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Titel: „Ich halte diese Bahn für nicht mehr reparabel.“
Datum: 29. Januar 2024 um 10:00 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Interviews, Verkehrspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Mit einem fast sechs Tage dauernden Arbeitskampf haben die Lokführer den Zugverkehr in Deutschland weitestgehend lahmgelegt. Politik und Medien sehen in der Gewerkschaft GDL den Hauptschuldigen in der Auseinandersetzung, beklagen Maßlosigkeit und mangelnde Rücksichtnahme auf die Kunden. „Vollstes Verständnis“ für die Streikenden hat dagegen Arno Luik. Im Interview mit den NachDenkDeiten lässt der Journalist und Bestsellerautor kein gutes Haar am Staatskonzern mit einer Führungsriege aus „Azubis“, die sich „durchgeknallte“ Boni dafür genehmigten, einen einst „perfekt funktionierenden“ Betrieb vor die Wand gefahren zu haben. Sein Verdikt: „Diese Bahn ist eine Zumutung.“ Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.
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Ralf Wurzbacher: Seit Dienstag vorangegangener Woche wurde die Deutsche Bahn (DB) in einem Arbeitskampf historischer Dimension bestreikt und alle motzten – bevorzugt gegen die „starrköpfigen“ Lokführer. Gegen wen motzen Sie?
Arno Luik: Ich motze nicht, ich staune. Ich staune über das, was in diesem Land alles möglich ist in Sachen Bahn. Da klebt diese Bahn als Zeichen ihrer angeblichen Umweltliebe grüne Streifen auf ihre ICE-Züge und verkündet: „Wir sind eine Öko-Bahn. Wir tun was fürs Klima.“ Doch gleichzeitig beteiligt sich dieser Staatskonzern über eine Bahn-Tochter in Mexiko an dem so gigantischen wie verwerflichen Bahnprojekt „Tren Maya“, ein Touristenzug, der auf über 1.500 Kilometern Länge durch malerische Landschaften führt – auch quer durch Regenwälder. Massenweise müssen für diesen Zug, von dem die Einheimischen nichts haben, diese für das Ökosystem so wichtigen Regenwälder abgeholzt werden. Dort lebende Nachfahren der Maya kämpfen gegen diesen Bau, indigene Völker fürchten, dass der Zug das sensible Ökosystem gefährdet, ihre Lebensgrundlagen zerstört und sie dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Geht’s noch?
Diese Bahn, die hierzulande nicht in der Lage ist, ihre Strecken zeitgemäß zu elektrifizieren, vermeldet voller Stolz, dass sie „das größte Bahnprojekt in der Geschichte Ägyptens und mit 2.000 Streckenkilometern sechstgrößte Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt übernehmen“ wird. Was soll dieser Auslandseinsatz? Angesichts des erbärmlichen Zustands der Bahn hierzulande? Hier sind gerade mal 61 Prozent der Strecken elektrifiziert – eine Schande für dieses Industrieland. Diese Bahn ist eine Zumutung. Und ich staune, mit welch buddhistischer Geduld die Bürger das alles hinnehmen: diese Verspätungen, diese Zugausfälle, diese strukturelle Unzuverlässigkeit, den offensichtlichen Zerfall eines so wichtigen Verkehrsmittels, diese Unfreundlichkeit gegenüber den Kunden. Und so unfreundlich benimmt sich die Bahnspitze auch nach innen, man sieht es nun beim aktuellen Lokführerstreik. Ziemlich ungehobelt agiert da die Staatsbahn.
Ungehobelt?
Es ist ein Unding, einen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 32 Monaten durchsetzen zu wollen. Die Bahn ist zu 100 Prozent im Staatsbesitz. Ich finde, ein Staatsbetrieb sollte ein Vorbild sein, was sein Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern betrifft. Doch das Bahn-Management agiert frech: Die Zeiten sind überaus unsicher, ökonomische Verwerfungen jederzeit möglich, ein Anhalten der Rekordinflation nicht unwahrscheinlich. Und in einer solchen Situation den Beschäftigten einen Tarifvertrag über zweieinhalb Jahre anzubieten – das ist eine Provokation.
Lange Laufzeiten liegen im Trend …
Das mag sein. Aber ist dieser Trend gut für die abhängig Beschäftigten? Nochmals: Die Bahn ist ein hundertprozentiges Staatsunternehmen, daraus erwächst eine besondere Verantwortung. Nun möchte die GDL den Einstieg in die 35-Stunden-Woche. Die gibt es bei der IG-Metall schon seit drei Jahrzehnten, für viele Betriebe ist dieses Modell längst das Normalste der Welt. Und genauso müsste es für einen Staatskonzern sein, der von uns Bürgern jedes Jahr viele Milliarden Euro an Steuergeldern bekommt. Wer zufrieden ist, streikt nicht. Streik ist Notwehr.
Dabei geht es bei dem Konflikt gar nicht um eine flächendeckende, sondern um eine Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter. Trotzdem wollte die Bahn-Führung – bis zur am Wochenende signalisierten Verhandlungsbereitschaft – über zwei Monate lang gar nicht über die GDL-Forderung reden.
So haben damals auch die Metallarbeitgeber geblockt, um dann nach sieben Wochen Streik einzulenken. Diese Bahn könnte natürlich die GDL-Forderung erfüllen. Wenn man ins Ausland schaut, nach Österreich, Luxemburg, in die Schweiz, zeigt sich, dass das Verhältnis zwischen der jeweiligen Bahnführung und den Angestellten gut funktioniert. Die dortigen Bahnmitarbeiter werden auch besser entlohnt, sie haben ordentliche Arbeitszeiten, nach Schichtdiensten geregelte Ruhezeiten. Warum geht das nicht in Deutschland?
Ja, warum eigentlich nicht?
Ich kenne Lokomotivführer, die im Jahr 400 bis 600 Überstunden anhäufen. Unfassbar. Ein normales Familienleben ist da kaum mehr möglich. Der Krankenstand bei der Bahn ist sehr hoch, der Schichtdienst sehr anstrengend. Mein vollstes Verständnis dafür, dass die Lokführer um bessere Bedingungen kämpfen. Es gibt ja auch noch einen Grund, weshalb die Streikbereitschaft so groß ist. Das speist sich aus einem tief sitzenden Gefühl der Ungerechtigkeit. Die Bahn-Mitarbeiter sehen die absurd hohen Gehälter ihrer Vorstände, die völlig durchgeknallten und nicht zu rechtfertigenden Boni – allein neun Millionen Euro für die neun DB-Vorstandsmitglieder. Boni für was? Und warum?
Diese Bahn-Chefs haben aus einer mal hervorragend funktionierenden Bahn ein marodes Unternehmen geschaffen. Ein Unternehmen, das – kein Witz, die Wahrheit – die Finanzen des Staatshaushalts gefährdet. Diese Bahn ist mit 35 Milliarden Euro in den Miesen! Faktisch pleite. Und in einer solchen Situation Bahnchef Richard Lutz zu seinem überaus üppigen Grundgehalt, dreimal so hoch wie das des Bundeskanzlers, einen Bonus von zwei Millionen Euro zu spendieren – das lässt sich niemandem vermitteln.
Dieses Absahnen schafft Staatsverdrossenheit, eine gefährliche Stimmung gegen „die da oben“. Es schafft Frust und Empörung bei den Bahn-Mitarbeitern, die diesen zerfallenden Laden am Laufen halten. Gestresste Mitarbeiter, die wegen Verspätungen, Zugausfällen die Aggressionen der Kunden ertragen müssen – und das zu Löhnen, für die ihre Chefs sich nicht aus ihren Sesseln erheben würden.
Dabei geht es auch anders. Die Bahntarifrunde betrifft neben der DB rund 60 weitere öffentliche und private Eisenbahnunternehmen und in knapp 20 Fällen wurde bereits ein Abschluss erzielt.
Und jedes Mal hat die Gegenseite einem schrittweisen Einstieg in die 35-Stunden-Woche zugestimmt. GDL-Chef Claus Weselsky wird ja jetzt häufig als der böse Bube dargestellt. Er ist aber – zumal CDU-Mitglied – kein Klassenkämpfer. Das sieht man auch daran, dass er diese Verträge mit vielen privaten Bahnunternehmern ratzfatz abgeschlossen hat. Da gab es faire Angebote, ordentliche Lohnerhöhungen und Erholungszeiten wurden vereinbart. Aber die Deutsche Bahn sperrt sich gegenüber diesen Selbstverständlichkeiten. Warum? Will sie einer etwas aufmüpfigen Gewerkschaft eine Lektion zu erteilen? Will die Bahn-Spitze bloß noch mit der kuschelzahmen Gewerkschaft EVG verhandeln?
Allmählich schleift sich so ein Tenor in die Debatte ein: Streikrecht und Tarifautonomie sind ja schön und gut. Aber irgendwo muss auch mal Schluss sein. Wie klingt das in Ihren Ohren?
Das ist bei jedem größeren Streik so. Friedrich Merz, Chef der BlackRock-CDU, spricht von einem „Streik-Exzess“ und will Gesetzesänderungen. Seine MdB-Kollegin Gitta Connemann fordert Verschärfungen, um solche Tarifkämpfe prinzipiell zu verhindern – alles Anschläge auf das Streikrecht, die Tarifautonomie. Ich habe die Sorge, dass gerade in den Zeiten der sogenannten „Zeitenwende“ bis vor Kurzem Undenkbares nun möglich wird: eben die Einschränkung des Streikrechts. Wobei, das muss gesagt werden, das deutsche Streikrecht ohnehin ein ziemlich schwächliches ist im internationalen Vergleich.
Sie sagen es: Politische Streiks, das vielleicht schärfste Schwert gegen die Obrigkeit, sind verboten. Anderswo, etwa in Frankreich, gibt es Generalstreiks in Serie, auch und gerade seit der „Zeitenwende“.
Ich will jetzt nicht zu düster werden und vielleicht gehe ich etwas zu weit, aber ich setze meine Gedanken mal in einen größeren Kontext: Bisher lautete die Prämisse unseres Staates nach der Erfahrung zweier Weltkriege: „Nie wieder Krieg!“ Dieses Glaubensbekenntnis ist entsorgt. Plötzlich spricht der deutsche Verteidigungsminister davon, kriegstüchtig zu werden. Plötzlich sagt der EU-Industriekommissar Thierry Breton, ein wichtiger Stratege: „Wir müssen in den Modus der Kriegswirtschaft wechseln.“ Kriegsertüchtigung. Kriegswirtschaft. Gedanken und Sätze, die es vor Kurzem nicht gab. Man müsse sich gegen einen Angriff Russlands gegen die EU wappnen, heißt es. Wer solche Gedankenspiele anstellt, der denkt sicherlich auch darüber nach, ob Streiks bei der kritischen Infrastruktur noch sein dürfen.
Weil das die Kriegsertüchtigung hemmen könnte?
Ja. Vielleicht werden die Bahn-Mitarbeiter plötzlich wieder zu Beamten, die dürfen ja nicht streiken. Bei dem Tempo, wie diese sogenannte Zeitenwende ehedem eherne Grundsätze über den Haufen wirft, kann einem schummerig werden.
Zurück zum Bahntarifkonflikt …
Es heißt ja, der Streik dauert zu lang und richtet großen volkswirtschaftlichen Schaden an. Da muss ich ein wenig lachen. Wenn es heute mal, was im Winter passieren kann, ein wenig schneit, dann stellt die Bahn häufig den Verkehr ein, hängt ganze Bundesländer vom Verkehr ab. Neulich gab es Schnee in Bayern, in München, fast ganz Bayern fuhren zwei Tage lang keine Züge mehr – ein teurer Witz für die Volkswirtschaft.
In der Schweiz, in Österreich, in Norwegen, Finnland und Schweden schneit es viel mehr und da brausen die Züge ohne Probleme durch den Schnee. So war das auch mal in Deutschland. „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“, hieß es bei der Bahn. Aber inzwischen ist die Bahn so runtergekommen, so runtergerockt, dass sie nicht in der Lage ist, ein bisschen Schnee wegzuräumen. Früher wurde geschippt, wurden die Weichen freigeschaufelt. Die Züge fuhren. Auf jedem Bahnhof, und es gab sehr viele, war man auf den Winter vorbereitet. Bahn-interner Spott heute: „Die einzigen Schneebesen, die es bei der Bahn noch gibt, sind die Schneebesen in den ICE-Bistros.“
Die Bistros sind auch nicht selten „out of order“, wie die Toiletten, die Anschlussanzeigen und und und …
Noch ein Wort zu diesem ideologischen Kampfsatz: „Die GDL verursacht volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe.“ Was macht die Bahn-Spitze? Sie sperrt monatelang die wichtigsten Bahnstrecken im Land. Vollsperrung. Etwa die Hauptverkehrsachse in Europa zwischen Frankfurt und Mannheim, fünf Monate lang, um die nicht instandgehaltene Strecke zu sanieren. Die Strecke zwischen Berlin und Hamburg wird ebenfalls monatelang gesperrt. Überdies fallen bei der Bahn jährlich Zehntausende von Zügen komplett aus, 2018 waren es 140.000 – ein immenser ökonomischer Schaden. Bahnalltag in Deutschland. Dagegen ist ein Sechs-Tage-Streik fast ein Witz.
Das Sperren von Strecken – ist das in anderen Ländern nicht undenkbar?
Was die Deutsche Bahn da anstellt, ist weltweit einmalig. Seit Züge fahren, repariert man „unterm laufenden Rad“. Der Kunde merkt meist nichts davon. Aber heute agiert die Bahn völlig unfähig und rücksichtslos. Was die Bahn mit ihrer sogenannten Generalsanierung treibt, ist der größte anzunehmende Unfug, schlimmer noch: Dieser GAU ist ein Umerziehungsprogramm. Er macht frustrierte Bahnkunden zu Autofahrern.
Warum eigentlich freut sich die Bahn-Führung nicht über den GDL-Streik? Schließlich kann sie den üblichen Stillstand eine ganze Woche lang anderen in die Schuhe schieben …
Der Notfahrplan, der für die Streiktage gilt, funktioniert wahrscheinlich besser als der Regelfahrplan. Warum? Jetzt ist das kaputtgesparte Bahnnetz mal für ein paar Tage nicht überlastet. Man muss sich vorstellen: 1994 betrug die Netzlänge über 40.000 Kilometer, heute sind es noch 33.000 Kilometer – ein Rückbau von rund 20 Prozent. Wären die Autobahnen um 20 Prozent zurückgebaut worden, es würde das totale Chaos herrschen. Und dieses Chaos haben wir nun bei der Bahn.
Im Titel Ihres Bestsellers „Schaden in der Oberleitung“ schreiben Sie vom „geplanten Desaster der Deutschen Bahn“. Das klingt nach Verschwörungstheorie. Wer sind die Planer und wozu der Plan?
Wir leben in einem absolut verrückten Autoland. In Österreich, der Schweiz, Italien funktionieren die Bahnen. Warum nicht in Deutschland? Ist eine schlechte Bahn ein Zufall, ein Betriebsunfall? Ich glaube nicht. Seit den frühen 1990er-Jahren kamen an die DB-Spitze Manager, die bei Amtsantritt keine Ahnung vom hochkomplexen System Bahn hatten: Heinz Dürr – Autoindustrie; Hartmut Mehdorn – Auto- und Luftfahrtindustrie; Rüdiger Grube – Autoindustrie. Das waren Bahn-Azubis, alles überbezahlte Azubis.
Sie haben Volksvermögen verschleudert, sie haben das fast Nichtmachbare geschafft: Aus einer perfekt funktionierenden Bahn einen maroden Laden zu schaffen, der Milliarden verschlingt, aber seinen Kunden immer weniger bietet. Die Deutsche Bahn war mal ein weltweites Vorbild in Sachen Zugfahren, selbst die Schweizer staunten, was für eine tolle Bahn die Deutschen hatten. Zu Recht hieß es: „Pünktlich wie die Eisenbahn.“ Heute heißt es: „Schaden in der Oberleitung“, „Störung im Betriebsablauf“ – Worte, die früher kein Bundesbürger kannte.
Und jetzt haben die Eidgenossen Züge aus Deutschland quasi ausgesperrt, weil sie die eng getakteten Fahrpläne durcheinanderbringen …
Die Schweizer haben keine Lust, sich ihre perfekten Fahrpläne durch die notorisch unfähige Deutsche Bahn kaputtmachen zu lassen. Es ist wirklich tragisch: Die Bahn wurde in rund 30 Jahren, seit der Bahn-Reform, als das Unternehmen sexy für die Börse gemacht werden sollte und zur Aktiengesellschaft wurde, nachhaltig ruiniert. Ich halte diese Bahn für nicht mehr reparabel. Es ist sehr einfach, etwas zu zerstören, aber viel schwerer ist es, das Zerstörte zu reparieren.
Es fehlt heute an allem: an Gleisen, an Land für Gleise, an Loks, an Personal, aber vor allem fehlt es an Know-how. Beispielhaft dafür der Vorstand der Deutschen Bahn. Keiner der Damen und Herren dort hat das Bahnhandwerk von der Pike auf gelernt. Es heißt ja nun oft: Lutz sei ein Bahner, er sei lange bei der Bahn. Das stimmt. Aber er war Finanzkontrolleur. Und er hat all die zerstörerischen Sparprogramme seiner Chefs mitgetragen und exekutiert.
Aber wird jetzt nicht endlich alles besser? Seit Jahresanfang wirkt unter dem DB-Dach die neue Netzgesellschaft InfraGO, die per Kraftakt und mit viel öffentlichem Geld unter dem Label Gemeinwohlorientierung das marode Schienennetz in Schuss bringen will. Wie weit reicht Ihre Zuversicht, dass das hinhaut?
Augenwischerei. Es geht weiter wie bisher. „Gemeinwohlorientiert“ besagt gar nichts, der juristisch belastbare Begriff wäre „gemeinnützig“. Ich fürchte, diese InfraGO wird ein Einstieg in die Zerschlagung und Privatisierung der Bahn sein. Vor einiger Zeit, nach dem gescheiterten Börsengang, sagte Bahn-Chef Lutz, der Börsengang sei nur verschoben, nicht aufgehoben. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Nun wurden der Bahn von der Politik ja viele Milliarden Euro versprochen. Nur: Es gibt eine unsägliche Geschichte der Versprechungen in Sachen Bahn. Aber nichts davon wurde je eingelöst, im Gegenteil. Und noch etwas: Im Koalitionsvertrag umfasst das Thema Bahn gerade mal eine Seite – angefüllt mit den üblichen Versprechungen, den lästigen Plattitüden. So richtig wichtig scheint den Regierenden die Bahn, diese angeblich so wichtige Waffe für die ökologische Verkehrswende, nicht zu sein.
Das neueste Versprechen, auf kurze Sicht 43 Milliarden Euro zu investieren, ist auch schon wieder hin, weil in Teilen vom Haushaltsloch der Ampel geschluckt. Ihr Urteil?
Selbst wenn es das Geld gäbe, würde es doch nur in wahnwitzigen Betonprojekten wie Stuttgart 21, Untertunnelung von Frankfurt oder ICE-Rennstrecken verbaut. Alles, was über 230 Kilometer schnell fährt, ist unökologisch. Viele der Neubaustrecken führen durch unglaublich lange Tunnel mit einer desaströsen Ökobilanz. Ein gebauter Tunnelkilometer setzt so viel CO2 frei wie 26.000 Pkw mit einer Jahresleistung von 13.000 Kilometern.
Gibt es überhaupt etwas, was Ihnen in puncto Bahn noch Hoffnung macht?
Wenig. Besserung wäre nur möglich, würde man die komplette DB-Führung entlassen und durch Bahnfachleute ersetzen, die das Handwerk gelernt haben und es beherrschen. Wird Bahn-Chef Lutz entlassen? Man kann nicht davon ausgehen, dass jene, die das Desaster angerichtet haben, die Retter sein können. Man macht ja einen Brandstifter nicht zum Feuerwehrkommandanten. Nochmals: Von den neun Bahn-Vorständen ist kein Einziger ein gelernter Eisenbahner. Wenn der FC Bayern München einen Mittelstürmer sucht, würde er einen Basketballspieler holen? Ich glaube nicht. Aber so agiert die Politik bei der Bahn – seit viel zu vielen Jahren.
Zur Person: Der Journalist und Autor Arno Luik, Jahrgang 1955, gilt als einer der profiliertesten Kritiker der Deutschen Bahn (DB) und der bahnpolitisch Verantwortlichen. Sein 2019 erschienenes und 2021 aktualisiertes Buch „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Für seine Enthüllungen zum Bahnprojekt Stuttgart 21 hatte er 2010 den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ des Netzwerks Recherche erhalten. Geschätzt ist Luik für seine geistreichen Interviews mit Prominenten aus Politik und Gesellschaft. Eine Sammlung der besten Gespräche mit dem Titel „Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna.“ war 2022 im Westend Verlag erschienen.
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