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Titel: Katastrophen-Kapitalismus Filipino Style

Datum: 19. November 2023 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption
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Es war der weltweit heftigste jemals registrierte Wirbelsturm, der vor einem Jahrzehnt, am 8. November 2013, als Supertaifun Haiyan (lokaler Name: Yolanda) mit Windgeschwindigkeiten von 315 Kilometern pro Stunde auf die Visayas, die zentrale Inselgruppe der Philippinen, traf und eine etwa 600 Kilometer breite Schneise der Verwüstung hinterließ. Laut Vereinten Nationen waren 16 Millionen Menschen betroffen. Etwa 6.400 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben, 30.000 wurden verletzt, über 1,2 Millionen Häuser zerstört oder schwer beschädigt. Die Zahl der Toten liegt nach Meinung von Experten indes weitaus höher. Doch die Regierung in Manila hörte Anfang 2014 einfach auf, weitere Opferzahlen bekannt zu geben. Ein Rückblick von Rainer Werning.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Präsidiales Abtauchen“

Eins musste man dem philippinischen Präsidenten Benigno S. Aquino III. (Amtszeit von 2010 bis 2016 – er verstarb im Sommer 2021) lassen: Seit seinem Regierungsbeginn hatte er es verstanden, sich selbst zu inszenieren und stets vollmundige Versprechungen abzugeben. So war das auch, als Aquino am 7. November 2013, einen Tag vor „Haiyan“, seine Landsleute mit der Botschaft beruhigte, seine Regierung habe sämtliche Vorkehrungen getroffen, 30 Flugzeuge und Helikopter der Luftwaffe und 20 Schiffe der Marine bei Bedarf umgehend für Rettungs- und Nothilfemaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Doch als der Taifun dann am 8. November mit voller Wucht zuerst die östliche Küstenregion der Insel Samar traf und auf den Nachbarinseln Leyte, Bohol, Cebu, Negros und Panay ganze Landstriche zerstörte, erwiesen sich alle hehren Versprechungen aus dem Präsidentenpalast Malacañang als Schall und Rauch.

Vor Ort berichtete der CNN-Korrespondent Andrew Stevens, eine Regierungspräsenz sei nirgends zu erkennen. Sein Kollege Anderson Cooper und Kamerateams der Fernsehsender BBC und Al Jazeera sowie philippinische Medien berichteten übereinstimmend, die Betroffenen seien allein auf sich gestellt. Dies berücksichtigte zu der Zeit nicht das Schicksal von Menschen in entlegenen Regionen, die tagelang gänzlich abgeschottet von der Außenwelt ums schiere Überleben kämpften. Auch noch fünf Tage nach dem Taifun berichtete Cooper, nirgends sei zu erkennen, wer eigentlich wofür verantwortlich sei. Was allein in Tacloban City, der Hauptstadt Leytes, geschehe, gleiche eher „einer Zerstörung als organisierter Wiederaufbauhilfe“. Der BBC-Reporter Don Johnson konstatierte ernüchtert:

„Es scheint keinerlei effektive Operation zu geben, Hilfe dorthin zu transportieren, wo sie am dringendsten benötigt wird.“

Anstelle von Regierungspolitikern aus der Region oder aus Manila, vom Präsidenten ganz zu schweigen, tauchten in den verwüsteten Gebieten lediglich Uniformierte auf. Aus Washington kam das Signal, man werde in der Region kreuzende Schiffe der US-Navy in die Katastrophenregion abkommandieren. Schon bald tauchten sechs US-amerikanische Kriegsschiffe inklusive des Zerstörers USS George Washington mit über 5.000 Mann an Bord im Katastrophengebiet auf, um dort bei Nothilfemaßnahmen zu assistieren. Dabei wurden auch Fertiggerichte verteilt, die ebenfalls von der eigenen Besatzung verzehrt werden. Als die GIs wieder abzogen, wurde ein Großteil dieser Fertiggerichte der philippinischen Armee überlassen. Wenig später tauchten solche Rationen sogar in Manila auf, wo sie auf dem Schwarzmarkt höchstbietend verhökert wurden. Was in einigen philippinischen Medien als vorweihnachtlicher Gabentisch der einstigen Kolonialmacht gepriesen wurde, diente vorrangig dem Zweck, die bilaterale militärische Zusammenarbeit neu zu gestalten.

Im Rahmen der auf die Regionen Asien und Pazifik fokussierten Militärstrategie von US-Präsident Barack Obama war vorgesehen, die Philippinen wieder dauerhaft als Ankerplatz und Operationsbasis zu nutzen. Anlässlich des Besuchs einer Delegation hochrangiger US-Kongressabgeordneter in Manila erklärte der philippinische Außenminister Albert del Rosario auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 25. November 2013, die Präsenz der US-Navy im von „Haiyan“ betroffenen Gebiet habe gezeigt, dass „ein Rahmenabkommen, welches den USA eine verstärkte Rotationspräsenz erlaubt“, notwendig sei. Regierungskritiker äußerten bereits die Befürchtung, dass dann auch Drohnen gegen „Aufständische“ eingesetzt werden könnten.

Im fernen Manila erklärten derweil Regierungssprecher, Polizei- und Armeeeinheiten seien „zum Schutz vor Plünderern“ aufgeboten worden. Regionalkommandeure der Philippinischen Streitkräfte (AFP) lancierten die bewusste Falschmeldung, Guerilleros der Neuen Volksarmee (NPA), des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), hätten Rettungskonvois am Transport dringend benötigter Hilfsgüter gehindert. Bewegend schließlich die von Helikoptern aufgenommenen Szenen, als sich ausgemergelte Menschen verzweifelt um abgeworfene Nahrungsmittelpakete rauften.

Spätestens diese Bilder veranlassten aufgebrachte Medienleute und Kommentatoren im Lande zu ersten geharnischten Kritiken. Vom „Abtauchen des Präsidenten“, einem „irrelevanten Präsidenten“ und einem Präsidenten, der „nun endlich gehen muss“, war die Rede. Amando Doronila, ein renommierter Kolumnist des auflagenstarken Philippine Daily Inquirer, sprach vom 8. November 2013 als dem Tag, „an dem die Regierung verschwand“. Rick B. Ramos von der Manila Times schrieb über den ersten Mann im Staate: „Der Supertaifun offenbarte die Superinkompetenz von ‚Pnoy‘“ – neben „Noynoy“ der gebräuchliche Kosename des Präsidenten. Die CPP forderte in einer Presseerklärung vom 15. November, „Aquino wegen krimineller Inkompetenz zu verklagen und Gerechtigkeit einzufordern“.

Politpossen und mediale Inszenierungen

Wenngleich „Haiyan“ zahlreiche Städte und Orte auf mehreren Inseln dem Erdboden gleichmachte, wurde Leytes Metropole Tacloban mit ihren etwa 250.000 Einwohnern über Nacht zum Inbegriff der Katastrophe. Nicht allein die Größe, sondern auch und gerade die politische Besonderheit war dafür ausschlaggebend. Anstatt politisch vereint und über kleinkarierte Parteigrenzen hinweg die von der Bevölkerung sehnlichst herbeigewünschte (Wieder-)Aufbauarbeit zielstrebig und wirksam anzugehen, musste die City als Kulisse herhalten, vor der sich Repräsentanten mächtiger Familienclans und politischer Dynastien pfauenhaft spreizten und sich gegenseitig Schwarze Peter zuschoben.

Seit Ende der 1940er-Jahre ist Tacloban City die politische Hochburg der Romualdezes, deren berühmteste Tochter zweifellos die einstige Schönheitskönigin der Stadt und Witwe des Diktators Ferdinand E. Marcos, Imelda Romualdez Marcos, ist. Taclobans Bürgermeister war zum Zeitpunkt der Katastrophe Alfred Romualdez, ein Neffe der noch immer umtriebigen Imelda, die zur selben Zeit als Kongressabgeordnete des zweiten Distrikts von Ilocos Norte fungierte, der Heimatprovinz ihres im Hawaiier Exil verstorbenen Gatten. Alfreds Ehefrau saß im Stadtrat von Tacloban, während ein anderer Familienspross, Ferdinand Martin Romualdez, Kongressabgeordneter des ersten Distrikts auf Leyte war.

Präsident Aquino hingegen war der Sohn des einst gewichtigsten politischen Widersachers von Marcos, Benigno „Ninoy“ Aquino II. Dieser war 1983 nach seiner Rückkehr aus US-amerikanischem Exil auf dem Flughafen von Manila erschossen worden – auf Anweisung von Marcos-Schergen, wie seine bis heute glühenden Bewunderer meinen. Romualdez’ Onkel Marcos soll demnach die Ermordung des Vaters von Aquino III. angeordnet haben. Die Feindschaft zwischen beiden Antagonisten beschrieb der britische Guardian als „Shakespearehaft in Charakter und Ausmaß“.

Die Lokalregierung habe – ohne Alfred Romualdez namentlich zu nennen – als Krisenmanager versagt, erklärte indes Präsident Aquino am 12. November 2013 in einem Exklusivinterview mit CNNs internationaler Chefkorrespondentin Christiane Amanpour. Die Lokalregierung, fügte der Präsident hinzu, sei erstinstanzlich für den Zivilschutz und sofortiges Handeln verantwortlich gewesen – eine Meinung, die auch der Aquino-Intimus und Parteikollege in der Liberal Party, Innenminister Manuel Roxas II., seinerseits ein Enkel des ersten Präsidenten der 1946 gegründeten Republik der Philippinen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit öffentlich und offensiv vortrug. Eine Retourkutsche seitens des Romualdez-Lagers ließ nicht lange auf sich warten. Innenminister Roxas sei zum Zeitpunkt der Katastrophe in Tacloban gewesen und habe sich in Begleitung bulliger Bodyguards, vorbei an hilfeflehenden Hotelgästen, den Weg gebahnt und schnellstmöglich selbst in Sicherheit gebracht.

Hatten bereits am 11. November Regierungssprecher Edwin Lacierda und Gesundheitsminister Enrique Ona in Interviews mit Frau Amanpour behauptet, Herr der Lage zu sein und angemessen Hilfe geleistet zu haben, so bekräftigte auch ihr Vorgesetzter Aquino einen Tag später gegenüber CNN diese Position. Man habe die Situation im Griff, und maximal müsse, fügte ein kühl wirkender Präsident hinzu, von 2.500 Todesopfern ausgegangen werden. Sämtliche Regierungsstellen waren offensichtlich bemüht, die Zahlen nach unten zu korrigieren, weil in- wie ausländische zivile Hilfsorganisationen mehrfach von möglicherweise 10.000 Getöteten sprachen. Auf die Frage von Frau Amanpour, ob er seiner Verantwortung als oberster Repräsentant des Staates gerecht würde und sein Krisenmanagement möglicherweise seine Amtszeit definiere, ging Aquino nicht ein. Stattdessen insistierte der Präsident darauf, dass gemäß „unserem System“ (wörtlich: „under our system“) zuerst die Lokalregierung als oberster Krisenmanager gefordert ist.

Wiederaufbau! Wiederaufbau?

Da hatte der Präsident offensichtlich einiges „übersehen“. Verantwortlich für den Katastrophen- und Zivilschutz war zuvörderst der Nationale Katastrophenrat (National Disaster Risk Reduction and Management Council, NDRRMC). Seit Februar 2010 fungiert dieser als Nachfolger der bis dahin als Nationalrat zur Hilfskoordinierung bei Desastern bekannten Behörde und ist dem Verteidigungsminister unterstellt. Als Exekutivdirektor des NDRRMC hatte Aquino Anfang 2013 mit Eduardo del Rosario einen Generalmajor a. D. ernannt, der fortschrittliche und linke Kräfte im Lande noch immer schaudern lässt. Für sie war der General, der unter anderem Befehlshaber der berüchtigten 2. Infanteriedivision der philippinischen Armee war und sich gern als „Aufstandsbekämpfungsexperte“ wähnte, schlichtweg ein „berdugo“ – „Schlächter“. Kurz nach „Haiyan“ hatte dieser Mann die Chuzpe, von einer „geringfügigen Zerstörung“ („minor devastation“) Taclobans und „minimalen Opferzahlen“ zu sprechen.

Aber es sollte noch knüppeldicker kommen. Am Nikolaustag (6. Dezember) 2013 kürte der Präsident den 66-jährigen Panfilo Lacson qua Präsidialorder zu seinem Chefmanager bei der Rehabilitierung und dem Wiederaufbau der durch „Haiyan“ zerstörten Regionen. Seitdem hatte Lacson, von seinen Freunden kurz „Ping“ genannt, einen neuen – diesmal höchstverantwortlichen – Job. Für die konservativen Kräfte in Gesellschaft und Politik war „Ping“ ein ebenso verlässlicher wie knallharter Law-and-Order-Mann, der die Dinge schon richtete. Für die fortschrittlichen und linken Kräfte im Lande war Lacson nachgerade ihr verkörpertes Antiideal. Bereits während der Marcos-Herrschaft (1965 bis 1986) diente der an der Philippinischen Militärakademie in Baguio City ausgebildete Lacson im seinerzeit gefürchteten Metropolitan Command (Metrocom) als Offizier mit dem Schwerpunkt nachrichtendienstliche Aufklärung und Sicherheit. Zig Studenten, die damals auf die Barrikaden gegangen waren, wurden auf Anweisung ebendieses Offiziers festgenommen und weggesperrt. Weitere Stationen der Lacson-Karriere: Von 1999 bis 2001 war er Generaldirektor der Philippinischen Nationalpolizei, und seitdem saß er bis Ende Juni 2013 im Senat.

Die philippinischen Medien bezeichneten Lacson aufgrund seines neuen Aufgabenbereichs kurz als „Rehab Czar“, als „Zar des Wiederaufbaus“. „Zar“ Lacson genoss weitreichende Vollmachten. Als Hauptmanager und -koordinator der Katastrophenhilfe konnte er, gestützt auf die jederzeit abrufbare Hilfe von ihm eingesetzter Experten und sämtlicher Regierungsbehörden, darüber verfügen, welche Mittel in welcher Höhe für welche Zwecke prioritär verwandt wurden. Das bot einen idealen Nährboden für Nepotismus und Korruption, zwei Hauptübel in der philippinischen Politik.

Tatsächlich verging nicht einmal ein Monat, als sich erste Kritiker zu Wort meldeten. Architekten aus dem In- und Ausland bemängelten die minderwertige Qualität und überteuerten Notunterkünfte beziehungsweise Schlafbaracken. Sie seien vielfach schlicht menschenunwürdig. Durchschnittlich waren 8,64 Quadratmeter für eine Einheit vorgesehen, wo mindestens fünf – mitunter auch mehr – Personen „leben“ sollten. Sanitäre Anlagen waren gar nicht oder ebenfalls in minderer Qualität vorhanden. Viele Menschen zeigten sich außerdem verärgert darüber, dass die Behörden bereits eine Art Baustopp verhängten. Mindestens 40 Meter von den Küstenufern entfernt durften Menschen provisorische Unterkünfte selbst errichten. Am härtesten traf diese Regelung die Ärmsten der Armen und Fischerleute.

„Das Leben ist für die Überlebenden noch schlimmer geworden“, zitierte das philippinische Online-Magazin Bulatlat Joel Abaño von der Kalipunan ng Damayang Mahihirap (Vereinigung der Armen in Solidarität), „weil die Regierung noch immer zu langsam handelte, um dringend benötigte Hilfsgüter fürs schiere Überleben bereitzustellen. Alle waren sie hier in Tacloban City: Neben Präsident Aquino ließen sich auch mehrere Minister seines Kabinetts blicken. Doch das Ergebnis: reine Show. Allesamt setzten sie sich in Szene. 2016 stehen Wahlen an, und da passte es ihnen gut ins Konzept, schon mal Vorwahlkampf auf Kosten von Katastrophenopfern zu betreiben.“

Mitglieder von Pamalakaya, einem Zusammenschluss sozialpolitisch engagierter Fischerleute, sahen das genauso wie Abaño. Sie hatten wiederholt gegen diese Verbotspolitik demonstriert. In den vom Taifun zerstörten Gebieten Leytes plante die Regierung den Aufbau mehrerer Werkstätten sowie einer Sonderwirtschaftszone – mit dem Resultat, dass zumindest in Tacloban mittlerweile Finanz-, Bank- und Investmentgeschäfte getätigt werden und agroindustrielle Betriebe, Touristenressorts und Einkaufszentren ihre Pforten öffneten. Die meisten Überlebenden „Haiyans“ mussten sich mit dürftigen Unterkünften begnügen, die 15 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt lagen. Zahlreiche dieser Behausungen rotteten vor sich hin, weil viele Betroffene um des schieren Überlebens willen eine Bleibe nahe dem Stadtkern oder in Küstennähe vorzogen.

„Aufbegehren des Volkes“

Seit Ende Januar 2014 kam es in und um Tacloban City wiederholt zu Demonstrationen gegen die staatlichen Behörden. Gefordert wurden ausreichende Nahrungsmittel, menschenwürdige Unterkünfte und medizinische Versorgung. Allein am 25. Januar waren über 13.000 wutentbrannte Menschen aus Leyte und Samar in Tacloban auf die Straße gegangen, um lautstark ihren Unmut hinauszuschreien. Diesmal waren es keine politisierten oder linken Kräfte, die dazu aufgerufen hatten, sondern Menschen, die sich spontan der Kundgebung einer religiösen Bewegung namens „People Surge“ („Aufbegehren des Volkes“) angeschlossen hatten. Deren Sprecherin, Schwester Edita Eslopor, begründete den ungewohnten Protestzug mit bitteren Worten:

„Dieser massive Umzug unterstreicht die tiefe Unzufriedenheit der Menschen über die kriminelle Vernachlässigung und das klägliche Unvermögen von Mister Aquino, sich angemessen um das Wohl der Bevölkerung zu kümmern.“

„Diese Demonstration ist lediglich der Auftakt weiterer Protestmärsche in anderen Städten des Landes. Nur so können die Menschen ihre Wut und Verbitterung über die Regierung zum Ausdruck bringen“, ergänzte Dr. Efleda Bautista, die Vorsitzende von „People Surge“.

Im Philippine Daily Inquirer schrieb der Kolumnist Amando Doronila:

„Präsident Aquino muss Acht geben, dass das Aufbegehren in Tacloban nicht in Metro Manila Feuer fängt. Es entspräche größter Ironie, wenn ausgerechnet Mr. Aquino, ein Nutznießer von Edsa 1 (dem Volksaufstand vom 22. bis 25. Februar 1986 auf Manilas Ringstraße Epifanio de los Santos, der Marcos ins Hawaiier Exil trieb – R.W.), das Opfer einer anschwellenden Protestaktion würde, die diesmal nicht von den Mittelschichten ausginge, sondern sich aus der geballten Wut der Armen speiste.“

„Counterinsurgency“ („Aufruhrbekämpfung“) & Hilfe im Stechschritt

Schon bei der Ernennung Lacsons hatte die im Untergrund agierende CPP, deren Neue Volksarmee seit dem Frühjahr 1969 einen Guerillakampf gegen die Regierungstruppen führt, Breitseiten gegen „Aquinos wachsenden Militarismus“ abgefeuert. In einer Erklärung der CPP vom 5. Dezember 2013 hieß es:

„Durch die Ernennung Lacsons und die ihm erteilte Vollmacht über die Verwendung von Sonderfonds in Höhe von umgerechnet insgesamt 913 Millionen US-Dollar verfolgt das herrschende Aquino-Regime das Ziel, die Anstrengungen des Wiederaufbaus den Interessen der mächtigen – insbesondere chinesischstämmigen – Kompradorenbourgeoisie unterzuordnen, zu der Lacson seit Langem enge Beziehungen unterhält.“

Und weiter:

„Die Ernennung Lacsons offenbart zugleich Aquinos militaristische Gesinnung, in den jüngst vom Supertaifun verwüsteten Gebieten den Widerstand der dortigen Bevölkerung zu unterdrücken. Dies geschieht im Rahmen von ‚Oplan Bayanihan‘ (des zu der Zeit gültigen ‚Operationsplans Nachbarschaftshilfe‘ im Rahmen der gegen die radikale Linke entfesselten ‚Aufstandsbekämpfung‘ – R.W.) und in der gleichen Weise wie vor genau einem Jahr, als während des damaligen Supertaifuns ‚Pablo‘ (internationaler Name: ‚Bopha‘, siehe den unten folgenden Exkurs – R.W.) die Menschen aus Wut gegen das Aquino-Regime protestierten, weil dieses auf kriminelle Weise den Betroffenen angemessene Hilfen verweigerte.“

Lacson präsentierte zehn Monate nach dem Taifun einen Masterplan. Das schließlich unter seiner Ägide initiierte Projekt erhielt den wohlklingenden Namen „Reconstruction Assistance for Yolanda“, kurz RAY (wie das englische Wort für „Strahl“) getauft, konzentrierte sich prioritär auf die Wiederherstellung der Infrastruktur. Während der gesamten Projektphase und auch in der Zeit danach blieben jedoch die wesentlichen Belange von „People Surge“ und anderen sozialengagierten NGO vor Ort unberücksichtigt: Es mangelte an Transparenz, was vor allem den Verbleib ausländischer Hilfsleistungen betraf; Sachleistungen wie der Häuserbau erfolgten meist in minderwertiger Ausführung, was Korruption ins Kraut schießen ließ, und letztlich blieb die Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung in für sie überlebenswichtige Belange nur ein Lippenbekenntnis. Bis heute (!) werden Aktivisten verfolgt und hinter Gitter gesperrt, die das „Krisenmanagement“ beziehungsweise das Fehlen eines solchen in Katastrophenfällen öffentlich kritisieren.

Exkurs: Aus der Geschichte nichts gelernt

Insgesamt waren laut der Vereinten Nationen und der Europäischen Kommission 16 Millionen Menschen, etwa ein Sechstel der damaligen Bevölkerung der Philippinen, auf unterschiedliche Weise durch „Haiyan“ in Mitleidenschaft gezogen worden. 16 Millionen Menschen: Das entspricht der Gesamtbevölkerung Berlins, Roms, Brüssels, Warschaus, Budapests, Paris, Madrids, Prags und Amsterdams. 791 Millionen US-Dollar hatte allein die UNO an Wiederaufbauhilfe zugesagt. Bis Anfang Februar 2014 war davon gerade mal knapp ein Drittel geflossen. Korruption und unterschiedliche Auffassungen in Manila, New York und Brüssel über die Verwendung von Geldern waren einerseits dafür verantwortlich. Andererseits betonte Steven Rood, Repräsentant der Asia Foundation in Manila,

„bestehen großes Unbehagen und reichlich Zynismus unter philippinischen Communities im Ausland. Die Leute glauben lieber an eigene soziale Netzwerke als an Geldspenden. Spenden werden in ihrer Sicht veruntreut oder gleich gestohlen.“

Das war in der Vergangenheit ebenso kalkulierbar wie die etwa 20 Taifune, die jährlich im südostasiatischen Inselstaat Not und Leid säen. Besonders schlimm war es in den beiden Vorjahren. 2011 und 2012 forderten jeweils im Dezember die Taifune „Washi“ (lokaler Name „Sendong“) und „Bopha“ (lokal „Pablo“ genannt) auf der südlichen Hauptinsel Mindanao etwa 2.500 Todesopfer. Dabei galt diese Region eigentlich als Taifun geschützt. Die Zahl der Vermissten wurde auf über 840 geschätzt. „Bopha“ war der im Jahre 2012 weltweit verheerendste Wirbelsturm. Dieser als Kategorie 5 (die höchste Stufe) klassifizierte Sturm war weitaus heftiger als Hurrikan „Katrina“ Ende August 2005 (Kategorie 3) und Hurrikan „Sandy“ (Ende Oktober 2012 – Kategorie 2), die über mehrere karibische Inseln hinwegfegten und auch Teile der USA verwüsteten.

„Bopha“ zog mehr als 6,2 Millionen Menschen in Mitleidenschaft, und durch ihn verloren über 850.000 Personen ihr Dach über dem Kopf. Bis heute sind die damals verwüsteten Kokosnussplantagen noch immer nicht vollständig wiederaufgebaut worden. Nicht nur Bauern verloren ihre Existenzgrundlage, sondern auch über eine Million Arbeiter. Über 10.000 Menschen mussten lange Zeit in Notunterkünften ausharren – und wurden drangsaliert, wenn sie verzweifelt Hilfe bei den staatlichen Behörden anmahnten!

Taifun „Rai“, vor Ort bekannt als „Odette“, traf die Philippinen am 16. Dezember 2021 und fegte durch elf der 17 Provinzen, darunter einige der ärmsten Teile des Landes. Der Sturm brachte sintflutartige Regenfälle, heftige Winde, Überschwemmungen und Sturmfluten mit sich. Insgesamt waren annähernd zehn Millionen Menschen von den Schäden betroffen.

Taifun „Rai“ war der letzte – und der bei weitem stärkste – von insgesamt 15 Taifunen, die die Philippinen im Jahr 2021 heimsuchten. Wissenschaftler warnen seit Langem davor, dass die durch die von Menschen verursachte Klimakrise steigenden globalen Temperaturen dazu führen, dass Taifune immer intensiver und häufiger werden.

Militärischer Widerstand mit Tradition

Der 2010 im AFP-Hauptquartier ausgearbeitete „Oplan Bayanihan“, der Anfang 2011 in Kraft trat, sah explizit vor, kombinierte zivile und militärische Komponenten miteinander zu vereinen, um in bestimmten „Rebellengebieten“ schrittweise Fuß zu fassen. Das Ziel, wie schon in ähnlichen früheren Plänen, war es, dauerhaft „Hirne und Herzen“ der betroffenen Bevölkerung zu gewinnen. Ortschaften, die sich dem Einsickern von AFP-Truppen verweigerten, galten als suspekt und wurden als „Horte des Terrorismus“ ins Visier genommen. Pikanterweise waren es die von „Haiyan“ besonders hart getroffenen und von grassierender Armut gezeichneten Inseln Samar, Leyte, Negros und Panay, die zu den Hauptzielgebieten von „Oplan Bayanihan“ zählten.

Vor allem Samar kann auf eine lange Tradition von militärischem Widerstand und zivilem Protest zurückblicken. Es war der US-General Jacob Hurd Smith, der auf dem Höhepunkt des Amerikanisch-Philippinischen Krieges 1901 seinem untergebenen Kommandeur, Major Littleton Waller, den Befehl erteilt hatte, die „von Rebellen verseuchte Insel“ zu „befrieden“ und Samar in „eine heulende Wildnis zu verwandeln“.

Der Autor weilte u.a. zur Jahreswende 2013/14 im Rahmen eines Rechercheaufenthalts in den von „Haiyan“ verwüsteten Gebieten im östlichen und zentralen Teil der Philippinen.

Titelbild: ymphotos/shutterstock.com


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