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Titel: Die Geldpolitik am Scheideweg – die jüngsten Einsichten der EZB kommen spät und sind unvollständig

Datum: 5. Oktober 2011 um 16:59 Uhr
Rubrik: Euro und Eurokrise, Finanzkrise, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Die Diskussion um Euro, um den Rettungsschirm, um die Krise, die man fälschlicherweise Schuldenkrise nennt, wird immer schlimmer. Auch Beobachter, von denen wir gelegentlich einiges halten, kommen zu den einfachen Analysen und einfachen Lösungen: es liegt am billigen Geld zum Beispiel oder Schuldenschnitt oder aus dem Euroraum raus werfen, usw.. Auf dem Weg zu einem Text über diese teils obskure und zynische Debatte erreichte mich ein „Beitrag für die Nachdenkseiten von Friederike Spiecker“. Es ist ein Stück Aufklärung. Deshalb vorab. Albrecht Müller.

Friederike Spiecker
Die Geldpolitik am Scheideweg – die jüngsten Einsichten der EZB kommen spät und sind unvollständig

Die Europäische Zentralbank (EZB) verteidigt im September-Monatsbericht ihre Maßnahmen zur Euro-Rettung auf bemerkenswert grundsätzliche Weise: Sie verfolge als öffentliche Institution mit einem öffentlichen Auftrag öffentliche Ziele. Daher sei ihre Handlungsweise an anderen Kriterien zu messen als etwa die von privaten Finanzinstitutionen. Welch eine Feststellung! Einerseits wird hier Selbstverständliches angeführt: Wer wollte bezweifeln, dass eine Zentralbank als Inhaberin des Geldmonopols eines Staates oder einer Währungsgemeinschaft nicht wie eine x-beliebige Bank handeln muss, besser gesagt: dass sie das gar nicht darf. Damit würde sie ihrem Auftrag in der Tat nicht gerecht. Der besteht ja gerade nicht im Erwirtschaften von Gewinnen durch Teilnahme am Marktgeschehen, sondern darin, dieses Marktgeschehen für die Privatwirtschaft überhaupt erst zu ermöglichen und für seine Stabilität zu sorgen. Andererseits glaubt die EZB offenbar, diese Selbstverständlichkeit angesichts der Kritik an ihren Staatsanleihekäufen betonen zu müssen. Das lässt aufhorchen, weil es nicht nur zeigt, wie sehr sich die EZB politisch in die Enge getrieben fühlt, sondern weil diese Äußerung auch den Anfang eines Paradigmenwechsels markieren könnte.

Zugegeben: Zu einem mangelhaften Verständnis für die Aufgaben einer Zentralbank in Wissenschaft und Öffentlichkeit hat die EZB selbst erheblich beigetragen. Sie hat jahrelang vehement den Standpunkt vertreten, nur für das Ziel der Preiswertstabilität innerhalb der Eurozone zuständig zu sein und damit für das Wohlergehen der Eurostaaten das ihr Mögliche zu tun. Alles Übrige sei Sache der Politik, auf deren Fehler sie zwar klar hinweisen, auf die sie aber nicht anders reagieren könne als mit der Verfolgung des Ziels der Preiswertstabilität. Jede Abstimmung in einem makroökonomischen Dialog lehnte die EZB unter Hinweis auf ihre Unabhängigkeit strikt ab.

Nun hat sich das Blatt gewendet: Die EZB steckt in einer Zwangslage: Entweder sie deckelt die Zinsspreads innerhalb der Eurozone durch den Ankauf entsprechender Staatsanleihen kurzfristig oder sie riskiert, ihre eigene Daseinsgrundlage, den Euro, sehr schnell zu verlieren. Die steigenden Zinssätze für Italien und Spanien setzen nämlich auf den Märkten einen Teufelskreis in Gang, der die Zahlungsfähigkeit dieser Länder unabhängig von den dortigen realwirtschaftlichen Gegebenheiten untergräbt. Die privaten Akteure auf den Finanzmärkten handeln prozyklisch, weil das einzelwirtschaftlich rational ist, auch wenn ein solches Verhalten die Krise zum Schaden aller verschärft. Daher beruft sich die EZB in ihrem Monatsbericht völlig zu Recht darauf, im Gegensatz zu diesen einzelwirtschaftlich Handelnden gesamtwirtschaftliche Interessen vertreten, also antizyklisch handeln zu müssen. Auf die von den Regierungen ins Leben gerufenen Rettungsschirme, die der EZB den Schwarzen Peter der Anleihekäufe wenigstens teilweise abnehmen können, kann die EZB zwar hoffen. Doch auf parlamentarische Abstimmungsprozesse zu deren Ausweitung und genauer Definition ihrer Befugnisse warten, ohne kurzfristig steuernd einzugreifen, um eine Kernschmelze an den Finanzmärkten zu verhindern, das kann die EZB nicht.

Und genau mit diesem Widerspruch zwischen Wahrnehmung gesamtwirtschaftlicher Verantwortung und der bisherigen, einseitigen Definition ihrer Aufgabe kämpft die EZB derzeit. Sie muss zum ersten Mal mit dem Rücken zur Wand verzweifelt gegen mikroökonomisch rational ablaufende Marktmechanismen ankämpfen, während ihr entscheidende Akteure – Fiskal- und Lohnpolitik, von der Ordnungspolitik ganz zu schweigen – nicht zur Seite springen, die ihrerseits ganz genau so für das Wohl der Gesamtwirtschaft zuständig sind und ohne deren Mithilfe die Geldpolitik auf verlorenem Posten steht.

Aber – und das ist das Erschreckende an dem Monatsbericht der EZB –, die Zentralbanker haben dieses Aufeinander-Angewiesensein, diese wechselseitige Abhängigkeit der Politikbereiche entweder nicht wirklich verstanden oder zieren sich, sie offen zu benennen, weil das einen Bruch mit ihrer bisherigen Elfenbeinturm-Mentalität und ihrer Marktgläubigkeit (nach dem Motto: Märkte decken Politikfehler auf und haben daher eine unentbehrliche Kontrollfunktion) erforderlich machte.

Anstatt auf die gesamtwirtschaftliche Mitverantwortung der anderen Politikbereiche zu pochen, weist die EZB der Fiskalpolitik europaweit weiterhin die Rolle eines einzelwirtschaftlich agierenden Marktteilnehmers zu, der in der Krise genauso sparen muss wie alle Privaten, was prozyklisch, d.h. Krisen verschärfend wirkt. Kein Wunder, dass die Regierungen da nicht wissen, wie sie ihren Wählern den Sinn teurer Rettungsschirme vermitteln sollen, wenn ihnen das entscheidende Argument, per Definition für die Gesamtwirtschaft und damit antizyklisch zuständig zu sein, nicht zugestanden wird. Und ebenso logisch, dass unter diesem Widerspruch die Glaubwürdigkeit der Argumentation der EZB leidet.

Die Lohnpolitik wird in diesem Zusammenhang nicht einmal erwähnt, obwohl sie den wichtigsten Schlüssel zur dauerhaften Lösung der Eurokrise, nämlich die langfristige Wiederherstellung einer ausgeglichenen Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Eurostaaten, in Händen hält. Um diesen Schlüssel zu nutzen, müsste die EZB eingestehen, dass die Zentralbank einer Währungsunion ihr Inflationsziel flächendeckend und nicht nur im Durchschnitt der Mitgliedsländer erreichen muss, um Währungsstabilität zu erzielen. Und dass sie daher auf die Zusammenarbeit mit den Tarifparteien aller Eurostaaten angewiesen ist, genau so wie diese umgekehrt von einer wachstumsfreundlichen Geldpolitik abhängig sind.

Schließlich müsste die EZB ordnungspolitisch ein Ende der Kasinomöglichkeiten an den Finanzmärkten fordern, weil ihr geldpolitisches Instrumentarium ungeeignet ist, den Exzessen spekulativer Preisentwicklungen zu begegnen, ohne die Realwirtschaft zu beschädigen. Doch das zu fordern hieße halb einzugestehen, dass die Zentralbanker mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die Segnungen des freien Kapitalverkehrs falsch gelegen und im Zuge der Liberalisierung der Finanzmärkte die Verteidigung des Geldmonopols vernachlässigt haben.

Das sind lange eigene Schatten, über die die Zentralbanker springen müssten, um ihre Euro-Rettungsversuche konsistent zu begründen und damit das Vertrauen der Öffentlichkeit in ihre Politik zu gewinnen. Gelänge ihnen das, könnten sich die europäischen Regierungen und Tarifparteien einer Zusammenarbeit nicht entziehen: Auch sie hätten dann endlich die Chance, ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung mit Aussicht auf dauerhaften Erfolg gerecht zu werden. Alles spricht dafür, dass die Märkte ein solches koordiniertes Vorgehen umgehend honorieren würden. Es ist die einzige Chance, die der Euro noch hat.


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