Zum Papstbesuch und zu seinem Auftritt im Deutschen Bundestag hätte ich mich nicht geäußert, wenn heute Früh nicht in meiner Regionalzeitung stünde, der für die Einhaltung des Grundgesetzes und seiner Versprechen zuständige Bundesinnenminister Friedrich habe jene Abgeordneten, die der Ansprache des Papstes fernbleiben wollten, scharf kritisiert. Ihr Verhalten zeige eine „Mischung aus Hochmut und Kleingeist, aus Provinzialität und Überheblichkeit“. Der Bundesinnenminister sollte sich besser darum kümmern, ob die religiöse Praxis von Teilen der katholischen Kirche mit dem Versprechen des Art. 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ vereinbar ist. Meines Erachtens nicht. Schon deshalb hätte auch ich, wäre ich noch Abgeordneter, den Auftritt des Papstes im Deutschen Bundestag kritisiert. Albrecht Müller.
Es ist schon vieles zu diesem Ereignis gesagt und geschrieben worden. Ich möchte weniges ergänzen:
- Die Würde von Millionen Menschen wurde durch die Sexualerziehung vieler katholischer Würdenträger massiv verletzt. (Nicht nur durch die Übergriffe. Das ist nur ein Teilaspekt.) Unzählige junge Menschen wurden und werden vermutlich immer noch dank einer wirklich kleingeistigen Sexualerziehung („Du darfst nichts Unkeusches denken“, usw.) massiv geängstigt, in ihrer natürlichen Entwicklung beschränkt, ihr Verhältnis zum eigenen Körper massiv gestört und psychisch geschädigt. Der Teil dieser Organisation, der für diese Erziehungspraxis verantwortlich ist, und damit auch ihr oberster Repräsentant missachten das Versprechen des Grundgesetzes und stehen damit nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wenn der Innenminister schon nichts tut, weil er diese Verletzung des Grundgesetzes dank seines katholischen Glaubens deckt, dann sollte er zumindest schweigen und die Angriffe auf die Abgeordnetenkolleginnen/en unterlassen. Er hat wirklich Anlass zur Demut, denn in Art. 1 des Grundgesetzes heißt es nicht nur „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dort steht weiter: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ An erster Stelle ist es die Verpflichtung des Verfassungsministers, des Bundesinnenministers.
Nachtrag: Verklemmende Sexualerziehung gibt es auch außerhalb des katholischen Milieus, bei Pietisten, etc.. Die weite Verbreitung ist aber kein Grund zur Missachtung dieser Verletzung der Menschenwürde.
- Die Kirche des Papstes ist wesentlich mitverantwortlich für die Bevölkerungsexplosion in Teilen Südamerikas, Afrikas und Asiens. Das ist die Folge einer verklemmten und auch hochmütigen Politik der Ächtung der Verhütung. Die Kirche des Papstes hat damit das soziale Elend und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vieler Familien in den betroffenen Ländern auf dem Gewissen.
- Die Kirche des Papstes ist im Grundansatz autoritär. Das steht im Widerspruch zu unseren Vorstellungen von Demokratie. Ich muss allerdings zugeben, dass ich bei meiner politischen Arbeit einer Reihe von Politikern begegnet bin, die die Fähigkeit der katholischen Kirche zur autoritären Massenführung bewunderten und bewundern. Diese Bewunderung wird offensichtlich auch von der Redaktion der Bildzeitung geteilt.
- Dass die Evangelische Kirche und die anderen Religionsgemeinschaften nicht gegen den Auftritt des Papstes im Deutschen Bundestag protestieren, befremdet mich. Damit wird eine Praxis auch bei deutschen öffentlich-rechtlichen Medien weiter bestätigt und verschärft, die die Besonderheit der Katholischen Kirche heraushebt. Wenn im ZDF zum Beispiel von der katholischen Kirche die Rede ist, da sagt man dort einfach „Die Kirche“. Solche Kleinigkeiten sind oft von großer Bedeutung. Sie fördern den Medienrummel. Sie beschränken in gewisser Weise auch das Gebot der Pluralität und Religionsfreiheit.
Diese kritischen Anmerkungen will ich ausdrücklich mit dem Hinweis versehen, dass von vielen Katholiken und auch von katholischen Einrichtungen wie der katholischen Arbeitnehmerschaft oder der Betriebsseelsorge und der Krankenpflege sehr viel geleistet wird, was der Würde der Menschen gerecht wird. Sie werden dem Gebot des Grundgesetzes und den in der Bergpredigt vertretenen Werten gerecht. Ihre Vertreterinnen und Vertreter würde ich gerne im Bundestag reden hören.
Außerdem bleibt anzumerken, dass es innerhalb der Katholischen Kirche viele Menschen gibt, die die Entwicklung ihrer Kirche ähnlich kritisch sehen wie ich und dies auch öffentlich bekunden.