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Titel: Indigener Widerstand in Mexiko: „Wir gehen den Weg der Gewaltlosigkeit”

Datum: 2. Dezember 2023 um 13:00 Uhr
Rubrik: Länderberichte
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Die indigene Aktivistin Lupita über den Kampf der Abejas de Acteal in Chiapas um Autonomie und ihr Leben nach dem Massaker

Im Bundesstaat Chiapas in Mexiko liegt das Dorf Acteal. Es ist das politische und kulturelle Zentrum der Gruppe Abejas de Acteal und erlangte traurige Bekanntheit durch ein Massaker, das 1997 von Paramilitärs aus den umliegenden Dörfern an Mitgliedern der Abejas verübt wurde. Unter den Augen des Militärs wurden 45 Menschen, überwiegend Kinder und Frauen, umgebracht. Die Gruppe erinnert mit einer Gedenkstätte und monatlichen Zeremonien an das grausame Verbrechen, für das der Staat noch immer jegliche Verantwortung von sich weist. Ein Interview mit der Aktivistin Guadelupe Vázquez Luna über die Herausforderungen im Kampf um indigene Selbstbestimmung.

Die Gruppe Abejas de Acteal (Die Bienen Acteals) wurde 1992 mit 200 Personen aus acht indigenen Gemeinden gegründet. Sie verzichten aufgrund ihrer christlich-pazifistischen Überzeugung auf den bewaffneten Kampf, teilen jedoch die Ziele der zapatistischen Befreiungsarmee und der „guten Regierung” im Widerstand gegen die „schlechte Regierung” des mexikanischen Staates. 

Das folgende Interview wurde von fünf Freiwilligen im Rahmen der Menschenrechtsbeobachtung des Menschenrechtszentrums „Fray Bartolome de las Casas” in San Cristobal geführt.

Die Aktivistin Guadalupe Vázquez Luna, besser bekannt als „Lupita”, überlebte als Kind das Massaker von Acteal und setzt sich seitdem für indigene Rechte und Selbstbestimmung, aber auch für die Stimme indigener Frauen in der Bewegung ein. Sie ist Teil des Nationalen Indigenen Kongresses (CNI) und unterstützte 2018 den Wahlkampf von „Marichuy” (María de Jesús Patricio Martínez), der ersten indigenen Präsidentschaftskandidatin in Mexiko.

Pazifismus ist für euch sehr wichtig, nicht wahr? Kannst du uns sagen, warum ihr ohne Waffen kämpft und was das für euch bedeutet?

Natürlich, Las Abejas (Organizacion Sociedad Civil Las Abejas de Acteal) sind eine Organisation, die das Gemeinwohl in Form von Pazifismus und Gewaltlosigkeit anstrebt. Für uns bedeutet es sehr viel, denn wir sind gegen Gewalt. Das heißt nicht, dass wir nicht auch Gewalt erfahren, aber es ist unsere Art, unsere Methode, nicht mit der gleichen Gewalt zu antworten. Denn es ist offensichtlich, wir haben viele Erfahrungen mit dieser Gewalt gemacht. Wenn jemand dir einmal Gewalt angetan hat und du mit der gleichen Gewalt reagierst, macht das die Sache nur noch schlimmer, oder? Das ist es also, und ich denke, dass wir als Organisation fest an Gewaltlosigkeit glauben, dass diese stärker ist als Gewalt. Wir wollen nicht (mit Waffen) kämpfen, um sagen zu können, wir wollen keinen Tod, wir wollen keine Gewalt, wir wollen kein Blutvergießen. Das ist unser Weg als Organisation: keine Gewalt gegen Menschen auszuüben.

Es geht nicht nur um physische Gewalt, es gibt viele Formen von Gewalt. Es geht um die Zerstörung unserer Mutter Erde. Sie machen uns unser Land streitig, und ich denke, dass wir verantwortlich für die Natur sind, in der wir leben. Ich denke, dass es hier sehr gesund ist, in den comunidades zu leben, in der Natur. Aber die großen, mächtigen Leute, die großen Geschäftsleute wollen alles zerstören. Zum Beispiel die Hügel, die Berge, die wir hier haben, haben eine Menge Reichtümer, und viele ausländische Unternehmen zerstören sie, und das ist sehr traurig, nicht wahr? Das ist auch Gewalt für uns, weil sie uns unsere natürliche Umgebung wegnehmen. Für uns ist es unsere Mutter Erde, denn sie gibt uns Nahrung und Land. Deshalb kämpfen wir dafür, dass sie uns in Ruhe lassen, zumindest, dass sie uns nicht wegnehmen, was uns gehört. Weil es uns gehört.

Gab es eine solche Vereinbarung bei Las Abejas nach dem Massaker, für die Art von Pazifismus?

Wir alle, die Mitglieder der Abejas sind, sind mit diesem Kampf einverstanden, und zwar seit der Gründung der Organisation im Jahr 1992. Zwei Jahre nach der Gründung begann der Kampf der Zapatistas, ihr bewaffneter Aufstand. Dort hatten wir, sagen wir mal, die Möglichkeit zu wählen: Ich will hier sein oder ich ziehe den Zapatismus vor. Und wir alle, die wir bei den Abejas sind, haben uns für die Gewaltlosigkeit entschieden, dafür, dass wir kein Blut wollen, dass wir gegen den Krieg sind. Der Kampf der Zapatistas ist sehr gerecht, aber er hat das Blutvergießen nicht vermieden, also ist er für uns nicht das Richtige.

Die Organisation ist sehr, sehr offen, um zu sagen: Ihr wollt dabei sein, ihr seid frei, dabei zu sein, aber wir haben Vereinbarungen, wie ein Mitglied der Abejas handeln sollte. Euch muss klar sein, dass, wenn ihr Teil der Abejas seid, ihr keine Gewalt anwenden dürft. Du solltest nicht mit der gleichen Gewalt reagieren, wenn du verletzt wirst. All das sind also Bedingungen. Man muss auch unabhängig sein, nicht von der Regierung abhängig sein, keine Projekte von der Regierung erhalten.

Es gibt also Bedingungen oder Vereinbarungen, die wir als Organisation haben. Und wer sagt, na ja, ich will diese Dinge nicht tun, verlässt einfach die Organisation oder macht einfach nicht mit, richtig? Und es ist klar, dass alle Mitglieder der Abejas aus freiem Willen dabei sind, weil sie mit dem gewaltfreien Kampf einverstanden sind. In der Tat, in mehreren comunidades wurde ihnen Gewalt angetan, und wir sehen, dass sie sich über alles im Klaren sind, über unseren Kampf oder unseren Pazifismus. Sie haben nie mit der gleichen Gewalt geantwortet. Das letzte Mal war es eine comunidad in Bachén, der Gewalt angetan wurde, indem man ihnen das Wasser- und Stromsystem abgestellt hatte. Und dann wurden sie geschlagen, sie wurden misshandelt, und sie haben nie darauf reagiert. Ja, natürlich haben sie sich verteidigt und gesagt, nein, das ist Gewalt gegen sie, aber sie können keine Gewalt ausüben. Die Menschen der Stadtverwaltung waren anwesend, um die Leute zu kontrollieren, aber nicht, um Gewalt anzuwenden. Sie (die Abejas) haben nie mit Schlägen geantwortet. Was wir immer getan haben, wenn es diese Art von Gewalt gab, war, sie öffentlich anzuprangern oder den Dialog mit denjenigen zu suchen, die uns verletzen oder die Gewalt gegen uns fordern.

Der Unterschied zwischen euch, den Abejas, und den Zapatistas liegt also nicht so sehr in euren Zielen, sondern eher in eurer Art zu kämpfen, da ihr Pazifisten seid?

Es ist nicht so unterschiedlich. Mit anderen Worten: Alles, was wir suchen, suchen auch sie. Aber was sich völlig unterscheidet, ist das, was sie tun: Wir gehen den Weg der Gewaltlosigkeit und sie den des bewaffneten Kampfes. Das ist also der Unterschied, aber wir sehen das gleiche Ziel.

Der Katholizismus oder die Religion ist auch sehr wichtig für euch. Was bedeutet das für euren Kampf? Wie wirkt sich die Religion auf euren Kampf und euren Glauben aus?

Ich denke, dass die Religion unseren Kampf nicht so sehr beeinflusst. Nun, in der Organisation gibt es zwei Religionen, die katholische und die evangelische. Es gibt zwei Arten von Katholiken: die Konservativen und die Befreiungstheologen. Und wir glauben an den Befreier. Dass die Kirche keine Gewalt, sondern die Befreiung fordern soll. Daran glauben wir, und die meisten von uns sind gläubig und gehen in die Kirche oder zur Messe. Bei der Feier, die am 22. stattfand [die monatliche Gedenkveranstaltung des Massakers von Acteal], waren die Acteal-Chöre nicht da. Aber wenn sie da sind, singen sie immer Lobpreisungen oder Lieder des Kampfes. Wir mischen das also auch, aber wir respektieren auch unsere Traditionen. Ich für meinen Teil sehe unsere traditionalistische Kultur nicht als etwas vom katholischen Glauben Getrenntes. Natürlich gibt es gute und schlechte Dinge, aber es ist das, was wir uns immer bewahrt haben, nämlich den Respekt zwischen unserer Religion und den Bräuchen. Wir respektieren die traditionellen Gebete unserer Ältesten. Tatsächlich sind es unsere directivos 2, die für die Gesundheit, für das Wohlergehen der Organisation und für die Einheit beten.

Wir sollten respektieren, dass unsere Traditionen nichts gegen die Religion und die Religion nichts gegen unsere Traditionen haben, und das ist sehr schön. In vielen Gemeinden beten wir in den Bergen, zum Beispiel die, die ihr hier oben seht (deutet auf Gebirgskette). Unsere Ältesten kommen dorthin, um zu beten – dreimal im Jahr. Und wenn es an der Zeit ist, zum Beispiel im März, April, wenn es nicht regnet, und es ist Zeit für die Saat, für Bohnen, für Mais, brauchen wir den Regen, damit sie wachsen können. Und dann gehen sie in die Berge und bitten um Regen für das Leben. Die Religion beeinträchtigt uns also nicht [in unseren Traditionen], nur die konservative Religion tut das, aber das ist eine andere Sache. Sie ist sehr streng. Sie gibt vor, wie du sein solltest, und verlangt, dass du konservativen Traditionen folgst. Aber für uns hat das nicht viel Raum hier.

Warum wollt ihr autonom sein, und wie können autonome Gemeinschaften mit dem Staat koexistieren?

Nun, heutzutage ist das sehr schwierig. Deshalb haben wir viel Gewalt, viele Konflikte, denn wir wollen … Wir sind autonom! Seit 1992, seit der Gründung der Organisation, haben wir keine Unterstützung mehr erhalten. Wir haben aufgehört, nach staatlichen Projekten zu fragen oder sie finanzieren zu lassen. Seitdem haben wir unsere Autonomie aufgebaut, um zu sagen: „Wir können das und wir brauchen euch nicht!” Wir zeigen ihnen unsere Fähigkeiten.

Wenn ich Mitleid habe, weil du nichts hast, dann gebe ich so viel, wie ich übrig habe, oder? So ist es mit dem Staat nicht gewesen, er hat wenig an die indigenen comunidades verteilt, um viel zu haben. Er hat die Augen vor unserer Realität verschlossen, denn die Absicht des Staates ist: Ich gebe ihnen das, und das soll reichen, sodass sie treu sind wie ein kleiner Hund, der kommt und immer gefüttert wird. Aber er weiß nicht, was mit ihm geschehen soll. Viele, die Projekte erhalten, sagen: „Nein, die Regierung ist sehr gut, sie ist wie unser Vater, sie füttert uns, sie gibt uns Geld, sie finanziert uns Projekte.” Und das ist sehr traurig, denn sie sehen die Realität nicht, in der wir leben.

Aber wir haben die Realitäten gesehen, um zu sagen, dass wir diese Projekte nicht akzeptieren, weil wir die Fähigkeit haben, selbst zu überleben, weil wir haben, was wir zum Leben brauchen. Deshalb sind wir gegen den Staat, und deshalb suchen sie nach einem Weg, uns zu spalten, um die Organisation aufzulösen und uns zu kontrollieren. Das ist natürlich sehr schwierig, denn dieselben comunidades, die von der Regierung unterstützt werden und Projekte erhalten, empfinden es als Beleidigung, dass wir als Organisation nichts erhalten und es uns trotzdem an nichts fehlt. Und das ist ein Grund, um Probleme zu provozieren, was die Regierung natürlich ausnutzt und Menschen Geld bietet, damit wir uns entzweien. So bereiten sie uns Konflikte.

Es ist schon vorgekommen, dass sie uns zwingen, Regierungsprojekte anzunehmen, und wenn wir uns als Organisation wehren, bestrafen sie uns und verhängen Geldstrafen, die wir nicht aufbringen können. Das ist also sehr schwierig. Deshalb sagen wir immer, dass wir uns im ständigen Widerstand befinden. In einer Organisation zu sein, die Augen offen zu halten und die Realität zu sehen bedeutet, Widerstand zu leisten – Widerstand gegen Bedrohungen, Widerstand gegen Schläge. Widerstand bedeutet auch die Ablehnung von Projekten. Das ist nicht einfach, aber wir haben gelernt, damit zu leben und vor allem fest an unsere Position als Organisation zu glauben.

Gibt es eine Verbindung zwischen dem Wunsch nach Autonomie und eurer Geschichte als indigene Kultur?

Wenn wir in die Vergangenheit zurückgehen, waren unsere Vorfahren immer frei, autonom, sie waren nie von irgendetwas abhängig, bis die Spanier kamen und ihnen sagten, was sie tun sollten und was sie nicht tun sollten und dass etwas nicht ihnen gehört, weil sie unwissend oder wie Tiere sind. So haben sie uns behandelt, und dann begann sich das zu ändern. Aber wenn wir uns unsere Geschichte ansehen, erkennen wir, dass unsere Vorfahren immer frei und unabhängig waren. Sie brauchten nie jemanden, jeder arbeitete für sich selbst und erntete seine eigene Nahrung. Sie waren immer Bauern und Jäger. So haben wir viele Dinge erkannt, denn Frauen waren früher Jägerinnen. Sie waren keine Hausfrauen. Dann, nach den Spaniern, haben sie uns Frauen zu Hausfrauen gemacht, das war es, wofür wir gebraucht wurden. Da begann sich die Mentalität zu ändern, bis der Machismo in uns so stark war, dass wir sagten: „Du bist das Oberhaupt des Hauses, weil ich es sage, weil du ein Mann bist, weil der König es sagt, so muss es sein. Du bist das stärkere Geschlecht und die Frau ist das schwächere Geschlecht.”

Aber wenn wir in unserer Geschichte zurückgehen, waren unsere Frauen Mammutjägerinnen. Welches Geschlecht ist dann das schwächere Geschlecht? Frauen waren schon immer stärker als Männer, sie brachten nicht nur Kinder auf die Welt, sie machten auch Jagd auf riesige Tiere. Es ist also nichts mit „Ich bin ein Niemand, ich kann nicht unabhängig sein oder ich kann nicht autonom sein.” Aber natürlich müssen wir den ganzen Weg zurückgehen, um unseren Wert als menschliche Wesen zu erkennen und zu verstehen, dass wir sie [die Regierung] nicht brauchen.

Das ist eine gute Überleitung zur nächsten Frage. Wie sieht die Rolle der Frauen aus? Wie ist hier die Geschlechterrolle, gibt es einen Unterschied?

Ich würde die Frage gerne euch stellen (lacht). Unsere directivos sind Männer, die Frauen sind immer in der Küche. Traurigerweise ist das unsere Realität, es gibt nur wenige Frauen, die bisher nach draußen gegangen sind. Hunderte von Jahren wurde die Vorstellung durchgesetzt, dass Frauen für das Haus und für nichts anderes zuständig sind. Wir haben es nur ein einziges Mal geschafft, drei Frauen in den mesa directiva zu bringen, aber das war nicht einfach. Sie wurden ständig angegriffen, um ihre Fähigkeiten zu testen, um zu sehen, wie viel Frauen leisten können. Wir sind also immer noch damit konfrontiert, aber es gibt ein Bewusstsein dafür.

Es ist schwieriger, aber man muss sich mit dem Stolz und den vererbten Vorurteilen auseinandersetzen. Wenn man eine Frau nach ihrer Meinung fragt, macht einen das schwach, immer muss es der Mann sein. Oftmals vergleichen sie sich unter den Männern und sagen, wenn du es nicht kannst, bist du eine Frau, als Stereotyp. Eine Frau kann nichts.

Viele in der Organisation sind sich dessen bewusst und haben den Frauen erlaubt, unabhängig zu gehen. Zum Beispiel haben wir zwei Bereiche nur für Frauen, das Handwerk und eine gemeinsame Kasse zum Sparen. Dort arbeiten nur Frauen mit. Aber es war nicht so einfach, als Frau zu sagen, ich gehe zu dem Treffen. Man muss dem Mann sagen, dass er bleiben und sich um das Haus und die Tiere kümmern soll. Oft müssen die Frauen früher aufstehen, um die Tiere und die Kinder zu versorgen. Und dann bringen sie natürlich die Kinder mit zum Treffen. Aber ich denke, es ist schon ein Fortschritt, dass sie allein zu einem Treffen gehen können.

Ich denke also, es ist nicht einfach, die Realität zu ändern, die die Geschichte und die Erinnerung von Hunderten von Jahren ist. Aber wir haben bereits daran gearbeitet, zumindest erkennen wir die Bedeutung und die Beteiligung der Frauen hier in der Organisation an. Wir haben den Frauen den Raum gegeben, sich zu beteiligen. Und die Männer müssen das akzeptieren, weil wir unsere Meinungen vorbringen. Es ist nicht nur so, dass die Männer die Bedeutung der Beteiligung der Frauen hier in der Organisation anerkennen, sondern die Frauen müssen auch mutig sein. Es geht nicht nur darum, dass Männer die Freiheit und den Raum für Frauen anerkennen und ihnen diesen geben, sondern auch darum, dass Frauen daran glauben, dass sie diese Fähigkeit haben. Und auch das ist sehr schwierig. Man muss anfangen, an sich selbst zu glauben, und das ist nicht einfach, denn wir sind in dem Glauben aufgewachsen, dass unser Wort nicht zählt, dass wir nicht die Fähigkeit haben, dass wir nicht intelligent genug sind, um mitzuwirken. Und wenn wir es wagen, uns zu äußern, halten sie uns wahrscheinlich für lächerlich.

Es kommt oft vor, dass eine Frau, die sich traut, ihre Meinung zu sagen, dafür kritisiert wird. Es ist also sehr schwierig für sie, Vertrauen in sich selbst und in ihre Fähigkeiten zu fassen. Aber Gott sei Dank machen wir diesen Prozess durch, sehr langsam, aber wir kommen allmählich voran. Die Frauen nehmen teil.

Würdest du sagen, dass du Feministin bist? Und was bedeutet Feminismus für dich?

Manchmal liegt es an meiner Einstellung, so wie ich bin, ich war schon immer sehr frei und sehr … sehr Ich. Manchmal sage ich, ich wirke wie eine … ich bin eine Feministin! Aber was ist Feminismus für mich? Für mich ist es der Kampf um Gleichberechtigung, der Kampf darum, einen Platz zu haben, als wichtiges menschliches Wesen anerkannt zu werden, mit den Fähigkeiten und der Intelligenz, das zu tun, was ich will. Aber es gibt viele Formen des Feminismus, nicht wahr? Ich stimme dem inklusiven feministischen Kampf zu, aber manchmal gibt es auch Feministinnen, die ausgrenzen. Sie wollen die Rolle übernehmen, zu sagen: „Ihr wart so viele Jahre lang überlegen und habt mich sexistisch behandelt und mir so viel angetan, dass ich das zurückzahlen muss, für mich seid ihr nichts, ihr seid Müll und ihr bedeutet nichts.” Und ich weiß nicht, was.

Ich glaube, dass Feminismus ein gemeinsamer Kampf sein muss, sowohl von Männern als auch von Frauen. Ich glaube, dass wir weder mehr noch weniger sind. Ich fühle, dass wir beide uns gegenseitig unterstützen und dass wir gemeinsam stark sind, Männer und Frauen. Ich will nicht vor oder hinter einem Mann gehen. Ich möchte neben einem Mann stehen und ich möchte, dass ein Mann neben mir steht, damit wir zusammen gehen können, und nicht mehr sagen, dass ein Mann mehr kann oder eine Frau mehr kann. Wenn wir getrennt sind, ist es meiner Meinung nach schwieriger, unser Ziel zu erreichen.

Gedenken an das Massaker von 1997 – QUELLE: ODA BALKE FJELLANG

Wie sorgst du für dich selbst, nach all der Gewalt, die du erlebt hast, und für die Menschen um dich herum, und wie sorgen die Menschen um dich herum für dich?

Nun, das war sehr schwierig für mich als Überlebende. Ich glaube, dass ich nach dem Massaker ein unsichtbares Zelt aufgeschlagen habe, um zu sagen, dass ihr mir keine Gewalt antut, dass ihr mir das nicht antut. Ich glaube, dass mein Wesen vor dem Massaker ein Mensch war, der sich selbst nicht anerkannt hat. Vor dem Massaker fühlte ich mich unfähig und hielt mich für unfähig. Ich habe nicht die Fähigkeit, ich kann nicht, ich bin nicht. Ich habe mich sogar im Spiegel gesehen und gesagt, ich sei hässlich. Ich habe mich selbst abgelehnt.

Aber nach dem Massaker, glaube ich, musste ich mich selbst akzeptieren und wertschätzen, um zu wissen, dass ich mein Leben riskiert habe, da ich beinahe auch zu den Märtyrern gehört hätte. Ich schätzte das Leben mehr, weil ich spürte, dass meine Eltern mir das Leben geschenkt hatten, was das wunderbarste Geschenk ist, das uns jemand machen kann. Seit sie mich vor dem Tod bewahrt haben, ist es so, als hätten sie mir das Leben zweimal geschenkt. Ich meine damit, indem sie mir das Leben gerettet haben, damit ich weiterlebe, muss ich mein Leben auch wertschätzen, muss ich für mich selbst sorgen. Ich muss mich um mich selbst kümmern, auf meine eigenen Bedürfnisse achten, auf das, was ich brauche, aber auch auf das, was ich habe.

Es war nicht einfach und ich denke, meine Reaktion auf jede Gewalt ist, zu sagen: „Bleib weg von mir, ich will dich nicht hier haben, wenn du mir Gewalt antust!” Und gleichzeitig ist es auch das, was ich an meinen Eltern nicht verstanden habe. Ich habe oft darüber getrauert, dass sie umgebracht wurden und gedacht: „Warum habt ihr mir das Leben gerettet, wenn ich nun ohne euch bleibe? Ihr fehlt mir hier mehr, ihr hättet mich mitnehmen sollen. Es ist leichter, zusammen zu sterben, als hier alleine zu sein.” Ich habe das erst verstanden, als ich selbst Mutter wurde. Als ich meinen Sohn bekam, als ich ihn zum ersten Mal in den Armen hielt, verstand ich, warum. Man hält ein so wehrloses Wesen im Arm, dass man sagt, ich muss ihn vor allem, egal was komme, beschützen.

Da habe ich verstanden, warum sie mir das Leben geschenkt haben, da habe ich angefangen, diese Art und Weise und diese große Liebe, die Eltern für ihre Kinder haben können, zu schätzen und zu verstehen. Also sagte ich mir, ich muss mich um meine Kinder kümmern. Ich weiß nicht, ob ich es richtig oder falsch mache, aber ich versuche, das Beste für mich und für meine Kinder zu tun. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nicht genug tue. Ich glaube immer, dass wir unser Bestes tun, damit es den Menschen um uns herum gut geht. Zumindest geben wir uns Mühe.

Es heißt, dass die Zeit alle Wunden heilt. Ist es für dich jetzt leichter als früher?

Ich weiß nicht, ob die Zeit sie heilt, aber die Zeit lehrt dich, mit ihnen zu leben. Ich habe gelernt, damit zu leben. Es ist nicht so, dass es nicht weh tut, aber ich habe gelernt, darüber zu reden und mit der Kraft zu leben, dass ich nicht verzweifelt bleibe. Denn nach dem Massaker verbrachte ich viele Jahre eingesperrt in meinem eigenen Schmerz. Ich habe zwei kleine Schwestern, bei denen ich gestern war. Die eine war etwa fünf oder sechs Jahre alt, als das Massaker geschah. Sie hatte eine Wunde am Bein. Sie war die Jüngste. Ich war zwischen zehn und elf Jahre alt. Sie flehten mich an – ich war die Älteste von uns – sie flehten mich schreiend an, dass unsere Eltern zurückkommen. Es gab zwei Optionen: sich in Verzweiflung stürzen, sich mit ihnen zu Tode weinen oder stark zu werden und sich um sie zu kümmern.

Ich trug also viele Jahre des Schmerzes mit mir herum, und manchmal denke ich, dass ich deshalb bei jeder Kleinigkeit, die mir passiert, so leicht weine. Manchmal fühle ich mich gleichzeitig stark und sehr schwach. Aber es war ein sehr schwieriger Prozess, all das zu verstehen oder meine Realität zu akzeptieren. Denn sagen wir, dass die Zeit alles heilt? Nein! Sie lehrt uns, damit zu leben, dankbar zu sein und die Realität zu akzeptieren, in der wir leben. Aber wir sollten nicht glauben, dass dies wieder passieren wird, weil wir dazu bestimmt sind, sondern weil Menschen uns schaden wollten. Ich denke, dass wir alle, die wir das erlebt haben, gelernt haben, damit zu leben, aber nicht komplett geheilt sind, denn das Massaker war sehr grausam, sehr schwierig. Wir tragen es immer in unseren Köpfen. Aber mit der Zeit habe ich auch gelernt, den Märtyrern für die Möglichkeit zu danken, am Leben zu bleiben.

Warum ist die historische Erinnerung wichtig?

Ich denke, es ist wichtig, dass wir unsere Vorfahren nicht vergessen, dass wir unsere Identität schätzen und vor allem als Menschen wissen, woher komme ich und wohin will ich gehen. Nun, das ist Teil der Erinnerung an die Märtyrer von Acteal: zu wissen, ob wir sie in Vergessenheit geraten lassen wollen oder ob wir ihnen in der Erinnerung danken wollen. Und das ist es, was wir für unsere Kinder aufbauen, damit so etwas nicht wieder passiert.

Was ist der nächste Schritt? Denn wir müssen eine neue Welt aufbauen, daran besteht kein Zweifel, aber wie kommen wir voran, wie sieht deine Utopie aus?

Das ist sehr schwierig. Ich habe in meiner Vorstellung eine andere Welt aufgebaut, in der ich meine Kinder frei und glücklich sehe, ohne Krieg, ohne Gewalt, ohne Militär, und das ist es, was ich den Kindern ständig sage: Vielleicht verlasse ich euch, vielleicht gehe ich weg, aber nicht, weil ich will. Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe, und ich weiß, dass diese 25 Jahre (seit dem Massaker) ein zusätzliches Leben sind, mein zusätzliches Leben, das mir das Leben und meine Eltern geschenkt haben. Ich sage mir immer, dass ich hier bin, weil ich das Beste für sie will, für die Kinder. Ich fände es schön, wenn es keine Gewalt gäbe, wenn es keinen Krieg gäbe, wenn das Land so erhalten bliebe und noch schöner, wenn es nicht so viel Zerstörung gäbe, all das. Das ist unser Kampf: dass sie glücklich sein können, dass sie laufen können, auch wenn sie barfuß sind, dass sie ihr Land haben, dass sie frei sein können. Das ist meine Vorstellung von einer schönen Welt.

Anders als an dem Punkt, wo wir gerade sind, denn hier traut man in den Städten nicht einmal seinem eigenen Schatten. Im Gegensatz dazu ist das hier eher meine Welt. Klar, sie kann noch viel besser werden, aber das Wichtigste ist, dass man die Kinder frei sieht. Denn wenn die Kinder zur Schule gehen, musst du sie hinbringen und sie dann wieder abholen. Das ist keine Freiheit, das ist kein Leben. Hier sind viele Kinder, ihr habt es ja gesehen, die gehen Feuerholz holen, kommen zurück, als ob nichts wäre, sie sind frei. Ich denke, dass das Leben in den comunidades schwierig ist, weil du arbeiten musst, um zu essen. Aber du bist frei. Niemand sagt dir, was du tun darfst oder nicht tun darfst auf deinem eigenen Land. Du kannst spazieren gehen oder wandern. Wenn ich nichts zu essen habe, gehe ich in die Berge und kann Gemüse oder etwas anderes finden. Ich denke, die Natur selbst versorgt dich mit dem, was du brauchst. Ich denke, das ist eine perfekte Welt, eine wunderbare Welt. In den Städten ist das Leben einfach sehr schwierig. Wenn wir alle so frei leben könnten, die Kinder glücklich, sich umeinander kümmernd, dann wäre das die Welt, die wir uns wünschen.

Abschließend würden wir gerne wissen, ob du eine Botschaft hast an die Genossinnen und Genossen, die weit weg von hier den gleichen Kampf führen? Gibt es etwas, was du ihnen sagen möchtest?

Ich möchte sie auffordern, sich nicht entmutigen zu lassen und weiterhin nach Wegen zu suchen, um diese Welt der Träume, die wir alle haben, aufzubauen: in der wir frei sind, in der es keine Unterscheidung oder Trennung von Hautfarben, Sprachen, Ethnien gibt, sondern in der wir uns alle als Geschwister sehen. Ich glaube, dass wir an dem Tag, an dem wir uns alle als menschliche Wesen und als Brüder und Schwestern sehen, eine andere Welt aufbauen können, eine bessere Welt für alle. Ich glaube, dass dieser Kampf, wenn es um das Leben geht, wenn es um eine bessere Welt geht, sich lohnt. Trotz aller Risiken, trotz allen Leids ist es das wert.

Ich lade sie ein, sich nicht entmutigen zu lassen und weiter mit uns zu gehen. Las Abejas werden auch weiterhin mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, aber wir werden weiter kämpfen und Widerstand leisten.

Herzlichen Dank für das Interview!

Das Interview erschien zuerst auf Amerika21.

Titelbild: Die indigene Aktivistin Guadalupe Vazquez Luna – Quelle: ODA BALKE FJELLANG


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