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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Mit Bloggerblumen gegen Medienpanzer
Datum: 30. September 2011 um 9:17 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, Medien und Medienanalyse
Verantwortlich: Jens Berger
Dieser Artikel ist eine Erwiderung zu Stephan Sasses Artikel “Vernetzung und Information heute”.
Wer denkt, die Massenmedien würden durch ihre Simulation von Meinungspluralität tatsächlich auf die Gegenöffentlichkeit eingehen, irrt gewaltig. Der Siegeszug des Internets und der sozialen Netzwerke ist am ehesten mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Vor Gutenbergs revolutionärer Entwicklung besaß die katholische Kirche de facto das Monopol für gedrucktes Wissen. Dank der Buchdrucktechnik konnte fortan jedermann, der genug Geld hatte, sein Wissen und seine Meinung verbreiten, um den kostenaufwändigen Druck eines Buches oder einer Zeitung zu finanzieren. Erst das Netz demokratisierte die Publizistik, in dem es wirklich jedermann die Möglichkeit verschaffte, andere Menschen an seinen Gedanken in schriftlicher oder audiovisueller Form teilhaben zu lassen. Dass die finanzstarken Massenmedien den Verlust ihres Meinungsmonopols nicht einfach so hinnehmen würden, war klar – sie hatten schließlich aus den Fehlern der katholischen Kirche gelernt. Von Jens Berger
Von daher überrascht es keineswegs, dass die Massenmedien versuchen, sich durch die Simulation der Leserpartizipation und des Zulassens von Meinungspluralität einen aufklärerischen, modernen Anstrich zu verpassen. Ein marodes Haus, dessen Fundament bröckelt, bleibt jedoch auch dann marode, wenn man ihm neue bunt gestrichene Fensterläden verpasst. Blickt man hinter die Kulissen, stellen sich die „Modernisierungsmaßnahmen“ der Massenmedien schnell als potemkinsche Dörfer dar.
Nehmen wir doch einmal das besucherstärkste Onlinemedium als Beispiel. Sicher, SPIEGEL Online hat sich durch seine neue Rubrik „Die Kolumnisten“ den Anstrich eines Mediums gegeben, das Meinungspluralität zulässt. Aber wie weit geht diese „Meinungspluralität“? Georg Dietz und Sibylle Berg schreiben über „weiche Themen“, ihre Kolumnen schrammen hart an der Grenze zur Belanglosigkeit vorbei und reihen sich damit mühelos in den „Panorama-Teil“ des Mediums ein. Auf so etwas muss man nicht näher eingehen. Sascha Lobos Kolumne ist zweifelsohne interessant – da aber eigentlich niemand, der sie überhaupt versteht, je großartig anderer Meinung als Lobo war oder ist, hält sich die aufklärerische Wirkung ohnehin in Grenzen, zumal sein Themenspektrum auch eng umrissen ist und allenfalls von „Netzjunkies“ als „hartes Thema“ verstanden wird. Bleiben Jan Fleischhauer und Jakob Augstein.
Fleischhauers Versuche, eine rechte Version von Karl-Eduard von Schnitzlers „schwarzem Kanal“ in Kolumnenform zu veröffentlichen, sind schlichtweg lächerlich. Der Schmalspuragitator mit seinem geifernden Hass auf alles, was irgendwie links oder aufklärerisch daherkommen könnte, mag allenfalls als überspitzte Persiflage auf die sonstige SPIEGEL-Berichterstattung durchgehen – so wird er aber wohl von den wenigsten Lesern verstanden. Der einzige Kolumnist, der hin und wieder Meinungen publiziert, die nicht auf SPIEGEL-Linie sind, ist der SPIEGEL-Mitinhaber Jakob Augstein. Er schreibt zwar viele vernünftige Sachen, schreibt aber auch viel Unfug und ist dabei ungefähr so systemkritisch wie die SPD. Mal drischt er in bester BILD-Manier auf die Linkspartei ein, mal verteidigt er einen nicht ideologischen Neoliberalismus, ohne dem Leser Antwort zu geben, was das eigentlich sein soll, mal bejubelt er die katholische Kirche. Es scheint eher so, als sei Augstein selbst die fleischgewordene Meinungspluralität. Für den SPIEGEL ist er kaum mehr als ein mehr oder weniger linksliberales Feigenblatt. Selbst seine besseren Artikel gehen in der täglichen Flut der Meinungsmache in diesem Medium unter. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer – erst recht dann nicht, wenn sie so aufgeplustert ist, dass sie gar nicht fliegen kann.
Wer denkt, SPIEGEL und Co. ließen nun Meinungspluralität zu, ist dieser Taktik bereits auf den Leim gegangen. Wer darüber hinaus implizit fordert, auch soziale Netzwerke und Blogs sollten sich gegenüber diametralen Positionen öffnen, erinnert an Sicherheitspolitiker, die von den Taliban fordern, sich den hochgerüsteten NATO-Truppen in offener Feldschlacht zu stellen, und jeden Akt asymmetrischer Kriegsführung als feige brandmarken. Dieses martialische Beispiel mag überzogen sein – die Grundlage der krass unterschiedlichen Kräfteverhältnisse gilt jedoch auch für die „Meinungsschlacht“ zwischen den Massenmedien und den Blogs. Würden Blogs sich einer selbstzerstörerischen Meinungspluralität öffnen, würden sie das Prinzip der Gegenöffentlichkeit ad absurdum führen.
Internetangebote wie die NachDenkSeiten nutzen ihre – im Vergleich zu den Massenmedien – erschreckend geringen Mittel, um einen Gegenpol zur Meinungsmache und der angestrebte Deutungshoheit des Mainstreams zu bilden. Warum sollte man dieses Werk, das aufgrund der unterschiedlichen Kräfteverhältnisse ohnehin irgendwo zwischen Kärrner- und Sisyphusarbeit angesiedelt ist, auch noch dadurch unterminieren, dass man so „fair“ ist und der Gegenseite auf der eigenen Plattform Raum für eben diese Meinungsmache bietet, die man ja eigentlich bekämpfen will? Wenn David und Goliath sich der Waffengleichheit verschreiben, wird immer Goliath gewinnen. Wenn die Gegenöffentlichkeit sich der Meinungspluralität verschreibt, wird sie damit ihr eigenes Grab schaufeln. Wir sind die Empörten, die den auffahrenden Panzern Blumen ins Geschützrohr stecken und wissen, dass jeder Kampf mit gleichen Mitteln aussichtslos für uns ist.
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