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Titel: Schulden streichen – gut gemeint, aber nicht ausreichend und Konsequenzen nicht durchdacht

Datum: 24. Oktober 2011 um 8:59 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Finanzkrise, Schulden - Sparen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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In den letzten Wochen sind wir oft auf Texte von Dritten mit dem Vorschlag zum Schuldenschnitt im Falle Griechenlands aufmerksam gemacht und aufgefordert worden, uns den Vorschlägen anzuschließen. Heiner Flassbeck, dem ich mich auch bei diesem Thema verbunden fühle, hat am 21.10. einen aufschlussreichen Text dazu geschrieben: „Schuldenstreichen – und was dann?“ Siehe unten. Albrecht Müller.

Flassbeck zeigt, dass mit dem Schuldenschnitt die Probleme nicht gelöst sind, dass Länder wie Griechenland auch ein Wachstumsproblem haben. (Ich würde sagen: ein „Beschäftigungsproblem“.) „Um einer Rezession zu entkommen, brauchen alle Volkswirtschaften der Welt positive Impulse“, schreibt Heiner Flassbeck in der Badischen Zeitung und er begründet, warum Argentinien nicht als Vorbild taugt.

Die vielen Vorschläge zum Schuldenschnitt haben vermutlich – soweit sie ernst genommen wurden – immer wieder dazu beigetragen, die Spekulation auf dieses Ergebnis anzuheizen. Das ist ein bedauerlicher Nebeneffekt dieser Art von öffentlicher Debatte. Vermeiden kann man diese wohl nicht. Aber man könnte es sich wünschen, dass die Vorschlagenden etwas zurückhaltender wären.

Dass Vorschläge wie jene zu einem Schuldenschnitt so inflationär gemacht werden, hat wohl ein Stück weit damit zu tun, dass manche der Debattierenden einen häufig auftretenden Denkfehler machen: Sie machen ihre Vorschläge unter der Annahme, alles drum herum bliebe unberührt. Man nennt das die Ceteris-paribus-Annahme.

Nun zu FlassbecksText:

Schulden streichen – und was dann?

von Heiner Flassbeck

Badische Zeitung, 21. Oktober 2011

Die Art und Weise, wie in Deutschland in immer heftigeren Wellen ein Schuldenschnitt für Griechenland gefordert wird, hat etwas geradezu Manisches an sich. Einige scheinen zu hoffen, mit dem endgültigen Eingeständnis der Schuld des „schlimmsten Schuldners“ werde der Alptraum der Eurokrise quasi über Nacht enden. Aber auch weniger emotional geleitete Beobachter sind der Meinung, es sei der absolut hohe Wert ihrer Schulden, der den Ländern auf den Schultern liegt und sie daran hindert, wie Phoenix aus der Asche aufzusteigen. Das ist ein schwerwiegender Irrtum.

Alle in Bedrängnis geratenen Länder der Eurozone haben nicht nur ein Schuldenproblem, sondern auch ein Wachstumsproblem. Sie haben kein Mittel, sich aus der Rezession zu lösen, sondern geraten wegen der Sparauflagen der Gläubiger immer tiefer hinein. Die Rückkehr zu Wachstum ist aber die entscheidende Voraussetzung für eine dauerhafte Milderung des Schuldenproblems. Wenn ein Gläubiger nun „großzügigerweise“ auf einen Teil seiner Forderungen verzichtet, ist das Wachstumsproblem in keiner Weise gelöst, ja, seine Lösung wird sogar erheblich erschwert.

Um einer Rezession zu entkommen, brauchen alle Volkswirtschaften der Welt positive Impulse. Die können von der Geldpolitik, von der Finanzpolitik, von positiven Zukunftserwartungen und guten Einkommenssteigerungen der Konsumenten oder von einer florierenden Weltwirtschaft kommen. Wird einer dieser Faktoren von einem Schuldenschnitt positiv beeinflusst? Selbst wenn man für den Moment einmal unterstellt, alle negativen Ansteckungseffekte im In- und Ausland könnten beherrscht werden, ist die Antwort klar: nein.

Kann die Geldpolitik die Zinsen senken oder werden auf den Märkten die nationalen langfristigen Zinsen sinken? Sicher nicht, die langfristigen Zinsen werden eher noch steigen bzw. das Land wird nach dem Schuldenschnitt gar kein Geld erhalten und die Europäische Zentralbank kümmert sich in ihrer Zinspolitik sowieso nicht um einzelne Länder. Kann der nun teilweise entschuldete Staat die Konjunktur mit neuen Schulden anregen? Niemals, weil die Europäische Union und die immer noch vorhandenen Gläubiger es verbieten werden. Außerdem würden die Zinsen noch mehr steigen und bald ein neues Schuldenproblem schaffen. Kann man auf die Konsumenten setzen? Noch weniger, weil die Einkommen sinken und sie von dem Schuldenschnitt noch mehr verunsichert werden. Ein positiver Beitrag der privaten Binnennachfrage ist in einer solchen Situation unmöglich. Das Gegenteil tritt ein, die Bürger werden aus Angst vor der Zukunft noch mehr sparen.

Bleibt das Ausland. Hier lag in der Tat die Lösung im Falle Argentiniens, der so oft als Positivbeispiel eines Schuldenschnitts zitiert wird. Dabei wird aber gerne vergessen zu sagen, dass Argentinien seine Währung gleichzeitig gegenüber dem Rest der Welt um 65 Prozent (!) abgewertet und dadurch enorm an internationaler Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hat. Zudem stiegen die Rohstoffpreise und begünstigten den Aufschwung. Nichts dergleichen kann man in Europa erwarten. Wer in der Währungsunion bleibt, verharrt auch in seiner Wettbewerbsposition. Wer versucht, über Lohnssenkung seine Wettbewerbsposition zu verbessern, verliert bei der Binnennachfrage mindestens so viel, wie er im Export gewinnt. Hinzu kommt, dass mit der damit einhergehenden Deflation die Schulden wieder aufgewertet werden.

Auch wer jetzt auf Irland verweist, täuscht sich und andere. Irland ist in der Tat durch Lohnsenkung wieder in eine positive Wachstumsphase geraten, aber dort liegt der Anteil des Exports am gesamten Bruttoinlandsprodukt bei mehr als einhundert Prozent, in Griechenland, Italien oder Spanien nur bei gut 20 Prozent. Bei solch geringen Anteilen ist Lohnsenkung tödlich.

Gesamtwirtschaftliche Prozesse sind immer um einiges komplizierter, als es sich der Laie oder ein von Verfahren an sich faszinierter Jurist vorstellen kann. Wer vorschnell, also ohne das Wachstumsproblem zu lösen, Länder in einen Schuldenschnitt drängt, drängt sie aus der Währungsunion hinaus. Wenn Südeuropa aber aus der Währungsunion aussteigt, muss es massiv abwerten, um sein Wachstumsproblem schnell zu lösen. Das bedeutet massive Aufwertung für Deutschland und massive Arbeitsplatzverluste für ein Land, dessen Export gerade die 50 Prozent Grenze überschritten hat.


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