabriel. OSTFLANKE.
Einst flüchtete die eigene Verwandtschaft, die jetzt die Militaristen verachtet
In Familien mit mehreren Generationen begibt es sich von Zeit zu Zeit, dass gerade die Alten ihre Geschichten erzählen. Besonders die aus dem Weltkrieg sind beeindruckend und mahnend. Bei meinen Verwandten höre ich viele dramatische Episoden und schlimme Erfahrungsbeschreibungen über Flucht, Verwundung, auch über den Tod. Hören meine alten Herrschaften neuerdings das Wort „Ostflanke“, fühlt sich das für sie an, als säßen sie wieder wie einst im Krieg vor einem kleinen Radio, um den Erfolgsmeldungen in all der Zerstörung zu lauschen und zu bangen und zu hoffen und zu fragen: Wann ist dieser Wahnsinn vorbei? Meine Verwandten fragen heute: Mensch, warum handeln diese Generäle und Minister nicht nach der Losung „Nie wieder Krieg!“ – und zwar richtig: deeskalierend, abrüstend, verständigend? Warum tönen viele Meldungen des Deutschlandfunks so, dass man nicht beruhigt ist, außer man gehört zur begeisterten und nutznießenden Gefolgschaft des ganzen Treibens (die es ja empörenderweise auch und zunehmend gibt)?
Der Blick auf die Landkarte, auf die „östlichen Gebiete“, erzeugt Wehmut – ja, es ist die alte Heimat. Vor ein paar Monaten weilten wir zusammen in Allenstein (Olsztyn/Polen). Ein paar Kilometer weiter, und wir wären im russischen Kaliningrad (Königsberg) angekommen. Eine weitere Frage wurde gestellt: Warum sollen die Menschen auf der einen Seite den Menschen auf der anderen Seite feindlich gegenüberstehen? In Allenstein fühlten wir uns wohl, wir erlebten eine aufstrebende Stadt, lebensfrohe Bürger und keine feindselige Stimmung. Melancholie kam auf, wir kauften Bücher und einen wundervollen Kalender historischer Bilder von Allenstein. Die Sensation war schließlich: Ein Chronist, der in der Fußgängerzone deutsche Besucher unterhielt, fand in einer Chronik tatsächlich die Adresse samt Standort der einstigen Wohnung meiner Verwandten. Wir machten uns auf den Weg und standen in einer neuen Straße, die sich meine Lieben dann für Momente zurückträumten in Anblick und mit Erlebnissen aus der Kindheit. Noch lange nach unserer Rückkehr nach Deutschland schwärmten wir von unserem Besuch.
In unseren Medien schwärmen die Militaristen vom Leben ihrer Soldaten im Baltikum
Während wir also in unsere Heimat zurückgekehrt sind, nimmt eine gigantische militärische Operation Fahrt auf, die bisher, so schwärmen die Initiatoren und Organisatoren, einmalig für die Bundesrepublik sei. Man fabuliert von der „Zielgröße für die Brigade“: 4.800 Soldaten sowie rund 200 zivile Bundeswehrangehörige und weitere Beschäftigte. Deren DAUERHAFTE Stationierung in Litauen sei ein „Präzedenzfall in der Geschichte der Bundeswehr“.
Schon 2023 wurde einem der Einheizer der Eskalation, Roderich Kiesewetter (CDU), ausführlich Gelegenheit geboten, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk über die beruflichen Chancen und Möglichkeiten gar für die ganze Familie in Litauen ins Schwärmen zu geraten. Man erinnere sich, Roderich ist der, der den Krieg nach Russland tragen will und dabei auch schon mal über das „Abschneiden der Versorgungswege nach Kaliningrad (Russland)“ fabulierte.
Dieser CDU-Mann fand bei MDR-Aktuell begeisterte (unwidersprochene) Worte auf die Frage, warum es für Familien (von Bundeswehrsoldaten) attraktiv sei, nach Litauen zu gehen. Kiesewetter lobte Litauen, es sei eines der modernsten Länder der EU. Digital sei Litauen, viel moderner als Deutschland, sogar das Bildungssystem sei besser. Die Landschaft ist attraktiv, die Ostsee nah, die Natur belassen und der Staat ein ökologisch ausgerichteter. Also nix wie hin zur Ostflanke. (Quelle: MDR)
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