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Titel: Berliner Meisterwerk inmitten der Zeitenwende: Die Einheitswippe

Datum: 24. Februar 2024 um 12:00 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Kultur und Kulturpolitik
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Nur gut, dass wir noch andere Sorgen haben. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin. Fußballfans singen diese Zeilen, wenn ihre geliebte Mannschaft es geschafft hat, beim DFB-Pokal-Finale im Olympiastadion auf dem Rasen zu stehen. Die Freude der sportbegeisterten Leute beschränkt sich nicht nur auf die Jagd nach dem runden Leder, sie wissen: Die Hauptstadt ist immer eine Reise wert. Hier steppt der Bär. In jeder Hinsicht, das pralle Leben tobt einschließlich echten Berliner Pleiten, Pech und Pannen – als Beispiel im Dreiklang beim lange währenden Nichtvollenden eines epochalen, gar wichtigen Kunstwerks: der Einheitswippe. Dafür klappen zum Glück andere, wichtigere Sachen. Eine Glosse von Frank Blenz.

Ein Riesenspaß mitten in Berlin-Mitte

Das sogenannte Einheitsdenkmal – eine Art große, begehbare Wippe für die Bürger – wird künftig vor dem Humboldt Forum (Berliner Stadtschloss) stehen, so lautet der Plan. Man ist auch schon ganz schön weit, optimistisch betrachtet. Der mächtige Sockel steht, das Kunstwerk darauf noch nicht. Das soll noch dauern, brodelt es in den Küchen der Gerüchte. Ein Glück, so kann der Wippenbesucher nicht von dieser stürzen, kommt einem humorig in den Sinn. Vielleicht verhindern gerade irgendwelche findigen Berlina (Berliner Jargon) das allgemein unter Leuten belächelte Großspielzeug noch. Die, die sich für das Kunstwerk begeistern, schwärmen hingegen:

Auf der Oberseite des Einheitsdenkmals stehen die Losungen aus der Zeit des Mauerfalls, die untere, vergoldete Seite, zieren Bilder aus der Wendezeit im Herbst 1989. Die Widmung „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ wird nicht plakativ vor der Wippe stehen, sondern ist auf deren Schale integriert. Besucher können die Buchstaben zum Verweilen und Nachdenken nutzen. Das Denkmal soll Besuchern und Bürgern als Frei- und Spielraum in der Stadt dienen.
(Quelle: Berlin.de)

Wenn die Wippe dann mal wippt, Besucher und Bürger auf den großen Buchstaben Platz nehmen, dann aber wird es ein frohes Hin und Her, und das in schöner Einheit geben. Dabei werden die Wippenden an die deutsche Einheit denken. Weißt Du noch? Auf dem Freiluftgerät schaut es sich imposant hinüber zum Berliner Schloss, also seiner Nachbildung. Wehmut wird vielleicht mitschaukeln – bei wenigen Schaukelnden. Angestammte Ostberliner werden die Augen schließen und statt des jetzigen Schlossimitats ihren alten Palast der Republik erblicken, der seinerzeit ein Maßstäbe setzendes Mehrzweckgebäude für Kultur, Kunst, Begegnung und, und, und war. Leider haben der Ostberliner und ostdeutschen Brüder und Schwestern, die Westberliner und Westdeutschen, befunden, dass dieses Bauwerk, also der Palast, der an und für sich überhaupt nicht klobig war, abzureißen ist – aus Sicherheitsgründen, zu viel Asbest und so, wie es hieß. Komische Begründung. Wenn man bedenkt, wir haben jetzt 2024, und in Paris befindet sich ein Kulturtempel namens Centre Pompidou, der immer noch steht und nicht abgerissen werden, sondern komplett saniert und dann wieder in vollem Glanz erstrahlen soll, dann macht sich Grübeln breit, weil der abgerissene, also damit gefährliche Palast der Republik ja auch voller Asbest gewesen sein soll (und nicht nur dieses Gebäude in Europa). Man lobe die deutsche Konsequenz „weg und gut“ – und das Wippen auf der Wippe beruhigt die, die sich aufregen.

Die Einheitswippe ist endlich fertig, eigentlich …

Warum geht es aber nun nicht voran mit der Schaukel und seinen besetzbaren Worten „Wir sind ein Volk“? Die Frage beantworten die Hauptstadtpresse und das Berliner Regionalfernsehen übereinstimmend. Die Wippe stehe in Teilen fertig in einer großen Werkstatthalle. Der Transport des großen Kunstwerks aus Stahl durch die Stadt sei perfekt vorbereitet und jede Straßenbiegung genau berechnet. Nix passiert jedoch. Genauer gesagt passiert lange schon nix so richtig.

Man stelle sich das mal vor: Schon im Jahr 2007 beschloss der Deutsche Bundestag ein Denkmal auf der Museumsinsel, eine gigantische und, ja, begehbare Wippe. Die sollte 2013 fertig sein. Zum Schmunzeln: 2013 war nicht mal die Planung fertig. Berlin halt. Zu wippen beginnen sollte das Freiluftgerät dann endlich am 30. Jahrestag des Mauerfalls, am 9. November 2019 hatten die Bauarbeiten zur Wippe (noch) nicht begonnen. 2024, nach vielen Jahren seit 2007, ist der Stand der Dinge folgender: Endlich und sicher in weit kürzerer Zeit realisiert, steht die Wippe beim Hersteller – einer Firma in Nordrhein-Westfalen.

Diese Firma sei pleite, die Wippe werde nicht ausgeliefert, heißt es in den Medien. Man würde munkeln, die auftraggebende Regierung habe die Firma nicht bezahlt, hat sogar die Kulturstaatsministerin eingeräumt. Das finden manche Berliner echt knorke und wiederum nur konsequent. Man stelle sich das auch mal vor: Die Regierung, das verantwortliche Ministerium würde nicht bezahlt. Ob die dann auch pleite wären? Die Firma ist vielleicht gar nicht pleite, die Leute bauen die Wippe halt nur nicht fertig und hieven sie nicht auf den Sockel mitten in Mitte. Alles ist also eher eine mentale Sache. Nebenbei: Die Firma soll wegen der Verzögerungen bei der Wippe dann andere Aufträge und somit Erträge verloren haben. Zeitenwende.

Hauptsache, die Handlungsfähigkeit der Regierung ist gewährleistet, wie die des Berliner Senats, der neben dem Aufbauen wichtiger, Sinn stiftender Gebäude nebenher auch kräftig abreißen lässt, vor allem zeitgenössische, nicht Sinn stiftende Bauten aus Ostzeiten wie das ehemalige Sport- und Erholungszentrum Berlin, kurz SEZ. Zig Ostberliner und Westberliner sowie Gäste von sonst woher haben schöne Erinnerungen an diese echt geniale Freizeiteinrichtung, die dann nach der Einheit und dem Verhallen des „Wir sind ein Volk“-Jubels zunächst geschlossen und die gesamte Belegschaft konsequent freigestellt wurde. Das Lob für den Senat muss sein: In Teilen wurde das SEZ wieder in Betrieb genommen und so einiges an Projekten über die vielen Jahre der gelebten und sich in Vollendung befindlichen Einheit ausprobiert, bis halt festgestellt wurde, es hilft ja nix: die Abrissbirne muss her. Da fällt so manchem Berliner gleich ein: Der Fernsehturm sollte tatsächlich auch mal abgerissen werden – steht ja im Osten.

Nun ist aber gut mit dem Nörgeln. Wir blicken nach vorn. Wenn dereinst 2035 tatsächlich Ost- und West-Bürger dann als Gesamtbürger doch noch auf ihrer gemeinsamen Wippe hin und her schaukeln und das Schloss auf der einen Seite bestaunen und die Hochhäuser und den noch höheren Fernsehturm auf der anderen Seite am Alexanderplatz, dann wird vielleicht ab und an in den Chor eingestimmt „Wir sind ein Volk“. Man wird sich an 2024 erinnern, eine zugegeben schwierige Phase, mitten in dieser damaligen Zeitenwende einschließlich des tapferen Gürtel-enger-Schnallens, wie es damals hieß. Man wird sich erinnern, dass neben den Meldungen über die Einheitswippe auch zu lesen war, dass die Mietsteigerungen und der Wohnungsmangel in der Hauptstadt dramatisch gewesen sein müssen. Wenigstens klappte es bei unserer Verteidigung um einiges besser: Der damalige Verteidigungsminister rechnete seinerzeit schon mal vor, dass wir uns, mit etwas gutem Willen, schon mal 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für Armee und Tüchtigkeit leisten konnten.

Zurück in die Gegenwart, zurück zu typisch Berliner Geschichten

Abschließend noch mal zum Fußball. Wie es sich für Berlin gehört, dem Ort von Pleiten, Pech und, na, Sie wissen schon, passt es gut ins Bild, wenn die alte Dame – also die Hertha, der Fußballclub – etwas im Abseits (auch so ein schöner Fußball-Fachbegriff) der öffentlichen Wahrnehmung gerade durch die Unternehmensleitung die Gründung eines Betriebsrates der Belegschaft verhindert hat.

Das nennt man dann Verehrung und Wertschätzung der ganz normalen beruflichen Tätigkeit für einen Profiverein, der zig Euro Umsatz macht und sehr gut bezahlte Ballkünstler unter Vertrag hat, sinniert der Fußballfan dereinst auf der Einheitswippe. Wir sind ein Volk und werden ziemlich veralbert.

Titelbild: Milla&Partner – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0


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