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Titel: Die Präsidentschaftswahl in Russland 2024: Kommunisten, Rechtspopulisten und blondierte Damen
Datum: 25. Januar 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Medienkritik, Wahlen
Verantwortlich: Redaktion
Vom 15. bis zum 17. März 2024 sind Präsidentschaftswahlen in Russland. Zwei Monate vor der Abstimmung haben nun etwa zwei Dutzend Politiker ihre Teilnahme angekündigt. Welche Kandidaten wird man auf dem Wahlzettel sehen, und welche Berichterstattung ist zu erwarten? Von Artur Leier.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Noch bis Ende Januar haben Interessenten Zeit, die benötigten Unterschriften zu sammeln und bei der Wahlkommission einzureichen. Die Hürden dafür sind einem 150-Millionen-Staat angemessen, aber für wenig verankerte Parteien und vor allem Einzelbewerber beachtlich: 105.000 Unterschriften für den Kandidaten einer Partei und 315.000 für individuelle Bewerber.
Offiziell registriert sind bis jetzt vier Präsidentschaftskandidaten: Nikolai Charitonow von den russischen Kommunisten (KPRF), Leonid Sluzki von den Rechtspopulisten der Liberal-Demokratischen Partei Russlands (LDPR), Wladislaw Dawankow von der neuen wirtschaftsliberalen bzw. liberal-konservativen Partei „Neue Leute“ und natürlich der amtierende russische Präsident Wladimir Putin als parteiunabhängiger Bewerber. Anfang Februar wird feststehen, welche weiteren Kandidaten die Kriterien erfüllen konnten und von der Wahlkommission registriert wurden.
Blondierte Randfiguren für das westliche Publikum
Russlandgegner im Westen tasten gerade ab, wie die Medienkampagne zu dieser Wahl aussehen soll und ob unter den Kandidaten „geeignete Gesichter“ existieren. In der taz liest man von einer Jekaterina Dunzowa, die „nicht einmal registriert“ wurde und sich gerne für Liebe und Freundschaft sowie für „die Rechte sexueller Minderheiten“ einsetzen würde. Wir erfahren, dass ihre „Verwandten und Freunde“ meinten, sie würde es schaffen, und die taz fügt hinzu:
„Gegen das Regime. Gegen ihre eigene Angst.“
In Wirklichkeit weiß selbst in ihrer Heimatstadt Rschew kaum jemand, wer Frau Dunzowa ist, und nennenswerte politische Erfahrung kann sie ebenfalls nicht vorweisen. Aber (relativ) junge (und sogar wasserstoffblondierte) Damen produzieren zumindest gute Fotos für Artikel gegen die Wahl. Ähnliches sahen wir vor einigen Jahren mit der gleichaltrigen Swetlana Tichanowskaja (geb. Piliptschuk) in Weißrussland. Auch sie ist trotz aktiver Unterstützung aus dem Westen gescheitert, wird aber noch für mögliche zukünftige Einsätze warmgehalten – zuletzt im November 2023 als Ehrengast beim Bundesparteitag der Grünen in Karlsruhe.
Im ehemals sozialistischen Organ Neues Deutschland wird sich gar nicht erst die Mühe gemacht, eine pro-westliche Anti-Putin-Kandidat*in zu präsentieren. Stattdessen lesen wir das Interview mit einer gewissen Anastasia Brjuchanowa: jünger als Frau Dunzowa aus der taz (aber nur goldblondiert statt wasserstoffblondiert) und umso entschlossener im Kampf „gegen das Regime“. Von ihr erfahren die verbliebenen Leser des nd, dass Wahlen in Russland a priori manipuliert seien und „nur ganz oberflächlich echten Wahlen“ gleichen würden. Ganz objektiv und nicht suggestiv fragt das Blatt, warum „sich der russische Machtapparat sogar die Mühe“ mache, „eine kleine Zahl von Abgeordneten einer echten Opposition im Parlament zu verhindern“. Frau Brjuchanowa, die Russland „nach Beginn der russischen Ukraine-Invasion verließ“ und jetzt in Deutschland lebt, bricht aus der Distanz ebenfalls eine Lanze für Frau Dunzowa aus der taz: „Im Dezember wurde beispielsweise beschlossen, dass die Kriegsgegnerin Jekaterina Dunzowa nicht teilnehmen darf.“
Es ist also davon auszugehen, dass die Medienstrategie zur A-priori- und A-posteriori-Delegitimierung der russischen Präsidentschaftswahl im Kant-Jahr 2024 auf zwei Säulen fußen wird:
Rechtspopulisten ohne ihre vertraute Stimme
Was ernsthafte Bewerber betrifft, die sich an die demokratischen Regeln halten, so seien hier vor allem Leonid Sluzki von der rechtspopulistischen LDPR und Nikolai Charitonow von den Kommunisten der KPRF erwähnt. Leonid Sluzki ist Doktor der Wirtschaftswissenschaften, langjähriger Duma-Abgeordneter und leitet dort den Ausschuss für internationale Angelegenheiten. Obwohl er, vor allem in seiner Funktion als Leiter der internationalen Beziehungen im russischen Parlament und seit Kurzem als Vorsitzender der LDPR, einiges an Bekanntheit erlangt hat, kämpft seine Partei noch immer mit dem Verlust ihres Gründers und „ewigen Vorsitzenden“ Wladimir Schirinowski. Nicht wenige Politikexperten sind der Meinung, dass die LDPR faktisch Schirinowski war und ohne ihn große Schwierigkeiten haben wird, ihre Stellung bei den Wählern zu behalten.
Der 2022 verstorbene Schirinowski war auch immer der unangefochtene Kandidat der LDPR zur Präsidentschaftswahl. Ein Sieg gegen Putin war nie auch nur annähernd realistisch, und stattdessen nutzte er die Präsidentschaftswahlen immer als Werbeplattform für sich und seine Partei – mit zahlreichen medialen Auftritten und Kandidatendebatten auf großen Kanälen zur besten Sendezeit. Der rhetorisch äußerst starke Parteichef verstand es hervorragend, Politik mit Unterhaltung zu verbinden, und seine Teilnahme garantierte jeder Sendung ein deutliches Plus bei den Zuschauerzahlen. Inhaltlich variierten seine Auftritte dann von Sowjetnostalgie bis Antikommunismus, von starkem Staat mit Lob für Stalin bis zu freier Marktwirtschaft mit Kritik an Lenin, von intelligent vorgetragenen Argumenten bis zu derben Beleidigungen und halben Schlägereien im Studio.
Dies kann der neue Parteichef und Präsidentschaftskandidat Sluzki nicht leisten. Er hat zusätzlich das Problem, dass ein großer Teil der Inhalte der LDPR von der Stimmung seines Vorgängers Schirinowski abhing. Diese waren immer gefühlt patriotisch und gezielt populistisch, aber für die Wähler der LDPR war das wahre Wahlprogramm dieser Partei nicht das offiziell niedergeschriebene, sondern das, was der Parteivorsitzende Schirinowski, das Gesicht und die (laute) Stimme der Partei, in den letzten Wochen medienwirksam in die Kamera schrie.
Erschwerend hinzu kommt, dass sich die Inhalte der LDPR mit den Positionen des amtierenden Präsidenten überschneiden. Auch Putin hat sich als Verteidiger der traditionellen europäischen Werte und des Christentums positioniert. Als Partner in der EU gelten vor allem konservative bis rechtskonservative Politiker wie Viktor Orbán aus Ungarn, und die Zusammenarbeit in vielen EU-Staaten läuft vorwiegend mit der „rechten“ Opposition. Denn auch außerhalb Russlands wird er von vielen Menschen als Gegner des (westlichen) Liberalismus und konservative Führungsfigur wahrgenommen. Gerade in den „liberalen Demokratien“ des Westens hat er damit viel Zuspruch bei Menschen, die sich in Opposition zur herrschenden Ideologie befinden.
Damit überschneiden sich aber die Inhalte der ironischerweise antiliberalen und (im Sinne des westlichen Demokratiebegriffs) demokratiekritischen „Liberal-Demokraten“ zu stark mit der insgesamt konservativen bis sozial-konservativen Linie Wladimir Putins. Meine Prognose ist deshalb, dass die LDPR mit ihrem Kandidaten um Platz 3 kämpfen wird und durchaus auf Platz 4 abrutschen könnte.
Kommunisten mit dialektischer Haltung zur Regierungspolitik
Auf den ersten Blick erscheint die Situation bei den russischen Kommunisten ähnlich. Auch ihr Politikveteran Gennadi Sjuganow, der schon 1996 gegen Boris Jelzin kandidierte und mit massiver Wahlmanipulation durch Oligarchen (häufig mit doppelter Staatsbürgerschaft) und Einflussnahme westlicher „Berater“ um den Wahlsieg betrogen wurde, tritt diesmal nicht persönlich an. Allerdings wird er auch diesen Wahlkampf aktiv medial begleiten und den Kandidaten unterstützen. Kandidat der KPRF ist der 75-jährige Nikolai Charitonow, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und ein Politiker mit viel Erfahrung. Zu Zeiten der Sowjetunion war Charitonow Direktor eines landwirtschaftlichen Großbetriebs (Sowchose), wurde dann 1990, noch in der RSFSR, Abgeordneter der Agrar-Partei Russlands und wechselte 2007 zur KPRF. Auch dort kümmerte er sich, seinem fachlichen Profil entsprechend, in der Duma vor allem um Themen der Landwirtschaft und regionalen Entwicklung.
Interessant ist, dass Charitonow schon vor 20 Jahren, im Präsidentschaftswahlkampf 2004, als Kandidat der KPRF aufgestellt wurde und einen Achtungserfolg von 13,7 Prozent der Stimmen einholte. Inhaltlich ist die Positionierung der Kommunisten gegenüber Wladimir Putin und der Regierungspolitik deutlich unterscheidbar, und im Gegensatz zur LDPR gibt es wenige Überschneidungen bei den Wählergruppen. Das liegt auch am klaren inhaltlichen Profil der KPRF. Die Partei profitiert von der starken Sowjetnostalgie in Teilen der russischen Bevölkerung und steht für viele Wähler (im doppelten Sinne) als „Stimme für die UdSSR“. Zusätzlich kritisiert die KPRF immer wieder soziale Missstände und wird als Partei wahrgenommen, die sich in der Duma als linke und patriotische Kraft positioniert hat. In der russischen Politik bedeutet das: höhere Löhne und Renten, mehr staatliche Kontrolle in der Wirtschaft, aktive Geopolitik und andere Punkte, die von klassischer Sozialdemokratie bis zu patriotischem Sozialismus reichen.
Die KPRF ist auch weniger von konkreten Personen abhängig. Natürlich kommt niemand in der Partei an die Bekanntheit eines Gennadi Sjuganow heran, da dieser zur ersten Reihe der russischen Politiker gehört – gemeinsam mit dem amtierenden Präsidenten, Außenminister, Verteidigungsminister und nur ganz wenigen Politikern der Opposition, von denen man sagen kann, dass sie faktisch jedem Wähler gut bekannt sind. Dazu gehörte auch der oben erwähnte Wladimir Schirinowski von der LDPR. Während der Tod von Schirinowski in den Folgen für seine Partei aber noch nicht absehbar ist und durchaus zu massiven Wahlverlusten führen könnte, so steht bei der KPRF vor allem die Idee im Vordergrund.
Trotzdem ist es auch bei der KPRF zu Überschneidungen mit dem amtierenden Präsidenten gekommen. Das betrifft soziale Fragen, da Putin sich in den letzten Jahren zunehmend um eine sozialere Politik bemüht hat, aber auch die Außenpolitik, wo die KPRF in den letzten Jahren wenig an der Regierungspolitik aussetzen kann. Das sah unter Jelzin natürlich noch ganz anders aus. Aber abgesehen von der Haltung des Kremls zu Libyen 2011, damals unter dem Präsidenten Medwedjew, vertrat die KPRF ähnliche Positionen zum Präsidenten. Das betrifft konkrete Konflikte wie den in Syrien, aber auch die langfristige Bündnispolitik, vor allem die strategische Partnerschaft mit China und den Ausbau der BRICS. Hier konnten die russischen Kommunisten auch wenig kritisieren, da Präsident Putin faktisch eine antiimperialistische Außenpolitik ausführte, auch wenn sie im Kern auf klassischer Realpolitik basiert. Wenn es von der KPRF in diesem Bereich Kritik gab, dann vor allem darüber, dass an einigen Stellen zu lange gezögert wurde, einige Entwicklungen verschlafen wurden (vor allem die Arbeit westlicher NGOs in der Ukraine) und zu lange auf einen Kompromiss mit der NATO und dem Westen gehofft wurde.
Insgesamt ist die Haltung der KPRF deshalb als harte, aber konstruktive Opposition zu bezeichnen. Da, wo die Regierung insgesamt vernünftige Politik betreibt, wird sie (mit Verbesserungsvorschlägen) unterstützt. Da, wo eine schlechte und antisoziale Politik betrieben wird, gibt es harte Kritik und Protest auf der Straße. Dabei wird auch taktisch klug und pragmatisch agiert. In dieser Präsidentschaftswahl ist sich die Führung der KPRF darüber bewusst, dass ein Sieg unmöglich ist und es darum geht, ein möglichst gutes Resultat auf Platz 2 zu erlangen. Der wahre Kampf ist zur nächsten Präsidentschaftswahl zu erwarten, wo eine erneute Kandidatur des bereits 71-jährigen Wladimir Putin eher unwahrscheinlich ist. Für diese Wahl ist meine Prognose für die KPRF ein sicherer Platz 2.
Für uns in Deutschland wird es bei diesen Wahlen vor allem darum gehen, auf Versuche der Stimmungsmache gegen Russland zu achten und sich aus verschiedenen Quellen zu informieren. Um es mit einem berühmten deutschen Philosophen zu sagen: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.
Titelbild: Shutterstock / AntonSAN
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