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Titel: Milde für Milliardäre, Härte beim Bürgergeld: Haushaltsdebatte völlig aus dem Lot
Datum: 7. Dezember 2023 um 9:20 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Soziale Gerechtigkeit, Steuern und Abgaben, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Tobias Riegel
Superreiche wurden bei keiner der hausgemachten „multiplen Krisen“ bisher angemessen in die Verantwortung genommen – nicht bei Corona, Ukraine, Klima. Bestehende Vorstöße zu Einmalzahlungen oder erhöhter Reichensteuer bleiben noch ungenügend. Bescheidener Wohlstand soll nicht diffamiert werden. Aber auch bei der akuten Haushaltskrise gelingt es wieder, vom Offensichtlichen abzulenken: Dass das Geld bei den obszönen Krisen-Profiten zu holen wäre. Das hat nichts mit Neid zu tun. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Kein angemessener Lastenausgleich durch Superreiche, keine angemessenen Einmalzahlungen – von angemessenen Steuererhöhungen für Milliardäre, ihre Firmen oder ihre Erben ganz zu schweigen: Viele Konzern- und Fonds-Lenker und extrem wohlhabende Familien werden bei der Verteilung der Lasten der hausgemachten „multiplen Krisen“ weitgehend unbehelligt gelassen. Immerhin angekündigt ist inzwischen ein Zugriff auf Übergewinne von Energiekonzernen, der in der Praxis bisher aber nicht als wirksam bezeichnet werden kann und dessen Ausgestaltung kritisiert wird.
„Hausgemacht“ nenne ich die Krisen deshalb, weil es sich nicht um das Aufkommen von Höheren Gewalten handelt. Es war nicht das Virus, es war die unangemessene politische Reaktion auf das Virus, die viele Bürger auch wirtschaftlich hart getroffen hat und deren Folgen die Gesellschaft heute noch tragen muss. Es ist nicht zuerst der Ukrainekrieg, der die Bürger hierzulande belastet, sondern vor allem die politische Reaktion darauf (Aufrüstung und wirkungsloser Wirtschaftskrieg). Es ist nicht zuerst die Klimakrise, die die Menschen (zumindest hierzulande) ärmer macht, sondern eher die politische Reaktion darauf.
Gigantische Gewinne
In allen genannten Beispielen wurde und wird von Politik und Medien unverantwortlich gehandelt, bei allen Beispielen wurden die Superreichen der Gesellschaft bisher nicht in angemessener Weise herangezogen, obwohl Teile von ihnen in geradezu obszönem Maße etwa von der nicht nur gesellschaftlich, sondern eben auch wirtschaftlich zerstörerischen Lockdownpolitik profitiert haben. Und obwohl andere Teile nun bei der hausgemachten Energiekrise absahnen. Die Organisation Oxfam stellt laut Medien fest (Hervorhebung von mir):
„Unter dem Strich sind Konzerne und Superreiche die Gewinner der Corona-Pandemie und der Energiekrise, hält die Entwicklungsorganisation Oxfam fest. So habe das reichste Prozent der Weltbevölkerung seit Beginn der Pandemie rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses kassiert.
In Deutschland sei der Trend noch deutlicher, so die kapitalismuskritische Organisation. 81 Prozent des gesamten Vermögenszuwachses, der zwischen 2020 und 2021 in Deutschland erwirtschaftet wurde, entfielen demnach auf das reichste Prozent der Bevölkerung.
Das Gesamtvermögen aller Milliardärinnen und Milliardäre weltweit sei seit 2020 im Durchschnitt täglich um 2,7 Milliarden US-Dollar gestiegen. Für jeden pro Kopf erzielten US-Dollar Vermögenszuwachs in den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung habe ein Milliardär im Schnitt 1,7 Millionen US-Dollar hinzugewonnen.“
Das ARD-Magazin Kontraste fasst eine sicherlich noch zurückhaltende Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zusammen:
„Dabei gibt es eine kleine Gruppe, die seit Jahren immer reicher wird: die Superreichen. Bei ihrer Besteuerung gäbe es großes Potential: Ein Mix aus Reichen-, Erbschaftssteuern und einer neu eingeführten Vermögensteuer könnte etwa 40 Milliarden Euro jährlich zusätzlich in die Staatskasse spülen, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet. Doch an die Vermögenden traut sich hierzulande seit jeher keiner so richtig ran.“
Traut sich die SPD nun an die Superreichen ran?
Immerhin: Der Spiegel berichtet (in einem sonst merkwürdigen Artikel):
„Die SPD will Spitzenverdienende stärker besteuern. So steht es in der Beschlussvorlage zum Leitantrag für den Parteitag im Dezember. Es geht um eine grundlegende Einkommensteuerreform, welche die Mehrheit der Steuerzahlenden (»etwa 95 Prozent«) entlasten soll. Finanziert würden diese Entlastungen unter anderem über eine »temporäre Krisenabgabe« der Superreichen. Und grundsätzlich soll die Erbschaft- und Schenkungsteuer so reformiert werden, dass sich Multimillionäre und Milliardäre »stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen«.“
Aber:
„Chance auf Umsetzung haben diese Ideen wohl nicht, weil der Koalitionspartner FDP Steuererhöhungen ablehnt. Und die ganz große Umverteilung wäre es ohnehin nicht, wenn etwa Multimillionäre und Milliardäre etwas höhere Abgaben hätten.“
Außerdem ist das noch nicht beschlossen – und bisher trägt die SPD einen Kurs mit, bei dem 100 Milliarden für Waffen nicht infrage gestellt werden, während dem Brocken nur 2,4 Milliarden für eine Kindergrundsicherung gegenüberstehen. Und diese magere Grundsicherung soll jetzt laut Medien möglicherweise auch noch verschoben werden – während die Gelder für die Ukraine auf acht Milliarden verdoppelt wurden. Der letzte Satz des „Spiegel“-Zitats ist übrigens eine häufig anzutreffende Formulierung, wenn man Reichensteuern die Wirksamkeit absprechen möchte.
Nebelkerze „Neid-Debatte“
Die Diffamierung des Hinweises auf Superreiche als eine „Neid-Debatte“ muss scharf als eine immer wiederkehrende Nebelkerze zurückgewiesen werden. Ebenso die Praxis, zwischen den Empfängern von niedrigen Löhnen einerseits und Bürgergeld andererseits Unfrieden zu säen.
Hier soll auch, wie gesagt, bescheidener Wohlstand nicht verteufelt werden, er sollte vor Zugriffen eher geschützt werden. Darum soll hier auch nicht etwa die Erbschaft des Häuschens diffamiert oder dessen Verteuerung gefordert werden – aber es gibt doch Abstufungen bei sehr großen Erbschaften. Man sollte der Entwicklung der Erbschaftssteuer also Aufmerksamkeit schenken – in Deutschland werden laut Deutschlandfunk schließlich jährlich etwa 400 Milliarden Euro vererbt. International berichtet die Wirtschaftswoche:
„In der Welt der Superreichen vollzieht sich derzeit ein Wandel von historischer Bedeutung. Wie der am Donnerstag veröffentlichte UBS Billionaire Ambitions Report 2023 zeigt, werden in den nächsten zwei Jahrzehnten etwa 5,2 Billionen Dollar an die nächste Generation der Superreichen übertragen.“
Sozialkürzungen sind kein Triumph über die Bundesregierung
Die Superreichen bleiben also weitgehend unbehelligt – oder werden zumindest bislang und trotz der hier erwähnten Vorstöße noch nicht in angemessener Weise in die Verantwortung genommen. Hinweise auf diesen Zustand werden teils als „Neid“ diffamiert. Derweil werden die Lasten der hausgemachten „multiplen Krisen“ bisher auf die übergroße Mehrheit der Bürger übertragen, die dann wiederum mit (auch auf den Steuern der Bürger fußenden) Hilfspaketen unterstützt werden müssen.
Starke Schultern wälzen im Moment einmal mehr Vieles ab. Wir, die Bürger, haben den Superreichen extrem breite Schultern beschert – es ist höchste Zeit, dass diese Schultern nun auch Lasten tragen. Das hat nichts mit Neid zu tun, sondern mit Logik und Verantwortung. Auch bei der akuten Haushaltskrise gelingt es mit Hilfe vieler Journalisten und Politiker wieder, vom Offensichtlichen abzulenken: Dass das Geld für Kinder, Gesundheit, Infrastruktur etc. zuerst bei den obszönen Krisen-Profiten zu holen wäre, bevor der Sozialstaat angegriffen wird.
In diesen Zeiten der Begriffsverwirrung ist es auch im Zusammenhang mit dem Thema dieses Textes wichtig, festzustellen: „Linksgrün“ ist nicht links, Pseudolinks ist nicht „linksliberal“. „Darf“ man die SPD und die Grünen in der Frage des Sozialstaats jetzt unterstützen? Selbstverständlich: Sozialkürzungen sind kein Triumph über die Bundesregierung, die angedachte Verschiebung der Kindergrundsicherung und die neoliberalen verbalen Angriffe auf das Bürgergeld müssen zurückgewiesen werden.
Dass viele konservative Kritiker der Ampelkoalition (auch in Alternativmedien) zum Fiasko der Russlandpolitik der Bundesregierung schweigen oder sie gar unterstützen, aber dann die Symptome des wirkungslosen Wirtschaftskriegs politisch gegen die fälschlich als „Linksgrün“ bezeichnete Bundesregierung ausschlachten wollen, ist irreführend.
Die Haushaltsdebatte und die schrägen Töne, von denen sie aktuell dominiert wird, zeigen auch, dass es dringend einer neuen politischen Stimme bedarf – am vielversprechendsten erscheint mir die der Gruppe um Sahra Wagenknecht.
Titelbild: Damir Khabirov / Shutterstock
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