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Titel: Auf geht’s nach St. Petersburg!

Datum: 14. März 2024 um 13:55 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik
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Leider nicht. Mit Freunden planen wir eine Reise nach Russland. Das täten wir gerne. Aber anders als noch vor fünf Jahren geht das nicht so einfach und auch nicht direkt. Wir müssen einen Umweg nehmen. Über Istanbul. Das sind von Frankfurt 1866 km Luftlinie nach Südosten, von dort nach Sankt Petersburg 2106 km nach Norden, macht zusammen 3972 km. Von Frankfurt direkt wären es nur 1745 km. Hinter der neuen Konfrontation steckt als Katalysator das alte Feindbild Russland. Es ist in den letzten Jahren massiv wiederbelebt worden. Es ist nichts Neues. Aber wir hatten diesen Wahnsinn überwunden. So dachten wir. Albrecht Müller.

Zum besseren Verständnis des irrsinnigen Charakters der jetzigen Situation und der eingetretenen Veränderung will ich eine einschlägige alte Geschichte erzählen:

Im Oktober 1969 war ich nach der von der SPD gewonnenen Bundestagswahl und nach der Wahl des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers vom damaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Wischnewski und von Willy Brandt gefragt worden, beim Parteivorstand der SPD die Leitung der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen.

Mit diesem Job war auch die Betreuung der Umfragen verbunden. Dies wusste offensichtlich auch ein Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft. Dieser Legationsrat mit Namen Abraschkin bat eines Tages im Jahre 1970 um einen Gesprächs-Termin. Sich mit Vertretern der Sowjetunion zu treffen, war damals kein Problem.

Abraschkin kam und erklärte mir sein Anliegen: Er müsse regelmäßig einen Bericht über die Stimmungslage in der Bundesrepublik Deutschland nach Moskau schicken. Insbesondere interessiere man sich dort für die Meinung der West-Deutschen zur neuen Ostpolitik, zum gerade abgeschlossenen Moskauer Vertrag und zu anderen Entscheidungen im Zuge der Entspannungspolitik. Die sowjetische Regierung wolle wissen, ob die neue Politik Willy Brandts Rückhalt im deutschen Volk finde.

Das Anliegen des Mitarbeiters der sowjetischen Botschaft leuchtete mir ein. Deshalb vereinbarten wir, dass er mich regelmäßig besuchen könne. So geschah es denn auch.

Als er einmal wieder in meinem Büro anrief, stand ich total unter Stress. Ich ließ ihm von meiner Sekretärin ausrichten, er solle mich halt am kommenden Samstag zu Hause besuchen. Also kam Herr Abraschkin zu mir nach Bonn-Ückesdorf – bewaffnet mit einem Blumenstrauß und einer Flasche Wodka.

Wir hatten ein interessantes Gespräch – weit über die Umfragen zur Haltung der Deutschen zur Ostpolitik hinaus. Noch gut erinnere ich mich daran, dass Abraschkin meinte, wir Westdeutschen würden den damaligen Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht, falsch einschätzen – beispielsweise viel zu negativ, was Ulbrichts Haltung zum deutsch-deutschen Miteinander betrifft.

Als ich am folgenden Montag in mein Büro in der sogenannten Baracke, dem Hauptquartier der SPD, kam, wies meine Sekretärin mich darauf hin, das Büro von Bundesgeschäftsführer Wischnewski habe angerufen, ich solle gleich mal vorbeikommen. 

Wischnewski stand lachend hinter seinem Schreibtisch und meinte, wenn ich schon den Vertreter der Russen am Wochenende in meiner privaten Wohnung empfinge, dann doch bitte nicht mit Blumenstrauß und Wodka.

Was lernen wir aus dieser Geschichte?

Auch damals waren die Dienste und ihre Arbeit von dem Gefühl der Gegnerschaft geprägt, so sehr, dass sie sogar die Gepflogenheiten des Abteilungsleiters einer politischen Partei und seinen Umgang mit einem Vertreter der sowjetischen Botschaft überwachten. Wir lernen aber auch, dass die politisch Verantwortlichen über diese der Entspannungspolitik widersprechenden Gewohnheiten der Geheimdienste lachen konnten. Würde so etwas wie damals in Bonn-Ückesdorf heute passieren, dann würde der entsprechende Abteilungsleiter nicht lachend über den Überwachungsvorgang informiert, sondern selbst genauer überwacht.

Der Umgang mit Russland ist auch ansonsten ziemlich auf den Hund gekommen. Vor allem fällt auf, dass eine Grunderkenntnis des Umgangs mit anderen Völkern nahezu völlig verlorengegangen ist: Vertrauen bilden. – Statt mit den Repräsentanten eines wichtigen Nachbarn wohlwollend und freundlich umzugehen, wird hierzulande ständig Öl ins Feuer gegossen: Wenn einer wie der Papst zur Verständigung rät, dann wird er attackiert. Außerdem wird der Konflikt über die Maßen personalisiert: Putin, dessen Rede im Deutschen Bundestag man vor 22 Jahren noch gefeiert hat,

wird heute als Verkörperung des Bösen betrachtet und so behandelt. – Miese Zeiten.

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