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Titel: Deutsche Wirtschaft fordert besseren Zugriff auf Bodenschätze und Fachkräfte in Lateinamerika
Datum: 10. Dezember 2023 um 13:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Der Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) hat vor den Regierungskonsultationen mit Brasilien, die am 4. Dezember 2023 in Berlin stattfanden, seine neue „CEO Agenda” für die Zusammenarbeit mit der Region vorgelegt. Das Unternehmergremium, das zum Bundesverband der Deutschen Industrie gehört, drängt auf einen schnellen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern und insbesondere auf eine Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit dem südamerikanischen Bündnis Mercosur. Von German Foreign Policy.
Immer mehr im Rückstand
Die deutsche Wirtschaft gerät in Lateinamerika immer mehr in Rückstand. Wie der Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) in einem Ende vergangener Woche veröffentlichten Papier konstatiert, konnten die USA ihre Exporte in die Region in den vergangenen zehn Jahren um 38 Prozent steigern – auf einen Wert von 547 Milliarden US-Dollar. Chinas Ausfuhren schnellten sogar um 87 Prozent in die Höhe und erreichten im Jahr 2022 bereits 252 Milliarden US-Dollar. Während der US-Handel sich stark auf Mexiko konzentriert, das US-Konzerne im großen Stil als Niedriglohnstandort nutzen, ist China inzwischen zum größten Handelspartner Lateinamerikas ohne Mexiko aufgestiegen.
Die deutschen Ausfuhren in die Region hingegen legten in den vergangenen zehn Jahren bloß um drei Prozent zu und lagen 2022 bei gerade einmal 44 Milliarden US-Dollar.[1] Bei den auswärtigen Direktinvestitionen in Lateinamerika liegt die Bundesrepublik mit einem Bestand von 53 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 weit hinter anderen europäischen Staaten; Großbritannien kommt auf 133 Milliarden US-Dollar, Spanien auf 188 Milliarden. China verzeichnet inzwischen Direktinvestitionen in Lateinamerika von 200 Milliarden US-Dollar; die USA, jahrzehntelang Hegemonialmacht in der Region, kommen auf einen Bestand von mehr als einer Billion US-Dollar.
Lateinamerikas Reichtümer
Der LADW bedauert, es sei „trotz intensiver Reisetätigkeit und einem zuletzt gesteigerten Bemühen der Bundesregierung um die Region” noch nicht gelungen, den anhaltenden Verlust von Marktanteilen zu stoppen.[2] Dies sei umso betrüblicher, als Lateinamerika bedeutende, gerade auch für die deutsche Wirtschaft wichtige Potenziale besitze. So befinden sich dort mehr als 60 Prozent der globalen Lithiumvorkommen, vor allem in Argentinien, Bolivien und Chile, dem sogenannten Lithiumdreieck. Brasilien wiederum verfügt über rund 18 Prozent der weltweiten Vorräte an Seltenen Erden.
Es komme hinzu, heißt es beim LADW, dass Brasilien und Chile zu den künftig wohl führenden Produzenten grünen Wasserstoffs zählten; dort werde Wasserstoff 2030 vermutlich für weniger als 1,50 US-Dollar pro Kilogramm hergestellt werden können.
Außer seinen reichen Bodenschätzen besitze Lateinamerika auch gut ausgebildete Fachkräfte, an denen die deutsche Industrie Interesse habe, konstatiert der LADW; alleine in Brasilien würden zum Beispiel jährlich rund 500.000 Hochschulabschlüsse in Tech-Studiengängen und rund 900.000 in Wirtschaft und Recht absolviert.[3] Hinzu kämen viele Schulabsolventen, die kein Hochschulstudium aufnähmen und „mögliche Kandidaten für neue Bildungsangebote” seien, etwa für „Programmierschulen” deutscher Firmen.[4]
Streit um das Freihandelsabkommen
Um den Handel ausweiten zu können, dringt der LADW insbesondere auf ein Inkraftsetzen des Freihandelsabkommens der EU mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Über das Abkommen wurde seit 1999 verhandelt. Seit 2019 liegt es fertig vor und hätte ratifiziert werden können, was allerdings die EU verzögert: Sie fordert nachträglich die Unterzeichnung einer Verpflichtungserklärung durch den Mercosur, seinen Regenwald sorgsam zu schützen [5]. Zuletzt hat der Druck zugenommen, zu einer Entscheidung zu kommen.
Abgesehen vom Drängen vor allem der deutschen Industrie sind nun auch die Mercosur-Staaten nicht mehr bereit, sich noch länger hinhalten zu lassen. Zuletzt kam hinzu, dass Argentiniens künftiger ultrarechter Präsident Javier Milei, der am 10. Dezember sein Amt antreten wird, im Wahlkampf angekündigt hatte, Argentinien aus dem Mercosur zu lösen. Dies hatte zu hektischen Bemühungen geführt, das Freihandelsabkommen noch vor Mileis Amtsantritt zu unterzeichnen – nach Möglichkeit beim Mercosur-Gipfel am 7. Dezember in Rio de Janeiro. Daraus wird nun nichts: Argentiniens scheidende Regierung verweigert sich (Anm. d. a21-Red.: Paraguays Präsident schloss eine baldige Unterzeichnung jetzt ebenfalls aus.) Allerdings hat die mutmaßliche künftige Außenministerin des Landes, Diana Mondino, mittlerweile erklärt, Milei werde entgegen seinen Wahlkampfäußerungen das EU-Mercosur-Abkommen ratifizieren.[6]
Ein Vierteljahrhundert
Dennoch hängt das Inkraftsetzen des Abkommens weiterhin am seidenen Faden – unter anderem, weil Frankreich seine Zustimmung in Frage stellt. Hintergrund ist, dass Frankreichs Landwirte von der Vereinbarung deutliche Nachteile befürchten. Paris hat daher – ebenso wie auch Dublin und Wien, die gleichfalls Interessen ihrer Landwirtschaft gefährdet sehen – die Forderung nach einem umfassenden Schutz der Regenwälder unterstützt, dies wohl in der Hoffnung, daran könne das Abkommen scheitern.
Die EU-Kommission hat sich inzwischen laut Berichten mit dem Mercosur auf einige dünne Formulierungen geeinigt, die suggerieren, man mache mit dem Schutz der Regenwälder ernst. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisierte am Wochenende, die vagen Zusagen genügten ihm nicht.[7] Wie es weitergehen soll, ist unklar.
Kampf um den Globalen Süden
Aus Sicht Berlins gilt ein Ausbau der Beziehungen zu Brasilien allerdings nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen als wünschenswert. Brasilien ist – etwa neben Indien oder auch Südafrika – eines der Länder des Globalen Südens, die seit dem vergangenen Jahr mit aller Macht danach streben, die globale Dominanz des Westens zu brechen und selbst zu Polen einer neuen, multipolaren Weltordnung aufzusteigen. Es setzt bei alledem nicht nur auf das BRICS-Bündnis, das zum 1. Januar neue Mitglieder aufnehmen wird – vermutlich fünf, da Milei Argentiniens ursprünglich geplanten Beitritt wohl absagt –, sondern auch auf engere Kooperation mit China. Unter anderem wickelt es wachsende Teile seines Außenhandels nicht mehr in US-Dollar, sondern in chinesischen Yuan ab und hält mehr Währungsreserven in Yuan als in Euro.[8]
Den Versuch Berlins, Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard, von der Brasilien größere Mengen besitzt, zurückzukaufen, um sie an die Ukraine für deren Kriegführung gegen Russland weiterzureichen, hat Brasília inzwischen mehrmals abgewehrt – zunächst unter Präsident Jair Bolsonaro, dann auch unter Lula da Silva. Kanzler Olaf Scholz holte sich, als er Ende Januar in Brasília darauf drang, eine schroffe Absage.[9] Außenministerin Annalena Baerbock erhielt bei ihrem Besuch im Juni ebenfalls eine ungewohnt klare Abfuhr.[10]
Beim geplanten Ausbau der Kooperation mit Brasilien geht es für Berlin inzwischen auch um seinen Einfluss im mächtig aufstrebenden Globalen Süden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf German Foreign Policy und wurde in Kooperation mit Amerika21 übernommen.
Titelbild: Shutterstock / EA09 Studio
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[«1] CEO agenda for Germany’s economic cooperation with Latin America and the Caribbean. Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Berlin 2023.
[«2] Zeit für Neuansatz in der Zusammenarbeit mit Lateinamerika. ladw.de 01.12.2023.
[«3] CEO agenda for Germany’s economic cooperation with Latin America and the Caribbean. Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Berlin 2023.
[«4] CEO agenda for Germany’s economic cooperation with Latin America and the Caribbean. Resümee. Lateinamerika-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Berlin 2023.
[«5] Siehe dazu Die Lateinamerika-Offensive der EU (II) und Die Lateinamerika-Offensive der EU (III).
[«6] Cecilia Devanna: La Argentina no firmará el acuerdo del Mercosur con la Unión Europea, en la cumbre de esta semana. lanacion.com.ar 03.12.2023.
[«7] Hans von der Burchard: EU and Mercosur give up on clinching trade pact next week. politico.eu 02.12.2023.
[«8] Joseph Bouchard: China’s Yuan Revolution Reaches Brazil and Argentina. thediplomat.com 27.09.2023.
[«9] Siehe dazu Auf der Seite der Diplomatie
[«10] Siehe dazu Baerbocks Lektionen (II).
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