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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der „Schuldenschnitt“ und das Kleingedruckte
Datum: 28. Oktober 2011 um 16:20 Uhr
Rubrik: Banken, Börse, Spekulation, Euro und Eurokrise, Finanzkrise
Verantwortlich: Jens Berger
Während die Banker Krokodilstränen wegen der beim Eurogipfel beschlossenen „substantiellen Beteiligung“ des Privatsektors vergießen, steigen die Börsenkurse der Institute im zweistelligen Prozentbereich. Offenbar bewerten die Akteure an den Finanzmärkten die Ergebnisse des Gipfels diametral anders als die leider wieder einmal vollkommen unkritischen Medien. Man sollte sich nicht von der PR der Bankenlobby ins Bockshorn jagen lassen. Der Finanzsektor zählt ganz klar zu den Gewinnern des Gipfels. Griechenland und vor allem die anderen angeschlagenen Euroländer zählen hingegen zu den Verlierern. Von Jens Berger
Wenn man in diesen Tagen die Zeitungen aufschlägt, stößt man immer wieder auf die Aussage, die EU-Regierungschefs hätten beim Gipfel einen 50%-Schuldenschnitt für Griechenland beschlossen. Dies ist jedoch gleich in vielfacher Hinsicht falsch. Es wurde vielmehr gar kein Schuldenschnitt – in welcher Höhe auch immer – beschlossen, sondern lediglich angekündigt, dass man die Banken und Versicherungen zu Verhandlungen einlädt, an deren Ende ein Anleihentausch stattfinden soll, bei dem die Institute auf freiwilliger Basis ihre Griechenlandanleihen gegen andere Anleihen eintauschen können. Dabei sollen sie – so die Absichtserklärung – einen Nominalwert von 50% abschreiben. Die Verhandlungen über diesen Anleihentausch beginnen in den nächsten Wochen und das Tauschprogramm soll Anfang 2012 beginnen. Da die Details somit erst noch ausgehandelt werden, gibt es auch noch unzählige Möglichkeiten, wie die Banken diese 50%-Marke ad absurdum führen können, und es ist sehr wahrscheinlich, dass ihnen das auch gelingen wird.
Fallstricke und Sollbruchstellen
Wie geschickt der Bankenverband IIF die Höhe von Abschreibungen uminterpretiert, zeigte er bereits beim freiwilligen Anleihentauschangebot im Juli dieses Jahres. Zunächst einmal ist bei der Berechnung festzuhalten, dass die Abschreibungen auf den Nominalwert und nicht auf den Buch- oder gar den Marktwert vollzogen werden sollen. Als Beispiel kann hier die 2007 ausgegebene 10-jährige Anleihe GR0124029639 herangezogen werden. Diese Anleihe hat einen Nominalwert von 100 Euro, am Markt wird sie jedoch aktuell lediglich mit 31,52 Euro behandelt. Wenn eine Bank diese Anleihe zum Marktwert bilanzieren würde, hätte sie bereits fast 70% des ursprünglichen Wertes abgeschrieben. Ein Tausch, bei dem sie stattdessen ein Papier im Wert von 50 Euro bekommt, ist demnach kein schlechtes, sondern ein verdammt gutes Geschäft.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Banken im Tausch Papiere bekommen, die „nur“ 50 Euro wert sind. Bereits beim letzten Angebot des IIF nannten die Banken EFSF-Papiere mit einer Verzinsung von bis zu 6,42% bei einer Laufzeit von 30 Jahren und einem erstklassigen AAA-Rating als mögliche Tauschobjekte, gegen die sie ihre angeschlagenen Griechenlandanleihen damals mit einem „Abschlag“ zum Barwert von 20% eintauschen wollten. Zum Vergleich: Selbst die oben genannte zehnjährige Griechenlandanleihe hat nur einen Kupon, also eine Verzinsung durch den Kreditnehmer, von 4,3%. Sollten die Banken also analog zum Juli-Angebot ihre Griechenlandanleihen, die am Markt rund 30 Euro wert und mit 4,3% verzinst sind, gegen EFSF-Anleihen mit einem Nennwert von 50 Euro und einer weitaus höheren Verzinsung eintauschen, so wäre dies ein Geschäft, bei dem die Banken keinen Verlust, sondern einen dicken Gewinn erzielen würden.
Da die Verhandlungen erst in den nächsten Wochen beginnen, sollte man sich natürlich mit Spekulationen noch zurückhalten. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass IIF-Präsident Josef Ackermann bis jetzt immer ein gutes Ergebnis für seine Banken erzielen konnte und der Steuerzahler am Ende übervorteilt wurde. Leider werden wir von den Medien davon jedoch aller Voraussicht nach nichts erfahren. Schon die Berichterstattung in dieser Woche lässt arg zu wünschen übrig. Dies wird beispielsweise dadurch deutlich, dass fast alle Medien Merkels PR-Aussage von einem 50%-Schuldenschnitt unhinterfragt übernommen haben.
Verlierer Griechenland
Ein Schuldenschnitt gilt immer für alle Kreditgeber und ist gleichbedeutend mit einem Bankrott. Dieser ist jedoch im Falle Griechenlands zweifelsohne nicht gegeben. Die Bankenbeteiligung, die noch ausgehandelt wird, gilt nur für den Privatsektor und ist ausdrücklich freiwillig. Der Anteil der Staatsanleihen, der überhaupt noch im Besitz der Banken und Versicherungen ist, beträgt momentan rund 93 Mrd. Euro und mit jeder „Hilfszahlung“ der Troika sinkt dieser Anteil abermals. Von diesen 93 Mrd. Euro stammen rund 50 Mrd. Euro aus dem griechischen Bankensektor, der ohnehin in Kürze durch die EFSF „übernommen“ werden dürfte und somit für das Tauschprogramm nur als Bilanzverschiebung von der rechten in die linke Tasche gelten kann. Von den verbleibenden 43 Mrd. Euro stammen 28 Mrd. Euro von Banken, an denen die Staaten direkt oder indirekt beteiligt sind. Dass diese Banken einem Tauschprogramm zustimmen werden, dürfte selbstverständlich sein. Erstaunlich ist jedoch, dass in der Abschlusserklärung des Eurogipfels [PDF – 131 KB] von einem EFSF-Zuschuss in Höhe von bis zu 30 Mrd. Euro und weiteren 100 Mrd. Euro für die Realisierung des Anleihentauschprogramms die Rede ist. Diese 130 Mrd. Euro übersteigen den Nennwert der Anleihen im Besitz der Banken und Versicherungen bei weitem. Wahrscheinlich ist den Regierungschefs schon klar, dass es nicht bei den 50% bleiben dürfte.
Bei einem echten Schuldenschnitt von 50% würde sich Griechenlands Staatsverschuldung halbieren. Anstatt der momentanen Gesamtverschuldung von rund 355 Mrd. Euro wäre Griechenland demnach nach dem Schnitt nur noch mit 177,5 Mrd. Euro verschuldet und müsste nur noch halb so viel für die Bedienung der Zinsen und die Kredittilgung zahlen. Selbst wenn man die Hälfte der ausstehenden Anleihen im Besitz der Banken und Versicherungen von der aktuellen Gesamtverschuldung abziehen würde, käme man jedoch immer noch auf eine Schuldenhöhe von 307,5 Mrd. Euro – aus Sicht des griechischen Staatshaushalts beträgt der „Schuldenschnitt“ somit nicht 50%, sondern gerade einmal 13,5%. Die damit verbundene Senkung des Zinsdienstes ist alles andere als substantiell, vor allem dann, wenn man davon ausgeht, dass die frischen Gelder der EFSF wohl höher verzinst sein werden als die Anleihen, die durch sie ausgelöst werden.
Was für die Banken ein Grund zur Freude ist, hilft den Griechen kein Jota weiter. Wie die Eurozone es schaffen will, die griechische Gesamtverschuldung auf 120% des BIP zu drücken, bleibt wohl das ewige Geheimnis der Regierungschefs. Ein solch hoher Schuldenabbau wäre nur möglich, wenn ein echter Schuldenschnitt in substantieller Höhe stattfinden würde. Davon wären jedoch auch die Kredite der Eurostaaten, der EU und die Zentralbanken betroffen, die momentan Griechenlandanleihen im Wert von rund 63 Mrd. Euro halten. Einzig und alleine der IWF dürfte aus einem solchen Schuldenschnitt unbeschadet hervorgehen, da seine Kredite traditionell vorrangig (super-senior) sind und vor den Anleihen aller anderen Investoren, deren Kredite gleichrangig (pari-passu) sind, bedient werden.
Blankoscheck für Spekulanten
Die „Freiwilligkeit“ des Anleihentauschprogramms für den Privatsektor war eine der Grundvoraussetzungen seitens der Regierungschefs. Wäre die Teilnahme am Programm nicht freiwillig, würde dies als sogenannter „Default“, also Staatsbankrott, und somit auch als Kreditereignis für die Kreditausfallversicherungen (CDS) gelten. Ein solcher Default hätte unabsehbare Folgen für das Finanzsystem, da viele europäische Finanzinstitute die Emittenten dieser Versicherungen sind und im Falle eines Defaults die volle Versicherungssumme an die Halter der CDS auszahlen müssten. Für zahlreiche Hedgefonds und Spekulanten ergibt sich durch diese Konstellation jedoch eine erstklassige Spekulationsmöglichkeit. Will die Eurozone verhindern, dass es zu einem unfreiwilligen Tausch der Anleihen kommt, muss sie die Anleihenbesitzer, die sich nicht auf einen freiwilligen Tausch einlassen, zu 100% auszahlen. Geschieht dies nicht, liegt zweifelsohne ein Default und somit ein Kreditereignis vor.
Banken und vor allem Privatinvestoren und Hedgefonds können sich somit überlegen, ob sie sich auf das noch auszuhandelnde freiwillige Tauschprogramm einlassen oder ob sie alles auf eine Karte setzen und damit pokern, dass sie ihre Anleihen zum vollen Nennwert einlösen können. Je mehr Banken sich am freiwilligen Tauschprogramm beteiligen, desto größer ist die Chance für Spekulanten, für Anleihen, die bereits um fast 70% abgewertet wurden, den vollen Nennwert zurückerstattet zu bekommen. Der Leidtragende ist auch in diesem Fall der griechische Staat.
Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die Gipfelergebnisse für andere angeschlagene Staaten haben werden. Aus den ersten Reaktionen der Banken geht bereits hervor, dass sie nun ihre Risikoaufschläge erhöhen werden. Für Länder wie Spanien oder Italien ist dies ein fatales Signal. Wenn die Risikoaufschläge so hoch sind, dass diese Länder sich nicht mehr am Finanzmarkt refinanzieren können, müssen auch sie die Gelder der EFSF in Anspruch nehmen. Dadurch wird erst die Krise geschaffen, die man eigentlich entschärfen wollte.
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