Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Bürgerkonvent 2.0 – die deutsche Tea-Party-Bewegung
Datum: 8. September 2011 um 15:10 Uhr
Rubrik: Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, PR, Rechte Gefahr
Verantwortlich: Jens Berger
Derzeit sorgt ein polemisches Anti-Euro-Video im Netz für Furore. Hinter diesem Video steckt eine Plattform namens „Abgeordnetencheck“, die sich selbst als soziales Netzwerk engagierter Bürger darstellt. Diese Eigendarstellung ist jedoch nicht haltbar. Hinter „Abgeordnetencheck“ verbirgt sich ein Netzwerk von marktfundamentalistischen und erzkonservativen Lobbyorganisationen, das sogar den berüchtigten „Bürgerkonvent“ von Meinhard Miegel für seine Zwecke wiederbelebt. Die „rechte APO“ geht mit der Zeit und könnte sich zu einer deutschen Tea-Party-Bewegung entwickeln. Von Jens Berger
Think-Tanks und Lobbyorganisationen haben meist den Nachteil, dass der interessierte Beobachter relativ schnell herausfindet, wer hinter diesen Organisationen steckt, wer sie finanziert und wessen Interessen somit vorgetragen werden. Klassische Lobbyorganisation haben daher auch das Problem, dass es ihnen schwer fällt, den Eindruck zu erwecken, sie verträten die Interessen des Volkes oder gar der Mehrheit. Um diesem Defizit entgegenzutreten, startete im Jahre 2003 der Bürgerkonvent. Der Bürgerkonvent wurde in seiner Anfangszeit in der Öffentlichkeit vom bekannten neoliberalen Vordenker und Lobbyisten Meinhard Miegel vertreten und sollte den Eindruck erwecken, er sei keine Lobbyorganisation, sondern ein zivilgesellschaftliches Bündnis reformfreudiger Bürger. Dieser Bluff ging jedoch nicht auf.
Schon bald kam heraus, dass hinter dem Konvent, der selbst zu seinen „Glanzzeiten“ nur 500 Mitglieder hatte, so bekannte Personen wie Hans-Olaf Henkel, Roland Berger, Otto Graf Lambsdorff und Rupert Scholz standen und die Anschubfinanzierung in Höhe von rund sechs Millionen Euro von niemand anderem als Baron August von Finck jr. stammten. Die politische Ausrichtung von Fincks hat sein langjähriger Intimus Ferdinand Graf von Galen einst mit dem Satz „Rechts vom Gustl steht bloß noch Dschingis Khan“ umschrieben. Vor zwei Jahren gelangte der sonst so öffentlichkeitsscheue von Finck einmal mehr als großzügiger Spender der FDP durch die „Mövenpick-Affäre“ in die Schlagzeilen. Nach diesen Enthüllungen wurde es ruhig um den Bürgerkonvent, dessen Fassade als Bürgerbewegung nun nicht mehr aufrecht zu erhalten war.
Neue Netzwerke
Seit diesem Jahr setzt der Bürgerkonvent voll auf eine neue Onlinestrategie und hat sich dafür personell und organisatorisch mit einer Pressuregroup namens „Zivile Koalition e.V.“ verbunden. Zu diesem eng verbundenen Netzwerk gehören ebenfalls die Internetplattform „Abgeordnetencheck“ (nicht zu verwechseln mit dem seriösen Projekt „Abgeordnetenwatch“), die Internetplattform „Freie Welt“, die erzkonservative „Initiative Familienschutz“ und die „Allianz für den Rechtsstaat e.V.“ – ein Verein, der sich für die Rückgabe des in der DDR verstaatlichten Großgrundbesitzes an die alten Junkerfamilien einsetzt.
Lose verbunden ist dieses Netzwerk mit verschiedenen marktradikalen und ultrakonservativen Lobbygruppen und Initiativen wie der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, der „Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft“, dem „Bund Deutscher Steuerzahler“ oder der „Stiftung Ja zum Leben“. Man tauscht sich und seine Artikel aus, promotet die Netzwerkpartner, startet gemeinsame Aktionen. Das Portal „Abgeordnetencheck“ verfolgt dabei die Aufgabe, Parlamentarier auf ihre Gesinnungstreue in marktradikalen und wertkonservativen politischen Positionen abzuklopfen – wer bedingungslos die Axt an den Sozialstaat legen will, hat bestanden, wer sich dem neoliberalen Wahn verweigert, fällt durch.
Mit einer Bürgerbewegung hat dieses Netzwerk jedoch genauso viel zu tun wie der Bürgerkonvent selbst. Meinungspluralität und Partizipation werden lediglich nach außen hin vorgetäuscht, hinter den Kulissen findet man immer wieder die gleichen Gesichter aus dem Beirat von „Abgeordnetencheck“, die sich im Netzwerk ein fröhliches Stelldichein geben.
Die zweite Generation des Bürgerkonvents:
Alter Wein aus neuen Schläuchen
Schaut man sich einmal die Kampagnen des Netzwerks an, so entdeckt man eine seltsam anmutende Mischung aus erzkonservativer Familien- und Gesellschaftspolitik und marktradikalen Forderungen. Mal geht es darum, das traditionelle Familienbild zu bewahren und die Kindergartenpflicht sowie den Sexualkundeunterricht in Grundschulen zu verhindern, mal geht es darum, die Steuern zu senken, Subventionen abzubauen und die Gemeinschaftswährung aufzulösen. Mit der Mischung aus schon beinahe reaktionärer Gesellschaftspolitik, libertärer Wirtschafts- und Finanzpolitik, einer tendenziellen Ablehnung des Staates und supranationaler Organisationen erinnert das neu aufgebaute Netzwerk rund um den Bürgerkonvent in frappanter Art und Weise an die amerikanische Tea-Party-Bewegung.
Ob diese neue Lobby-Strategie, die sich vor allem auf soziale Netzwerke und das Internet als Kommunikationskanäle stützt, erfolgreich sein kann, ist momentan noch sehr schwer zu sagen. Einerseits hat die amerikanische Tea-Party-Bewegung gezeigt, dass man mit dumpfem Populismus und Rattenfängerrhetorik auch in einer als aufgeklärt geltenden Gesellschaft sehr wohl eine „rechte APO“ aufbauen und damit Standpunkte durchsetzen kann, die ganz und gar nicht im Interesse derjenigen sind, die nicht zur finanziellen Oberschicht gehören. Andererseits ist diese Themenmischung in Deutschland jedoch relativ neu – viele Menschen mit wertkonservativer Einstellung lehnen marktradikale Thesen ab, viele Vertreter marktradikaler Thesen vertreten in gesellschaftspolitischen Fragen liberale Standpunkte.
Aufklärung als Waffe gegen Vernebelung und Verdummung
Wie auch aus den Namen im Umfeld des Bürgerkonvents bereits deutlich wird, scheinen die „Tea-Party-Thesen“ am ehesten beim ehemaligen Adel vom Typ „ostelbisches Junkertum“ und einem Teil des erzkonservativen Establishments anzukommen. Zwei Gruppen, die bereits in der Weimarer Republik nicht viel mit dem Parlamentarismus anfangen konnten.
Es ist natürlich kein Zufall, dass das populistische Anti-Euro-Video von „Abgeordnetencheck“ ausgerechnet von der WELT in einer Art und Weise gehypt wurde, die in keiner Art und Weise mit dem Pressekodex zu vertreten ist. Die WELT ist in letzter Zeit bereits häufiger mit dumpfen „Tea-Party-Thesen“ in Erscheinung getreten und scheint sich selbst zum Sprachrohr der „Neuen Rechten“ aufschwingen zu wollen. Derlei politischem Lobbyismus ist am ehesten mit Aufklärung zu begegnen. Der Öffentlichkeit muss klar werden, welche Interessen hinter der angeblichen Bürgerbewegung stecken, und dass diese Interessen keinesfalls deckungsgleich mit denen einer breiten Mehrheit sind.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=10678