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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Das faule Vermächtnis des Helmut Kohl
Datum: 30. August 2011 um 9:18 Uhr
Rubrik: einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Europäische Union, Wichtige Wirtschaftsdaten
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Aufgrund ihrer falschen Politik hatten wir bislang wenig Anlass, die Kanzlerin Angela Merkel zu verteidigen. Aber diesmal müssen wir sie in Schutz nehmen. In Schutz nehmen gegen die Angriffe des Egomanen und inzwischen nur noch an seiner eigenen Legende strickenden „Kanzler der Einheit“ Helmut Kohl. Er fällt in einem Akt kalter Rache über die heutige Politik und speziell über die Kanzlerin her. In seinem selbstbeweihräuchernden Personenkult erhebt er sich selbst zu einer der großen Figuren der Geschichte, der nach seiner selbstgerechten Wahrnehmung alles richtig gemacht hat. Dabei will er nur vertuschen, dass Angela Merkel nur den Scherbenhaufen zusammenkehren muss, den dieser altkluge Philister hinterlassen hat.
Kohl der Größte
Der Zeitschrift „Internationale Politik“ (IP) gab Kohl ein Interview, in dem er kein gutes Haar an der derzeitigen deutschen Politik ließ.
Deutschland habe seinen „Kompass“ verloren, es sei „schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr – weder nach innen noch nach außen“, man müsse sich fragen, „wo Deutschland heute eigentlich steht und wo es hin will“, „wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen“, „wir müssen dringend zu alter Verlässlichkeit zurückkehren“, man hätte keinen Sinn für die Kontinuitäten deutscher Außenpolitik, wir trieben „ohne Kompass und Anker im Weltmeer und liefen Gefahr, „beliebig und unberechenbar zu werden“, „am Ende wäre Deutschland isoliert“, usw. usf. So poltert der alte Grieskram geradezu wie Barbarossa aus der Höhle im Kyffhäuser, der nach der alten Sage die Deutschen angeblich wieder aus der Not befreien soll.
Kohl stellt ganz selbstverständlich seine Kanzlerschaft in eine Reihe mit Konrad Adenauer und rühmt sich, „dass ich parallel zur deutschen Einheit an unserem europäischen Credo festgehalten und die Vertiefung der europäischen Einigung mit ganz konkreten Initiativen vorangetrieben habe“. Kohl stilisiert seine eigene Legende, in dem er die deutsche Vereinigung als einen „eindrucksvollen Beleg für das Vertrauenskapital“ heranzieht, ein Kapital, das natürlich vor allem er mit „auf- und ausgebaut“ habe. Kohl beschlagnahmt die jüngere deutsche Geschichte ausschließlich für sich. Da kommen die „neue Ostpolitik“, die„Entspannungspolitik“ oder „der Wandel durch Annäherung“ eines Willy Brandt – die Kohl massiv bekämpft hat – nicht vor, da gibt es keinen (ökonomischen und politischen) Zusammenbruch der Sowjetunion, da ist von der „friedlichen Revolution“ der Menschen im Osten Deutschlands nicht die Rede. Nein, die deutsche Einheit, so legt er dem Publikum nahe, war vor allem dem „Führungs- und Gestaltungswillen“ Helmut Kohls zu verdanken.
Unter der bezeichnenden Überschrift „Was ist große Politik, Herr Bundeskanzler?“ durfte Kohl in der albernen XXL-Ausgabe seines Leib- und Magenblattes, der Bild-Zeitung, noch einmal nachlegen, nachdem ihn Angela Merkel, mit dem Hinweis, dass „jede Zeit ihre speziellen Anforderungen“ habe, kalt abblitzen ließ. Er beschreibt sich dort im Plakatformat ohne einen Hauch von Selbstzweifel oder der von ihm selbst reklamierten „Demut“ als „großen Politiker“ den „Charakterstärke, Stehvermögen, Menschlichkeit“ auszeichneten.
In der aus seiner Regierungszeit nur allzu bekannten Raufbold-Manier prügelt natürlich Kohl, um aus der parteipolitischen Defensive zu kommen, auf den politischen Gegner ein: „Die wesentlichen Fehlentscheidungen für die krisenhafte Entwicklung in Europa – also der Bruch des Euro-Stabilitätspakts und die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone – sind von Rot-Grün zu verantworten.“
„Mit mir als Bundeskanzler hätte Deutschland der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone in seiner konkreten Situation – die jedem, der genauer hinsah, nicht verborgen bleiben konnte –, also ohne durchgreifende strukturelle Veränderungen im Land, nicht zugestimmt“ und „mit mir hätte Deutschland auch nicht gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen“, sagt Kohl der IP.
„Die wichtigsten Entscheidungen würde ich alle wieder so treffen“ lässt er sich zitieren und bekräftigt: „Dieses Fazit im Rückblick auf mein Leben gilt sogar erst recht für die Europäische Währungsunion wie überhaupt für alle Entscheidungen, die in meiner Zeit als deutscher Bundeskanzler im Zusammenhang mit Europa getroffen wurden.“
Man fragt sich, ob solche anmaßenden Urteile über sich selbst einer aufkommenden Altersdemenz oder schierer Megalomanie geschuldet sind. Jedenfalls muss Helmut Kohl mit der Vergesslichkeit seiner Zeitgenossen kalkulieren, denn die Ursachen der Krise in Europa haben nicht die Nachfolgeregierungen nach den sechzehn Regierungsjahren Kohls gesetzt, sondern kein Geringerer als er selbst. Den Regierungen Schröder und Merkel kann man vorwerfen, dass sie diese Politik fortgesetzt haben. Sie haben Kohls Kurs blindlings weiterverfolgt, aber keineswegs den Kohlschen „Kompass verloren“.
Leider haben sie diesen Kompass nicht verloren, denn damit haben sie Kohls Crash-Kurs nur fortgesetzt und Merkel ist, nachdem es einige Jahre nicht zum Unfall kam, nun eben auf diesem Katastrophenkurs gegen die Wand geknallt.
Kohl der Selbstgerechte
Fangen wir mit der Erinnerung bei der Staatsverschuldung an:
Kohl war von 1982 bis 1998 Kanzler. In seiner Regierungszeit stieg die Staatsverschuldung steiler an, als je zuvor und später bei seinen Nachfolgern Schröder und Merkel. (Wenn man von dem Sprung wegen der Bankenrettung und der Konjunkturprogramme im Jahre 2010 absieht.)
Quelle: Wikipedia
„Mit mir hätte Deutschland auch nicht gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen“
Das behauptet Kohl kühn. Nach diesen Regeln darf die Nettoneuverschuldung maximal 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, der Schuldenstand maximal 60 Prozent des BIP. Die Regierung Kohl lag von 1996 bis zum Ende seiner Kanzlerschaft über der (selbst gesetzten) 60-Prozent-Grenze. Vor Ausbruch der Krise, im Jahre 2008 lag die Schuldenstandquote des öffentlichen Gesamthaushalts gemessen am BIP bei 63,3 Prozent. Ein Wert der dem vor dem Abgang Kohls 1998 entsprach.
Siehe den Staatsschuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in vergleichbaren Ländern:
Quelle: OECD (Hrsg.): Economic Outlook 2003, Paris 2003, S. 227. Für die Werte des Jahres 2003 OECD (Hrsg.): Economic Outlook 2004, Volume 2, Paris 2004, S. 234.
Nochmals als Grafik:
Siehe: Die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse in den Ländern [PDF – 1.6 MB]
Tatsache ist weiter: Die Regierung Kohl lag bei der Nettokreditaufnahme mehrfach an oder sogar über der Nettoneuverschuldungsgrenze von maximal von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Nettokreditaufnahme des Staats nach dem Maastrichtkriterium 1991 bis 2009:
Siehe: Die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse in den Ländern [PDF – 1.6 MB]
Es ist entweder Gedächtnisschwund oder pure Heuchelei, wenn Kohl den Bruch des Stabilitätspaktes der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder anlastet, war doch die falsche Finanzierung der deutschen Einheit, die Kohl zu verantworten hat, einer der Hauptgründe dafür, dass die 3-Prozent-Grenze drei Jahre nicht eingehalten werden konnte. Trotz aller Sparanstrengungen des „eisernen Hans“ Eichel, der damit sogar noch die Konjunktur kaputt gespart hatte und damit erst recht in die Schuldenfalle geriet.
Kohl und seine Regierungen sind aber nicht nur deshalb, weil sie meinten, sie könnten die Lasten der deutschen Einheit aus der „Portokasse“ und versteckt über die sozialen Sicherungssysteme finanzieren, für die Verletzung, der von ihr selbst durchgesetzten Maastricht-Kriterien verantwortlich. Kohl und Waigel haben in ihrem (schon damals längst überholten) geldpolitischen Denken dafür gesorgt, dass die die Aufgaben der Europäische Zentralbank ausschließlich auf die Geldwertstabilität reduziert wurde. Und die Währungshüter haben konsequenterweise mit Zinserhöhungen schon wegen der Gefahren minimaler Preissteigerungen die Konjunktur im Jahr 2001 einmal mehr gründlich abgewürgt. Der Europäischen Zentralbank waren, dank Kohl geradezu die Hände gebunden als die Konjunktur nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 deutlich einbrach und die damalige Regierung der unsinnigen Maastricht-Regel folgend nicht mit Konjunkturprogrammen gegensteuern durfte und wollte.
Siehe zur damaligen wirtschaftspolitischen Lage:
Quelle: ver.di Wirtschaftspolitische Informationen 8/2008 [PDF – 192 KB]
Und so wurde durch Eichels Sparanstrengungen das kleine Pflänzchen Wachstum totgetreten. Sein Sparwille hat nicht zum Erfolg geführt. Im Gegenteil dank der schlechten Konjunktur musste der Finanzminister sogar mehr Schulden machen.
„Mit mir als Bundeskanzler hätte Deutschland der Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone… nicht zugestimmt“
Brüstet sich Kohl.
Aus der oben aufgeführten Statistik über den Staatsschuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist ersichtlich, dass Griechenland schon zu Helmut Kohls Zeiten stark verschuldet war, aber es war weniger verschuldet als etwa Italien oder Belgien. Kohls Finanzminister Waigel hatte für die Aufnahme Italiens gestimmt, obwohl auch Rom die Maastricht-Kriterien weit verfehlte. Kohl hatte in der Europäischen Union sowohl den EG-Transfers an Griechenland zugestimmt und die Griechen haben schon in seiner Regierungszeit gegen die 1992 eingeführten europäischen Stabilitätsregeln verstoßen, ohne dass er etwas dagegen unternommen hätte.
Griechenland wurde am 1. Januar 2001 in die Europäische Währungsunion aufgenommen. Die EU-Finanzminister, die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission lobten das griechische „Konvergenzprogramm“, das den Weg in den Euro als gangbar erscheinen ließ. Es gab zwar Bauchschmerzen von verschiedener Seite, aber weder hat sich Helmut Kohl öffentlich gegen die Aufnahme gestemmt, noch brachte er und seine CDU/CSU einen Gegenantrag in den Bundestag ein. Nur einige CSU-Abgeordnete stimmten mit Nein.
Kohl ist für den Geburtsfehler des Euro verantwortlich
Helmut Kohl hat nicht nur den Maastricht-Vertrag sondern auch die Einführung des Euro zu verantworten. Kohl hat also auch zu verantworten, dass dem Euro von Anfang an ein Geburtsfehler anhaftete: ihm fehlte das Fundament, nämlich eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik der 17 EWU-Länder.
So haben Länder der Währungsunion wie Irland oder die Slowakei mit Flat Taxes oder Niedrigsteuersätzen die anderen unterbieten können. Deutschland sparte und sparte, während Italien und Frankreich eine lockere Finanzpolitik betrieben. In Deutschland wurde mit aller Macht die Inflationsrate niedrig gehalten, während man in anderen Ländern mit Preissteigerungen gut leben konnte. „Es war einfach unverantwortlich, im Widerspruch zu den tragfähigen Theorien mit der Währungsunion auf die Dynamik einer Angleichung der unterschiedlichen nationalen Makroökonomien zu setzen. Das Gegenteil ist eingetreten. Unter dem massiven Exportdruck aus Deutschland durch Lohndumping haben sich die Divergenzen zwischen den Mitgliedsländern vertieft“, schreibt Heiner Flassbeck.
Kohl ist nach dem Sturz Helmut Schmidts zusammen mit der Lambsdorff-FDP auf die Linie der Chicago Boys eingeschwenkt und hat die Werte und Prinzipien der „sozialen Marktwirtschaft“ geschleift. Schröder hat dem angelsächsischen Modell auf der Seite der Sozialdemokratie zum Durchbruch verholfen und Merkel setzt mit ihrer schwarz-gelben Koalition nur fort, was mit der „geistig-moralischen Wende“ Kohls begonnen wurde.
Die Euro-Lüge Kohls ist nun „Kohls Mädchen“ auf die Füße gefallen. Man muss Merkel deswegen nicht bedauern, denn die Kanzlerin folgte ja mit dem „Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus“ (EFSM) nur blindlings den Spuren Kohls. Aber vor den Angriffen des der wahnhaften Erhöhung seiner eigenen Person anheim gefallenen Altkanzlers in Schutz nehmen, darf sie man schon. Kohl hat ihr wohl nie verziehen, wie sie ihn vor 10 Jahren aus dem Amt des CDU-Parteivorsitzenden gedrängt hat. Die späte Rache ohne Rücksicht auf die innen- und außenpolitischen Folgen für Deutschland ist typisch für den Egomanen Helmut Kohl.
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