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Titel: Ukrainekrieg – Das böse V-Wort ist plötzlich (wieder) da

Datum: 27. Februar 2024 um 11:16 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Wir erinnern uns – noch vor einem Jahr wurde die Rückeroberung der Krim als Etappenziel im Ukrainekrieg ausgegeben. Die Perspektive auf einen künftigen Frieden mit Russland war damals noch mit der totalen Niederlage Russlands in der Ukraine verknüpft. Wer – wie beispielsweise die Unterzeichner des „Manifests für den Frieden“ – damals Verhandlungen zur Kriegsbeendigung forderte, galt in der Medienberichterstattung als „Lumpenpazifist“ und „Putin-Knecht“. Wenn das wirklich so ist, hat der „Lumpenpazifismus“ mittlerweile bereits die ersten Falken erreicht. An diesem Wochenende gaben sowohl der ehemalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk, der Grünen-Politiker Anton Hofreiter als auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck das Ziel aus, nun „aus einer Position der Stärke heraus“ Friedensverhandlungen mit Russland anzustreben. Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen. Es ist jedoch noch zu früh, dies als Hoffnungsschimmer zu sehen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Dass selbst ausgewiesene Bellizisten mittlerweile nicht mehr einen „Endsieg“ der Ukraine als einzige mögliche Lösung sehen und nun sogar Verhandlungen – wenn auch (noch) aus einer Position der Stärke heraus – in Betracht ziehen, hat einen relativ einfachen Grund. Die „Macht der Autosuggestion“ hat sich als trügerisch erwiesen und das wird nun mehr und mehr klar. Vor einem Jahr redeten sich deutsche Politiker und Medienschaffende die Lage an der Front noch schön. Es ging um die kommende große „Sommeroffensive“. Hier kamen erstmals die westlichen Waffensysteme zum Einsatz, die zuvor von ebenjenen Politikern und Medienschaffenden als „Game Changer“ gefeiert wurden. Die Wunderwaffen wurden jedoch bereits in den ersten Tagen der „Sommeroffensive“ auf den Feldern von Robotyne von den Russen wie Tontauben abgeschossen. Tausende Soldaten wurden dafür geopfert.

Heute spricht kaum noch wer von ukrainischen Offensivoperationen. Die ukrainische Armee scheint auf der gesamten Frontlinie in der Defensive zu sein. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis die ukrainische Front kollabiert. Immer umfangreichere Waffenlieferungen durch den Westen können dies nur hinauszögern. Verantwortlich dafür ist nicht die „mangelnde Unterstützung“ des Westens, wie es unsere Falken gerne behaupten. Verantwortlich dafür ist vielmehr, dass Russland aus seinen Fehlern gelernt hat. Das hatten die westlichen Bellizisten dem russischen System offenbar nicht zugetraut. Die russische Volkswirtschaft hat in nur zwei Jahren auf Kriegswirtschaft umgestellt, die eigenen massiven Verluste durch eine Mobilisierung ausgeglichen und eine Logistik aufgebaut, die – je nach Schätzung – 400.000 bis 600.000 kämpfende Soldaten scheinbar reibungslos mit Nachschub versorgt. Die Armeeführung wurde in den letzten zwei Jahren komplett umgekrempelt. Die alte „Sowjetdoktrin“ wurde durch eine moderne Kriegsführung ersetzt, bei der Drohnen, elektronische Kriegsführung und KI eine entscheidende Rolle spielen. Damit hatte im Westen wohl niemand so richtig gerechnet.

Im Westen haben wohl auch nur die wenigsten der Falken damit gerechnet, dass das russische System sich als derart stabil erweist. Es gibt keine nennenswerte Friedensbewegung und weder die westlichen Sanktionen noch der Versuch, Russland international zu isolieren, haben dazu geführt, dass es im Land eine Protestbewegung gibt, aus der – das eigentliche Ziel westlicher Strategen – irgendwann ein „Regime Change“ erwachsen könnte. Anders sieht es in der Ukraine aus. Die Demission des Armeechefs Saluschnyj durch Präsident Selenskyi zeigt, wie blank mittlerweile die Nerven in Kiew liegen.

Es ist ungewiss, ob die USA im Hintergrund weiterhin derart massive Unterstützung leisten werden, und es ist fraglich, ob Deutschland die Rolle der USA als große Schutzmacht der Ukraine übernehmen kann und will. Würden die USA nach der Wahl Trumps aus dem Krieg aussteigen, wäre Deutschland als mit großem Abstand größter Unterstützer der Ukraine de facto der eigentliche Gegner Russlands im Ukrainekrieg. Unabhängig von historischen Parallelen muss man sich hier schon die Frage stellen, ob ein Land, das es nicht einmal schafft, dass seine Züge halbwegs pünktlich fahren, sich nicht maßlos überhebt, wenn es einen Krieg gegen eine militärische Supermacht wie Russland führen will. Das wissen auch die Ukrainer. Mittlerweile sind 72 Prozent der ukrainischen Bevölkerung für die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland. Die neue Rhetorik von Falken wie Melnyk und Gauck spiegelt den Perspektivverlust wider. Nennen wir es Realpolitik.

Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, dass die Falken im Westen nun kollektiv umdenken und auf eine Verhandlungslösung drängen. Dies zeigt in kalter Klarheit ein Aufsatz der transatlantischen Kriegsbefürworter Ralf Fücks und Marieluise Beck im SPIEGEL. Die beiden LibMod-Gründer geben darin die Parole aus, „unsere Sicherheit [werde] am Dnjepr verteidigt“, und fordern eine „Koalition der Willigen“, die von Deutschland, Frankreich und Polen angeführt wird. Von Verhandlungen wollen die beiden staatlich finanzierten Schreibtischkrieger freilich nichts wissen. Wohin die Debatte nun gehen wird, ist also mehr denn je unklar. Fest steht nur eins – je länger der Krieg dauert, desto mehr sinnlose Opfer wird er fordern.

Titelbild: Dmytro Larin/shutterstock.com


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