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Titel: Der lange Schatten der Pershings: Atomare Bedrohung auch nach über 40 Jahren nicht gebannt
Datum: 8. Dezember 2023 um 9:25 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung
Verantwortlich: Redaktion
Die Friedensbewegung in den 1980er Jahren in der BRD hatte damals sofort verstanden, welches Gefahrenpotenzial dieser Beschluss in sich barg: Die Entscheidung zur Stationierung der US-Raketen Pershing II und der Marschflugkörper Cruise Missile jährt sich am 12. Dezember zum 44. Mal. Die aktuelle Gefahr eines großen Krieges auch in Europa hat weit zurückgreifende Wurzeln – die Abwendung dieser Gefahr bleibt zentrale Aufgabe der heutigen Friedensbewegung. Von Bernhard Trautvetter.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wenn US-Präsident Joe Biden kürzlich vor einem Armageddon warnte, dann ist das angesichts der US-Rüstungsmaschinerie eine zynische Erinnerung an diese Gefahr – schließlich kennt er die Nukleararsenale genau, vor denen er warnt. Warnungen dieser Art begleiten das Leben in unserer Epoche nun schon mindestens seit circa acht Jahrzehnten.
Hiroshima motivierte Nuklearwissenschaftler zur Weltuntergangsuhr als Warnung vor dem finalen Krieg. Und so nahe an der Stunde Null wie jetzt sahen die Wissenschaftler die Menschheit noch nie. Führende Militärstrategen und ihre Lobby steigern die Gefahr mit der immer ausgefeilteren Atomrüstung und verbergen sie hinter einem Schleier der Vertuschung und der Ablenkungs-Propaganda. Die Gefahr eines Armageddon darf kein Mensch jemals heraufbeschwören. 1962 stand die Menschheit am Rande ihres Zeitenendes. Glücklicherweise bewies ein sowjetischer U-Boot-Kommandant Mut: Er widersetzte sich dem an sich vorgeschriebenen Auslösen eines Atomkrieges durch das Drücken des roten Knopfes für den Atomschlag, als ihr Atom-U-Boot von der US-Marine angegriffen wurde. Der US-Stratege Schlesinger bezeichnete die Kuba-Krise als den gefährlichsten Moment der Menschheitsgeschichte.
Zwei Jahrzehnte später war das NATO-Manöver Able Archer mitten im Konflikt der Militärs mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre ein ähnlich gefährlicher Moment, der mit dem Manöver namens »Fähiger Bogenschütze« ein brisantes Aggressionskonzept gegen die Sowjetunion umfasste. Es fand in einer Zeit statt, in der die NATO das Atomkriegs-Konzept Victory is possible (Sieg ist möglich) diskutierte und in der sie in Deutschland die Enthauptungsschlag-Waffen »Pershing II« stationierte – Systeme, die geeignet waren, die Führung der Sowjetunion zu enthaupten und ihre nuklearen Arsenale mit einer Anflugzeit weniger Minuten auszuschalten.
Beschluss zur Pershing-Stationierung vor 44 Jahren
Der Beschluss zur Stationierung der Pershing II und der Marschflugkörper Cruise Missile jährt sich am 12. Dezember dieses Jahres zum 44. Mal. Die Friedensbewegung hatte damals sofort verstanden, welches Gefahrenpotential dieser Beschluss in sich barg:
„Diese Pershing II-Raketen wurden von der Sowjet-Union als besonders gefährlich angesehen, weil die einen Schnellangriff gegen die sowjetische Führung ermöglicht hätten. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Enthauptungsschlag.“
Genauer erklärt das ein Text der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ vom September 1983:
„Die Pershing II, die ausschließlich in der Bundesrepublik stationiert werden soll, hat Anflugzeiten, die maximal zwischen 4 und 6 Minuten liegen. Dieses Waffensystem zwingt dem Land, zu dessen Bedrohung es installiert wird, eine … automatische Reaktion auf…: wird auf den entsprechenden Radarschirmen der Start einer ‚Pershing‘ sichtbar, zwingt das die Verantwortlichen Militärs der Gegenseite dazu, unverzüglich den Startbefehl zum Vergeltungsschlag zu geben. Neben der Gefahr eines bewusst ausgelösten Atomkrieges wächst auch die eines nuklearen Infernos durch simples technisches Versagen oder menschliches Fehlverhalten. Die Situation der Bundesrepublik wird durch die Stationierung … geradezu lebensgefährlich. Werden ‚Cruise‘- und ‚Pershing‘-Raketen auf den vorgesehenen Basen installiert … geht zum ersten Mal seit 1945 wiederum eine direkte Bedrohung der Sowjetunion von deutschem Boden aus. Der oft beschworene Grundsatz, wonach von deutschem Boden niemals wieder ein Krieg ausgehen dürfe, wird … unglaubwürdig und bleibt allenfalls eine dekorative Formel für den Hausgebrauch politischer Sonntagsredner. Die Sowjets und ihre Verbündeten werden ihr Verhalten mit Sicherheit nicht von den Verheißungen …oder Versprechen abhängig machen, die sie von diesem oder jenem führenden Politiker erhalten. Sie werden vielmehr von den Tatsachen ausgehen, die dann geschaffen worden sind.“ Gerhard Kade, Wieder von deutschem Boden aus, Blätter für deutsche und internationale Politik, Köln 09/1983, S. 1219.
Die Friedensbewegung warnte damals also völlig zu Recht davor, dass ein Atomkrieg aus Versehen wahrscheinlicher würde: So erklärte der „Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (…), dass die Stationierung weitreichender Landraketen in der Bundesrepublik dem Aufbau einer »selbstmörderischen Drohung« gegen die UdSSR gleichkomme; denn sie verstoße gegen das Prinzip, keine Potenziale zu schaffen, die das eigene Lager und den Gegner in einer Krise zu einem nuklearen Erstschlag verleiten oder gar zwingen könnten. Die Stabilität, das lebensrettende Abwartenkönnen in einem Spannungsfall würden mutwillig demontiert.“
Selbstmörderische Drohung
Genau diese selbstmörderische Drohung erfährt aktuell durch die NATO-Rüstung für den Atomkrieg eine Renaissance, die nicht den Widerstand erfährt, wie es in den 1980er Jahren der Fall war. Die USA unterhalten in Westeuropa, unter anderem in Büchel bei Koblenz, Nuklear-Arsenale unter der Bezeichnung ‚B 61 12‘. Diese Arsenale sind nicht wie ihre Vorgänger reine Fallbomben, sondern sie finden in der Schlussphase ihres Angriffs selbstständig mit einem Antrieb und steuerbaren ‚Flossen‘ mit neuer Präzision ihr Ziel, sie knüpfen also mit dieser Fähigkeit an die Enthauptungsschlagfähigkeit der Pershing II vor 40 Jahren an. Die Stationierung der B 61 wurde früher als ursprünglich vorgesehen vorgenommen, und auch das steht im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Sie sind für Angriffe mit den Atombombern vom Typ F 35 vorgesehen. Die Anschaffung von 35 dieser Trägerflugzeuge für den Atomkrieg legitimiert Olaf Scholz mit dem Ukraine-Krieg. Sie vervollständigen die Enthauptungsschlag-Eigenschaft der neuen Systeme, da sie als ‚Tarnkappenbomber‘ vom gegnerischen Radar nur schwer erkannt werden können.
Hinzu kommen die atomar bestückbaren Hyperschallraketen mit hoher Zielgenauigkeit und minutenkurzer Flugzeit: Die USA planen aktuell, Systeme dieser Art mit dem Namen ‚Dark Eagle‘ in Deutschland zu stationieren. Das Argument, Russland habe auch solche Raketen, was zutrifft, vernebelt die strategische Situation, da Russland seine Hyperschallraketen nicht auf Kuba – also vor der Grenze der USA – bereit hält, während umgekehrt die Systeme der USA vor den Toren des russischen Gegners für den Atomkrieg vorgesehen sind.
Damit wird der Atomkrieg aus Versehen aufgrund der kaum mehr vorhandenen Vorwarnzeit so gefährlich wahrscheinlich, wie es das letzte Mal vor 40 Jahren der Fall war.
Die Friedensbewegung steht vor der Aufgabe, dem wie vor vier Jahrzehnten entgegenzutreten.
Titelbild: Ink Drop / Shutterstock
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