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Titel: Das Sterben im Gazastreifen geht ungehindert weiter

Datum: 28. März 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Militäreinsätze/Kriege
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Trotz Auflagen des Internationalen Gerichtshofs und Mahnungen westlicher Länder steigen die Zahlen ziviler Opfer der Angriffe der israelischen Armee im Gazastreifen weiterhin an. Gleichzeitig droht dort eine Hungerkatastrophe, ausgelöst durch die Behinderung von Hilfslieferungen durch Israel. Das Ausmaß der Zerstörung des Gazastreifens wäre ohne die westlichen Waffen- und Munitionslieferungen weitaus geringer. Deutschland muss sich ab April für den Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Von Karsten Montag.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Nachdem bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 circa 1.100 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 5.000 Menschen verletzt worden sind, haben die militärischen Angriffe der israelischen Armee auf die palästinensische Bevölkerung nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums zu knapp 32.000 Todesopfern und weiteren circa 74.000 Verletzten geführt (Stand: 18. März 2024). Unter den Toten befinden sich circa 13.600 Kinder und 8.700 Frauen. Mehr als die Hälfte der Häuser im Gazastreifen ist unabhängigen Untersuchungen zufolge beschädigt oder zerstört (Stand: 17. März 2024). Die UN spricht von 35 Prozent. Unter den Trümmern werden weitere 8.100 Todesopfer vermutet.

1,9 Millionen Menschen einer Gesamtbevölkerung des Gazastreifens von 2,2 Millionen mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen und sind in Notunterkünften des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) oder in deren Nähe untergebracht, vornehmlich im Süden der palästinensischen Enklave. Laut einem UNRWA-Bericht vom Januar sind die Unterkünfte in der Mitte und im Süden des Gazastreifens um mehr als das Vierfache überbelegt. Im Schnitt teilen sich dort 486 Personen eine Toilette. Das palästinensische Gesundheitsministerium verzeichnet 200.000 Fälle akuter Durchfallerkrankungen im Gazastreifen, über die Hälfte davon betreffen Kinder unter fünf Jahren. Weitere 300.000 Fälle von akuten Atemwegserkrankungen sind derzeit bekannt.

Die anhaltenden israelischen Beschränkungen der Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen, die laut UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk einem Kriegsverbrechen gleichkommen könnten, haben zur Ausweitung von Hunger in der palästinensischen Bevölkerung geführt. Einem Bericht des International Rescue Committees (IRC) zufolge steht derzeit die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens kurz vor einer Hungersnot. Da die Entsalzungsanlage in Nordgaza zerstört ist und 83 Prozent der Brunnen nicht funktionsfähig sind, kommt eine Wasserknappheit hinzu. Mindestens 27 Menschen sind bisher im Norden Gazas, wo derzeit so gut wie keine Hilfslieferungen hingelangen, verhungert oder verdurstet, davon 23 Kinder.

Israelische Regierung zeigt sich unbeeindruckt von westlichen Mahnungen und der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs

Ende Januar entschied der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Eilverfahren, dass Israel mit allen Mitteln einen Völkermord im Gazastreifen verhindern muss. Auch westliche Politiker wie US-Außenminister Blinken und die deutsche Außenministerin Baerbock haben zuvor und danach die israelische Regierung gemahnt, die palästinensische Zivilbevölkerung mehr zu schützen. Die nachfolgende Darstellung des Verlaufs der kumulativen Opferzahlen zeigt, dass die politischen Entscheidungsträger in Israel die Aufrufe zur Mäßigung und die Entscheidung des IGH offensichtlich ignorieren.

Abbildung 1: Palästinensische Opfer der israelischen Angriffe im Gazastreifen, Datenquelle: Palästinensisches Gesundheitsministerium

Plausibilität der Opferzahlen

Das israelische Militär und auch die US-Regierung haben in der Vergangenheit die vom palästinensischen Gesundheitsministerium angegebenen Opferzahlen angezweifelt. Eine bereits Anfang Dezember 2023 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte Untersuchung kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Zahlen von palästinensischer Seite nicht übertrieben dargestellt werden.

Die US-Forscher gingen davon aus, dass die Angaben von UNRWA zu den Todesfällen ihrer eigenen Mitarbeiter verlässlich sind, haben deren Anzahl mit der Anzahl der 13.000 im Gazastreifen tätigen UNRWA-Mitarbeiter ins Verhältnis gesetzt und dieses mit der Todesrate der Gesamtbevölkerung verglichen. Auch mit aktuellen Zahlen zeigt sich, dass die beiden Todesraten hinsichtlich des Verlaufs und der Höhe übereinstimmen.

Abbildung 2: Todesrate der palästinensischen Bevölkerung und der UNRWA-Mitarbeiter im Gazastreifen, Datenquelle: Palästinensisches Gesundheitsministerium, UNRWA

Einsatz von ungelenkten Freifallbomben ist Hauptgrund für hohe Opferzahlen

Hauptursache für die hohen Verluste in der palästinensischen Zivilbevölkerung ist einer Analyse der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) zufolge der Einsatz von ungelenkten Freifallbomben durch die israelische Luftwaffe. Diese entsprächen den klassischen Fliegerbomben, wie sie im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden. Um taktische Ziele im Gazastreifen zu treffen, müssten deutlich mehr dieser Sprengsätze abgeworfen werden als bei der Verwendung von Lenkwaffen. Zudem verwende das israelische Militär unter anderem auch sogenannte 2.000-Pfund-Bomben, die eine sehr hohe Sprengkraft hätten. Der Einsatz von ungelenkten und hochexplosiven Bomben im dicht besiedelten Gazastreifen wäre demnach der Grund für die hohen „Kollateralschäden“.

Dass die israelische Luftwaffe offenbar auch Lenkwaffen gezielt zum Angriff auf zivile Einrichtungen und Zivilpersonen einsetzt, verdeutlicht ein Bericht von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation habe vor Ort nach einem Angriff auf Wohnhäuser voller Zivilpersonen Fragmente sogenannter Joint Direct Attack Munitions (JDAM) gefunden. JDAM sind Freifallbomben, die zu Lenkwaffen umgerüstet wurden. Die Ziele hätten zudem in einem Gebiet gelegen, in das das israelische Militär im Oktober die Bewohner des nördlichen Gazastreifens angewiesen hatte zu fliehen.

Die von der Nachrichtenagentur Associated Press veröffentlichten Satellitenbilder zerstörter Infrastruktur im Gazastreifen erinnern an die Folgen der Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg. Das Ausmaß der Vernichtung wird anhand einer Auswertung der von zwei US-Forschern betriebenen Decentralized Damage Mapping Group deutlich.

Abbildung 3: Zerstörte Infrastruktur im Gazastreifen, Datenquelle: Decentralized Damage Mapping Group

Die Bomben, die für die hohen Opferzahlen verantwortlich sind, stammen hauptsächlich aus den USA

Einem Anfang Dezember 2023 veröffentlichen Bericht des Wall Street Journals zufolge haben die USA Israel nach dem 7. Oktober unter anderem mehr als 5.000 ungelenkte Freifallbomben, mehr als 5.400 ungelenkte 2.000-Pfund-Bomben, circa 1.000 250-Pfund-Lenkbomben, ungefähr 3.000 zu Lenkbomben umgerüstete Freifallbomben (JDAM) und 100 2.000-Pfund-Penetrationsbomben, sogenannte „Bunker Buster“, geliefert.

Auch Deutschland hat Israel nach dem Terrorangriff der Hamas vermehrt mit Waffen beliefert. Gemäß einer Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung im Jahr 2023 Rüstungsexporte nach Israel im Wert von etwas mehr als 326 Millionen Euro genehmigt. Davon entfallen 306 Millionen auf sonstige Rüstungsgüter und 20 Millionen auf Kriegswaffen. Im Jahr 2022 wurden hingegen nur Exporte im Wert von circa 32 Millionen Euro freigegeben.

Wie der Dokumentation zu entnehmen ist, fallen unter die Kategorie „sonstige Rüstungsgüter“ auch Positionen wie Panzer, Kampfjets, Kampfhubschrauber, Kriegsschiffe, großkalibrige Waffen, Bomben, Raketen und Torpedos. Was und wie viel genau von diesen Positionen geliefert wurde, geht aus der Dokumentation nicht eindeutig hervor. Die Liste für die genehmigten Kriegswaffen enthält 3.000 tragbare Panzerabwehrwaffen, 500.000 Munitionseinheiten, 44 Treibladungen für Waffen und 239 Zünder für Waffen.

Im Jahr 2024 wurden laut Auskunft der Regierung allein in den ersten eineinhalb Monaten Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter nach Israel im Wert von neun Millionen Euro erteilt. Auf die Frage, ob die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entscheidung eines Gerichts in den Niederlanden, das den Export von Teilen für das Kampfflugzeug F-35 nach Israel wegen völkerrechtlicher Bedenken gestoppt hat, einen Ausfuhrstopp plant, antwortete ein Regierungsvertreter: „Über die Erteilung von Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die Bundesregierung im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung unter Einbeziehung außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen auf Grundlage der rechtlichen und politischen Vorgaben.“

Deutschland muss sich ab April vor dem Internationalen Gerichtshof für den Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord im Gazastreifen verantworten

Nachdem der IGH, wie bereits erwähnt, in einem Eilverfahren auf Antrag Südafrikas entschieden hat, dass Israel einen Genozid im Gazastreifen mit allen Mitteln verhindern muss, wird nun auch ein Antrag Nicaraguas, der Deutschland hauptsächlich aufgrund der Waffenlieferungen nach Israel und des Aussetzens der Zahlungen an UNRWA Beihilfe zum Völkermord vorwirft, kurzfristig verhandelt. Am 8. April wird Nicaragua seine Vorwürfe vor dem Gericht vortragen, am 9. April hat Deutschland die Gelegenheit, sich zu rechtfertigen.

Als Grund für die zeitnahe Bearbeitung hat Nicaragua in seinem Antrag vom 1. März unter anderem die jüngste Ankündigung einer bevorstehenden groß angelegten Militärintervention der israelischen Armee in Rafah angegeben. Auch nach deutlicher Kritik unter anderem aus den USA und Deutschland hält die Regierung in Israel weiter an den Angriffen auf die südlichste Region des Gazastreifens fest.

Dort befinden sich laut Medienberichten derzeit bis zu 1,5 Millionen Palästinenser auf einer Fläche, auf der vor Oktober letzten Jahres 250.000 Menschen gewohnt haben. Ein Video der US-Tageszeitung Wallstreet Journal zeigt, wie die Einwohner des Gazastreifens über die letzten Monate aufgrund von Militäroperationen der israelischen Armee immer weiter an die Grenze zu Ägypten gedrängt wurden.

Da der IGH im Verfahren gegen Israel bisher nicht entschieden hat, dass es sich beim israelischen Vorgehen im Gazastreifen um einen Genozid handelt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass das Gericht kurzfristig der Klage Nicaraguas stattgibt, Deutschland würde durch die Unterstützung Israels Beihilfe zum Völkermord begehen. Allerdings ist mit einer Entscheidung zu rechnen, die Deutschland, ähnlich wie Israel, verbindlich dazu auffordert, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um einen Völkermord zu verhindern. Dies könnte auch eine Beendigung der Waffenlieferungen bedeuten.

Humanitäre Lage im Gazastreifen

Einem Bericht der UNRWA vom 22. März zufolge haben in den ersten 20 Tagen im März 159 LKW mit Hilfsgütern pro Tag die Grenze in den Gazastreifen überschritten. Benötigt würden jedoch täglich 500. Amnesty International wirft Israel vor, seinen Verpflichtungen aus der Entscheidung des IGH, eine ausreichende Menge an Hilfsgütern für die Bevölkerung im Gazastreifen bereitzustellen, nicht nachgekommen zu sein. Die Besatzungsmacht hätte es unter anderem versäumt, Einfuhrbeschränkungen für lebenswichtige Güter aufzuheben und zusätzliche Zugangspunkte sowie Grenzübergänge für Hilfslieferungen zu öffnen.

Ein Bericht des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) vom 18. März weist darauf hin, dass in den beiden nördlichen Regionen des Gazastreifens, wo sich derzeit noch 300.000 Menschen aufhalten sollen, bis spätestens Mai eine Hungersnot zu erwarten sei. Die Sterblichkeit ohne Anzeichen einer körperlichen Verwundung, ein maßgeblicher Indikator für eine Hungersnot, würde sich dort beschleunigen. In Nordgaza sei eins von drei Kindern unter zwei Jahren unterernährt. In den drei südlichen Regionen sei eine Hungersnot bis Juli zu erwarten.

Seit Anfang des Jahres sei es dem WFP lediglich gelungen, neun LKW-Konvois mit Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens zu bringen. Die Konvois müssten lange an der Grenze auf eine Genehmigung der israelischen Behörden warten, und wenn sie dann einfahren dürften, bestehe eine große Gefahr, dass sie auf der Route Richtung Norden geplündert werden.

Die Hilfslieferungen, welche die USA und andere Staaten aus der Luft über dem Gazastreifen abwerfen, seien nach Einschätzung von UNRWA nicht geeignet, die dringenden und enormen humanitären Bedürfnisse der hungernden Bevölkerung zu lindern. Lieferungen über die Luft seien extrem teuer, und es sei unmöglich zu überwachen, wohin die Hilfe geht. Zudem wurden auf dem Luftweg an einem Tag gerade einmal 38.000 Mahlzeiten abgeworfen, wie die Zeit berichtet. Auch Lieferungen auf dem Seeweg können eine Hungersnot im Gazastreifen nicht im Ansatz verhindern. Der bisher einzige Hilfstransport dieser Art lieferte einmalig lediglich 250.000 Mahlzeiten. Im Gazastreifen stehen jedoch 1,1 Millionen Menschen kurz vor einer Hungersnot.

Auch die Gesundheitsversorgung im Gazastreifen ist laut UNRWA in einem kritischen Zustand. In fast 400 Angriffen der israelischen Armee auf Gesundheitseinrichtungen und deren Mitarbeiter wurden 30 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen sowie 126 ambulante Stationen beschädigt. Zeitweise waren 20 Krankenhäuser nicht mehr in Betrieb. Annähernd 500 Ärzte und Pflegekräfte sind bei den Angriffen ums Leben gekommen, fast 800 wurden verletzt und weitere knapp 300 verhaftet. UNRWA meldet, dass acht der von der Hilfsorganisation betriebenen 24 Gesundheitszentren nicht mehr in Betrieb sind.

Vorwürfe gegen UNRWA

Auch das Auswärtige Amt weist auf die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen hin. Die Bundesregierung hat allerdings die Zahlungen an UNRWA, wie einige andere Staaten auch, darunter die USA, Kanada, Australien, Großbritannien, Frankreich, Finnland und Italien, eingestellt. Die Einstellung erfolgte, nachdem Israel Ende Januar der UNRWA Informationen übermittelte, dass zwölf ihrer Mitarbeiter am Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen. Weitere 190 Mitarbeiter sollen laut israelischem Geheimdienst der Hamas oder dem Islamischen Dschihad angehören.

Eine Sprecherin der UN-Organisation teilte der Presse daraufhin mit, dass einige UNRWA-Mitarbeiter ausgesagt hätten, ihre Geständnisse seien unter Folter und Misshandlungen durch israelische Strafverfolger erzwungen worden. Die falschen Geständnisse würden dazu benutzt, „Fehlinformationen über die Hilfsorganisation zu verbreiten, um die UNRWA zu demontieren“.

Eine Fortsetzung der Zahlungen an UNRWA macht die Bundesregierung abhängig von einer schnellen und umfassenden Aufklärung der Vorwürfe gegen die UN-Hilfsorganisation. Bis dahin will das Auswärtige Amt die deutsche humanitäre Hilfe für Gaza über andere internationale Organisationen wie das Rote Kreuz, das Welternährungsprogramm WFP und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) abwickeln.

Die Gewalt im Nahen Osten wird nicht mit dem Sieg Israels über die Hamas enden

In einem Interview mit Fox News vom 17. März äußerte der israelische Ministerpräsident Netanjahu: „Wenn man uns sagt, wir sollen nicht nach Rafah gehen, dann ist das so, als würde man den Alliierten sagen, sie sollen nicht nach Berlin gehen und ein Viertel der Nazi-Armee unversehrt lassen.“ Dieser Vergleich erscheint bizarr, denn das Hitler-Regime hat andere Länder besetzt und dort Völkermord und Kriegsverbrechen begangen. Derzeit muss sich jedoch nicht ein bisher nicht existierender palästinensischer Staat, dessen Gründung insbesondere von Netanjahu unterbunden wird, sondern Israel, selbst Besatzungsmacht in den palästinensischen Gebieten, vor dem Internationalen Gerichtshof für derartige Anschuldigungen verantworten.

Sowohl das Leiden der Bevölkerung des Gazastreifens als auch die Gefahr einer Ausweitung des derzeitig noch lokalen Konflikts könnten deutlich steigen, sollte die israelische Regierung tatsächlich die geplante Invasion Rafahs wahr machen und die Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen weiterhin behindern. In dem gleichen Maße, wie die Äußerungen Netanjahus eigenwillig verzerrt klingen, ist das Verhalten der westlichen Staaten, allen voran der USA, widersprüchlich. Auf der einen Seite ermahnen sie Israel, die Zivilbevölkerung zu schützen und nicht nach Rafah einzumarschieren, doch gleichzeitig liefern sie dem Land immer weiter Waffen.

Abgesehen davon stellt sich die ernst zu nehmende Frage, ob die Terrorgefahr für Israel durch die Vernichtung der letzten Hamas-Bataillone ein für alle Mal beseitigt wäre, wie Netanjahu dies unterstellt. Aufgrund der hohen Anzahl ziviler Opfer, der Einschränkung der Hilfslieferungen, der kategorischen Absage einer Zweistaatenlösung und nicht zuletzt der Aussagen israelischer Politiker und Armeeangehöriger, wie sie in der Anklageschrift Südafrikas ab Seite 59 dokumentiert sind und die eine Absicht zum Völkermord erkennen lassen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Palästinenser in Zukunft von einem gewaltsamen Vorgehen gegen die Besatzungsmacht Israel absehen werden. Auch die Unterstützung aus muslimischen Nachbarstaaten wird sicherlich nicht enden. Es ist viel wahrscheinlicher, dass in nur kurzer Zeit die Gewalt zurückkehrt – unabhängig davon, ob Israel aktuell die Hamas besiegt –, und dies möglicherweise brutaler, mit noch mehr Opfern und grenzenloser als zuvor.

Titelbild: Anas-Mohammed/shutterstock.com


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