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Titel: Italien im Würgegriff der marktkonformen Demokratie

Datum: 11. November 2011 um 16:30 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Euro und Eurokrise, Finanzkrise, Schulden - Sparen
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Die Spekulanten sind den selbsternannten Eurorettern bereits einen Schritt voraus. Die momentan diskutierte Hebelung der EFSF ist bereits Makulatur, da die Spekulanten mit ihrem Angriff auf Italien ins Herz der Eurozone zielen. Anstatt diesem Treiben endlich einen Riegel vorzuschieben, setzt die EU nun auch Rom eine Übergangsregierung aus Technokraten ein, die das kontraproduktive Spardiktat aus Brüssel umsetzen sollen. Anstatt diesen Putsch der Finanzmärkte zu brandmarken, bejubeln die deutschen Medien die Suspendierung der Demokratie als „alternativlos“ und „pragmatisch“. Europa steht ein kalter Winter bevor. Von Jens Berger.

Es gibt für einen Kommentator, der sich selbst als progressiv und links sieht, wohl keine undankbarere Aufgabe, als sich ausgerechnet für einen Unsympathen und Antidemokraten wie Silvio Berlusconi einzusetzen. Die Verfehlungen, Verbrechen und Peinlichkeiten des „Cavaliere“ sind Legion. Unter anderen Umständen wäre Berlusconis Ende zweifelsohne ein Segen für das Land. Es lohnt sich jedoch, einen genaueren Blick auf das bereits besiegelte politische Ende Berlusconis zu werfen: Nicht etwa Klientelismus, Vorteilsnahme im Amt, Beugung des Rechts oder aber seine moralischen Verfehlungen haben ihn den Kopf gekostet, sondern seine Weigerung, sich von der EU und dem IWF eine kontraproduktive Austeritätspolitik diktieren zu lassen.
Wer nun meint, ein finanziell unsolides Land wie Italien stelle nun einmal in der jetzigen Situation eine Bedrohung für die Eurozone als Ganzes dar und daher müsse man im Zweifelsfalle nun einmal demokratische Prinzipien „höheren Interessen“ unterordnen, sollte sich einmal die Fundamentaldaten Italiens ansehen. Italien ist zwar mit 119% seines Bruttoinlandsprodukts relativ hoch verschuldet. Das aber ist nicht neu. Die italienische Staatsverschuldung bewegt sich bereits seit Beginn der 1990er Jahre um 100% des Bruttoinlandsprodukts, was für „die Märkte“ nie ein Grund war, die Bonität und Solvenz des Landes in Frage zu stellen. Warum auch? Schließlich verfügt Italien sogar in diesem Jahr über einen primären Haushaltsüberschuss – das heißt, ohne den Zinsdienst wären die Steuereinnahmen höher als die Staatsausgaben. Wenn das Land neue Schulden aufnehmen muss, dann nicht dazu, um strukturelle Defizite zu finanzieren, sondern um die Zinsen für die hohen Altschulden bedienen zu können. Anders als Griechenland, das in der Tat ein sehr großes strukturelles Defizit aufweist, ist Italien daher auch nicht in ernsthaften Schwierigkeiten. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn die Zinsen für italienische Staatsanleihen in die Höhe schnellen und der Zinsdienst sich dadurch verteuern würde.

Italien muss alleine in diesem Jahr noch Staatsanleihen im Wert von 77 Mrd. Euro ausgeben, im nächsten Jahr laufen alte Anleihen im Wert von rund 200 Mrd. Euro aus, die zwingend refinanziert werden müssen. Was dem Junkie seine Nadel ist, ist für Italien der Primärmarkt für Staatsanleihen. Für Spekulanten stellt diese Abhängigkeit eine schier unglaubliche Renditemöglichkeit dar. Italienische Anleihen wurden in dieser Woche mit einem Spread zu Bundesanleihen von bis zu 500 Basispunkten gehandelt – das heißt, dass ein Spekulant, der sich in dieser Woche mit italienischen Anleihen eingedeckt hat, mit diesen Papieren ganze 5% mehr Zinsen erzielen kann, als mit deutschen Staatsanleihen. Banken müssen für diese „Investition“ noch nicht einmal nennenswert Eigenkapital vorhalten, da sie die Anleihen bei der EZB als Mindestreserve hinterlegen können und sich somit das Kapital zum Kauf der Anleihen zum Leitzins von 1,25% bei der EZB leihen können. Allen Kritikern einer Staatsfinanzierung durch die EZB sei hier gesagt: Das Geld, mit dem momentan italienische Anleihen gekauft werden, stammt bereits heute nahezu ausschließlich von der EZB. Wenn die EZB weiterhin zum Nichtstun verdammt wird, stellt dies somit nur eine Subventionierung der Spekulanten dar, die wie eine kläffende Meute ganze Länder vor sich hertreiben.

Die Spekulationsgewinne haben die direkte Folge, dass sich auch die Ausgabe neuer Anleihen massiv verteuert. Italien musste in dieser Woche bei einer Auktion bereits 6,087 Prozent für eine einjährige Anleihe zahlen – bei der letzten Auktion am 11. Oktober lag der Zins noch bei 3,57 Prozent. Die entscheidende Frage ist somit, wie man „die Märkte besänftigen“ und damit das Zinsniveau senken kann. Darauf hat die – von Deutschland getriebene – EU nur eine Antwort: Sparen! Italien hat aber bereits ganze drei Sparpakete in weniger als fünf Monaten verabschiedet. Mit jedem neuen Sparpaket stiegen jedoch die Zinsen. Die Antwort, die die Italiener von den Sparkommissaren auf diesen eigentlich verständlichen Vorgang erhalten, erinnert eher an absurdes Theater als an rationale Politik: „Ihr spart halt noch nicht genug!“

Dabei sollte es mehr als offensichtlich sein, dass Sparen in einer Krise exakt die falsche Antwort ist. Die Folgen von Austeritätsprogrammen sind bekannt: Durch die Einsparungen sinken die Steuereinnahmen, während sich die Staatsausgaben aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit weiter erhöhen und die Binnenwirtschaft aufgrund der gesunkenen Nachfrage kollabiert. (Siehe die Prognosen der Gesamtverschuldung der EU)

Die Erfahrung zeigt, dass die „Märkte“ viel „klüger“ und vor allem schneller sind und auf Sparprogramme mit weiteren Zinserhöhungen reagieren, die dann wie in einem Teufelskreis von EU und IWF mit weiteren Sparprogrammen beantwortet werden. Ein souveränes Land mit eigener Währung würde ganz einfach „Basta!“ sagen und den Teufelskreis beenden. Ist ein Land in einer Währungsunion aber erst einmal angeschlagen, verliert es seine Souveränität. Sobald ein demokratisch gewählter Regierungschef sich gegen das Spardiktat aus Brüssel und Washington stellt, droht man ihm mit dem Entzug überlebenswichtiger Hilfen. Ein Land wie Italien, das sich im Fadenkreuz der Spekulanten befindet und in einer Währungsunion keine souveräne Geldpolitik betreiben kann, ist den „Märkten“ genau so hilflos ausgeliefert wie ein Drittweltstaat, der in einer Fremdwährung verschuldet ist. EU und IWF haben somit den Hebel, demokratisch gewählten Regierungen ein Angebot machen zu können, das diese nicht ablehnen können. Zaudern sie, werden sie – siehe Papandreou und Berlusconi – mit Hilfe der nationalen Parlamente abgesägt und durch einen Technokratenrat aus „Finanzexperten“ ersetzt. Italien und Griechenland müssen nun das erfahren, was viele Drittweltstaaten, die sich dem IWF oder der Weltbank ausgeliefert haben, bereits schmerzlich erleben mussten – den Verlust der Souveränität.

Wo aber bleibt der Aufschrei der Demokraten? Wo bleiben die Leitartikler, die ansonsten bei jeder Gelegenheit das Fähnlein der Demokratie schwingen? Direkt vor unserer Haustür werden demokratisch gewählte Regierungen weggeputscht, um den Forderungen der „Märkte“ Genüge zu tun. Anstatt auf die Barrikaden zu gehen, verschanzen sich unsere Leitartikler hinter einem imaginären Sachzwang und feiern sogar noch das Ende demokratischer Entscheidungsfindung. Frei nach Adorno könnte man sagen: “Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Feinde der Demokratie in der Maske der Antidemokraten, sondern vor der Rückkehr der Feinde der Demokratie in der Maske der Demokraten”.


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