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Titel: Umfragen in der arabischen Welt zum Gaza-Krieg: Deutschland verliert massiv an Ansehen

Datum: 15. Januar 2024 um 11:59 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Demoskopie/Umfragen, Militäreinsätze/Kriege
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Der Krieg gegen Gaza bestimmt seit 100 Tagen den Alltag der Menschen im Mittleren Osten und in der islamischen Welt. Anfang des Jahres erschienen zahlreiche Umfragen, die die Ansichten der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten sowie in Israel und in den USA – den beiden Hauptakteuren im Krieg gegen Gaza – widerspiegeln. Ob Israel, Palästina, ob in den arabischen Golfstaaten oder der gesamten arabisch-muslimischen Welt – Regierungen und Denkfabriken, Versicherungen und weltumspannende Unternehmen und nicht zuletzt die Medien wollen wissen, was die Menschen über den Krieg und die daraus resultierenden Folgen denken. Eine deutliche Tendenz zeigt sich in der arabischen Welt. Zustimmung und Vertrauen in die USA und ihre Partner in der EU oder NATO ist deutlich gesunken, dafür stieg das Ansehen von China, Iran und Russland. Von Karin Leukefeld, Damaskus.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Israel

In Israel stand bei einer kürzlich veröffentlichten Umfrage die Frage im Vordergrund, ob der Staat den Krieg gegen Gaza gewinnen oder verlieren wird. Laut der Umfrage, die vom Meinungsforschungsinstitut „Lazar“ im Auftrag der Tageszeitung Maariv am 10./11. Januar 2024 durchgeführt worden war, beantworteten 30 Prozent die Frage, ob Israel nach 100 Tagen Krieg den Krieg (gegen Gaza) gewinnen könne, mit „Nein“. Nur 9 Prozent der Befragten waren der Ansicht, dass Israel etwas erreichen und den Krieg gewinnen werde. 53 Prozent waren der Ansicht, Israel habe den Krieg „noch nicht“ gewonnen und 8 Prozent antworteten mit „ich weiß nicht“.

Regierungsanhänger zeigten sich demnach optimistischer als Anhänger der Opposition. 14 Prozent der Regierungsanhänger zeigten sich überzeugt, Israel werde den Krieg gewinnen, während 53 Prozent meinten, Israel sei auf dem Weg zum Sieg. 24 Prozent meinten allerdings, der Verlust für Israel werde groß sein. Von Anhängern der Opposition waren nur 2 Prozent der Befragten der Ansicht, dass Israel den Krieg gewinnen werde. 60 Prozent meinten, Israel sei auf dem Weg zum Sieg, während 31 Prozent sich überzeugt zeigten, dass es zu einem großen Verlust komme.

Eine Umfrage von Ende 2023 hatte erbracht, dass eine Mehrheit der Israelis das Vertrauen in die Netanyahu-Regierung verloren hat. 69 Prozent der Befragten hatten sich für sofortige Neuwahlen ausgesprochen, allerdings erst nachdem der Krieg gegen Gaza beendet sei.

USA

Eine Umfrage des US-amerikanischen Gallup-Instituts zeigt eine gespaltene Gesellschaft hinsichtlich des Gazakrieges und der US-amerikanischen Rolle dabei. Mehrheitlich gibt es wenig Kritik an der US-Einmischung.

Nur vier von zehn Befragten waren der Meinung, dass die US-Administration das Richtige tue, um den Konflikt zu lösen. Auf die Frage, ob die USA genug (für Israel) tue, gaben 41 Prozent an, die USA gebe ausreichend, 39 Prozent hielten die US-Unterstützung für unzureichend, während 19 Prozent der Ansicht waren, die Unterstützung für Israel sei „mehr als notwendig“. Republikaner und Demokraten zeigten sich mit jeweils 40 Prozent einig darin, dass die USA „nicht genug“ tue, um den Konflikt zu lösen. Dabei waren 48 Prozent der Demokraten der Ansicht, die Intervention der USA sei richtig. Dieser Ansicht waren allerdings nur 33 Prozent der Republikaner. 38 Prozent der Befragten meinten, Israel erhalte die richtige Menge an Unterstützung, 36 Prozent waren der Ansicht, es werde zu viel geliefert, und 24 Prozent meinten, die Unterstützung sei zu gering.

Hinsichtlich der Unterstützung der US-Administration für die Palästinenser gaben 33 Prozent an, es sei zu wenig, 33 Prozent meinten, es sei angemessen und 31 Prozent meinten, die USA würde die Palästinenser zu viel unterstützen.

Deutlich gingen die Meinungen über den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu auseinander. Während 55 Prozent der Republikaner ihn unterstützten, waren es bei Parteiunabhängigen 30 Prozent und bei den Demokraten nur 14 Prozent.

Arabische Welt

Die arabische Wahrnehmung im Zusammenhang mit Israels Krieg gegen Gaza zeigt vor allem gegenüber bisherigen Verbündeten im Westen deutliche Veränderung. Die Befragten zeigten große Sympathie gegenüber den Staaten, die sich aktiv für die Interessen und Ziele der Palästinenser einsetzen, während sie sich von den Staaten, die Israel aktiv unterstützen, deutlich abwandten.

Das in Tunesien regelmäßig durchgeführte Arabische Barometer zeigte demnach schon Mitte Dezember 2023 einen deutlichen Meinungsumschwung nach dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Angriffs der Qassam-Brigaden auf Israel. Die Unterstützung für die USA und eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästina sank rapide ab, während die Unterstützung für Iran und den militanten Widerstand deutlich zunahm.

So wünschten sich vor dem 7. Oktober noch 56 Prozent der Tunesier enge wirtschaftliche Beziehungen mit den USA, nur drei Wochen später schon war dieser Prozentsatz auf 34 Prozent gesunken. US-Präsident Joe Biden hatte vor dem 7. Oktober noch eine Zustimmung von 29 Prozent. Nach dem Beginn des israelischen Kriegs gegen Gaza und der Erklärung von Biden, es gäbe „keine Bedingungen“ für die US-Unterstützung für Israel, sankt sein Beliebtheitswert auf gerade noch 6 Prozent.

Auch die Ansicht über China änderte sich. Während vor dem 7. Oktober nur etwa ein Drittel der Tunesier die Politik Chinas zum israelisch-palästinensischen Konflikt der Politik der USA vorzogen, waren es nach dem 7. Oktober 50 Prozent der Befragten, die die chinesische Politik besser fanden. Nur 14 Prozent der Befragten sagten das noch für die US-Politik. Ähnlich war das Ergebnis bei der Frage, wer eine bessere Politik für regionale Sicherheit verfolge. Schon vor dem 7. Oktober bevorzugten 31 Prozent der Tunesier die chinesische Politik, während es nach dem 7. Oktober 50 Prozent waren. Die Prozentzahl derjenigen, die die US-Politik hinsichtlich der regionalen Sicherheit bevorzugten, sank von 19 Prozent (vor dem 7. Oktober) auf 12 Prozent.

Während die Umfrage nicht konkret nach der Politik des Irans fragte, wurde doch nach der Außenpolitik des obersten Revolutionsführers im Iran, Ayatollah Ali Khamenei, gefragt. Dieser hatte am 19. Oktober 2023 ein Ende der Bombardierung des Gaza-Streifens gefordert und Israel einen „Völkermord“ vorgeworfen. Die Zustimmungswerte zur iranischen Außenpolitik stiegen nach der Erklärung von Khamenei von 29 Prozent der Tunesier auf 41 Prozent.

Der Krieg gegen Gaza hat in Tunesien die Zustimmung zu einer von den USA seit Jahren vorangetriebenen Politik der „Normalisierung“ zwischen arabischen Staaten und Israel im Keller versenkt. Waren vor dem 7. Oktober ohnehin nur 12 Prozent der Ansicht, man könne eine „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel versuchen, lagen Ende Oktober die Zustimmungswerte zur „Normalisierung“ bei weniger als einem Prozent.

Das Arabische Zentrum für Forschung und politische Studien mit Sitz in Doha (Katar) veröffentlichte am 10. Januar 2024 die Ergebnisse einer weiteren Umfrage über den Krieg gegen Gaza. 8.000 Männer und Frauen wurden in 16 arabischen Ländern befragt. Danach äußerten 97 Prozent der Befragten, dass der Krieg gegen Gaza sie psychologisch belaste. 80 Prozent gaben an, regelmäßig die Nachrichten über den Krieg zu verfolgen, 7 Prozent hörten keine Nachrichten. 54 Prozent nutzten das Fernsehen, 43 Prozent das Internet, um sich zu informieren.

Befragt zu dem militärischen Angriff der Qassam-Brigaden am 7. Oktober gaben 35 Prozent an, die Operation sei Folge der anhaltenden Besatzung palästinensischer Gebiete durch Israel gewesen. 24 Prozent meinten, die Operation sollte die Al-Aqsa-Moschee gegen Angriffe Israels verteidigen, 8 Prozent waren der Meinung, der 7. Oktober sei das Ergebnis der anhaltenden Belagerung des Gaza-Streifens gewesen. Auf eine Frage zur Charakterisierung der Militäroperation der Qassam-Brigaden gaben 67 Prozent an, es habe sich um eine „legitime Widerstandsoperation“ gehandelt. 19 Prozent hielten das Vorgehen für „fehlerhaft“, aber legitim, 3 Prozent sagten, es sei eine legitime Widerstandsoperation gewesen, die schreckliche kriminelle Handlungen beinhaltet habe und 5 Prozent bezeichneten die Operation als illegitim.

Eine Mehrheit (ohne Prozentangabe) hielt einen Vergleich zwischen der Hamas und dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante (ISIS) für falsch.

Die Haltung gegenüber regionalen und internationalen Akteuren im Krieg Israels gegen Gaza zeigte mit 94 Prozent eine überdeutliche Ablehnung der US-Position, 82 Prozent nannten die US-Haltung „sehr schlecht“. Ähnlich negativ wurden die Positionen von Frankreich (Ablehnung 79 Prozent), Großbritannien (Ablehnung 78 Prozent) und Deutschland (75 Prozent) eingestuft. Zustimmung und Ablehnung gegenüber den Positionen des Iran, der Türkei, Russlands und Chinas hielten sich im 40-er Prozentbereich die Waage.

Quelle: Screenshot von dohainstitute.org

76 Prozent gaben an, dass ihre Ablehnung gegenüber den USA deutlich zugenommen habe seit Beginn des Gazakrieges. 81 Prozent sagten, sie hielten die Äußerungen der USA hinsichtlich eines Staates Palästina in den Grenzen von 1967 für unglaubwürdig.

Auch die Meinung gegenüber den Palästinensern in den arabischen Staaten wurde abgefragt. Dabei waren 92 Prozent der Meinung, die Rechte der Palästinenser gehe alle Araber, nicht nur die Palästinenser an. Diese Ansicht stieg in Marokko von 59 Prozent (im Jahr 2022) auf 95 Prozent, in Ägypten von 75 Prozent (2022) auf 94 Prozent, im Sudan von 68 Prozent (2022) auf 91 Prozent und in Saudi-Arabien von 69 Prozent (2022) auf 95 Prozent.

Die Umfrage fand zwischen dem 12. Dezember 2023 und dem 12. Januar 2024 in Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Sudan, Jemen, Oman, Katar, Kuwait, Saudi-Arabien, Irak, Jordanien, Libanon und in dem von Israel besetzten palästinensischen Westjordanland einschließlich Jerusalem statt.

Eine Stimme aus Gaza

In Gaza selbst, wo mehr als 85 Prozent der Bevölkerung seit Beginn des israelischen Bombardements vertrieben wurden und unter menschenunwürdigen Bedingungen zu überleben versuchen, dürften kaum Menschen befragt worden sein. Stellvertretend soll hier ein namentlich nicht genannter, der Autorin bekannter, Deutsch sprechender Familienvater zu Wort kommen, der seit Beginn des Krieges auf der Flucht von einem Ort zum anderen irrt. Über sein Mobiltelefon, dessen Batterie nur selten noch geladen werden kann, sandte er an Freunde zum neuen Jahr die folgende Botschaft:

„Liebe Freundinnen und Freunde,

fast 100 Tage Krieg haben wir nun hinter uns. Jede Sekunde zählt und jede Sekunde könnten wir verletzt oder auch getötet werden. Die israelischen Waffen leisten sehr gute Arbeit und sind sehr bemüht, soviel von uns umzubringen wie sie nur können. Das ist eine nackte Tatsache.

Das Ausmaß an Zerstörung ist unbeschreiblich. Alle Kriege seit 2008/2009 sind ein Spiel gewesen, im Vergleich zu dem Krieg von heute. Zwar leben und atmen wir weiter, ABER wir sind sehr, sehr, sehr müde, erschöpft und ermattet. Meine, unsere Kinder tun mir am meisten so leid. (Und nicht nur sie, sondern alle Kinder auf der Welt).

Dieser Weg ist 100prozentig der falsche Weg. Denn so kann und wird NIEMALS Frieden entstehen. Das Gegenteil ist das Ergebnis. Wissen die Weltherrscher das etwa nicht??!!

Nun ja, ich bin kein Politiker, um das zu beurteilen. Ich bedauere es aber so sehr, dass sie unserem Elend schon so lange ohne Handeln zugeschaut haben. Die Angriffe auf den Gaza-Streifen dauern jetzt an, während ich Ihnen und Euch diese Zeilen schreibe. Das bedeutet noch mehr Tote, Verletzte und noch mehr Zerstörung.“

Titelbild: Screenshot von dohainstitute.org


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