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Titel: Widerstand gegen EU-Chile-Freihandelsabkommen wächst: „Kämpfen, um keine Kolonie der EU zu sein”
Datum: 19. November 2023 um 15:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Anfang 2024 sollen die Parlamente über das „modernisierte Rahmenabkommen” zwischen Chile und der Europäischen Union (EU) abstimmen. Das Abkommen, das auch einen Freihandelsvertrag umfasst, sieht insbesondere vor, die Handels- und Investitionsbeziehungen zu vertiefen. Bündnisse auf beiden Seiten kritisieren den Handelsteil des Abkommens scharf und lehnen diesen als „neokolonial und undemokratisch“ ab. Das Koordinationsbündnis „Via Vampesina“ kritisiert eine „asymmetrische und unterwürfige Beziehung”. Von Jan Marinko.
Im Dezember 2022 wurden die Verhandlungen über das neue Rahmenabkommen, welches das seit 2002 bestehende Assoziierungsabkommen ersetzen soll, abgeschlossen. Damit sollen über 99 Prozent des Handels zwischen der EU und Chile zollfrei stattfinden. Die EU erhofft sich dadurch eine Steigerung des Exportvolumens um bis zu 4,5 Milliarden Euro.
Ein Bündnis um die Europäische Koordination von Via Campesina kritisiert die Handelsliberalisierung als „asymmetrische und unterwürfige Beziehung und Erbe des Kolonialismus und Neokolonialismus”. Das Freihandelsabkommen werde die Ausfuhr von Industrie- und Verarbeitungserzeugnissen aus der EU nach Chile fördern, während für Chile die derzeitigen Muster von Handelsungleichgewicht und Abhängigkeit fortbestünden.
Die EU war im Jahr 2020 mit einem Anteil von zwölf Prozent am Außenhandel Chiles drittwichtigster Handelspartner.
Das südamerikanische Land liefert hauptsächlich Obst und andere Nahrungsmittel, Wein, Zellulose sowie Kupfer und andere Metalle. Mit dem neuen Abkommen erhofft sich Chile, auch Produkte wie Olivenöl an europäische Länder liefern und seine Exportquote für Fleisch und Milchprodukte erhöhen zu können.
Laut Via Campesina bringt der neue Vertrag vor allem Vorteile für Investoren und multinationale Agrarkonzerne. Die Abschaffung der Zölle auf 99,6 Prozent der chilenischen Exporte und die zunehmende Konkurrenz führten dazu, dass die Preise für Agrarprodukte weiter sinken. Damit würden die Lebensmittelpreise zunehmend von den tatsächlichen Produktionskosten vor Ort abgekoppelt. Zudem werde der Vertrag zum Verschwinden von noch mehr kleinen und mittelgroßen Nahrungsmittelproduzenten und zur weiteren Verarmung der ländlichen Bevölkerung führen.
Ein Kernanliegen der EU ist auch der bessere Zugang zu strategischen Rohstoffen wie Lithium und Kupfer sowie zu „sauberen Brennstoffen” wie Wasserstoff. Chile ist derzeit nach China der weltweit zweitgrößte Lithiumproduzent, beim Kupfer ist das Land sogar Nummer eins.
Bereits unter dem bisherigen Handelsabkommen erhebt die EU keine Zölle auf den Handel mit Lithiumprodukten aus Chile. Zwischen 2019 und 2021 hat das südamerikanische Land zwei Drittel des Lithiumverbrauchs der EU gedeckt.
Das chilenische Bündnis „Chile mejor sin TLC” (Chile geht es besser ohne Freihandelsabkommen) bezeichnet das Abkommen als „Energiekolonialismus”: „Der Vertrag macht unser Land zu einer Kolonie, die die Europäische Union mit Treibstoff (grüner Wasserstoff) und Lithium versorgt, die für den Antrieb und die Batterien der von ihrer Automobilindustrie hergestellten Elektroautos benötigt werden.”
Ähnlich formulieren es Vía Campesina und chilenische Bauernorganisationen. Mit der Liberalisierung des Energiemarktes trage Chile die externen Umwelt-, Klima- und Sozialkosten der europäischen „Energiewende”. Denn bei der Produktion von „grünem” Wasserstoff werden große Mengen an Süßwasser verbraucht und landwirtschaftliche Flächen in Standorte für Photovoltaik- und Windkraftanlagen umgewandelt, auch in Gebieten, die bereits durch den Extraktivismus der letzten Jahrzehnte geschädigt sind.
Damit stehe das Abkommen im Widerspruch zu den Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen und den UN-Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030.
Um den Staat besser vor Klagen ausländischer Unternehmen zu schützen, hatte die Regierung von Gabriel Boric Verbesserungen bei den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen nachverhandelt. Aus Sicht der Organisationen werden jedoch die vereinbarten „Streitbeilegungssysteme es unmöglich machen, Megaprojekte von transnationalen Konzernen wegen Umwelt- und Sozialschäden oder Menschenrechtsverletzungen zu verklagen” und stattdessen weiterhin zu Gunsten von Wirtschaftskonzernen funktionieren.
Darüber hinaus werde die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens für EU-Konzerne zu einem ungleichen Wettbewerb mit chilenischen klein- und mittelständischen Firmen führen. EU-Unternehmen erhalten nun Zugang zu einem wichtigen Markt, der ihnen bisher verwehrt war. Im Jahr 2020 beliefen sich die Einkäufe staatlicher Einrichtungen in Chile auf etwa 10,7 Milliarden Euro, was 4,9 Prozent der chilenischen Wirtschaftsleistung und 17 Prozent des Staatshaushalts im Jahr 2020 entspricht.
Laut „Chile Mejor sin TLC” stellt zudem die Ausweitung des politischen Dialogs auf den Sicherheitsbereich eine Gefahr für die Rolle Chiles im Kontext von militärischen Konflikten dar. Die Bestimmungen des Vertrags würden es der EU ermöglichen, Chile, etwa durch militärisches Personal, „bei der Krisenbewältigung und der Erreichung der für die EU notwendigen militärischen Ziele einzubinden”.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
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