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Titel: „Staatsräson“ – ein schwülstiger und blödsinniger Begriff

Datum: 18. Oktober 2023 um 14:20 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache
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Fast sieben Jahrzehnte lang, seit Gründung des Staates Israel 1948 und seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, haben wir Deutschen besondere Verbindungen mit Israel, sozusagen von Adenauer über Merkel bis zu Scholz. In dieser ganzen Zeit galt das, was jetzt unter dem Begriff „Staatsräson“ begriffen und besonders gepflegt werden soll. Bundeskanzler Scholz gestern wörtlich: „Unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen“. Ich akzeptiere diese Verpflichtung, aber dafür muss man doch nicht einen so schwülstigen Begriff wie „Staatsräson“ gebrauchen und damit auch noch die nachwachsenden Generationen in Haft nehmen. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Schon bei Merkel war erkennbar, dass die Einführung und der Gebrauch dieses Begriffes zuallererst Merkels eigener Profilierung diente. Merkel hatte den Begriff 2008 mit dieser Rede vor der Knesset eingeführt. Mit Scholz geht das nach der gleichen Facon weiter. Sie schmücken sich mit dieser zur Staatsräson hochstilisierten Verpflichtung – auf unser aller Kosten.

Der Begriff ist blödsinnig, weil er nicht nötig ist. Das hat die 70 Jahre lange Praxis der engen Zusammenarbeit und der umfangreichen Hilfe für Israel bewiesen.

Der Begriff ist blödsinnig, weil er uns in die Hände jedweder israelischen Regierung bringt. Sie kann nationalistisch sein, sie kann rücksichtslos im Umgang mit anderen Völkern, zum Beispiel mit den Palästinensern sein. Sie kann machen, was sie will, sie kann zum Beispiel ein Hospital bombardieren und dabei gleich einige 100 Menschen zu Tode bomben. Die Staatsräson zwingt die deutsche Regierung, auch dieses gutzuheißen, zumindest dazu zu schweigen.

Der Begriff Staatsräson ist nicht nur blödsinnig, sondern auch schädlich, weil er den vielen vernünftigen Menschen in Israel, die mit den Palästinensern menschlich, friedlich und gut zusammenleben wollen, die Arbeit erschwert. Sie stehen im Wettbewerb mit rechten, nationalistischen Kräften wie zum Beispiel dem Lager von Netanjahu und finden keine Unterstützung bei uns. Wir unterstützen aus Staatsräson die herrschende Regierung, ganz gleich, was sie tut.

Der Begriff Staatsräson liefert einen Freibrief. Den kann es aber aus sachlichen und aus politischen Gründen nicht geben.

Der Gebrauch des Begriffes Staatsräson hat auch eine unfaire Wirkung gegenüber der jungen Generation hier bei uns in Deutschland. Unsere Nachfahren werden damit verpflichtet, für die Sünden ihrer Väter und Vorväter weiter und ohne Ende zu bezahlen, ohne für diese Taten selbst verantwortlich zu sein. Anders war das mit der Generation meiner Eltern und auch mit meiner Generation. Ich war 1945 sieben Jahre alt. Wir waren zwangsläufig mit der Generation der Nazis und ihren Verbrechen verbunden und die meisten haben wie auch ich nicht daran gezweifelt, dass wir die von unserer Eltern- und Großelterngeneration angerichteten Verbrechen und Schäden mitzutragen und mitzubezahlen haben.

Aber soll das wirklich auch noch für die Generation unserer Enkel, Urenkel und Ur-Ur-Enkel gelten?

Ich würde diese kritischen Anmerkungen nicht formulieren und veröffentlichen, wenn nicht die eingangs erwähnte Absicht von Merkel und Scholz erkennbar wäre, sich auf Kosten der nachwachsenden Generationen profilieren zu wollen.

Titelbild: berlinpictures16 / Shutterstock

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