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Titel: Buchbesprechung: „Princes of the Yen: Japan’s Central Bankers and the Transformation of the Economy“ von Richard A. Werner

Datum: 17. August 2005 um 16:44 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Rezensionen, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Kai Ruhsert bespricht für uns ein für unsere ökonomische Debatte hoch interessantes Buch.

Ein großartiges Werk.


Eisuke Sakakibara, Ex-Finanzminister von Japan, Weekly Economist, Tokyo

Superb. Ein fesselndes Buch – überraschend angesichts des Themas: einer Analyse der Ursachen, warum die Neunziger für Japan ein ‚verlorenes’ Jahrzehnt waren.


Kozo Yamamura, University of Washington

Die Kommentare auf dem Einband machen neugierig. Und soviel sei gleich vorweg gesagt: Die Erwartungen des Lesers werden nicht enttäuscht. „Princes of the Yen“ ist ein spannendes und zugleich lehrreiches Buch, trotz (oder vielleicht wegen) des großen, thematischen Spektrums vom ersten chinesischen Papiergeld über die verschiedenen Entwicklungsperioden der japanischen Volkswirtschaft bis zum globalen Siegeszug der Zentralbanken beim Kampf um ihre Unabhängigkeit. Auch die analytische Tiefe kommt nicht zu kurz: Im Anhang beschreibt Werner eine mathematische Modellierung des Wirtschaftswachstums, und die 49 Seiten umfassenden Fußnoten enthalten so viele Hintergrundinformationen und Querverweise, dass manch anderer Autor daraus mehrere Bände zusammengestellt hätte.

Was macht dieses Werk, das in Japan eine Auflage von 150.000 Exemplaren erreichte, für deutsche Leser aktuell?

Deutschland leidet seit Jahren unter den Folgen eines schwachen Binnenmarkts. Weil die deutsche Wirtschaftspolitik unter dem Einfluß fundamentalistisch-orthodoxer Angebotstheoretiker steht, die der Konsumnachfrage jegliche Relevanz für das Wachstum absprechen, werden alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt, um die Reallöhne zu senken und die Steuereinnahmen des Staates zu drosseln. Letzteres setzt die Haushaltsausgaben unter zusätzlichen Legitimationsdruck, so dass die beiden wichtigsten Stützen der Binnenkonjunktur, die private und die staatliche Nachfrage, bis heute schwächeln.

Auch Japan hatte lange unter einer Stagnation zu leiden. Dort hatte der Staat jedoch versucht, die Krise aktiv zu bekämpfen:

Auf die erste Rezession Anfang der 1990er Jahre folgte ein Aufschwung – stark befeuert von staatlichen Konjunkturprogrammen. Gleich darauf folgte eine neue Rezession – der double dip. Im Verlauf der Jahre 1992 bis 2002 sollte sich dies noch dreimal wiederholen – immer neue gewaltige Konjunkturprogramme, immer wieder ein Strohfeueraufschwung und dann neue Einbrüche. Seit 1990 gab es in der japanischen Wirtschaft keinen sogenannten selbsttragenden Aufschwung mehr. Im Frühsommer 2002 liegt das Niveau des japanischen Bruttoinlandproduktes und dasjenige der industriellen Produktion ungefähr auf dem Niveau von 1991. (…)
Die Regierungen in Tokio haben viel unternommen, um den wirtschaftlichen Verfall zu stoppen. So gibt es eine Nullzins-Politik, die die japanische Zentralbank Bank of Japan (BoJ) de facto seit fünf Jahren verfolgt …. Es gab japanische Konjunkturprogramme, die sich im Zeitraum 1991-2002 auf 450 Milliarden Euro addieren – niemals seit Bestehen des Kapitalismus gab es eine derart massive, keynesianische Konjunkturpolitik.


Quelle: www.isl-muenchen.gmxhome.de/scheinstabilitaet.htm

Es besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass die konjunkturpolitischen Maßnahmen in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ebenso teuer wie nutzlos waren.

Nach den Ursachen für die Krise befragt, stellen orthodoxe Angebotstheoretiker Japan dieselbe Diagnose wie dem Rest der Welt aus: Die Löhne seien zu hoch und die Strukturen verkrustet.

Aber auch neokeynesianische Autoren wie Heiner Flassbeck oder Peter Bofinger, die gerne pointiert formulieren, kommentieren die japanische Krise nur sehr vorsichtig. Sie weisen darauf hin, dass Japan in der ersten Hälfte der Neunziger einen Aufwertungsschock des Yen verkraften musste, dass die Löhne und damit die Inlandsnachfrage stagnierten oder sogar sanken und dass grundsätzlich die konjunkturdämpfende Wirkung hoher Zinsen stärker ausgeprägt ist als der stimulierende Effekt der Senkung von Zinsen, die sich ohnehin schon auf einem niedrigen Niveau befinden. Das ist zwar zutreffend, wirkt aber doch etwas hilflos und kann die grundsätzlichen Einwände gegen eine aktive Konjunkturpolitik nicht entkräften.

Wer heute in Deutschland dafür plädiert, auf die Schwäche der Konsumnachfrage mit einer antizyklischen Geld- und Fiskalpolitik zu reagieren, stößt bei seinen Mitmenschen meist auf tiefes Mißtrauen und Unverständnis. Das liegt nicht nur am kollektiven Trauma der Hyperinflation in den Zwanzigern und einer verfälschenden Darstellung der Wirtschaftspolitik in den Siebzigern, deren tatsächliche Erfolge heute geleugnet werden. Mindestens ebenso schwer wiegt das scheinbare Versagen der keynesianischen Werkzeuge in Japan.

Richard A. Werner, Professor an der University of Southampton, arbeitete in den neunziger Jahren als Wissenschaftler u.a. im japanischen Finanzministerium und in der Bank of Japan. Er behauptet, dass die keynesianischen Werkzeuge bei genauerem Hinsehen sehr wohl funktioniert haben – wenn auch etwas anders als von den meisten erwartet.

Um seine Argumentation empirisch abzusichern, formulierte er ein allgemeines, ergebnisoffenes Modell zur Bestimmung des Wirtschaftswachstums, das die aus den üblichen Diskussionen bekannten Parameter berücksichtigt (Leitzins, kurz- und langfristige Zinssätze, Umlaufrendite, Großhandelspreisindex, Staatshaushaltsvolumen, Geldmengen M1 bis M4, Zentralbankgeld und Kreditschöpfung für produktive, d.h. BSP-relevante Verwendungen). Mit einer linearen Regressionsanalyse sortierte er auf Basis der japanischen Wirtschaftsdaten der letzten 25 Jahre schließlich die nicht mit dem Wirtschaftswachstum korrelierenden Parameter aus. Unter deflationsnahen Bedingungen blieb als einzig relevante Größe die produktive Kreditschöpfung übrig.

Den Zusammenhang zwischen Kreditschöpfung und Wachstum erklärt Werner, stark verkürzt, etwa folgendermaßen:

1.) Der Kreditmarkt ist ein rationierter Anbietermarkt, d.h. auch in deflationsnahen Phasen können sich die Banken aussuchen, welchen Teil der Kreditwünsche sie bedienen wollen, und den Rest abweisen.

2.) Über das Volumen der gesamten Kreditschöpfung entscheidet allein die Zentralbank.

Aus 1) und 2) folgt:

A) Eine Senkung niedriger Zinsen auf einen noch niedrigeren Wert (z.B. 0,75% auf 0,50%) ändert am Kreditvolumen nichts.

B) Das Kreditvolumen kann von der Zentralbank auch ohne Veränderungen des Zinssatzes in beide Richtungen variiert werden. Auch wenn es (in einem sinnvollen Maße) erhöht wird, werden sich immer genügend Gläubiger finden.

Ferner setzt Werner als gegeben:

3.) Neue Kaufkraft entsteht nur durch neue Bankkredite.

Daraus folgt:

C) Die Senkung ohnehin schon niedriger Zinsen ist konjunkturpolitisch wirkungslos.

Während die meisten Ökonomen aus den Schwankungen u.a. des Kreditvolumens Rückschlüsse auf die konjunkturelle Entwicklung zu ziehen versuchen, kehrt Werner diese Sichtweise um. Die produktive Kreditschöpfung sieht er nicht als abhängige Variable, sondern als Steuerparameter. Die öffentlichen Diskussionen über Leitzinssenkungen, wie sie auch in der EU gerne geführt werden, sind Werner zufolge sinnlos und lenken ab vom entscheidenden, geldpolitischen Instrument, dem Kreditschöpfungsvolumen.

Ob eine Regierung der schwächelnden Konjunktur mit einem Konjunkturprogramm auf die Beine helfen kann, hängt in diesem Modell davon ab, wie die Zentralbank darauf reagiert:

  • Wenn die Zentralbank die Regierung unterstützt und die Kreditschöpfung entsprechend erhöht, entsteht ein Nachfrage- und damit auch ein Wachstumsimpuls.
  • Wenn die Zentralbank hingegen die Kreditschöpfung konstant hält oder sogar verringert, gibt es einen Verdrängungseffekt: Erhöhungen staatlicher Ausgaben werden von einer Schwächung der privaten Nachfrage kompensiert, d.h. vorhandene Kaufkraft wird umverteilt, es wird aber keine neue Kaufkraft geschaffen. In Japan war genau dies geschehen: Die Bank of Japan hatte die verzweifelten Versuche des Finanzministeriums, die Wirtschaft durch staatliche Ausgabenprogramme und Zinssenkungen anzukurbeln, mit einer gegenläufig kontraktiven Kreditschöpfung unterlaufen. Staatsausgaben und private Konsumnachfrage in Japan lassen, in Diagrammform dargestellt, für die Neunziger daher schon auf den ersten Blick eine negative Korrelation erkennen.

Um ein höheres Wirtschaftswachstum zu erreichen, sind höhere als normale staatliche Ausgaben also im Grunde nicht nötig. Dazu würde es genügen, dass die Zentralbank einfach die Kreditschöpfung erhöhte.

Dabei sind Randbedingungen zu berücksichtigen:

  • Nur Kredite, die produktiv verwendet werden, lassen das Bruttosozialprodukt tatsächlich steigen. Eine Korrelation zwischen Bruttosozialprodukt und Kreditschöpfung ist nur dann nachweisbar, wenn die Kredite an Bau-, Immobilien- und Nichtbanken-Finanzsektor herausgerechnet werden (den Zusammenhang zwischen japanischem Bruttosozialprodukt und produktiver Kreditschöpfung während der Neunziger in Diagrammform zu sehen, beschert dem Leser einen der verblüffendsten Augenblicke bei der Lektüre dieses Buchs).
  • Wird die Kreditschöpfung über das Wachstumspotential einer Volkswirtschaft hinaus gesteigert, fließt das Geld in spekulative Verwendungen. Auf diese Weise hat die Bank of Japan Anfang der Siebziger und gegen Ende der Achtziger Spekulationsblasen ausgelöst (auch dies wird von Werner mit entsprechenden Diagrammen veranschaulicht: Die Immobilienpreise in Japan waren durch eine viel zu hohe Kreditvergabe an den Immobiliensektor in die Höhe getrieben worden und brachen ein, als weitere Kredite ausblieben).

Das scheinbar so unverständliche Versagen der keynesianischen Konjunkturpolitik in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt kann mit Richard Werners Thesen widerspruchsfrei erklärt werden. Tatsächlich fehlte die entscheidende Voraussetzung für einen Erfolg: Die Zentralbank hätte die Wirtschaftspolitik unterstützen und die Kreditschöpfung angemessen steigern müssen.

Daraus leitet sich auch für Europa eine politische Forderung ab, die sehr schwer zu realisieren, aber gleichwohl notwendig ist: Die Unabhängigkeit der Zentralbanken muss wieder eingeschränkt werden. Vor allem der Umfang der Kreditschöpfung darf wegen seiner für die Konjunktur so zentralen Bedeutung nicht den demokratischen Entscheidungsprozessen entzogen sein.

Der bekannte Einwand, dass auf diese Weise der Inflation Tür und Tor geöffnet werde, hält der Realität nicht stand:

  • Die Deutsche Bundesbank hatte bis Ende der Achtziger eine recht erfolgreiche Bilanz vorzuweisen, weil sie eben gerade nicht unabhängig war, sondern im Gegenteil dank der heterogenen Zusammensetzung ihrer Entscheidungsgremien auch andere Aspekte als die Geldwertstabilität berücksichtigte. (Sie verlor diese Balance Anfang der Neunziger, als die Euro-Einführung und die Degradierung der Deutschen Bundesbank zu einer EZB-Filiale näherrückten.)
  • Die US-amerikanische Zentralbank hat im Hinblick auf die Inflationsbekämpfung ebenfalls einen guten Ruf. Im Unterschied zur Bank of Japan und zur EZB muss sie jedoch zweimal jährlich vor demokratisch gewählten Gremien über ihre Arbeit Rechenschaft ablegen. Das zwingt sie dazu, die Wachstumsmöglichkeiten der US-Volkswirtschaft nicht durch eine unnötig restriktive Geldpolitik zu beeinträchtigen. So ist es kein Wunder, dass die USA seit vielen Jahren höhere Wachstumsraten als die EU und Japan verzeichnen.
  • Die Hyperinflation in Deutschland wie auch die Spekulationsblasen und die Rezessionen in Japan waren hingegen von Zentralbanken verursacht worden, die keiner demokratischen Kontrolle unterlagen und so unabhängig wie die EZB waren; für die Deutsche Reichsbank galt dies de jure und für die Bank of Japan de facto.

Der Leser mag sich fragen, warum die Bank of Japan und das japanische Finanzministerium zum Schaden des Landes gegeneinander statt miteinander gearbeitet haben. Richard Werner begründet das mit einer ideologischen Fixierung der „Princes of the Yen“, der faktischen und zeitweise auch offiziellen Chefs der Bank of Japan, auf die Durchsetzung von Strukturreformen. Auch in diesem Punkt begnügt er sich nicht mit der bloßen Behauptung. Während seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in der Bank of Japan hatte er die Gelegenheit zu aufschlußreichen Interview-Serien mit Mitarbeitern der unterschiedlichsten Funktionsebenen. Die Ergebnisse verleihen der These hinreichend Plausibilität.

Weitere spannende Themen des Buches sind:

  • der Umbau der japanischen Ökonomie in eine gesteuerte Kriegswirtschaft und deren Modifikation nach dem Krieg für den Kampf um Export-Marktanteile
  • die jahrzehntelange Rivalität zwischen Finanzministerium und Bank of Japan, die schließlich mit der Auflösung des Ministeriums endete
  • die Vorbildfunktion von Hjalmar Schacht (bis 1939 Präsident der Deutschen Reichsbank) für die Bank of Japan
  • die Schlüsselrolle der Zentralbanken für den Verlauf der Asien-Krise.

Prädikat: Empfehlenswert.

ISBN 0-7656-1049-3, Verlag M.E. Sharpe, 362 Seiten


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