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Titel: „Kriegstüchtig werden“ statt „Wandel durch Annäherung“

Datum: 22. Januar 2024 um 12:34 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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Das Heute Journal war gestern 11 Minuten lang, zwischen Minute 6:17 und 17:42 und auch noch danach nackte Propaganda für Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit. Siehe hier. Kern dieser Sendung war ein Interview mit dem amtierenden Bundesminister für das Militär, Boris Pistorius, angereichert mit Kommentaren des Militärhistorikers Sönke Neitzel. Weil an der Sendung gut zu erkennen ist, wie heruntergekommen wichtige Medien und unsere Debatte um Krieg und Frieden inzwischen sind, empfiehlt es sich, dieses Stück anzusehen. Am besten laden Sie Freunde und Familie dazu ein, um darüber dann auch gemeinsam zu sprechen. – Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine gravierende sicherheitspolitische Veränderung, die schon in der Überschrift dieses Artikels sichtbar wird. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Annäherung – das war einmal. Jetzt sollen wir kriegstüchtig werden. So tönt Rüstungsminister Pistorius und so auch der CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter. Sie behaupten, Russland habe auf Kriegswirtschaft umgestellt. Wir müssten mit unserer Aufrüstung Tempo machen. So auch der sogenannte Experte Neitzel. Pistorius behauptet, wir müssten mit einem Angriff Russlands auf die NATO rechnen. Wir müssten uns auf einen Krieg vorbereiten. Wir beschaffen im großen Stil Rüstungsgüter. Über 73 Milliarden insgesamt für Rüstung. Das sei der bisher höchste Betrag. Wir geben richtig Gas.

Wenn man sich diese Sprüche nacheinander anhört, dann denkt man, das sei Satire. Und man gewinnt den Eindruck, wir seien wieder in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts angekommen.

Damals tobte der sogenannte Kalte Krieg. Die Russen und der gesamte Osten wurden in der gängigen Propaganda verbal und optisch als Feinde und Barbaren dargestellt. Die Konfrontation zwischen West und Ost wurde dann „gekrönt“ vom Mauerbau am 13. August 1961.

Schon vorher hatte in einigen Zirkeln westdeutscher Politiker – namentlich im Umfeld von Willy Brandt – das Nachdenken über Sinn und Gefahr dieser Konfrontation begonnen. Der Mauerbau beförderte dieses Nachdenken. Nach außen erkennbar wurde dies dann besonders gut bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing am Starnberger See im Juli 1963. Dort traten Willy Brandt und sein damaliger Pressesprecher Egon Bahr auf. Egon Bahr führte in seiner Rede das Motto der neuen Strategie ein. Ihr Kern: „Wandel durch Annäherung“. Hier ist die Rede. Übrigens: Der Zufall will es, dass diese Rede für kommenden Samstag als ein weiteres Element unserer „Serie alter, interessanter Dokumente“ vorgesehen ist. Dabei bleibt es auch.

Der damalige Regierende Bürgermeister und sein Pressesprecher setzten damals darauf, dass der Abbau der Konfrontation zum einen die Welt sicherer macht und zum anderen zu einem Wandel im Innern in den Staaten und Völkern östlich des Eisernen Vorhangs führen würde – also in der UdSSR, in der DDR, in Polen, in Rumänien, in Ungarn usw.

Das war richtig kalkuliert, der Abbau der Konfrontation in Europa und die 1989 gefundene Lösung – die Zusammenarbeit zwischen West und Ost – ist aus meiner Sicht sehr viel mehr der 1963 begonnenen Verständigungspolitik zu verdanken als der Nachrüstung in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Die „Moral von der Geschicht“: Es ist an der Zeit, zur Strategie „Wandel durch Annäherung“ zurückzufinden.

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Titelbild: Screenshot ZDF Heute Journal


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