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Titel: In einem Streitgespräch mit dem Leipziger Pfarrer Christian Führer mit Hans-Werner Sinn belegt der Münchner Ifo-Chef einmal mehr seine radikale menschenverachtende Ökonomik
Datum: 2. April 2006 um 10:58 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Ideologiekritik, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Das evangelische Magazin „chrismon“ 03/2006 druckte ein Streitgespräch zwischen dem Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig und „Deutschlands bestem Professor“ (BILD) ab. Sinn vertrat dabei sein bekanntes radikal ökonomistisches Weltbild: „Marktwirtschaft funktioniert mit dem Menschen so, wie er ist: ein egoistisches profitsüchtiges Individuum, das seinen Konsum maximieren will.“ Der in der Tradition der deutschen Sozialökonomik stehende Bielefelder Wirtschaftswissenschaftler Siegfried Katterle, hält Sinn in einem Leserbrief vor, dass er mit seinen marktradikalen Positionen selbst hinter die Erkenntnisse der Klassiker der liberalen Ökonomie zurückfällt.
Lesen Sie am besten das Streitgespräch Führer/Sinn in „chrismon“, wo Sie Sinns Bild einer „Marktwirtschaft“ finden, die mit Ethik oder einem humanen Menschenbild nichts mehr zu tun hat, z.B.:
Leserbrief von Professor Siegfried Katterle zu „Löhne senken, Arbeit teilen? Was ist möglich, was ist gerecht?“,
chrismon 03/2006
Zu Beginn des Streitgesprächs stimmt Hans-Werner Sinn dem Urteil Christian Führers zu, extreme Einkommensspreizungen, wie wir sie heute zwischen Managern und Beschäftigten beobachten, seien „ohne Zweifel“ ungerecht. Weil aber die extrem hohen Mangereinkommen im Markt entstehen, erklärt Sinn sie als „effizient“; die Marktwirtschaft sei „nicht gerecht, sondern effizient.“ Dann fragt Sinn verharmlosend: „Was stört Sie daran, wenn es Menschen gibt, die mehr verdienen?“ An dieser Tatsache hat Führer nichts gestört. Er und viele mit ihm stören sich an Salären, deren horrende Höhe angesichts der oft wenig überzeugenden unternehmerischen Leistung der betreffenden Manager weder als „gerecht“ noch als „effizient“ beurteilt werden kann.
Wenn Führer meint, die Demokratie als „bisher beste politische Ordnung“ verdiene „eine bessere Wirtschaftsordnung“, so wirft er die Frage der Integration von Wirtschaftsordnung und Unternehmensverfassung in die Demokratie als allgemein-gesellschaftliche Lebensform auf. In der Tat ein Problem, das viele bedeutende Ökonomen bis in unsere Zeit beschäftigt. Sinn tut dieses Problem mit der Bemerkung ab, man könne es ja vorziehen, „in einem ärmeren System zu leben, wenn dort alle gleichmäßig arm sind“, wie im Kommunismus, tatsächlich bevorzugten aber die Bürger ein System mit „mehr Wohlstand und Ungleichheit“. Dieser Alternativ-Radikalismus widerspricht aller ordnungstheoretischen Erkenntnis und histori schen Erfahrung bei der Suche nach Dritten Ordnungen zwischen totalem Plan (Kommunis mus) und totalem Markt, wie sie gerade auch im Such- und Implementierungsprozeß der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland gemacht wurden.
Die „große Arbeitslosigkeit“ erklärt Sinn als „Folge des Versuchs, die Löhne unter Gerech tigkeitsgesichtspunkten festzulegen“; wäre der Mensch „billiger als der Automat“, würde er nicht ersetzt. Der Mensch wird aber in jedem Fall ersetzt, wenn der „Automat“ gegenüber der bisherigen Technologie sowohl arbeitsparend wie kapitalsparend ist. Außerdem wird nicht die Frage aufgeworfen, ob die globale Deregulierung der Kapitalmärkte eine Vermachtung des Finanzkapitals ermöglicht, die Finanzinvestoren in Stand setzt, Rendite-Anspruchsniveaus durchzusetzen, die in langfristig angelegten Sachkapitalinvestitionen nicht erwirtschaftet wer den können. Deshalb werden heute auch rentable Unternehmen mit bewährter Unternehmens kultur und hoher Firmenloyalität der Beschäftigten von Finanzinvestoren, denen Finanzmarkt reformen die Tür geöffnet haben, unter kurzsichtigen Profitinteressen zerschlagen. Ordo liberale Ökonomen hätten hier von „Refeudalisierung“ (Franz Böhm) oder von „privatem Kollektivismus“ (Wilhelm Röpke) gesprochen.
Der von Sinn zur Reduzierung von Arbeitslosigkeit empfohlene Kombilohn würde in hohem Maß dazu verführen, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch staatlich subventionierte Niedriglohnempfänger zu substituieren. Walter Eucken hat zur Verhinderung solcher „Schmutzkonkurrenz“ am Arbeitsmarkt Mindestlöhne empfohlen. Viele Nachbarlän der machen seit Jahren positive Erfahrungen mit diesem regulierenden Instrument. Würde darüber hinaus die Teilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung in Form vermehrter Teil zeitangebote bei gleichzeitig armutsfest gemachten Altersrenten erleichtert, wie in den Nie derlanden, so könnten in erheblichem Umfang zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse ent stehen.
Wer wie Sinn den Menschen nur und immer als „ein egoistisches profitsüchtiges Individuum“ sieht, das seinen privaten Nutzen maximieren will, bleibt hinter der Erkenntnis des großen liberalen Ökonomen und Moralphilosophen Adam Smith zurück, dass Märkte und Unterneh men nicht effizient funktionieren können, wenn die „moral sentiments“ der Akteure verküm mern. Warum sollten auch rational-eigennützige Akteure gerade die Normen achten, die für effizientes Funktionieren von Märkten und Unternehmen erforderlich sind? Die Kosten von Gerechtigkeitslücken und fehlender Moral schlagen in Effizienzeinbußen zu Buche. Deshalb müssen – wie wiederum schon Adam Smith wusste – Politik und Zivilgesellschaft Institutio nen schaffen und Motivationen pflegen, die dem totalen Markt und dem total marktkonditio nierten Individuum entgegen wirken („widergelagerte Gesellschaftspolitik“ nannte das Wil helm Röpke). Die Ökonomik, wie Sinn sie versteht, propagiert dagegen Selbstsucht und Maßlosigkeit und erzieht dazu.
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