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Titel: Bauernproteste: Alle Räder stehen still – Aber auch die Analyse
Datum: 5. Januar 2024 um 12:34 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufbau Gegenöffentlichkeit, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Tobias Riegel
Am Montag sind Proteste von Bauern und Spediteuren angekündigt. Ich wünsche den Landwirten, Truckern und (potenziell zusätzlich streikenden) Lokführern alles Gute bei ihrem Eintreten für ihre Interessen – ich würde mir wünschen, dass noch mehr Gruppen von Bürgern so selbstbewusst und wirksam auftreten! Aber: Um einen nun teils hineininterpretierten gesamtgesellschaftlichen Anspruch zu entwickeln, müsste die Analyse tiefer gehen und die Themenpalette der Proteste breiter sein. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Stehen am Montag „alle Räder still“? Das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ schreibt aktuell zu geplanten gemeinsamen Protesten von Bauern und LKW-Fahrern:
„Am Montag wollen sie das Land lahm legen: Bäuerinnen und Bauern wollen bundesweit gegen die Subventionskürzungspläne der Bundesregierung demonstrieren, Straßen und Autobahnen blockieren – auch nachdem die Bundesregierung ihren Forderungen teilweise nachgegeben hat. Dazu ruft auch der Verband der Güterverkehrs- und Logistikbranche zu Protesten auf. Zu den Tausenden von Traktoren auf den Straßen werden sich voraussichtlich auch zahlreiche Lkw gesellen. Der Deutsche Bauernverband und weitere Bauernorganisationen rufen zu einer ganzen Protestwoche auf. Die Proteste werden voraussichtlich an vielen Orten in Deutschland zu einem Verkehrschaos führen.“
Dazu kommt, dass unabhängig von Landwirtschaft und Logistik (aber in zeitlicher Nähe) laut „Deutschlandfunk“ ebenfalls ab Montag neue Streiks bei der Bahn möglich sind. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) fordert unter anderem die 35-Stunden-Woche.
Das hört sich tatsächlich nach einem potenziellen Stillstand an. Aber so wenig man die Proteste und den potenziellen Streik kleinreden oder diffamieren sollte, so wenig sollten die Vorgänge überhöht werden: Was auch immer ab Montag passiert – vorerst werden dann Interessengruppen für die eigenen Interessen eintreten. Das finde ich absolut in Ordnung, dazu haben die Bauern, Speditionsfirmen und Lokführer jedes Recht. Ich würde noch weiter gehen: Das Eintreten für die eigenen Interessen ist auch im Sinne der gesamten Gesellschaft zu begrüßen – allzu lange schien ein gesundes Pochen auf die eigenen Interessen bei vielen Bürgern und ihren Vertretungen wie verschüttet und die Entschlossenheit von Bauern und Lokführern könnte zur Nachahmung anregen. Die Phrasen, dass etwa die Streiks der Lokführer „auf dem Rücken der Fahrgäste“ ausgetragen würden, sind zurückzuweisen: Die GDL nimmt ihr verbrieftes Recht im Sinne der von ihr vertretenen Beschäftigten wahr.
Ob die verfolgten Eigeninteressen jeweils gerechtfertigt sind, soll hier nicht beurteilt werden. Prinzipiell gerechtfertigt ist auf jeden Fall, sie verbunden mit Protesten zu formulieren, solange das im Rahmen der Gesetze geschieht.
Entschlossenes Auftreten wirkt
Außerdem kann festgestellt werden: Entschlossenes Auftreten in Kombination mit der Drohkullisse schwerer Fahrzeuge wirkt – die Streichungen von Subventionen wurden nun teilweise zurückgenommen. Das erscheint mir aber wiederum ein bisschen ungerecht gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen, die über eine solche Kulisse nicht verfügen: Viele Gruppen sind einfach nicht stark oder telegen genug, um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen – wenn etwa Erzieherinnen Proteste oder gar einen Streik ankündigen, dann werden in der Regel keine Milliarden in Notsitzungen bewegt.
Der Kampf für Dieselsubventionen ist kein Kampf „für das Volk“. Das muss und darf man auch gar nicht verlangen, aber man sollte es auch nicht hineininterpretieren, wie es in den letzten Wochen teilweise geschehen ist, etwa mit der Vokabel „Generalstreik“. Die Organisatoren der Proteste fordern einen solchen „generellen“ Anspruch ihrer Proteste aber selber auch nicht ein.
Was aber aus den Bauern- und Brummi-Protesten doch entstehen könnte, wäre eine allgemeine Situation der Unruhe, die dann breite „gesamtgesellschaftliche“ Straßenproteste nach sich ziehen könnte – aber wäre eine solche Situation im Moment wünschenswert? Denn, Stichwort politische Heimatlosigkeit: Wären sich denn alle Beteiligten dieser Proteste überhaupt einig über die Ziele des eigenen Protestes?
Kürzlich hatte ich geschrieben: Einerseits scheine sich der Wind im „Kulturkampf“ teilweise gegen pseudolinke (nicht linke!) Eskapaden zu drehen. Es bestehe momentan aber auch die Gefahr, dass im Zuge eines konservativen Backlashs und aus Frustration über pseudolinke (nicht linke!) Tendenzen auch gute und wichtige Inhalte der (im ursprünglichen Sinne) Linken abgelehnt werden könnten. Außerdem entwickle sich leider bei essenziellen politischen Fragen zu Krieg und Frieden, zur Energieversorgung oder zur Wirtschaftsordnung die im Kulturkampf zu beobachtende widerständige Dynamik bei vielen Bürgern (noch) nicht. Was also würde die Bauern und Trucker mit anderen Bürgern verbinden, außer der (langfristig nicht ausreichenden) Losung: „Die Ampel muss weg!“?
Analyse an der Oberfläche
Die gesamtgesellschaftliche Analyse bleibt im Zusammenhang mit den angekündigten Protesten an der Oberfläche: Wenn der von der Bundesregierung vom Zaun gebrochene Wirtschaftskrieg nicht beendet wird, ist alles andere ein Doktern am Symptom – das wird aber viel zu wenig thematisiert, auch von Kritikern der Ampel. Nutzt insofern diese Art von Protesten, wie wir sie ab Montag erleben, vielleicht sogar den Kräften in der Regierung, die die Frage nach den Ursachen für die Wirtschaftskrisen weiterhin verdecken wollen? Denn wenn die Fragen nach den von der Bundesregierung selbst angerichteten Ursachen versäumt werden, dann bleibt vor allem ein Kampf der gesellschaftlichen Gruppen um „den Rest“. Durch diesen Kampf werden Energien verbraucht, die vom Wesentlichen ablenken und auch die Regierungspolitik mit ihren falschen Erzählungen von den durch höhere Gewalten ausgelösten „multiplen Krisen“ unbehelligt lassen.
Viele Konservative geben mit ihrer Analyse momentan Rätsel auf: Meiner Meinung nach kritisieren manche von ihnen die falschen Dinge und tragen andere fragwürdige Entwicklungen mit – etwa bei der Konfrontation gegen Deutschlands wichtigsten Energielieferanten Russland. Noch vor kurzem protestierten viele Bürger aus unterschiedlichen Lagern gemeinsam gegen Auswüchse der Corona-Politik, heute trennen wieder die Ansichten zum Sozialstaat und zu den tatsächlichen Ursachen des aktuellen Zustands. Man kann sich zwar noch gemeinsam über die Bundesregierung aufregen, aber die näheren Erklärungen und Schlussfolgerungen gehen doch weit auseinander inzwischen.
So reiben sich viele Konservative in einem meiner Meinung nach oberflächlichen, ablenkenden und irrelevanten Kulturkampf auf. Vokabeln wie „Linksgrün“ führen zusätzlich in die Irre. Und wie kann man den aktuellen Niedergang beklagen und nicht gleichzeitig einen Ausgleich mit Russland fordern? Dieser Ausgleich würde zwei der „multiplen“ Krisen augenblicklich lindern: Energie und Rüstung. Dadurch würden erheblich mehr Ressourcen übrig bleiben für Soziales, Infrastruktur, Bildung, Gesundheit, Rente etc. – und auch für Dieselsubventionen.
Habeck von Landwirten bedrängt
Medien berichten aktuell darüber, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck von aufgebrachten Landwirten bedrängt worden ist. Ich finde die Wut, die sich in solchen Vorgängen äußert, nachvollziehbar – aber Militanz ist meiner Meinung nach strikt abzulehnen. Das gilt für mich aus ganz prinzipiellen Gründen. Aber es ist zusätzlich zu bedenken, dass gewalttätiger Protest oft eine Steilvorlage ist, um Proteste zu verteufeln und dann niederzuschlagen. Nochmals zusätzlich ist es eine ablenkende Personalisierung, wenn sich Proteste etwa wegen der Energiepolitik gegen konkrete Personen und ihr Privatleben richten und nicht gegen die Politik dahinter. (Aktualisierung 22.01.2024: Der hier genutzte Begriff „Militanz“ ist angesichts der inzwischen verfügbaren Berichte im Zusammenhang mit dem Vorfall an der Fähre nicht haltbar.)
Ich wünsche den Bauern, Truckern und Lokführern alles Gute bei ihrem Eintreten für ihre Interessen – ich würde mir wünschen, dass noch mehr Gruppen von Bürgern so selbstbewusst auftreten. Um einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch zu entwickeln, müsste aber die Analyse tiefer gehen und die Themenpalette breiter sein.
Titelbild: Juergen Nowak / shutterstock.com
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