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Titel: Zum in (an) die Luft gehen: Wie Kitas und Schulen zwecks Corona-Schutz verschandelt werden
Datum: 10. November 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik
Verantwortlich: Redaktion
Die Kita Mobile in Kaiserslautern erhält eine Belüftungsanlage, die keiner will und keiner braucht. Die Monsterapparatur nimmt massig Platz weg, raubt Tageslicht und Fenster für die Frischluftzufuhr. Womöglich müssen für die sinnfreie Maßnahme sogar fünf Betreuungsplätze weichen. Die Stadtverwaltung zieht das Projekt trotzdem durch. Und so läuft es wahrscheinlich tausendfach in Deutschland. Von Ralf Wurzbacher.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Man kommt rein und es bleibt einem die Luft weg. Decken sind mit monströsen, blechernen Rohren bewehrt, 30 Zentimeter im Durchmesser, wie es sie sonst in Fabriken, Konzerthallen oder Großraumbüros gibt. Große, runde Löcher gähnen in den Wänden, „das sind Fehlbohrungen“, sagt man mir. Mannshohe Maschinenschränke, fast zwei Meter breit, nehmen dem Raum den Platz weg und versprühen den Charme eines Rechenzentrums. Aber das hier ist kein Rechenzentrum, das ist ein Kindergarten oder sollte man sagen: Das war einmal ein Kindergarten.
Auf alle Fälle und bis auf weiteres ist die Kita Mobile im Osten von Kaiserslautern eine Baustelle. Die Einrichtung liegt inmitten eines sozialen Brennpunkts – früher Kalkofen, heute Asternweg genannt –, der bereits durch mehrere TV-Dokus bundesweit traurige Berühmtheit erlangt hat. Jetzt ist die Tristesse um eine Episode reicher. Weil die Stadtoberen verfügt haben, dass die Tagesstätte eine „Corona-gerechte stationäre raumlufttechnische Anlage“ – kurz RLT – braucht, sind seit Wochen die Handwerker am Werk. Wobei vieles, was sie machen, Machwerk ist: Wiederholt wurde umgeplant, weil etwas nicht so hinhaute wie gedacht. Erst sollte zum Beispiel ein Fenster komplett verschwinden, dann ging es beim Wiedereinbau zu Bruch.
Ein Rohr und eine Fehlbohrung
Wann die Männer fertig sind, weiß keiner so genau. „Zunächst hieß es, bis zu den Herbstferien, zuletzt war von Anfang Dezember die Rede, vielleicht ja als Geschenk zu Weihnachten“, bemerkt Julia Polanetz. Sie ist eine von drei Vertreterinnen des Elternbeirats, die den Schlamassel mit mir in Augenschein nehmen. „Das Verrückte bei all dem ist: Niemand hier wollte diese Technik und eigentlich braucht sie auch keiner“, sagt Polanetz. „Zur akuten Corona-Zeit wäre das Verständnis dafür vielleicht noch da gewesen, heute, mehr als drei Jahre später, erschließt sich keinem der Sinn der Maßnahme.“
Außer vielleicht den Damen und Herren im Stadtrat. Die nämlich halten dem Projekt weiter wacker die Treue. Nach einem Bericht der Rheinpfalz (hinter Bezahlschranke) hat die Kommune bisher 14 Schulen und Kitas mit Belüftungstechnik ausgestattet. Zum Teil war dabei die Pandemie noch im Gange oder zumindest nicht ganz so weit weg wie jetzt. Und auch nicht immer wurden die Anlagen fix verbaut, sondern in Gestalt mobiler Geräte zur Verfügung gestellt. Die Dinger kann man ausschalten, was laut Presseberichten wegen ihres lärmenden Brummens vielfach passiert. Oder man schafft sie einfach wieder weg, wenn Corona keinen mehr schreckt – wie seit fast zwei Jahren.
Ganz egal! Was beschlossen ist, ist beschlossen. Und wenn der Bund schon einmal Fördermittel lockermacht, satte 80 Prozent zuschießt und die Stadt nur 20 Prozent drauflegen muss, dann gehört das Geld auch ausgegeben. Andernfalls nämlich wären die Mittel verfallen und man hätte Aufträge zurückziehen müssen, die schon vergeben waren. Also lässt Kaiserslautern derzeit acht weitere Kitas und Schulen auf den „neuesten“ Virusschutzstandard hochrüsten, um auch noch gegen die hundertste aller harmlosen Mutationen gewappnet zu sein.
Ein mannshoher Maschinenschrank
„Das alles wurde auf Biegen und Brechen durchgesetzt“, meint Jennifer Thum vom Elternbeirat. „Es sieht so aus, als hätte die Stadt die Anlagen geordert, ohne überhaupt zu prüfen, ob und wie sich die Teile installieren lassen.“ Kein Verantwortlicher habe sich im Vorfeld ein Bild über die Gegebenheiten vor Ort gemacht, obwohl die SPD-Fraktion im Stadtrat noch im Juni genau das beantragt hatte. „Plötzlich waren die Bauarbeiter da, haben gleich losgelegt und seitdem müssen wir täglich miterleben, was es heißt, Dinge passend zu machen, die nicht passen“, klagt Thum. Mit ganz viel Wohlwollen und bei Ausblendung der Frage nach dem Warum ließe sich eine solche Maschinerie vielleicht in einem Klassenzimmer dulden, wo 30 Schüler auf 70 Quadratmetern an festen Plätzen arbeiten. Aber in einer Kita ist die Technik hoffnungslos überdimensioniert.
Kindergärten sollen eine Spielwiese sein, auf der sich Kinder frei und zwanglos bewegen, sich selbst und ihre Mitmenschen erfahren und ihre Energie und Kreativität ausleben können. Von der Reformpädagogin Maria Montessori stamme das Mantra, ein Gruppenraum habe sich an die Bedürfnisse der Kinder anzupassen, wirft Sandra Schimmel vom Elternbeirat ein. „Hier läuft es umgekehrt. Wände und Decken rücken den Kindern förmlich auf die Pelle.“ Der Schwund lässt sich beziffern: In der Froschgruppe mit einer Fläche von vormals 42 Quadratmetern gehen, sobald die ganze Apparatur installiert und verblendet ist, zehn Quadratmeter verlustig, also fast ein Viertel. Seitens der Leitung würden bereits Überlegungen angestellt, fünf Kitaplätze zu streichen – „aus reinem Platzmangel und weil es den Fröschen an Auslauf fehlt“, sagt Schimmel.
Dazu kommen noch mehr Verluste: Zwei Fenster verschwinden komplett – weg mit dem Tageslicht! Die Räumlichkeiten büßen Offenheit ein, weil sich an diversen Stellen Wände und Vorsprünge aufdrängen, die es vorher nicht gab. In der Froschgruppe musste deshalb die Bauecke weichen, gerade neu angeschaffte Möbel wurden so umgestellt, dass der Weg zum Notausgang versperrt ist. „Die Feuerwehr würde das so niemals abnehmen“, glaubt Polanetz. Sie weiß von einem Systemtechniker, nach dessen Auskunft es gleichwertige Anlagen gibt, die nur ein Drittel des Platzes wegnehmen würden. „Aber das war der Stadt wohl zu teuer und jetzt behauptet man, das wäre technisch der letzte Schrei.“ Bei Gefahr im Verzug ist der freilich schwerlich stummzukriegen. Der Notfallknopf befindet sich weit über Kopfhöhe und ist nur auf einem Stuhl zu erreichen.
Ein Belüftungsungetüm und wenig Auslauf für Frösche
Fast vier Jahre nach Beginn der Pandemie gilt es als unstrittig, dass Kindern und Jugendlichen immenser Schaden durch die Corona-Maßnahmen zugefügt wurde. Monatelange Schulschließungen und ein Klima der Angst haben vielfach tiefe Narben in der Psyche von Heranwachsenden hinterlassen. Überdies belegen Studien über Studien weitreichende Rückstände im Bereich Lernentwicklung und bei kognitiven und sozialen Reifeprozessen. Rückblickend erscheint all das noch fataler im Wissen, dass der sogenannte Schutz für beziehungsweise vor Schutzbefohlenen bar jeder wissenschaftlichen Evidenz verordnet wurde und Kitas und Schulen niemals die „Infektionstreiber“ waren, zu denen Regierende und ihre Experten sie lange Zeit gestempelt hatten.
Ebenso steht zweifelsfrei fest, dass Minderjährige unter allen Altersgruppen das bei weitem geringste Risiko tragen, ernsthaft an Covid-19 zu erkranken. Auf alle Fälle größer ist das Risiko, auf Baustellen zu verunglücken. In der Mäusegruppe ist eines der Rohrungetüme von der Decke auf den Boden gekracht. Das geschah glücklicherweise bei Nacht. „Gar nicht auszudenken, wenn das am nächsten Vormittag passiert wäre“, sagt Schimmel. „Da krabbeln sonst die Knirpse über den Boden.“ Ach ja: Der Einbau erfolgt bei laufendem Betrieb. Räume müssten immer wieder geräumt, Gruppen zusammengelegt oder in den Turnsaal ausgelagert werden, schildert Schimmel. „Das bringt gewaltigen Stress für die Kinder und Erzieherinnen“, ergänzt Polanetz. Erschwert worden seien die Bedingungen noch durch die Zwischenlagerung des Baumaterials in für Kita-Zwecke nötigen Räumen. „Dazu der Baulärm und der ganze Dreck und Feinstaub. Aber Masken sind für die Leidtragenden nicht vorgesehen.“
Als wäre im Umgang mit Kindern in Zeiten des Corona-Notstands nicht schon genug Unheil angerichtet worden und das Bildungssystem nicht schon zerrüttet genug, macht die Politik einfach weiter. Nun zerstört man die ohnehin chronisch unterfinanzierten Bildungsstätten sogar buchstäblich, indem man sie mit sinnfreier Technik ausstattet auf Grundlage eines Beschlusses vom Sommer 2020. In der Kita Mobile wird seit jeher ausgiebig gelüftet, mehrmals am Tag, aus purem Gesundheitsschutz, weil frische Luft Menschen gut tut. Aber demnächst würden Maschinen rund um die Uhr die Raumluft umwälzen und dafür Fenster aus dem Verkehr gezogen, die man dann nicht mehr zum Lüften öffnen kann, wundert sich Thum vom Elternbeirat. „Das ist doch irrwitzig.“
Bei Nacht abgestürzt – ein Rohrungetüm in der Mäusegruppe
Die Stadtverwaltung sieht das anders. „Bezüglich des sinnvollen Einbaus von mechanischen Lüftungsanlagen gab es in der Zwischenzeit schon Studien und Untersuchungen, die klar belegen, dass die Vorteile überwiegen“, ließ sie sich in der Rheinpfalz zitieren. So werde etwa die „Zufuhr kühler Frischluft in Sommernächten“ ermöglicht. Das ist gut investiert. Die Gesamtausgaben für Sommernachtsfrischluft in Kitas und Schulen in Kaiserslautern und Umgebung belaufen sich auf knapp 6,5 Millionen Euro. „Das Geld hätte man sinnvoller an anderer Stelle verwenden können“, meint Thum, „für Spielzeug, Spielplätze oder einen Erweiterungsbau der Kita“. Polanetz hakt ein: „Die Anschaffung von Schreib- und Bastelpapier, von Stiften und Kleber läuft komplett über Spenden. Die Stadt hat dafür keinen Cent übrig. Das ist alles so traurig.“
Die Elternvertreterinnen haben kaum noch Hoffnung, dass die Stadt sich doch eines Besseren besinnt und den Wahnsinn rückgängig macht. Tatsächlich wollen die Verantwortlichen nicht einmal sehen, was sie angerichtet haben. Man habe Sozialdezernentin Anja Pfeiffer (CDU) schon im Juli angeschrieben und gebeten, die Lage vor Ort zu besichtigen, sagt Polanetz. „Sie wolle das an den Abteilungsleiter weitergeben, kam zur Antwort, danach passierte nichts mehr.“ Alle weiteren Kontaktversuche seien ebenso „abgeschmettert“ worden. „Man fühlt sich so rat- und hilflos, wenn man sieht, wie die Kinder und Erzieherinnen unter der Situation leiden, und man sich abmüht, bei den Zuständigen Gehör zu finden, aber dort nur auf Beton stößt.“
Übel auf stößt all das auch meiner Tochter, die früher selbst vier wunderbare Jahre in der Kita Mobile verbringen durfte. Beim Rausgehen sagt sie: „Papa, was haben die sich nur dabei gedacht, meinen Kindergarten so zu verschandeln. Die spinnen doch, die Politiker.“ Recht hat sie.
Raumschiffbefall in der Blumengruppe
Titelbild: pathdoc / Shutterstock
Alle Fotos im Artikel: Romy Pflüger
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