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Titel: Atomkrieg aus Versehen

Datum: 3. Januar 2024 um 9:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Aufrüstung
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Hyperschallraketen könnten den Atomkrieg aus Versehen wieder wahrscheinlicher machen. Arsenale dieser US-Waffen in Deutschland sind geplant – und sie sollten verhindert werden. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, damals Präsident der USA, den Vertrag zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen in Europa. Dies war auch ein Erfolg der Friedensbewegung – ihr Druck wirkte sich damals begünstigend auf den Erfolg der Verhandlungen beider Staaten aus. In der Präambel des »Vertrages über die Beseitigung ihrer Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite« (INF-Vertrag) steht:

“Die Vereinigten Staaten von Amerika und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, im Folgenden als Vertragsparteien bezeichnet – Im Bewusstsein, dass ein Atomkrieg verheerende Folgen für die ganze Menschheit haben würde, geleitet von dem Ziel, die strategische Stabilität zu festigen, überzeugt, dass die in diesem Vertrag vorgesehenen Maßnahmen zur Verringerung der Gefahr des Ausbruchs eines Krieges beitragen und den Weltfrieden und die internationale Sicherheit festigen werden, eingedenk ihrer Verpflichtung … des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen – sind wie folgt übereingekommen:
Im Einklang mit diesem Vertrag, der die Vereinbarung und die Protokolle umfasst, die Bestandteil des Vertrags sind, wird jede Vertragspartei ihre Flugkörper mittlerer und kürzerer Reichweite beseitigen, solche Systeme danach nicht besitzen und die anderen in diesem Vertrag niedergelegten Verpflichtungen erfüllen.“

Diese Erkenntnis ist nun Geschichte – US-Kriegs-Strategen denken längst über Russland hinaus in Richtung China.

In den 1980er Jahren warnte die Friedensbewegung, dass Mittelstreckenraketen in Westeuropa, die das gegnerische Territorium in Minutenkürze erreichen können, nicht zu verantworten sind, da sie für die generische Radaraufklärung der Abwehr keine Zeit für die Überprüfung von Alarm-Signalen zulassen. In den USA kam es zu einer solchen Situation vor über 40 Jahren. Der Spiegel schrieb am 22. Juni 1980:

„Bereits am 7. November letzten Jahres hatten die Schautafeln bei Norad den Abschuß sowjetischer U-Boot-Raketen, gezielt auf Bomber-Basen im Südwesten der USA, signalisiert. Fehler-Ursache damals: Ein »Übungsband« hatte simulierte Kriegsspieldaten in die »heiße Leitung« des Nachrichtennetzes eingespeist. Sechs Minuten dauerte der Fehlalarm.“

Damals entwickelte der US-Militärstratege Colin S. Gray die Strategie für den von ihm angestrebten Sieg der USA über die Sowjetunion im Atomkrieg. Der Spiegel berichtete im Sommer 1982, dass Gray in der Zeitschrift Foreign Policy verkündete:

„Eine solche Lehre (Strategie, B.T.) müsste den Tod des Sowjetstaates ins Auge fassen. Die Vereinigten Staaten sollten planen, die Sowjet-Union zu besiegen, und dies zu einem Preis, der die Wiedergenesung der USA nicht verhindert. Washington sollte … ‚die Entstehung einer Weltordnung, die mit westlichen Wertvorstellungen vereinbar ist‘. Als Preis für diese neue Weltordnung nannte Gray 20 Millionen tote Amerikaner…. Colin Gray … wurde von Reagan schon bald nach der »Foreign Policy«-Veröffentlichung zum Berater ausgerechnet der US-Abrüstungsbehörde berufen. … Im Mai verfasste das Pentagon eine 125 Seiten starke ‚Verteidigungsleitlinie‘, die ausdrücklich von einem ‚langwierigen‘ (‚protracted‘) Atomkrieg sprach, in dem es gelte, ‚die Oberhand zu behalten‘ (‚to prevail‘).“

Kurz nach der Veröffentlichung von Grays Thesen entdeckte ein Team sowjetischer und US-amerikanischer Wissenschaftler, dass bereits ein regional begrenzter Atomkrieg das Weltklima in einen nuklearen Winter versetzt, der über Ernteausfälle und fehlendes Sonnenlicht infolge der Flugasche in der Atmosphäre das menschliche Leben auf der Erde insgesamt gefährdet. Diese Erkenntnisse erfahren in den aktuellen Planungen nicht mehr die notwendige Beachtung.

Heute greifen Militärs u.a. mit Hyperschallraketen auf Waffensysteme zurück, die den Atomkrieg aus Versehen wieder wahrscheinlicher machen: Michael T. Klare, Professor em. in Massachusetts, Experte für Frieden und Weltsicherheit am Hampshire College sowie Senior Visiting Fellow der Vereinigung für Waffenkontrolle, warnt davor, dass die großen Atommächte USA, Russland und China „die verbliebenen Beschränkungen gegenüber der Anhäufung von Atomwaffen … annullieren, um ihre Arsenale noch erheblich anwachsen zu lassen, (so) entsteht … das Abbild einer extrem gefährlichen Situation vor unseren Augen. »Wir treten in eine neue Ära des militärischen Wettbewerbs mit Russland und China ein, die leicht zu kurzen, aber sehr intensiven und zerstörerischen Konflikten führen könnte – nennen wir sie ‚Hyperschallkriege‘«, so Michael T. Klare.“

Hyperschall-Raketen, wie sie die USA für eine Stationierung u.a. in Deutschland vorgesehen haben, hätte der INF-Vertrag verboten, Der aktuelle Plan der USA, solche superschnelle Mittelstreckenraketen, die in wenigen Minuten Russland erreichen, in Deutschland zu stationieren, wurde konkret 2018 bekannt, nachdem die USA ankündigten, dass sie den Vertrag über das Verbot dieser Waffen einseitig aufkündigen werden, was sie 2019 dann auch taten.

Aktuell haben in diesem Zusammenhang über zwanzig Wissenschaftler, Aktivisten und Politiker, die die Friedensbewegung teils schon seit Jahren unterstützen, eine Petition gestartet, mit der sie die Bundesregierung und den Bundestag auffordern, die Aufstellung von US-Hyperschallraketen in Deutschland zu verhindern.

Titelbild: luckyraccoon / shutterstock.com


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